Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (15,1-35)

Die Apostelversammlung in Jerusalem

Apg 15,22-29

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 15,22-29

 

 

Übersetzung

 

Apg 15,22-29:22 Daraufhin beschlossen die Apostel und die Ältesten samt der ganzen Gemeinde, aus ihrer Mitte ausgewählte Männer zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden, [nämlich] Judas, Barsabbas genannt, und Silas, führende Männer unter den Brüdern. 23 Durch sie ließen sie folgendes Schreiben überbringen: "Die Apostel und die Ältesten, [eure] Brüder, an die Brüder in Antiochia, Syrien und Kilikien, die aus [den] Heiden sind: Seid gegrüßt! 24 Da wir gehört haben, dass einige von uns ausgezogen sind und euch mit Worten beunruhigt haben, indem sie eure Gemüter verwirrten, ohne dass wir ihnen einen Auftrag erteilt hätten, 25 haben wir einmütig (geworden) beschlossen, Männer auszuwählen und zu euch zu senden mit unseren Geliebten Barnabas und Paulus, 26 Menschen, die ihr Leben eingesetzt haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus. 27 Wir haben also Judas und Silas geschickt, und sie sollen mündlich dasselbe mitteilen, 28 nämlich: Der heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen außer diesen notwendigen Dingen: 29 dass ihr euch enthaltet von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht. Wenn ihr euch davor in acht nehmt, werdet ihr recht tun. Lebt wohl!“

 

 

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V. 22

 

Beobachtungen: "Daraufhin“ ist im Sinne von "auf die Worte des Jakobus (des Herrenbruders) hin“ zu verstehen. Jakobus hatte eine Rede gehalten (vgl. 15,13-21), die zum Ende der langwierigen Diskussion über die Frage, ob Heidenchristen beschnitten werden und das Gesetz des Mose befolgen müssen (vgl. 15,5), geführt hatte. Dabei ist zu beachten, dass die Rede des Jakobus nicht isoliert für sich, sondern im Anschluss an ein Machtwort des Petrus sowie an einen Bericht der beiden Missionare Barnabas und Paulus erfolgt war. Folglich können auch das Machtwort des Petrus sowie der Bericht des Barnabas und Paulus zu den Auslösern des Beschlusses gezählt werden, weil durch sie die Kehrtwende eingeleitet und die aufgrund gegensätzlicher Meinungen gespaltene Versammlung zur Eintracht geführt worden war.

 

Die Apostel und die Ältesten waren zwei Leitungsgremien der Jerusalemer Gemeinde (vgl. Beobachtungen zu 15,2). Gemäß V. 6 waren nur die Apostel und die Ältesten, nicht jedoch weitere Jerusalemer Gemeindeglieder bei der Versammlung anwesend und hatten die Diskussion verfolgen und aktiv an ihr teilnehmen können. Zwar ist in V. 12 von einer "Menge“ die Rede, die infolge des Machtwortes des Petrus still geworden war, doch umfasst diese "Menge“ wahrscheinlich nur die Apostel und die Ältesten sowie Paulus und Barnabas und vielleicht die weiteren Mitglieder der antiochenischen Delegation. Wenn also gemäß V. 22 auch die Gemeinde − gemeint sind wohl die nicht zu den Aposteln und Ältesten gehörenden Jerusalemer Gemeindemitglieder − mit beschloss, so tat sie dies, ohne bei der Versammlung anwesend gewesen zu sein und mitdiskutiert zu haben. Möglicherweise hatten die Apostel und Ältesten ihren geplanten Beschluss der Gemeinde überzeugend vermitteln können, so dass sich diese den beiden Leitungsgremien anschloss und es sich schließlich um einen Beschluss der gesamten Gemeinde handelte. Dass auch die Gemeindeglieder, die nicht zu den Aposteln und Ältesten gehörten, den Beschluss trugen, kann aber auch zur Schlussfolgerung führen, dass auch diese Gemeindeglieder bei der Versammlung anwesend waren und zu der in V. 12 genannten "Menge“ gehörten bzw. diese "Menge“ bildeten. So mag auch V. 22 zu der Variante von V. 6 geführt haben, die von der Anwesenheit auch der "Menge“ (= "Gemeinde“) bei der Versammlung ausgeht (vgl. Beobachtungen zu V. 6).

 

Judas wurde "Barsabbas“ genannt, ebenso wie Josef, der einer der beiden Kandidaten für den Platz, der unter den zwölf Aposteln durch den Tod des Judas Iskariot frei geworden war, war (vgl. 1,23). Dies und die Tatsache, dass beide der Jerusalemer Gemeinde angehörten, lässt annehmen, dass beide derselben Familie angehörten. Zwingend ist die Annahme jedoch nicht, denn "Barsabbas“ war ein durchaus häufig anzutreffendes Patronymikon (= vom Namen des Vaters abgeleiteter Name) aramäischer Sprache, das "Sohn des Sabbas“ bedeutet. Ansonsten ist über Judas, der nur hier in Verbindung mit dem Namen "Barsabbas“ genannt wird, nichts bekannt.

 

Silas ist in der Apg bisher noch nicht erwähnt worden, ebenfalls findet er im Lukasevangelium (wie auch in den anderen Evangelien) keine Erwähnung, so dass offen bleibt, warum gerade er mit Judas ausgewählt wurde. In der Folgezeit wurde Silas ein wichtiger Mitarbeiter des Paulus, der mit diesem zur zweiten Missionsreise aufbrach (vgl. 15,40).

 

"Brüder“ meint hier nicht "leibliche Brüder“, sondern Glaubensbrüder. Dabei sind wohl die Glaubensschwestern eingeschlossen, die jedoch von der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt, unterschlagen werden.

 

Weiterführende Literatur: Eine literarische Analyse von Apg 14,27-15,35 bietet A. T. M. Cheung 1993, 137-154. Der Bericht über die Jerusalemer Apostelversammlung habe in 14,27-28, nicht in 15,1, seinen Ausgangspunkt. Lukas versuche auch die kritischen Leser davon zu überzeugen, dass zwischen den juden- und heidenchristlichen Gemeinden Harmonie geherrscht habe. Dazu betone er die untergeordnete Rolle der antiochenischen Gemeinde und des Paulus bei der Jerusalemer Apostelversammlung. A. T. M. Cheung sieht 14,27-15,35 als eine wohlkomponierte Einheit an, nicht als einen aus verschiedenen Quellen aufs Geratewohl zusammengesetzten Flickenteppich. Dabei schlössen literarische Kunstfertigkeit und historische Zuverlässigkeit des Berichteten einander nicht aus.

 

Mit den Entscheidungen der Jerusalemer Versammlung (Apg 15,1-41) befasst sich R. Neuberth 2001, 147-235, wobei er zunächst eine synchrone und danach eine diachrone Analyse bietet.

 

Mit 15,1-34 befasst sich A. Weiser 1984, 145-167, der auf Aufbau, Form, Historizität, Überlieferungsgrundlage und redaktionelle Komposition, inhaltliche Schwerpunkte der lukanischen Gestaltung und Anregungen aus der lukanischen Darstellung für die Kirche heute eingeht. A. Weiser hält den Abschnitt in formaler Hinsicht für eine geschlossene und ausgewogene Texteinheit. Die Darstellung des Verhandlungsverlaufs und des Ergebnisses (V. 7-29) stamme ganz von Lukas. Er habe sie aber nicht völlig frei gestaltet, sondern dabei auch Elemente aus verschiedenen Überlieferungen aufgenommen und sie miteinander zu einer Einheit verwoben.

 

Mit dem Verhältnis der Apg zum Galaterbrief befasst sich D. Trobisch 1999, 331-338. Lukas versuche die Ereignisse darzustellen, die dem Galaterbrief zugrunde lagen, wobei die historische Zuverlässigkeit der Darstellung seitens der Ausleger unterschiedlich beurteilt werde. Gemäß Lukas seien Petrus und Paulus keine Widersacher gewesen, sondern beide hätten auch in Rom als Missionare gewirkt und seien dort als Märtyrer gestorben. Diese Sichtweise entspreche der dem kanonischen NT zugrunde liegenden des 2. Jh.s. Lukas gehe davon aus, dass Paulus den Galaterbrief nach dem antiochenischen Zwischenfall (gemäß den Berichten Apg 15,1-2; Gal 2,11-14), aber vor dem Aufbruch zur Jerusalemer Apostelversammlung (gemäß dem Bericht 15,4-29) verfasst hat.

 

Von der verbreiteten Annahme ausgehend, dass sich sowohl Apg 15,1-29 als auch Gal 2,1-21 mit der Frage nach dem "Heil allein durch den Glauben an Christus“ befassten, zeigt M. Conti 2002, 235-256 zunächst den historischen und dogmatischen Zusammenhang der beiden Texte auf. Dann untersucht er die Beziehung zwischen der Rückkehr des Johannes Markus nach Jerusalem (vgl. 13,13) und der Reise "einiger“ nach Jerusalem (vgl. 15,1) sowie der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas wegen des Johannes Markus (vgl. 15,37-39). Es folgt eine synoptische Zusammenschau von Apg 15,1-29 und Gal 1,1-21. M. Conti merkt an, dass in Apg 15,1-12 die Streitfrage hinsichtlich Beschneidung und christlicher Freiheit im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt werde, in Gal 2,1-10 dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Sei im Hinblick auf die Beschneidung auch volle Übereinstimmung erzielt worden, so sei dies im Hinblick auf Streitfrage bezüglich des Verhältnisses von Gesetz und christlicher Freiheit nicht der Fall gewesen. Auch diese Streitfrage werde von der Apg (15,13-21) im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt, in Gal (2,11-21) dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Der Bericht der Apg entspreche nicht der Realität, sondern sei literarisches Werk des Lukas. Er vereinige zwei zeitverschieden diskutierte Streitfragen in ein und demselben Rahmen, nämlich der Jerusalemer Apostelversammlung. Das "Apostolische Dekret“, das in der Apg zur Sprache komme, fordere nicht mehr als die Einhaltung der Bestimmungen von Lev 17-18. Bei allen Menschen hänge das Heil allein von der Gnade des "Herrn“ Jesus ab. Dabei müsse kein Nichtjude zum Juden werden, um ein Christ werden zu können, sondern der Glaube werde auf Grundlage der eigenen Kultur angenommen.

