Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 4,20-24

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 4,20-24



Übersetzung


Eph 4,20-24 :20 Ihr aber habt den Christus so nicht gelernt; 21 schließlich habt ihr ihn gehört und seid in ihm unterrichtet worden, wie es Wahrheit ist in Jesus, 22 dass ihr den alten Menschen mit seinem früheren Lebenswandel ablegt, der sich infolge der Begierden des Trugs zugrunde richtet, 23 und euch durch den Geist in eurem Denken erneuern lasst 24 und den neuen Menschen anzieht, der Gott entsprechend geschaffen wurde in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit.



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V. 20


Beobachtungen: Die V. 17-19 haben die Ermahnung von V. 1-3 fortgesetzt, dass die Adressaten würdig der Berufung wandeln sollen, zu der sie berufen wurden. V. 17 hat dazu ermahnt, einen klaren Schlussstrich im Hinblick auf die heidnische Vergangenheit zu ziehen und nicht mehr wie die Heiden zu leben. Das, was das Denken, Handeln und Sein der Heiden prägt, wurde in den V. 18-19 geschildert. Die V. 17-19 bestehen im altgriechischen Urtext aus einem einzigen Kettensatz.


Um V. 20 zu verstehen, bedarf es der richtigen Wortstellung und der richtigen Betonung, darüber hinaus einer präzisen Deutung der Verbform "emathete". Wie leicht der Vers missverstanden werden kann, zeigt die Übersetzung "Ihr aber habt (den) Christus nicht so kennengelernt.", die durchaus möglich ist. Bei dieser Übersetzung stellt sich die Frage: Was ist betont, worauf will der Verfasser des Eph hinaus? Will er sagen, dass die Adressaten Christus anders kennengelernt haben als die Heiden? Und zieht er daraus die Schlussfolgerung, dass sich die Adressaten anders als die Heiden verhalten müssen? Diese Deutung setzt voraus, dass auch die Heiden Christus kennengelernt haben, dass also auch ihnen Christus gepredigt worden ist. Manchen Heiden mag Christus gepredigt worden sein und sie mögen den Glauben an Christus verweigert haben und bei ihrem bisherigen Glauben geblieben sein. Allerdings dürfte dem Verfasser klar sein, dass vielen Heiden Christus noch nicht gepredigt worden ist. Der Verfasser kehrt alle Heiden über einen Kamm. Folglich kann die Aussage von V. 20 nicht sein, dass den Adressaten Christus anders gepredigt wurde als den Heiden, sie Christus somit anders kennengelernt haben und sich dementsprechend anders verhalten müssen. Andererseits dürfte die Aussage auch nicht sein, dass die Adressaten im Gegensatz zu den Heiden Christus kennengelernt haben. Schließlich dürfte dem Verfasser des Eph bewusst sein, dass einem Teil der Heiden Christus gepredigt worden ist, sie aber den Glauben an Christus verweigert haben und bei dem bisherigen Glauben geblieben sind.

Nun, worum geht es dem Verfasser des Eph denn eigentlich? Schauen wir uns an, wo die Betonung liegt: Zum einen liegt die Betonung beim vorangestellten "ihr aber". Der Verfasser des Eph formuliert also sofort einen Gegensatz: Die Adressaten sind nicht wie die Heiden, sondern ganz und gar von diesen verschieden. Zum anderen liegt die Betonung beim "nicht so". "Nicht so" ist die Reihenfolge des altgriechischen Urtextes; in der deutschen Übersetzung kommt die Betonung aber besser in der Wortstellung "so nicht" zum Tragen: "So nicht!". Das "so nicht" bezieht sich nicht nur auf das Kennenlernen Christi, sondern auf Identität und Handeln. Das Kennenlernen Christi in der Predigt ist natürlich die Voraussetzung für einen Identitätswandel und einen Wandel beim Handeln., aber es es erfordert die Verinnerlichung, die tiefe Beziehung zu Christus. Insofern greift eine Übersetzung der Verbform "emathete", ein Aorist, mit "ihr habt kennengelernt" zu kurz. Besser ist die Übersetzung "ihr habt gelernt". Diese ist nicht im Sinne des intellektuellen Lernens zu verstehen, sondern beinhaltet das Kennenlernen, Verinnerlichen und den Wandel von Identität und Handeln. Was das "Lernen" im Einzelnen für die Identität und das Handeln bedeutet, wird im Abschnitt 4,1-6,9 im Einzelnen geschildert.


„Christus“ ist nicht ein Name im Sinne eines Vor- oder Nachnamens, sondern ein Heilstitel. „Christus“ bedeutet „Gesalbter“ (griechisch: „christos“). Im AT werden Könige, Priester, Propheten und auch kultische Gegenstände gesalbt. Durch die Salbung mit dem Salböl werden sie der rein profanen Welt enthoben und in den Dienst Gottes gestellt, womit sie in die Sphäre des Heils treten. Wenn Jesus als „Christus“ bezeichnet wird, dann wird er als Heilsbringer (Messias, hebr.: māschiaḥ) verstanden. Jesus Christus ist gemäß Paulus insbesondere deshalb Heilsbringer, weil er für die Menschen gestorben und von den Toten auferstanden ist. Er bewirkt Sündenvergebung und ewiges Leben.


Weiterführende Literatur: Laut H. Merklein 1981, 194-210 sei Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 zu verstehen. Genauer sei diese Rezeption als Transformation zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung der Antithetik "irdisch vs himmlisch = christlich" (Kol) zu "heidnisch vs christlich" (Eph) ergebe. Da die Antithetik "heidnisch vs. christlich" nicht nur die Paränese (Eph 4,1-5,20), sondern auch die theologischen Ausführungen (besonders Eph 2,11-22; aber auch Eph 3) des Epheserbriefes beherrsche, sei mit einer einheitlichen Pragmatik des ganzes Briefes zu rechnen. Die dazugehörige Kommunikationssituation lasse sich allerdings nur noch hypothetisch erheben. Manches spreche dafür, dass der Autor des Epheserbriefes sich an ein Heidenchristentum wendet, das aus dem "gesetzesfreien" paulinischen Evangelium falsche Folgerungen gezogen hatte. Die "Emanzipation" der heidenchristlichen Kirche vom Gesetz habe gedroht, die theologisch-heilsgeschichtliche Bindung der Kirche an Israel in Vergessenheit geraten zu lassen, und habe auf sittlichem Gebiet die Gefahr des Rückfalls in heidnisches Leben mit sich gebracht. Von daher erkläre sich sowohl die theologische als auch die paränetische Intention des Epheserbriefes und lasse ihn als einen textpragmatisch einheitlichen Text erscheinen.


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V. 21


Beobachtungen: Das einleitende "ei ge" drückt keinen Zweifel aus, ist also nicht im Sinne von "falls/wenn" zu übersetzen. Vielmehr drückt die Formulierung etwas aus, was so wahrscheinlich ist, tatsächlich ist oder so sein müsste, wie es in dem Vers geschildert wird. Insofern sind wohl die Übersetzungen "ihr habt doch" oder "schließlich habt ihr" die passendsten.


Die Formulierung "Christus hören" beinhaltet eine Vielzahl Aspekte: "Christus hören" bedeutet, das Evangelium zu Gehör bekommen. Christus ist der wesentliche Inhalt des Evangeliums. Er muss akustisch verstanden werden und muss auch begriffen werden. "Christus hören" beinhaltet den persönlichen Aspekt: Christus persönlich spricht und wird gehört. Es handelt sich also um eine persönliche Beziehung zwischen Christus und dem Zuhörenden. "Christus hören" bedeutet auch, das Gehörte zu verinnerlichen und gläubig anzunehmen. Da mit dem Titel "Christus" das ganze Heilsgeschehen mitklingt, bedeutet "Christus hören" auch, das Heilsvertrauen auf Christus zu setzen. Und schließlich bedeutet "Christus hören" auch, das Gehörte im eigenen Leben umzusetzen und entsprechend zu handeln.


Das "Hören" erinnert an das Schma Jisrael (Dtn 6,4-9), das jüdische Glaubensbekenntnis. Damit erinnert es auch an die Aufforderung, Gott mit ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft zu lieben. Christlich gedeutet, wäre es die Aufforderung, Jesus Christus (und Gott) mit ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft zu lieben. Das beinhaltet Verinnerlichung und einen christlichen Lebenswandel aus dem Inneren heraus.


Der Unterricht setzt das Hören voraus. Dabei beinhaltet die Formulierung "in Christus unterrichtet werden" ebenfalls viele Bedeutungsaspekte: Christus ist zum einen der Unterrichtsinhalt. Christus ist darüber hinaus der Macht- und Heilsraum in dem der Unterricht stattfindet. Wer sich zum christlichen Glauben bekennt, befindet sich - spätestens mit der Taufe - "in Christus", und ist von Christi macht- und heilvollem Wirken betroffen. Auch die lehrende Person dürfte als Christ "in Christus" sein und lehrt Christus als Unterrichtsinhalt. Auch der Unterricht ist keine rein intellektuelle Angelegenheit, sondern setzt die Verinnerlichung des Gelehrten und Gelernten und die Umsetzung im täglichen Leben voraus. Das Lernen folgt aus dem Hören und dem Unterricht.