 

M. Rothgangel 2001, 237-246 legt dar, dass in Apg 15 nur die V. 1-4 (12b) vom so genannten Jerusalemer Apostelkonvent geprägt seien und im Wesentlichen ab Apg 15,5ff. der Antiochiazwischenfall und seine Lösung die Überlieferungsgrundlage von Apg 15 bildeten.

 

H. Ponsot 2002, 556-586 geht − im Gegensatz zu zahlreichen anderen Auslegern − nicht davon aus, dass es sich bei der in der Apg berichteten Apostelversammlung in Jerusalem um eine einzige Versammlung gehandelt hat. Vielmehr sei von zwei verschiedenen Versammlungen auszugehen, die zwar beide in Jerusalem stattgefunden haben, jedoch in einem mehrjährigen zeitlichen Abstand und mit verschiedenen Teilnehmern. Die erste Versammlung (vgl. Apg 15,1-12; Gal 1,18; 2,7-8) habe sich der Frage gewidmet, ob Heidenchristen beschnitten werden müssen, und habe vermutlich im Jahr 37 n. Chr. zu Beginn der paulinischen Mission stattgefunden. Bei dieser Versammlung hätten sich Paulus und Petrus getroffen und man sei sich bezüglich der zukünftigen Missionsgebiete einig geworden. Die zweite Versammlung dagegen habe sich der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen gewidmet und erst 52 oder 53 n. Chr. stattgefunden, und zwar nach dem "antiochenischen Zwischenfall“. Bei dieser zweiten Versammlung seien Paulus und Petrus aufgrund missionarischer Aktivitäten nicht anwesend gewesen, sondern nur eine antiochenische Gesandtschaft und die Ältesten der Jerusalemer Gemeinde um Jakobus den Herrenbruder (vgl. Apg 15,13-34; Gal 2,1-10). Hier sei das "apostolische Dekret“ über die Tischgemeinschaft verabschiedet worden.

 

R. Pesch 1981, 105-122 geht von den Thesen F. Mußners in dessen Kommentar von 1974 aus, dass trotz der zahlreichen Unterschiede kein Grund zu der Annahme bestehe, Gal 2,1-10 und Apg 15 würden von zwei verschiedenen Ereignissen berichten, und dass vermutlich das "Aposteldekret“ erst einige Zeit nach dem "Apostelkonzil“ zustande gekommen und von Lukas in den Bericht über dasselbe hineingenommen worden sei. R. Pesch stellt nun die Frage, wie Lukas überhaupt dazu kommt, das "Aposteldekret“ in seinen Bericht über das "Apostelkonzil“ hineinzunehmen. Ergebnis: Lukas habe (aus Antiochenischer Tradition) neben dem Bericht über die dortige Gemeindegründung (Apg 11,19-26) einen Bericht über das Jerusalemer Abkommen (Apg 11,27-30; 12,25; 15,1-4.12b) und das Zustandekommen des Aposteldekrets (Apg 10,1-11,18; 15,5-12a.13-33) gekannt. Da ihm daran gelegen sei, die Heidenmission ganz in die Kontinuität der urchristlichen Gemeinde einzubetten und an Jerusalem zurückzubinden, lasse er sie im Werk des Petrus grundgelegt sein. Weil er die Eröffnung der beschneidungsfreien Heidenmission Petrus zuschreibe, dessen Initiative durch die Jerusalemer gebilligt werde, könne er die Berichte über das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts zusammenziehen, wobei er freilich die mit dem Jerusalemer Abkommen zusammenfallende Kollekte der Antiochener ablöse und im (vielleicht ursprünglichen) Anschluss an die Erzählung von der Gründung der Gemeinde kurz erwähne; den knappen Bericht schachtele er um die Überlieferung von der Verfolgung durch Agrippa I.

 

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V. 23

 

Beobachtungen: Der Beginn von V. 23 ist wörtlich mit "und sie schrieben durch ihre Hand“ zu übersetzen. Gemeint ist: "Durch sie ließen sie folgendes Schreiben überbringen:…“.

Das Personalpronomen "sie“ bezieht sich auf die Apostel und die Ältesten sowie die ganze Gemeinde. Dabei macht der Briefanfang − dass es sich um einen Brief handelte, unterstreicht die Variante des Codex Bezae Cantabrigiensis - deutlich, dass die eigentlichen Absender des Briefes die Apostel und die Ältesten waren. Das Schreiben wurde nicht von den Aposteln und Ältesten persönlich übergeben, sondern durch "ihre Hand“. Das Possessivpronomen "ihre“ dürfte sich auf die ausgewählten Männer Judas und Silas beziehen. Diese beiden Männer waren Jerusalemer Gemeindeglieder und für die Übergabe des Schreibens der Jerusalemer Gemeinde ausgewählt worden. Paulus und Barnabas erscheinen als Angehörige der antiochenischen Delegation, die nun nach Hause zurückkehrten. Da Barnabas ursprünglich von der Jerusalemer Gemeinde nach Antiochia gesandt worden war (vgl. 11,22), hätte der Brief auch durch ihn nach Antiochia überbracht werden können, so dass es nicht der beiden Männer Judas und Silas als Begleiter bedurft hätte. Sahen die Apostel und Ältesten inzwischen Barnabas nicht mehr als Jerusalemer Gesandten an? Oder hatten sie das Vertrauen in ihn verloren? Oder bedurfte die Übergabe des Briefes eigener Gesandter, weil sie nicht zum missionarischen Aufgabenbereich des Barnabas gezählt wurde? Oder wollten die Apostel und Ältesten die Verbreitung und Durchsetzung der Bestimmungen nicht nur Barnabas (und Paulus) anvertrauen, weil ihnen die Aufgabe als zu umfangreich und/oder zu bedeutsam erschien? Die weiteren Mitglieder der antiochenischen Delegation (vgl. 15,2) werden nicht mehr erwähnt. Sie spielten in dem Geschehen eine untergeordnete Rolle. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie (vorübergehend) in Jerusalem blieben.

Die Hand ist das Körperteil, mit dem der Brief empfangen, getragen und übergeben wurde, daher die Formulierung "durch ihre Hand“.

 

Interessant ist, dass es sich zwar um einen einzigen Brief handelte, sich dieser jedoch nicht nur an die "Brüder“ in einer einzigen Stadt, nämlich Antiochia (Hauptstadt Syriens), richtete, sondern auch an die "Brüder“ anderer Gemeinden in Syrien sowie der Gemeinden in Kilikien. Dabei richteten sich die Bestimmungen an die Heidenchristen, so dass der Brief konkret an diese adressiert wurde. In Antiochia und den anderen Gemeinden Syriens sowie in Kilikien muss es also schon Heidenchristen gegeben haben, über deren Zahl V. 23 jedoch nichts sagt.

Syrien wird in V. 23 in der Apg das erste Mal genannt, so dass sich nicht sagen lässt, wie dort die Mission erfolgt ist. Da der "Phönizien“ genannte Küstenstreifen zum Teil zur Provinz Syrien gehörte und dort gemäß 11,19 auch schon das Evangelium verkündigt worden war, könnte in 15,23 der syrische Teil Phöniziens im Blick sein. Allerdings heißt es in 11,19 ausdrücklich, dass in Phönizien nur den Juden verkündigt worden war. Folglich stellt sich die Frage, wie es zu Bekehrungen von Heiden gekommen sein kann. Der biblische Befund lässt also als wahrscheinlicher erscheinen, dass die Heidenmission in Syrien von Antiochia aus erfolgte. Gemäß 11,20 war dort nämlich schon unter den "Hellenisten/Griechen“ genannten Heiden des griechischen Sprach- und/oder Kulturraums verkündigt worden. Gemäß 11,21 war die Mission erfolgreich, so dass es in Antiochia eine nennenswerte Zahl Heidenchristen gegeben haben dürfte. Von Antiochia aus könnte das Evangelium in die weiteren Städte Syriens und nach Kilikien getragen worden sein. Dass das Evangelium von Antiochia weiter verbreitet wurde, zeigt die Tatsache, dass die erste Missionsreise des Paulus von Antiochia ausging (vgl. 13,1-3). Vielleicht hatte Paulus selbst in Syrien Heiden für den christlichen Glauben gewonnen, denn gemäß Gal 1,21 hatte er in der Anfangszeit seines missionarischen Wirkens einige Zeit in Syrien verbracht. Ob er dort aber tatsächlich missionarisch tätig war, lässt Gal 1,21 offen.

Auch in Kilikien könnte auch Paulus unter den Heiden missioniert haben, denn gemäß Apg 9,30; 11,25; Gal 1,21 hatte sich Paulus (= Saulus) zwischenzeitlich auch in Kilikien bzw. in seiner kilikischen Geburtsstadt Tarsus aufgehalten. Allerdings ist nirgendwo davon die Rede, dass Paulus tatsächlich in Kilikien das Evangelium verkündigt hat.

 

Wieso werden Syrien und Kilikien in einem Atemzug genannt? Syrien und das im Süden der heutigen Türkei gelegene Kilikien waren seit der Eroberung durch Pompeius 64 v. Chr. römische Provinzen. Nach dem Tode Caesars 44 v. Chr. wurde jedoch Kilikien als eigenständige Provinz aufgelöst und teils der Provinz Syrien zugeschlagen, teils einheimischen Herrschern überlassen. Erst 72 n. Chr. wurde Kilikien unter Vespasian wieder als eigenständige Provinz eingerichtet. Möglich ist, dass die Apg vor 72 n. Chr. verfasst wurde, als Syrien und ein Teil von Kilikien zur Provinz Syrien zusammengefasst waren (vgl. Gal 1,21). Allerdings können Syrien und Kilikien auch zwei verschiedene römische Provinzen gewesen sein, womit auch eine Datierung der Apg nach 72 n. Chr. infrage kommt.

Die politische Zusammengehörigkeit von Antiochia, Syrien und Kilikien und die Tatsache, dass Antiochia ein Missionszentrum war, mag der Grund dafür sein, dass der Brief an die Heidenchristen in Antiochia, Syrien und Kilikien adressiert war und nicht an die Heidenchristen der gesamten Kirche, obwohl sein Inhalt die ganze Kirche betraf. Von diesen Gebieten früher Heidenmission konnten die Bestimmungen des Briefes unter Aufsicht des Barnabas und Paulus und vielleicht auch des Judas und Silas umgesetzt und dann in andere Gebiete weitergetragen werden.

 

Weiterführende Literatur: R. Trevijano Etcheverría 1997, 295-339 legt dar, dass Apg 9,26-30 auf den authentisch paulinischen Informationen über den ersten Besuch in Jerusalem Gal 1,18-19.21 gründe. Den zweiten, in Gal 2,1-10 thematisierten Besuch in Jerusalem, der die Beschneidungsfrage zum Inhalt gehabe habe, teilten Apg 11,27-30; 12,25 und 15 in zwei (oder sogar drei) Reisen auf. Sei in Gal 2,1-10 von der privaten Vorlage des Evangeliums und von der Übereinkunft mit den Jerusalemer Gemeindeleitern die Rede, so habe bei Lukas eine Reise die Übergabe der antiochenischen Kollekte und die andere Reise die Anerkennung der paulinischen Mission durch eine Apostelversammlung zum Thema. Dabei füge Lukas das "apostolische Dekret“ ein, zu dem es jedoch erst nach dem "antiochenischen Zwischenfall“ (Gal 2,11-14) komme. Die Heidenmission des Petrus (Apg 10,1-11.18; 15,7-9) und die erste Missionsreise des Barnabas und Paulus (Apg 13-14) seien zeitlich nach der Übereinkunft von Jerusalem anzusetzen.

 

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V. 24

 

Beobachtungen: Der Dativ "logois“ ("mit Worten“) kann sich auf "etaraxan“ ("haben beunruhigt“) oder auf "anaskeuazontes“ ("verwirrend / indem sie verwirrten“) beziehen. Wählt man ersteren Bezug, dann lautet die Übersetzung "…und euch mit Worten beunruhigt haben, indem sie eure Gemüter verwirrten,…“, wählt man letzteren Bezug, dann lautet die Übersetzung "…und euch beunruhigt haben, indem sie mit Worten eure Gemüter verwirrten,…“.

 

V. 24 bezieht sich auf V. 1, wo es heißt, dass einige von Judäa nach Antiochia herabkamen und die "Brüder“ lehrten: "Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach dem Brauch des Mose, könnt ihr nicht gerettet werden.“ Diese Forderung hatte zu solch heftigen Auseinandersetzungen geführt, dass schließlich in Jerusalem eine Versammlung der Apostel und Ältesten einberufen wurde. Obwohl die Unruhestifter eine Meinung vertraten, die auch von manchen Aposteln und Ältesten geteilt wurde, sind sie gemäß V. 24 keine offiziellen, mit einem Auftrag versehenen Gesandten der Jerusalemer Gemeinde gewesen. Dass die von den Unruhestiftern vertretene Meinung keineswegs abwegig war, erklärt auch, dass sie nicht von vornherein in die Schranken gewiesen wurden, sondern zwecks Klärung der Streitfrage eine Versammlung der Apostel und Ältesten einberufen werden musste. Dass es sich bei V. 24 um eine Falschaussage handelt, ist unwahrscheinlich, denn wenn die Unruhestifter tatsächlich von der Jerusalemer Gemeinde offiziell ausgesandt worden wären, dann hätten die Apostel und Ältesten ursprünglich die gleiche Meinung vertreten und vermutlich Paulus und Barnabas, die sich der Beschneidung der Heidenchristen widersetzten, in die Schranken verwiesen. Auch wäre die Diskussion bei der klärenden Versammlung sicherlich nicht so langwierig und kontrovers gewesen (vgl. V. 7). Auch wenn die Unruhestifter keine offiziellen, mit einem Auftrag versehenen Gesandten der Jerusalemer Gemeinde gewesen sein dürften, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass sie in irgendeiner Weise zu den Aposteln und Ältesten im Kontakt standen. Möglich ist, dass sie mit Billigung der Apostel und Ältesten ausgezogen sind und sich diese erst von ihnen distanzierten, als sich das Blatt zugunsten der Gegner der Beschneidung der Heidenchristen wendete.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 25

 

Beobachtungen: Dass die Apostel und Ältesten ursprünglich verschiedener Meinung waren, zeigt auch die Formulierung "einmütig geworden“. Die Apostel und Ältesten waren also nicht von Anfang an einmütig, sondern sie sind einmütig geworden.

 

Irritierend ist, dass das Partizip "eklexamenois“ ("ausgewählt habend“) statt "eklexamenous“ ("ausgewählt“) lautet, es sich also um einen Dativ statt um einen Akkusativ handelt. "Eklexamenois“ ist auf den Dativ "hêmin genomenois homothymadon“ ("wir einmütig geworden“), womit die Übersetzung von V. 25 "haben wir einmütig (geworden) beschlossen, Männer auszuwählen und zu euch zu senden…“ lautet. Eine gut bezeugte Textvariante bietet dagegen den Akkusativ "eklexamenous“, womit das Partizip wie in V. 22 auf den Akkusativ "andras“ ("Männer“) bezogen ist. Die Übersetzung von V. 25 gemäß der Textvariante lautet "haben wir einmütig (geworden) beschlossen, ausgewählte Männer zu euch zu senden…“. Die Textvariante lässt sich als nachträgliche Anpassung an V. 22 deuten, die aufgrund ihrer Plausibilität schon früh erfolgt und daher gut bezeugt sein kann. Umgekehrt kann man aber auch die Textvariante aufgrund der guten Bezeugung für ursprünglich halten. Dann wäre die von Nestle-Aland, 27. Aufl. favorisierte und von zahlreichen Majuskeln und Minuskeln sowie wahrscheinlich auch vom aus dem 3. Jh. stammenden Papyrus 45 gebotene schwierigere Lesart, der Dativ, ein Hör- oder Schreibfehler.

 

"Geliebte“ der Apostel und Ältesten waren Barnabas und Paulus sicherlich nicht im partnerschaftlichen oder erotischen Sinn. Vielmehr dürfte die Bezeichnung auf die Wertschätzung und innige Verbundenheit hinweisen, die das Verhältnis der Apostel und Ältesten zu Barnabas und Paulus auszeichnete. Ob das Verhältnis tatsächlich so beschaffen war, ist zwar nicht sicher, doch wurde es seitens der Apostel und Ältesten dargestellt, um die kirchliche Einmütigkeit zu betonen und so die Durchsetzung des Inhaltes des Briefes zu erleichtern.

Der Codex Bezae Cantabrigiensis bietet statt des Personalpronomens "hêmin“ ("von uns“) das Personalpronomen "hymin“ ("von euch“), womit Barnabas und Paulus als von den Antiochenern, nicht jedoch von den Jerusalemern geliebt erscheinen. Statt die Eintracht der Antiochener und der Jerusalemer zu betonen, geht der Codex Bezae Cantabrigiensis von einer Distanz zwischen den Antiochenern und den Jerusalemern aus, wobei Barnabas und Paulus als den Antiochenern zugehörig erscheinen.

 

Dass die Apostel und Ältesten nicht den Namen "Saulus“, sondern den Namen "Paulus“ wählten, dürfte damit zusammenhängen, dass ihr Brief an Heidenchristen des griechischen Sprach- und/oder Kulturraums gerichtet war. Zur heidnischen Welt passte der griechisch-römische Name "Paulos“ − vielleicht ein cognomen (Beiname, wörtlich: bekannter Name; der dritte Name der regulären römischen Namensgebung) - besser als der vom Hebräischen abgeleitete, in einer jüdischen Umwelt benutzte Name "Saulos“ (oder: "Saoul“, vom hebräischen "Šāʿul“).

 

Weiterführende Literatur: Mit der Bedeutung des Begriffs "homothymadon“ ("einmütig“) in der Apg befasst sich S. Walton 2004, 89-105. Mehrheitlich werde angenommen, dass die Bedeutung von "homothymadon“ im klassischen Griechisch zwar "einmütig“ sei, jedoch in der Septuaginta und im NT eine Bedeutungsverschiebung hin zum abschwächenden "gemeinsam“ festzustellen sei. Nur eine Minderheit vertrete die Ansicht, dass in der Septuaginta "homothymadon“ zwar "gemeinsam“ bedeute, in der NT jedoch die Bedeutung "einmütig“ vorliege. Höchstens für Apg 5,12 und 15,25 sei die Bedeutung "gemeinsam“ anzunehmen. N. Walton kommt zu einem differenzierteren Ergebnis: Gewöhnlich sei nicht nur die Gemeinsamkeit des Ortes gemeint, sondern es schwinge auch die Eintracht im Denken und Handeln mit. Der gemeinsame Ort sei nur in 2,46 vorrangig im Blick. Die gemeinsame Handlung oder Entscheidung stehe dagegen in 12,20 und in 15,25 im Vordergrund. In 8,6; 18,12; 19,29 sei diese Bedeutung ebenso möglich wie die Bedeutung "eines Sinnes“. Letztere Bedeutung liege am ehesten in 1,14; 4,24; 5,12 vor, darüber hinaus wahrscheinlich auch in 7,57; 15,25 und vielleicht auch in 8,6; 18,12; 19,29.

 

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V. 26

 

Beobachtungen: Mit den "Menschen“ sind "unsere Geliebten Barnabas und Paulus gemeint, nicht jedoch die "Männer“ (oder: "ausgewählten Männer“), denn ein Bezug auf die "Männer“ hätte einen Akkusativ statt des Dativs ("anthrôpois“) verlangt.