"Kathôs" kann "weil" oder "wie" bedeuten. Folglich sind die Übersetzungen "weil es Wahrheit ist in Jesus" oder "wie es Wahrheit ist in Jesus" möglich. Bei ersterer Übersetzung wird der Grund angegeben, warum die Adressaten in Christus unterrichtet worden sind, und - vermutlich bezieht sich "weil/wie es Wahrheit ist in Jesus" nicht nur auf den Unterricht, sondern auch auf das Hören - warum sie Christus gehört haben. Und wenn die Adressaten Christus gehört haben und in ihm unterrichtet worden sind, weil es Wahrheit ist in Jesus, dann haben sie den Christus auch so gelernt. Bei letzterer Übersetzung wird deutlich gemacht, wie die Adressaten in Christus unterrichtet worden sind, und auch, wie sie Christus gehört haben. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass klipp und klar von "Wahrheit" die Rede ist. Der Verfasser des Eph geht also nicht davon aus, dass über Glaubensinhalte diskutiert, sie relativiert und/oder dass sie als eine Möglichkeit des Glaubens neben anderen Möglichkeiten dargestellt werden. Er geht davon aus, dass "Wahrheit" unterrichtet und gehört wird. Heidnischer Glaube ist also für den Verfasser des Eph keine Option. "Wie es Wahrheit ist in Jesus" kann aber auch im Sinne von "wie es [der] Wahrheit in (dem) Jesus entspricht" verstanden werden. Das Hören und der Unterricht könnten demnach auch so verlaufen, wie es nicht der Wahrheit in Jesus entspricht, sondern einer Irrlehre. Aber die Adressaten haben Christus nicht gemäß einer Irrlehre gehört und sie sind in ihm auch nicht von Irrlehrern unterrichtet worden, die eine Irrlehre vermittelt haben. "Wie es Wahrheit ist in Jesus" wäre also wohl als eine deutliche Abgrenzung gegenüber heidnischem Glauben und christlichen Irrlehren zu verstehen, die unterstreicht, dass die Adressaten Christus von rechtgläubigen Missionaren gepredigt bekommen und gehört haben, dass sie in der christlichen Lehre auch von rechtgläubigen Lehrern unterwiesen worden sind, und dass es folglich überhaupt keinen Grund dafür gibt, einen Lebenswandel wie die Heiden zu führen. Dies müssten die Adressaten des Eph eigentlich verinnerlicht haben, weshalb die Worte des Verfassers des Eph erinnernde Funktion haben, aber nichts Neues bieten.


Warum benutzt der Verfasser in 4,21 die im gesamten Eph einmalige Formulierung "in (dem) Jesus"? Will er die Betonung hier nicht auf den Heilsbringer, den Christus, legen, sondern auf den irdischen Jesus? Dafür findet sich kein Anhaltspunkt. Oder will er gegenüber Irrlehrern verdeutlichen, dass der Jesus zugleich der Christus ist und nicht - wie es gnostischem Denken entspricht - der irdische Jesus streng von dem gen Himmel gefahrenen, verherrlichten Christus zu unterscheiden ist? Auch wenn der Eph zur Einheit mahnt und vor Irrlehren warnt, so gibt es im engeren Zusammenhang keinen Hinweis auf die Richtigkeit dieser These, zumal die Gnosis im 1. Jh. noch in den Anfängen steckte und erst im 2. und 3. Jh. Gewicht bekam. Insofern bleibt die These Spekulation. Aber ein Aspekt dürfte in V. 21 von Wichtigkeit sein: Der irdische und der himmlische Jesus sind keine Gegensätze, sondern zwei Aspekte des einen Jesus Christus. Dabei ist nicht gesagt, dass "Jesus" nur den irdischen Jesus bezeichnet und "Christus" nur den himmlischen. Vielmehr dürfte Jesus stets der Christus (= Messias) sein, gleich ob zu Lebzeiten oder davor oder danach. Insofern kann der Wechsel auch nur stilistischen Grund haben.