 

Die Formulierung "paradidômi tas psychas“ bedeutet wörtlich "die Seelen hingeben“. Gemeint ist hier wahrscheinlich "sich selbst hingeben“ oder "das Leben einsetzen“. Barnabas und Paulus haben also ihr Leben eingesetzt "für den Namen unseres Herrn Jesus Christus“. Dieser Einsatz dürfte das gesamte missionarische Leben umfasst haben und nicht auf einen Einsatz im Sinne von "das Leben riskieren“ zu reduzieren sein. Lebensgefahr konnte allerdings aus dem Einsatz resultieren. Die Lebensgefahr stellt eine Textvariante heraus, die am Ende von V. 26 "eis panta peirasmon“ ("zu jeglicher Prüfung“) anfügt. Wie auch immer man den Einsatz des Lebens deutet, so bleibt doch auf jeden Fall die grundsätzlich positive Bewertung der Heidenmission seitens der Apostel und Ältesten festzuhalten.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 27

 

Beobachtungen: V. 27 knüpft an V. 25 an, wo von der Auswahl von Männern die Rede war. Aus V. 27 geht hervor, dass es sich bei den ausgewählten Männern um Judas und Silas handelte. Das, was laut V. 22 beschlossen worden war, wurde nun den Heidenchristen in Antiochia, Syrien und Kilikien mitgeteilt.

 

Judas und Silas sollten nicht nur den Brief überbringen, sondern dessen in V. 28-29 genannten Inhalt auch mündlich vermitteln. Dabei dürfte zum einen an die mündliche Bestätigung des Geschriebenen gedacht sein, dann aber auch an die Erläuterung. Unklar ist, wie weit die Deutungs- und Entscheidungsbefugnis bei unklaren Sachverhalten und Grenzfällen ging.

 

Weiterführende Literatur: M.-É. Boismard 1988, 433-440 geht davon aus, dass es sich bei Apg 15 um einen komplexen Bericht handele, bei dem zwei verschiedene Berichte miteinander verwoben wurden. Darauf wiesen folgende Beobachtungen hin: V. 1 und V. 5 bildeten eine Dublette; auf die jeweilige Beschneidungsforderung der Verse folge jeweils eine Diskussion (V. 2.7). Der Beschluss der Versammlung in Jerusalem werde auf zweierlei verschiedene Weise den "Brüdern“ in Antiochia überbracht: in V. 27 werde auch mündliche Überbringung erwähnt, gemäß V. 30b-31 werde ein Brief verlesen. Gemäß V. 30b-31 sei der Zuspruch mittels des Briefes erfolgt, gemäß V. 32 durch Worte. Die beiden Berichte entstammten vermutlich nicht dem gleichen historischen Zusammenhang. Der eine Bericht habe seinen historischen Ort in der Folge der Bekehrung des Kornelius und seines "Hauses“ (vgl. Apg 10-11). Der andere Bericht habe seinen historischen Ort im Aufenthalt des Paulus und Barnabas in Antiochia am Orontes, der gemäß dem Bericht der Apg nach der ersten Missionsreise erfolgte.

 

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V. 28

 

Beobachtungen: Der Beschluss wird nicht nur als Beschluss der Apostel und Ältesten, sondern auch als Beschluss des heiligen Geistes dargestellt. Dem Handeln des heiligen Geistes wird sogar ein solches Gewicht beigemessen, dass er an erster Stelle genannt wird. Es ist nicht von Interesse, wie der heilige Geist beschlossen hat − ob in den Aposteln und Ältesten oder außerhalb, ob durch Eingebung, Offenbarung oder auf andere Weise -, sondern dass der heilige Geist beschlossen hat. Entscheidend ist, dass es sich nicht um einen rein menschlichen Beschluss handelte. Dabei bleibt unklar, ob und inwieweit der Beschluss der Apostel und Ältesten mit dem Bezug des heiligen Geistes im Zusammenhang zu sehen ist. Der Beschluss der Apostel und Ältesten kann unabhängig vom Beschluss des heiligen Geistes erfolgt sein, wäre dann aber in Übereinstimmung mit diesem erfolgt. Er kann auch in irgendeiner Weise vom heiligen Geist bewirkt worden sein. Wie auch immer: Durch den Verweis auf den Beschluss des heiligen Geistes hatte der Beschluss der Apostel und Ältesten mehr Gewicht als es ein rein menschlicher Beschluss gehabt hätte.

 

Die vier, in V. 29 folgenden Bestimmungen wurden als "Last“ angesehen. Über diese Lasten hinausgehend sollten den Heidenchristen jedoch keine weiteren "Lasten“ auferlegt werden

 

Weiterführende Literatur: Laut D. R. Schwartz 1996, 263-282 sei zwischen dem Bericht vom "Apostelkonzil“ samt der vorausgehenden Diskussion gemäß Apg 15 und Josephus' Bericht von der Bekehrung der königlichen Familie von Adiabene in Antiquitates 20 (insbesondere § 34-48) eine gewisse Ähnlichkeit festzustellen. Beide handelten von nahezu zeitgleichen Begebenheiten und hätten Heiden, die Gott verehren wollen, zum Thema. Dabei werde der Frage nachgegangen, ob diese Heiden das jüdische Gesetz befolgen müssen. Nach einer kurzen Abhandlung über den Bericht des Lukas wendet sich D. R. Schwartz Josephus zu. Er deutet Josephus' Text und vergleicht ihn mit dem lukanischen Bericht. Abschließend geht er der Frage nach einer möglichen Beeinflussung von Lukas durch Josephus nach. Von einer solchen sei auszugehen, auch wenn Lk-Apg meist in die Mitte der 80er Jahre datiert werde, dagegen Josephus' Antiquitates erst 93/94 n. Chr. erschienen seien.

 

Zur engen Verbindung von Predigt und Dogmatik siehe C. K. Barrett 1983, 14-32. Jede Predigt enthalte ein dogmatisches Element; Dogmatik dagegen sei eine Form der Predigt. Der Kanon stelle den Rahmen für die Predigt dar; Dogmatik sei, wo sie ausgeübt werde, eine spezifisch entwickelte Art der Predigt. Ntl. Theologie enthalte sowohl Elemente der Predigt als auch der Dogmatik und könne als kritischer Prozess beschrieben werden, durch den der Kanon beides kontrolliere. Auch im Hinblick auf die Jerusalemer Apostelversammlung sei die enge Verbindung zu erkennen: Im Vorfeld der Versammlung habe es dogmatische Auseinandersetzungen gegeben. Bei der Versammlung sei zunächst die Predigt Thema, wie sie in der Welt erfolgen soll. Dabei komme es auch zu einer Erörterung dogmatischer Fragen und zum Schluss verabschiede die Versammlung ein Dekret.

 

Mit der Argumentation des Petrus und des Jakobus auf dem sog. Apostelkonzil befasst sich M. Cifrak 2010, 9-18. Beide seien davon ausgegangen, dass für die Erlangung des Heils der Glaube an die Wirksamkeit des Heilstodes Christi ausreiche, ohne dass es eines komplementären Mittels der Rechtfertigung bedürfe. Auch hätten sie nicht geleugnet, dass die Heiden durch das Wirken und die Verkündigung des Petrus (und Paulus) bedingungslos zur Kirche gehörten. Allerdings müssten sich aus Sicht des Jakobus die Heidenchristen als Proselyten benehmen, denn wenn die Juden die anderen Juden mit den Heiden sähen, dann würden sie nie auf die frohe Botschaft hören. Dies sei der Hintergrund der Klauseln, die wir in Lev 17-18 finden. Damit stehe Gal 2 im Einklang. Wenn Petrus die Juden gewinnen wolle, dann müsse er sich entsprechend verhalten. Wenn sie ihn am Tisch mit den Heiden(christen) gesehen hätten, dann würden sie kaum auf ihn hören.

 

Laut J. McIntosh 2002, 131-147 werde gewöhnlich angenommen, dass der heilige Geist bei der Jerusalemer Apostelversammlung die Überlegungen des Jakobus und der anderen Jerusalemer Gemeindeglieder geleitet habe. Diese Deutung missachte jedoch den engeren und weiteren Zusammenhang des V. 28. Tatsächlich werde von den Teilnehmern der Versammlung nur anerkannt, dass der heilige Geist offenbart hatte, dass auch zum Glauben an Christus gekommene Heiden in das Gottesvolk aufgenommen werden und am eschatologischen Heil Anteil haben sollten, ohne dass sie beschnitten werden und das mosaische Gesetz halten mussten.

 

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V. 29

 

Beobachtungen: Bei den auf das Verb "apechesthai“ ("sich enthalten von“) folgenden Genitiven handelt es sich jeweils um einen "genitivus separativus“. Dieser macht deutlich, wovon sich die Heidenchristen enthalten sollen.

 

Die Aufzählung der vier "notwendigen Dinge“, von denen sich die Heidenchristen enthalten sollen, unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von der Aufzählung in der Rede des Jakobus (V. 20): Zum einen ist "Befleckungen der Götzen“ ("alisgêmatôn tôn eidôlôn“) durch "Götzenopferfleisch“ ("eidôlothyton“) ersetzt, zum anderen die Reihenfolge der vier Genitive geändert.

 

Fraglich ist, warum "Befleckungen der Götzen“ ("alisgêmatôn tôn eidôlôn“) durch "Götzenopferfleisch“ ("eidôlothyta“) ersetzt worden ist. Hat Jakobus in seiner Rede tatsächlich "Götzenopferfleisch“ im Blick gehabt oder handelt es sich um eine Konkretisierung oder Änderung der Apostel und Ältesten? Dass die Apostel und Ältesten die Rede von "Befleckungen der Götzen“ gedeutet und möglicherweise missverstanden haben, ist nicht anzunehmen, denn Jakobus war ja bei der Versammlung anwesend und konnte somit erklären, was er mit "Befleckungen der Götzen“ meinte. Vermutlich ist "Götzenopferfleisch“ eine Konkretisierung von "Befleckungen der Götzen“, die vermutlich eine Befleckung im Zusammenhang mit einer Speise und der Götzenverehrung meint. Bei dem "Götzenopferfleisch“ handelte es sich um Fleisch von Tieren, die heidnischen Göttern geopfert worden waren. Die Fleischstücke, die nicht bei dem Opfer vernichtet worden waren, wurden von den Anhängern des heidnischen Kultes verspeist. Die Christen, die sich vom heidnischen Glauben losgesagt hatten, sollten solches Fleisch, das auf dem Markt verkauft wurde (vgl. 1 Kor 10,25-27), ablehnen und möglicherweise auch die Versammlungen, bei der das Götzenopferfleisch verspeist wurde, grundsätzlich meiden.

 

Das Blut (haima) ist die Flüssigkeit, die den menschlichen und tierischen Körper zum Transport von Sauerstoff und Nährstoffen durchströmt. Blut kann aus dem Menschen oder Tier austreten, und zwar sowohl bei einem (noch) lebenden als auch bei einem sterbenden oder toten Menschen bzw. Tier. Aus einem lebenden Menschen oder Tier kann das Blut auf natürliche Weise austreten, aber auch auf unnatürliche durch Gewalteinwirkung. Natürlicher Blutaustritt erfolgt durch Körperöffnungen. So erfolgt die Regelblutung (Menstruation) durch die Scheide der Frau aufgrund des natürlichen Regelzyklus'. Nasenbluten kann entstehen, wenn ein Blutgefäß in der Nasenschleimhaut platzt. Auf unnatürliche Weise tritt Blut aus dem Menschen bzw. Tier bei Verletzungen oder bei einer Operation aus. Blut kann auch austreten, wenn ein Mensch ermordet und ein Tier z. B. durch Schlachtung getötet wird. Auch ein eben gestorbener Mensch oder ein eben gestorbenes Tier kann Blut verlieren, was insbesondere bei einem geschlachteten Tier, das ausbluten soll, der Fall ist. Die verschiedenen Arten der Blutverluste sind jedoch nicht die einzigen Möglichkeiten des Kontaktes des Menschen mit fremdem Blut. Mit Blut kann der Mensch auch über Nahrungsmittel wie Wurst oder Fleisch und bei Opferzeremonien in Kontakt kommen, bei denen Blut an den Altar gesprengt oder andersartig genutzt wird. Versteht man unter "Enthaltung“ jeglichen Kontakt, dann muss sich der Heidenchrist vor allen genannten Kontaktmöglichkeiten schützen. Möglich ist aber auch ein eingeschränktes Verständnis von "Enthaltung“, wie der Verzicht auf den Genuss jeglicher bluthaltiger Lebensmittel. Die "Enthaltung“ kann auch mit der Abwendung vom Götzendienst in Verbindung gebracht werden, was bedeuten würde, dass heidnische Opferriten samt ihrer rituellen Verwendung von Blut gemieden werden. Und schließlich bleibt auch als Möglichkeit, dass "Blut“ im Sinne von "Blutvergießen“ zu verstehen ist. Dann wäre Heidenchristen Gewaltanwendung bis hin zu Mord und Totschlag untersagt. Deutet man die Vorschrift, sich von Blut zu enthalten, auf dem Hintergrund der Gebote der Tora (= fünf Bücher Mose), dann liegt es nahe, die "Enthaltung von Blut“ ebenso wie die "Enthaltung von Ersticktem“ als Enthaltung von Fleisch, das man nicht durch eine fachgerechte Schlachtung hat ausbluten lassen, zu verstehen. Dann wären jedoch die zweite und die dritte Enthaltungsvorschrift eine Doppelung. Folglich ist entweder für die "Enthaltung von Ersticktem“ eine andere Bedeutung anzunehmen oder die Bedeutung der "Enthaltung von Blut“ anders oder weiter zu fassen. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Tora auch der Verunreinigung durch Körperflüssigkeiten wie Blut, wobei insbesondere auf die Bestimmungen bezüglich des Reinigungsblutes bei einer Geburt (vgl. Lev 12,1-8) und bezüglich des Menstruationsblutes (vgl. Lev 18,19) hinzuweisen ist. Wahrscheinlich sollten die Heidenchristen auch diese Bestimmungen beachten.

 

"Pniktos“ bedeutet "erstickt“ oder "erwürgt“. Doch was ist mit dem "Erstickten/Erwürgten“ in Apg 15,20 gemeint? Ist der Kontakt mit einem erstickten oder erwürgten Menschen oder Tier verboten? Oder der Verzehr des Fleisches von einem erstickten oder erwürgten Tier? Oder ist das Verbot im Blick, einen Menschen oder ein Tier zu erwürgen oder zu ersticken, oder grundsätzlich zu töten? Am wahrscheinlichsten ist, dass an das Verbot gedacht ist, Fleisch von Tieren zu essen, das man nicht durch eine fachgerechte Schlachtung hat ausbluten lassen (vgl. Gen 9,4; Ex 22,30; Lev 3,17; 7,23-27; 17,10-15; 19,26; Dtn 12,16.20-28; 15,23; 1 Sam 14,32-34; Ez 33,25; Weish 12,3-5).

 

Das Substantiv "porneia“ ("Unzucht“) ist vom Verb "pernêmi“ ("verkaufen“) abgeleitet. Von daher ist zunächst die Prostitution gemeint, bei der es sich um käufliche körperliche Liebe handelt. In der Antike handelte es sich bei den Prostituierten häufig um Sklavinnen. Auch gab es im Zusammenhang mit heidnischen Fruchtbarkeitsriten kultische Prostitution. Darüber hinausgehend meint das Wort "porneia“ in der weiteren Bedeutung allgemein den illegitimen Geschlechtsverkehr, zu dem auch die Prostitution gehört. Illegitim ist jeder Geschlechtsverkehr mit einer Person, mit der keine feste partnerschaftliche Bindung, eine Ehe, besteht. Da das Christentum von der Einehe ausgeht, kann legitimer Geschlechtsverkehr während des Bestehens der Ehe auch nur mit dem einen Ehepartner oder der einen Ehepartnerin erfolgen. Im AT bezeichnet die Formulierung "sich eine Frau nehmen“ die Eheschließung, wobei der Mann als die aktive, treibende Kraft erscheint. Dieser ist somit auch "Herr“ über das Geschlechtsorgan der Frau, so dass bei Nachkommen klar ist, dass diese vom Ehemann stammen. Der Vater ist folglich nachweisbar. Da der Ehebruch ("moicheia“) diese Ordnung zerstört, ist er im Hinblick auf den illegitimen Geschlechtsverkehr an erster Stelle zu nennen. Welche weiteren Arten der Sexualität von Jakobus als illegitim angesehen wurden, bleibt wegen der fehlenden Erklärung des Wortes "porneia“ offen. Zu denken ist insbesondere an Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten, der in Lev 18,6-18 thematisiert wird, und an die verschiedenen Bestimmungen des Abschnittes Lev 18,19-23.

 

Wie ist zu erklären, dass die "Unzucht“ nicht mehr wie in V. 20 an zweiter, sondern an vierter und damit letzter Stelle genannt wird und die "Enthaltung von Blut“ − anders als in V. 20 - vor statt nach der "Enthaltung von Ersticktem“ genannt wird? Am ehesten lassen sich die Umstellungen mit einer Anpassung an die Reihenfolge in Lev 17-18 erklären. So finden sich in Lev 17,1-9 Bestimmungen zum Opfer und Opferfleisch, in 17,10-16 Bestimmungen zum Blutgenuss und in 18,6-23 Bestimmungen zur Unzucht.

Ein Bezug von Lev 17-18 auch auf die Heidenchristen mag dadurch erleichtert worden sein, dass bestimmte Gebote wie das Gebot der Enthaltung vom Blut(genuss) biblischerseits nicht nur auf die Israeliten, sondern auch auf die Fremden unter den Israeliten bezogen wurden (vgl. Lev 17,10). Allerdings lebten diese Fremden im Lande Israels, nicht aber in anderen Ländern. Auch ist bei aller Ähnlichkeit der Inhalte von Lev 17-18 und Apg 15,29 darauf hinzuweisen, dass in Lev 17-18LXX weder der Begriff "eidôlothyton“ ("Götzenopferfleisch“) noch der Begriff "porneia“ ("Unzucht“) vorkommt. Und schließlich findet sich in Lev 17,10-16 nur in V. 13 ein Hinweis auf die Notwendigkeit ritueller Schlachtung, womit in Lev 17-18 ein Bezug auf das "Erstickte“ nahezu ganz fehlt.

 

Die Textvarianten ähneln denjenigen zu V. 20: Eine Textvariante lässt das "Enthalten von Unzucht“ weg, vielleicht weil der Bezug zum Essen fehlte. Diese Textvariante sieht darin das Verbindende der Bestimmungen, dass sie alle mit Mahlzeiten zu tun haben. Eine andere Textvariante bietet der Codex Bezae Cantabrigiensis, der das "Enthalten vom Erstickten“ weglässt und stattdessen − in gegenüber V. 20 leicht abgewandeltem Wortlaut - das Verbot der Schädigung eines anderen Menschen gemäß dem ethischen Grundsatz (negative Form der "goldenen Regel“) "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu“ bietet. Diese Textvariante verschiebt den Schwerpunkt von kultischen Vorschriften hin zur praktischen Ethik. Die Streichung der "Enthaltung von Ersticktem“ mag damit zu begründen sein, dass diese Vorschrift nicht verstanden wurde, oder damit, dass sie wie eine Doppelung der "Enthaltung vom Blut(genuss)“ erschien.