Weiterführende Literatur:


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V. 22


Beobachtungen: Der "alte Mensch" ist der Mensch, der noch nicht zum christlichen Glauben gekommen und getauft ist. Weil die Adressaten vor ihrer Bekehrung Heiden waren, ist speziell der Heide im Blick, nicht der Jude. Der Heide ist durch einen lasterhaften Lebenswandel geprägt (ausführlich dazu siehe Kol 3,5-11). Diesen gilt es abzulegen.


Die drei Infinitive "apothesthai" ("ablegen"), "ananeousthai" ("erneuern lassen") und "endysasthai" ("anziehen") beziehen sich auf das Verb "edidachthête" ("ihr seid unterrichtet worden"). Sie besagen also, was der Inhalt des Unterrichtes war. Dabei fällt auf, dass "apothesthai" ein Infinitiv Aorist ist, "ananeousthai" ein Infinitiv Präsens und "endysasthai" wiederum ein Infinitiv Aorist. Hat der Wechsel der Zeitformen etwas zu sagen? Der Aorist gibt gewöhnlich an, dass etwas in der Vergangenheit geschehen und abgeschlossen ist, das Präsens, dass etwas in der Gegenwart geschieht. Der Unterricht dürfte gelehrt haben, was der Übertritt zum christlichen Glauben für die Bekehrten bedeutet. Der Verfasser des Eph dürfte sich aber darüber im Klaren sein, dass die theologische Theorie nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Lebenswandel der Bekehrten übereinstimmt. Insofern dürfte der Verfasser sowohl an die gelehrte Theologie erinnern als auch die Notwendigkeit des entsprechenden Lebenswandels einschärfen. Die Infinitive haben also sowohl feststellenden (= gelehrte Theologie) als auch mahnenden (= tatsächlicher Lebenswandel) Charakter. Und sowohl das Ablegen als auch das Erneuernlassen als auch das Anziehen sind mit dem Übertritt zum christlichen Glauben bereits erfolgt und stehen zugleich - in einem jeweils unterschiedlichen Maße - im tatsächlichen Lebenswandel noch aus. Die Aoriste mögen auf den Übertritt zum christlichen Glauben, der vergangen und abgeschlossen ist, hinweisen, und das Präsens auf den geforderten, in der Gegenwart umzusetzenden christlichen Lebenswandel. Allerdings gilt für alle drei Infinitive gleichermaßen, dass sie sich sowohl auf die theologische Theorie als auch auf den tatsächlichen Lebenswandel beziehen, also sowohl auf bereits Geschehenes als auch auf etwas in der Gegenwart praktisch Umzusetzendes. Insofern kommt dem Wechsel der Zeitformen wohl keine besondere Bedeutung zu. Der Infinitiv Aorist "apothesthai" mag sich damit erklären lassen, dass das Verb "apotithêmi" im NT nicht in präsentischer Form erscheint und stets der Blick (auch) auf vergangenem Geschehen liegt.

Der Infinitiv Aorist "apothesthai" kann sowohl als Feststellung als auch als Ermahnung verstanden werden. Folglich kann er mit "dass ihr abgelegt habt", "dass ihr ablegt", "dass ihr ablegen sollt" oder mit "legt ab!" übersetzt werden. Die erste Übersetzung legt den Schwerpunkt auf das vergangene Geschehen, die theologische Theorie. Ihr Nachteil ist, dass sie den ermahnenden Charakter nicht erkennen lässt. Die zweite Übersetzung versucht gleichermaßen das bereits erfolgte Geschehen als auch die notwendige Umsetzung im täglichen Wandel auszudrücken. Ihr Nachteil ist, dass sie wie eine Feststellung klingt. Die dritte und - in besonderem Maße - die vierte Übersetzung betonen den mahnenden Charakter (vgl. die Variante, die in V. 23 und V. 24 statt eines Infinitivs einen Imperativ bietet), haben jedoch den Nachteil, dass sie das mit dem Übertritt zum christlichen Glauben bereits erfolgte Geschehen nicht erkennen lassen. Alle diese Übersetzungsmöglichkeiten und Bewertungen lassen sich auch auf die beiden anderen Infinitive übertragen.