 

Wie lassen sich die vier Enthaltungsvorschriften erklären? Eine Erklärung muss sinnvollerweise von praktischen Notwendigkeiten ausgehen. Alle vier Enthaltungsvorschriften hatten die Vermeidung von Unreinheit zum Ziel. Sollten Heiden- und Judenchristen eine Kirche bilden, dann musste das Zusammenleben für beide Seiten erträglich gestaltet werden. Das bedeutete zum einen, dass den Heidenchristen keine unnötigen Lasten auferlegt werden sollten, denn es schien nicht unbedingt notwendig, dass sie wie Juden lebten. Zum anderen durften aber auch nicht die Judenchristen belastet werden, indem man ihnen, die sich doch vor Verunreinigung fürchteten, den Kontakt mit unreinen Heidenchristen zumutete. So schien es ein sinnvoller Kompromiss zu sein, von den Heidenchristen zu fordern, dass sie sich vor den wichtigsten Quellen der Verunreinigung hüteten. So konnte man hoffen, dass Heiden- und Judenchristen aufeinander zugehen und auch Tischgemeinschaft wagen würden.

 

"Eu praxete“ kann hier als Segensformel im Sinne von "wird es euch gut gehen“ oder als briefliche, das rechte Verhalten betonende Schlussformel im Sinne von "werdet ihr recht tun“ verstanden werden. Ebenso kann der abschließende Segenswunsch "Errôsthe“ ("Lebt wohl!“) auch einen moralischen Klang haben. So bedeutet das Perfekt Passiv "errôsthai“ (von "rhônnymi“) "stark sein“, "gesund sein“ oder "fest entschlossen sein. Als Segenswunsch bedeutet "Errôsthe“ also "Bleibt stark!“ oder "Bleibt gesund!“. Der moralische Beiklang ist "Bleibt fest entschlossen!“ im Sinne von "Bleibt fest entschlossen bei der Umsetzung der im Brief genannten Bestimmungen!“.

Der Codex Bezae Cantabrigiensis betont den Aspekt des rechten Verhaltens, indem er statt des Futurs "eu praxete“ ("werdet ihr recht tun“) den Aorist "eu praxate“ ("habt ihr recht getan“) bietet und einen Hinweis auf die Führung durch den heiligen Geist verweist.

 

Apg 15,23-29 stimmt mit dem Eigenbericht des Paulus von der "Apostelversammlung“ Gal 2,1-10 darin überein, dass der Heidenmission grundsätzlich zugestimmt und von den Heidenchristen keine Beschneidung verlangt wurde. Allerdings gibt es bezüglich der Frage, ob den Heidenchristen andere Auflagen gemacht wurden, keine Übereinstimmung. Paulus behauptet in Gal 2,1-10, ihm hätten die "Angesehenen“ nichts auferlegt, außer dass er ("wir“) der "Armen“ (in Jerusalem) gedenken sollte. Bei diesem Gedenken dürfte an die Kollekte gedacht sein. Von den vier in Apg 15,20.29 genannten Bestimmungen weiß Paulus nichts. Oder will er davon nichts wissen? Die Ergebnisse der "Apostelversammlung“, wie sie in Apg 15,23-29 und in Gal 2,1-10 dargestellt werden, unterscheiden sich grundlegend. Das legt nahe, dass entweder der Brief Apg 15,23-29 oder Paulus selbst das Ergebnis falsch darstellt. Die falsche Darstellung kann absichtlich erfolgt sein, vielleicht um die Durchsetzung der eigenen Ziele zu erleichtern, oder aufgrund einer Wissenslücke. Möglich ist auch, dass zwar beide Darstellungen stimmen, diese jedoch von unterschiedlichen Begebenheiten stammen. So fällt auf, dass im Galaterbrief der Konflikt nicht wirklich gelöst zu sein scheint. So behauptet Paulus zwar, ihm hätten die "Angesehenen“ nichts auferlegt, außer dass er ("wir“) der "Armen“ (in Jerusalem) gedenken sollte, doch kommt es schon bald darauf in Antiochia mit dem Apostel Kephas wegen der Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen zu Streit (vgl. Gal 2,11-14). Paulus tadelt den Apostel Kephas (= Petrus) zwar und begründet die Tischgemeinschaft mit den Heiden, doch lässt er offen, wie die Auseinandersetzung letztendlich ausging und ob sie zu einer Kompromisslösung führte. Apg 15,23-29 wiederum verkürzt möglicherweise die Entwicklung, die zur Kompromisslösung führte, indem sie nur von einer Versammlung der Apostel und Ältesten infolge einer Meinungsverschiedenheit bezüglich der Notwendigkeit der Beschneidung und Gesetzesbefolgung seitens der Heidenchristen berichtet. Dass es schon zuvor Unterredungen des Paulus mit den Aposteln und den Ältesten gegeben haben könnte, bei der die Heidenmission grundsätzlich gestattet und nur die Kollekte für die Armen zur Voraussetzung gemacht wurde, kommt nicht in den Blick.

 

Weiterführende Literatur: Mit dem Gesetz in Apg 15 befasst sich W. Radl 1986, 169-174. Der Gegenstand der Auseinandersetzung in Jerusalem sei das mosaische Gesetz als ganzes, allem voran die Beschneidung. Es stehe zur Debatte, ob dieses Gesetz für die Heidenchristen verbindlich ist, genauer: ob die Beobachtung des Gesetzes für sie heilsnotwendig ist. Diese Frage werde von Petrus (mit dem Hinweis auf die Ereignisse von Apg 10-11) klar negativ beantwortet; er wolle die Juden nicht mit dem Gesetz behelligen. Jakobus dagegen meine eindeutige gesetzliche Verpflichtungen auch für die Heidenchristen angeben zu können. Jakobus nähere sich der Lösung des Problems im Licht der Schrift, des Gesetzes wie der Propheten. Nach Ausführungen zu der Regelung im Einzelnen kommt W. Radl auf den Stellenwert der gesetzlichen Verpflichtungen zu sprechen: Die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen sei der Rettung nicht vor-, sondern nachgeordnet. Der Glaube führe zur Rettung, und als Folge der Rettung, d. h. der Aufnahme unter die Geretteten, ergebe sich die Erfüllung bestimmter Forderungen. Das Gesetz formuliere nicht die Bedingungen für die Aufnahme in das Gottesvolk, sondern die Regeln für das Leben im Gottesvolk.

 

Mit der Annahme, dass Lukas das Heil der Heiden in voller Übereinstimmung mit dem jüdischen Religionsgesetz gesehen habe, setzt sich M. A. Seifrid 1987, 39-57 kritisch auseinander. Seiner Meinung nach habe in den Augen des Lukas eine anders geartete, auf dem messianischen Status Jesu gründende Ethik das Mosaische Gesetz als maßgebliche ethische Richtschnur abgelöst. Das schließe nicht die Befolgung des Mosaischen Gesetzes aus, doch habe diese nur zu erfolgen, wenn dies die neue, vom auferstandenen Christus ausgehende Ethik verlange. Bei vier Punkten lasse Lukas erkennen, dass er eine Ethik zugrunde legt, die die Tora überschreitet (und punktuell auch aufheben kann): a) der inthronisierte Messias, Jesus, stelle neue Forderungen an die Menschheit; b) nicht das Mosaische Gesetz sei für die Empfänger des Heils (und somit das Volk Gottes) maßgeblich, sondern der Glaube an Jesus; c) das Mosaische Gesetz sei nicht das Kriterium, nach dem die Lebensweise der Heidenchristen auszurichten sei; d) auch das Verhalten der Judenchristen müsse sich nicht nach dem Mosaischen Gesetz ausrichten.

 

Der Frage nach dem Verhältnis von Israel und Kirche geht M. Neubrand 2006 nach, die auf S. 39-79 einen Überblick über die lukanische Sicht von "Israel“ und "Kirche“ in der gegenwärtigen ntl. Forschung gibt. Auf das "Jerusalemer Abkommen“ im Kontext der Jakobusrede geht sie auf S. 220-249 ein. Das so genannte Aposteldekret (15,20.29; 21,25), dessen Einhaltung der Herrenbruder Jakobus und die Jerusalemer Versammlung nach lukanischer Darstellung für die nichtjüdische Christusanhängerschaft für unerlässlich hielten, lasse sich in diesem Zusammenhang als Bestätigung des neuen Erwählungsstatus' der nichtjüdischen Christusanhängerschaft verstehen. Es fordere das, was unerlässlich ist für diejenigen aus den Völkern, die sich zum Gott Israels hinkehren und als "Volk (Gottes) aus den Völkern“ anerkannt werden.

 

Mit dem Aposteldekret befasst sich F. F. Bruce 1986, 115-124, der insbesondere auf den Kompromisscharakter des Dekrets, auf mögliche Bezüge zu den paulinischen Briefen und auf die Möglichkeit, dass es nicht nur eine Apostelversammlung, sondern zwei verschiedene Versammlungen gegeben hat, eingeht.

 

P. Borgen 1988, 126-141 vertritt die Meinung, dass auf der Jerusalemer Apostelversammlung kein "Aposteldekret“ beschlossen worden sei. Der Lasterkatalog 15,20.29; 21,25 stelle kein "Aposteldekret“ dar, denn es sei auf der Jerusalemer Apostelversammlung nur um die Frage gegangen, ob sich männliche Heidenchristen die Vorhaut des Gliedes beschneiden lassen müssen. Der Charakteristika heidnischen Lebens enthaltende Lasterkatalog sei Bestandteil jüdischer Unterweisung von Heiden gewesen, die Juden werden wollten (= Proselyten). Für einen Übertritt zum Judentum sei die Beschneidung notwendig gewesen. Der Lasterkatalog sei auch Bestandteil christlicher Predigten gewesen. Dabei habe die Jerusalemer Apostelversammlung festgelegt, dass für einen Übertritt zum Christentum keine Beschneidung erforderlich sei. Wie der genaue Wortlaut des Lasterkatalogs war, der den beiden uns heute überkommenen Lasterkatalogen zugrunde lag, sei unbekannt. Bei den beiden uns heute überkommenen Lasterkatalogen handele es sich zum einen um die alexandrinische Version, deren Schwerpunkt auf rituellen Aspekten liege, und um die westliche Version, deren Schwerpunkt auf ethischen Aspekten liege.

 

J. Taylor 2001, 372-380 vertritt die Meinung, dass die Bestimmungen des Aposteldekrets sowohl als noachitisch − besser: proto-noachitisch − als auch als Analogien der Bestimmungen für die Fremden unter den Israeliten (vgl. u. a. Lev 17-18) gedeutet werden könnten. Erstere Deutung behalte implizit die Trennung zwischen Juden und Christen bei, letztere Deutung erlaube implizit den Heiden, sich den Juden unter bestimmten Bedingungen anzugliedern. Es gehe um die Frage, welcher Status den Heiden(christen) seitens der Gemeinschaft der Judenchristen zuzuweisen ist. Der antiochenische Zwischenfall sei auf dem Hintergrund dieser zwei verschiedenen Deutungen der Bestimmungen entstanden: Jakobus habe die Gebote proto-noachitisch gedeutet, Petrus dagegen bis zum Erscheinen der Leute des Jakobus als Bestimmungen, die unter bestimmten Bedingungen eine Tischgemeinschaft von Juden und Heiden erlauben (vgl. Gal 2,11-14).

 

Zur Frage, unter welchen Gesichtspunkten die Auswahl der vier Aposteldekret-Bestimmungen erfolgt ist: M. Klinghardt 1988, 185-200 hält die Ausrottungsformel für das Kriterium der Kombination. So werde den Übertretern die Ausrottung aus dem Volk, also die Todesstrafe, angedroht (vgl. Lev 17,9.10.14; 18,29).

J. Wehnert 1997, 239-261 dagegen vertritt die Meinung, dass das Aposteldekret genau diejenigen Tora-Gebote enthalte, die a) auch den "Fremdlingen“ gelten und b) mit der Vermeidung von Verunreinigung begründet werden. Die Jerusalemer Gemeinde habe die entsprechenden Tora-Vorschriften selbst befolgt und für unaufgebbar gehalten. Außerdem habe sie die Adressaten von Lev 17-18 − Israeliten und "Fremdlinge“, die gemeinsam den unreinen heidnischen Völkern gegenüberstehen − als Modell oder Entsprechung für das Nebeneinander von Juden(christen) und Heidenchristen aufgefasst. Die "Fremdlingschristen“ würden, analog den "Fremdlingen“ der Tora, als eine dem Gottesvolk assoziierte Gruppe betrachtet, die einen begrenzten Toragehorsam übt, um Israel vor Verunreinigung zu bewahren und an der Verehrung seines Gottes teilnehmen zu können, sich der ganzen Tora einschließlich der Beschneidung aber nicht unterwerfe.

 

J. Jervell 1995, 227-243 stellt die Frage: Warum eigentlich das Aposteldekret 15,20.29; 16,4; 21,25? Er zählt verschiedene, seitens der Ausleger gegebene Antworten auf diese Frage auf: a) Ermöglichung der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden; b) Ablösung des Gesetzes; c) Freiheit vom Gesetz; d) Auflegung von einzelnen Teilen des Gesetzes; e) Kontinuität zum alten Gottesvolk; f) Konzession an die Heidenchristen bzw. Judenchristen; g) freiwilliger Verzicht; h) Glaubensbewährung. Die Antwort von J. Jervell lautet: Das Gesetz des Mose als das Gesetz des Gottesvolkes bedeute für Lukas ein Bekenntnis zu dem einen Gott Israels und somit auch Abwehr gegen den Götzendienst. Das Dekret verbinde die Heiden mit dem Gesetz, somit auch mit Israel und solle durch die vier Regeln Götzendienst abwehren und die Reinheit des Gottesvolkes bewahren.

 

Einen engen Zusammenhang zwischen der Legitimität der Heidenmission und der Möglichkeit der Tischgemeinschaft sieht M. Klinghardt 1988, 156-224, der sich mit der Traditionsgeschichte der Dekretsforderungen, der Ausrottungsformel und dem historischen Ort des Aposteldekrets befasst.

P. F. Esler 1987, 97-99 hält zwar die lukanische Schilderung des "Apostelkonzils“ für unhistorisch, nicht jedoch die vier in 15,20.29; 21,25 genannten, auf Lev 17-18 zurückgehenden Bestimmungen. Deren Zweck sei es gewesen, Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen zu ermöglichen. Das Thema "Tischgemeinschaft“ sei in Lk-Apg von besonderer Bedeutung.

Ähnlich K. Salo 1991, 223-255: Das Aposteldekret habe wahrscheinlich Lukas und den Lesern der Apg als Symbol der Einheit gedient. Es sei ein Aufruf an die heidenchristlichen Leser, von Dingen Abstand zu nehmen, an denen die Judenchristen besonderen Anstoß nahmen. Da das Dekret auch von Speisegeboten handelt, sei anzunehmen, dass es gemeinsame Mahle von Heiden- und Judenchristen ermöglichen sollte.

 

Gemäß C. Perrot 1981, 195-208 habe das Aposteldekret nicht nur darauf abgezielt, die Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen zu erleichtern,. Im Zusammenhang der Jerusalemer Apostelversammlung habe sich die Frage nach dem "kanonischen Statut“ der neuen Gemeinschaften gestellt. Zwei Möglichkeiten seien zur Sprache gekommen: a) die Eingliederung ins Bundesvolk durch den weiterhin erforderlichen Ritus der Beschneidung; b) Assimilation der "Gottesfürchtigen“ mittels der Gewährung eines Statuts, das dem von Fremden gemäß Lev 17-18 ähnele. Letztere Möglichkeit finde im Aposteldekret, von der Rede des Jakobus ausgehend, ihren Niederschlag. Durch das Aposteldekret sei mit den christlichen "Gottesfürchtigen“ eine Gruppe gebildet worden, das dem christlichen Israel angeglichen, jedoch von diesem verschieden und diesem nachrangig gewesen sei.

 

Gemäß S. G. Wilson 1980, 257-261 habe sich das Aposteldekret vermutlich gegen den heidnischen Götzenkult gewandt. Dabei nimmt er an, dass Lukas vermutlich die Begriffe des Aposteldekrets in einem ethischen Sinn verstanden hat. Er sei nicht davon ausgegangen, dass Heidenchristen das mosaische Gesetz − und sei es in noch so eingeschränkter Form − halten müssen. Vielmehr habe er an eine "gesetzesfreie“ Heidenmission gedacht. Das Aposteldekret habe wahrscheinlich längst übliche Bräuche eher apostolischer als mosaischer Herkunft bekräftigt. Möglich sei auch, dass das Aposteldekret bestimmte grundlegende ethische Prinzipien auferlegen sollte. Diese Prinzipien mögen in de Augen des hellenistischen Judentums als Zusammenfassung des jüdischen Religionsgesetzes verstanden worden sein, als gesetzliche Verpflichtung im eigentlichen Sinn seien sie nicht angesehen worden. Vgl. S. G. Wilson 1983, 68-102. A. J. M. Wedderburn 1993, 362-389 geht kritisch auf S. G. Wilsons These ein. Dabei hält er dessen Kritik an der herkömmlichen These, dass das Aposteldekret auf Bestimmungen von Lev 17-18 gründe, die sich an die Fremden im Land richteten, für überzeugender als dessen eigene These. A. J. M. Wedderburn greift den Ansatz von S. G. Wilson auf, dass zwischen dem ursprünglichen Zweck der Bestimmungen und der lukanischen Deutung der Bestimmungen zu unterscheiden sei. Ursprünglich könnten die Bestimmungen dazu gedient haben, Tischgemeinschaft zwischen Heiden- und Judenchristen zu ermöglichen. Auch könnten sie eine Antwort auf das im antiochenischen Streit offenbar gewordene Problem und eine Regelung für Antiochien und die unmittelbar von Antiochien ausgehende Mission gewesen sein. Mit der Befolgung der auferlegten Bestimmungen seien die Heidenchristen nicht unbedingt als den Judenchristen gleichwertige Mitglieder der christlichen Gemeinschaft verstanden worden. Sie habe es nur den Judenchristen ermöglicht, mit den Heidenchristen Umgang zu haben, ohne selbst verunreinigt zu werden. Die Judenchristen hätten eine Verunreinigung aufgrund götzendienerischer und dämonischer Bräuche der heidnischen Welt um sie herum gefürchtet. Lukas sei sich der ursprünglichen Bedeutung wohl bewusst gewesen, doch habe er die Bestimmungen eher ethisch oder allgemein religiös verstanden. Er habe in ihnen vermutlich alte jüdische Weisheit gesehen. Auf jeden Fall gebe es kein Anzeichen dafür, dass er von einer bestimmten atl. Textgrundlage des Aposteldekrets ausging.

T. Callan 1993, 284-297 verteidigt gegen S. G. Wilson die These, dass das Aposteldekret im Wesentlichen − wenn auch nicht ausschließlich − auf Geboten aus Lev 17-18 gründe. S. G. Wilson setze seine Kritik an der Beobachtung an, dass Lev 17-18 nicht die einzigen Bestimmungen enthalte, die sich sowohl an die Israeliten als auch an die Fremden unter ihnen wenden. T. Callan schließt sich dieser Feststellung an, merkt jedoch an, dass es noch mehr biblische Bestimmungen gebe, die sich sowohl an die Israeliten als auch an die Fremden unter ihnen richten, als S. G. Wilson annimmt. Es folgt eine Aufzählung der entsprechenden Textbelege und eine Analyse der Bedeutung des Begriffes "gēr“ ("Fremder“). Das Aposteldekret fasse alle Bestimmungen, die sich sowohl an die Israeliten als auch an die Fremden unter ihnen richten, zusammen. Der Begriff "gēr“ bedeute entweder "Kovertit“ oder "fremder Ansässiger“, und zwar im Sinne von "heidnischer Angehöriger der Synagoge“ (= Gottesfürchtiger). Die dem Aposteldekret zugrunde liegenden Gebote gäben entweder die Mindestanforderungen für diejenigen, die zum Judentum übertreten, oder für die fremden Ansässigen an. Lukas habe das Aposteldekret auf die fremden Ansässigen bezogen. Im Hinblick auf die Kornelius-Episode löse sich der scheinbare Widerspruch zu 10,35, wonach Gott in jedem Volk der willkommen sei, der ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt, auf. Aus Lukas' Sicht habe ein Gottesfürchtiger die Bestimmungen des Aposteldekrets zu befolgen. Diese brauchte in der Kornelius-Episode nicht erwähnt zu werden, weil Kornelius die Bestimmungen schon vor dem Beginn der Erzählungen befolgt habe.

 

Mit den Varianten und der Geschichte des Aposteldekrets befasst sich C.-B. Amphoux 2002, 209-226. Ergebnis: Zum Zeitpunkt der Jerusalemer Apostelversammlung um 50 n. Chr. habe das Aposteldekret noch nicht existiert. Die Apostelversammlung sei so abgelaufen, wie es in Gal 2,1-10 geschildert wird, und habe nur zur Trennung der paulinischen und petrinischen Missionsgebiete geführt, nicht jedoch zum Aposteldekret. Auch die erste redaktionelle Überarbeitung der Apg durch einen Paulus nahe stehenden Antiochener habe weder ein Aposteldekret noch einen Pastoralbrief gekannt. Vielmehr sei das von Jakobus herangezogene "noachitische Gesetz“ (Gen 9,1-17) in Form einer Rede des Jakobus in den Mittelpunkt gestellt worden, wobei sich der eigentliche Wortlaut in Apg 21,25 finde. Erst viel später, um 160 n. Chr., sei aus gegebenem Anlass im Zuge der letzten redaktionellen Überarbeitung der Apg die Apostelversammlung in den Mittelpunkt gerückt worden. Als deren Ergebnis habe man ein auf einer Übereinkunft der Teilnehmer beruhendes Aposteldekret ersonnen, dessen Formulierung vom "noachitischen Gesetz“ geprägt sei. Diese fiktive Übereinkunft über wichtige, das Gesetz betreffende Fragen, sei einige Jahre später, gegen 175, zu reinen Speisegeboten (ohne das Verbot der Unzucht) umformuliert worden. Origenes schließlich habe wieder das Verbot der Unzucht eingefügt und somit dem Aposteldekrets seine Doppeldeutigkeit gegeben.

 

Laut C. N. Jefford 1992, 409-419 werde die Entstehung der Didache gewöhnlich in Antiochia oder Umgebung lokalisiert. Ebenso liege der Apg eine antiochenische Quelle zugrunde. Diese geographische Übereinstimmung und Ähnlichkeiten der Inhalte von Apg 15 und Did 6 führen C. N. Jefford zu der Annahme, dass Did 6 möglicherweise eine Urform der in Apg 15 eingearbeiteten Fassung des Aposteldekrets enthalte. Vgl. C. N. Jefford 1990, 204-213.

 

Mit dem Apostelkonvent und Aposteldekret, mit dem Aposteldekret und historischen Paulus sowie mit den Nachwirkungen des Aposteldekrets befasst sich O. Böcher 1989, 325-336. Zum Aposteldekret: Nur die Reihenfolge der Verbote in Apg 15,29; 21,25 entspreche derjenigen von Lev 17-18; ob die Reihenfolge Apg 15,20 ursprünglich ist, das Aposteldekret also nachträglich auf Grund der Schriftbelege geordnet wurde, lasse sich nicht entscheiden. Was gemeint ist, könne nicht zweifelhaft sein: "Götzenopferfleisch“ sei Fleisch aus nichtjüdischer Schlachtung, möglicherweise Überbleibsel von heidnischen Fleischopfern (vgl. 1 Kor 8,1-13); "Blut“ denke an den Blutgenuss, nicht an das Blutvergießen. "Ersticktes“ sei nicht geschächtetes, in seinem Blut gleichsam ersticktes Fleisch; "Unzucht“ bedeute den Verstoß gegen die normen der jüdischen Sozialethik, darunter gewiss auch − aber sicher nicht ausschließlich − das Verbot der Verwandtenehen (Lev 18,6-18). Neben dem ethischen sei der rituelle Aspekt der "Unzucht“ zu bedenken: "Unzucht“ verunreinige genauso wie der Genuss verbotener Speisen. Der sog. Westliche Text der Apg biete eine Variante des Dekrets, die den Sinn vom Rituellen ins Ethische verschiebt. An allen drei Stellen (Apg 15,20.29; 21,25) sei die Erwähnung des "Erstickten“ getilgt worden. Dadurch sei eine dreigliedrige Vorschrift entstanden, deren Verbote auf Götzendienst, Blutvergießen und Unzucht − letztere nunmehr als ethisches Delikt − bezogen werden müssten. Die in einer Variante von Apg 15,20.29 den Verboten angefügte "Goldene Regel“ erweitere die Warnung vor den drei "Todsünden“ Götzendienst, Mord und Unzucht zu einer Art von Katechismus. Offenbar stehe diese jüngere, ethisierte Fassung des Aposteldekrets hinter den drei kleinen Lasterkatalogen der Johannesapokalypse, Offb 9,20-21; 21,8; 22,15.

 

C. H. Savelle 2004, 449-468 befasst sich mit Ursprung, Absicht und Bedeutung der vier Bestimmungen des Aposteldekrets. Ergebnis: Die ursprüngliche Fassung der Bestimmungen gebe vermutlich der alexandrinische Text wieder. Die leichten Abweichungen bei den Aufzählungen in den verschiedenen Versen seien wohl stilistischer Art und nicht weiter von Bedeutung. Woher die Verbote konkret stammen können, sei nicht auszumachen. Die in der Forschung ausgemachten Quellen sagten mehr über das Ethos, das zu den Verboten führte, als über die Herkunft aus. Am wahrscheinlichsten sei, dass alle vier Verbote in einem gewissen Maß mit heidnischen religiösen Praktiken zusammenhingen. Durch die Befreiung der Heidenchristen von der Notwendigkeit der Beschneidung einerseits und die Vermeidung von Ärgernissen für die Judenchristen andererseits habe die Einheit von Heiden- und Judenchristen gestärkt werden sollen. Die untersagten Handlungen hätten einen offensichtlich anstößigen Punkt, nämlich unerlaubte sexuelle Handlungen, und drei weniger offensichtliche, aber nichtsdestotrotz in hohem Maße anstößige Punkte, nämlich den Götzen geopfertes Fleisch, das Essen des Fleisches von erdrosselten Tieren und das Essen von blutigem Fleisch eingeschlossen.

 

F. Vattioni 1981, 745-770 untersucht die Bedeutung des Begriffs "Blut“ in einer Vielzahl von biblischen und außerbiblischen Textstellen und kommt im Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs im Aposteldekret zu folgendem Ergebnis: Im Aposteldekret werde das Essen von Blut und von blutigem Fleisch verboten.

 

Mit der Bedeutung des Begriffs "pniktos“ befasst sich M. Philip 1999, 593-596, wobei er sich kritisch mit der herkömmlichen These auseinandersetzt, dass im Aposteldekret Fleisch von einem erstickten Tier gemeint sei, dessen Blut nicht vollständig abgeflossen ist. M. Philip hält diese These für nicht befriedigend und schlägt stattdessen mit Blick auf den Gebrauch des Begriffs in 1 Sam 16,14-15LXX einen figurativen Sinn vor, wonach der dem Nächsten zugefügte Schaden gemeint sei. Das Aposteldekret verbiete somit, dem Nächsten Schaden zuzufügen.

 

Einen Überblick über die Forschung zum Aposteldekret in der Fassung des westlichen Textes gibt J. Delobel 1998, 67-81. Die Entstehung und Entwicklung des westlichen Textes sei ein komplexes Phänomen, das Anlass zu völlig unterschiedlichen Theorien gebe. Es sei schwierig, die neueren Theorien miteinander zu vergleichen oder einander gegenüber zu stellen. Sie gingen von völlig verschiedenen Sichtweisen aus und seien methodisch kaum miteinander in Einklang zu bringen. Im Rahmen des Forschungsüberblicks findet sich eine eingehende, kritische Auseinandersetzung mit den Begründungen von M.-É. Boismard; A. Lamouille und W. A. Strange für die Ursprünglichkeit des westlichen Textes.

J. J. Scott 1983, 171-183 geht der Frage nach, welche Lebenssituationen das Aufkommen und die Entwicklung der verschiedenen Textvarianten begünstigten.

 

C. K. Barrett 1987, 50-59 setzt sich kritisch mit der gängigen Charakterisierung der Textfassung des alten Unzialtextes, wie er z. B. von den Codices Vaticanus und Sinaiticus geboten werde, als zeremoniell oder kultisch, und des westlichen Textes als ethisch auseinander. Eine solche Unterscheidung sei zu verallgemeinernd. Tatsächlich treffe eine deutliche Unterscheidung von Ost und West, von zeremoniell und ethisch nicht den wahren Sachverhalt. Das Aposteldekret habe jeweils beide Elemente beinhaltet, die jedoch in verschiedenem Maße an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten betont worden seien.

 

Mit der Deutung von Apg 15 in den ersten christlichen Jahrhunderten befasst sich C. Gianotto 1996, 123-141, wobei sein Hauptaugenmerk auf dem sogenannten Aposteldekret liegt. Er geht zunächst auf den Text und dessen Varianten ein und befasst sich dann mit dem Fortleben der Speisegebote in den ersten christlichen Jahrhunderten und mit der zunehmend ethischen Deutung der Reinheitsgebote. Abschließend geht er darauf ein, wie im Rahmen der innerchristlichen Auseinandersetzungen (insbesondere mit Markion und seinen Anhängern) auf den Text Bezug genommen wurde.

 

Zum Aspekt der Gegenseitigkeit in Apg 15,23-29 siehe F. W. Danker 1983, 49-58. Die Anhänger Jesu in Jerusalem erwiesen sich gegenüber denjenigen in Antiochia als Wohltäter, indem sie alle Dekrete erließen, mit Ausnahme der in 15,29 erwähnten. Das Erweisen von Wohltaten sei ein wesentliches Element der Kultur der Gegenseitigkeit in der griechisch-römischen Welt gewesen.

 

 

Literaturübersicht

 

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