Die Genitivkonstruktion "kata tas epithymias tês apathês" ist wörtlich mit "infolge der Begierden des Trugs" zu übersetzen. "Begierden des Trugs" können Begierden sein, die vom Trug herrühren, oder Begierden, die trügerisch sind. Bei dem Trug handelt es sich um ein Denken, das mit der "Wahrheit in Jesus" nicht in Einklang zu bringen ist. Gemäß 4,19 haben sich die Heiden in ihrem nichtigen Denken abgestumpft selbst der Ausschweifung hingegeben, um voller Gier allerlei unreine Dinge zu tun. Die Begierden resultieren demnach aus dem nichtigen Denken, aus dem Unglauben Jesus Christus gegenüber. Folglich ist davon auszugehen, dass es sich bei den "Begierden des Trugs" um Begierden handelt, die vom Trug herrühren.


In Eph 2,2-3 werden diejenigen, die in den Begierden des Fleisches leben, als "Kinder des Zorns" bezeichnet. Sie haben also seitens Gott Zorn und damit Unheil zu erwarten. Das Partizip "phtheiromenon" kann ein Medium oder ein Passiv sein und daher sowohl mit "sich zugrunde richtend " als auch mit "zugrunde gerichtet werdend" übersetzt werden. Auch wenn im Eph und auch in anderen Schriften des NT oft Gott (oder Jesus Christus oder der heilige Geist) als Handelnder gedacht ist, dürfte hier jedoch die mediale Bedeutung vorliegen. Gemäß 4,19 haben sich die Heiden nämlich selbst der Ausschweifung hingegeben, um voller Gier allerlei unreine Dinge zu tun. Es wird also von einer gewissen Eigenverantwortung der Menschen - konkret Heiden - ausgegangen.


Weiterführende Literatur: Wie die Analyse der Texte Eph 1,3-14; 1,21; 2,1-10; 4,22-24; 4,30; 6,13 zeige, werde gemäß T. Witulski 2005, 211-242 die vom Verfasser des Eph vertretene eschatologische Konzeption durch zwei zentrale Aspekte charakterisiert: (1) Im Unterschied zu Paulus sei für den Verfasser des Eph dieses eschatologische Heil den Christen in ihrer Vergangenheit bzw. ihrer Gegenwart vollständig zuteil geworden. (2) Das endzeitliche Heil sei zwar eine objektive, aber noch keine offenbare Wirklichkeit, was für die Christen bedeute, dass dieses Heil in ihrer Gegenwart ihrer Verfügungsgewalt entzogen bleibe und sie es immer noch verlieren können. Erst mit dem Zeitpunkt der Parusie Christi werde dieses Heil zu einer offenbaren, nicht mehr verlierbaren Realität. Das aber heiße, dass die präsentische Eschatologie des Verfassers des Eph unter einem zeitlichen Vorbehalt steht, der in der ethischen Forderung konkrete Gestalt gewinnt: Um das eschatologische Heil als unverlierbaren Besitz zu erlangen, müsse der Christ sich in der Gegenwart im Rahmen eines Entwicklungsprozesses ethisch bewähren.


G. Sellin 1992, 85-107 befasst sich ungewöhnlichen Genitiven im Epheserbrief. Der extensive Gebrauch von adnominalen Genitivkonstruktionen gelte schon seit langem als markante Stileigentümlichkeit des Eph. Ganz allgemein lasse sich dieses Phänomen der urchristlichen Sprache durch den Einfluss der semitischen Syntax erklären. Diese Erklärung könne jedoch nicht bei allen Genitivbildungen befriedigen, gerade nicht bei den kompliziertesten und merkwürdigsten. Diese stellt G. Sellin vor und untersucht die Eigenheiten. Dabei geht er auch auf die Genitivkonstruktionen in Eph 4,22-24 ein.


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V. 23


Beobachtungen: Die Genitivkonstruktion "tô pneumati tou noos hymon" kann sowohl mit "im Geist eures Denkens" als auch mit "durch den Geist in eurem Denken" übersetzt werden. Der Geist kann sowohl der menschliche Geist als auch der heilige Geist sein. Im Eph ist mit dem "Geist" gewöhnlich der heilige Geist gemeint, der wirkt (vgl. u. a. 1,13.17; 3,16; eine Ausnahme ist 2,2, wo vom widergöttlichen "Geist, der jetzt in den Kindern des Ungehorsams wirkt" die Rede ist). Allerdings ist ein typisches Merkmal des Eph die Mehrdeutigkeit von Begriffen, und so ist z. B. in 1,17 der Begriff "Geist" doppeldeutig und kann neben dem heiligen Geist auch den menschlichen meinen. Solch eine Doppeldeutigkeit dürfte auch in 4,23 vorliegen: Die Adressaten sollen den "Geist ihres Denkens", also ihre eigene Denkweise, erneuern lassen. Zudem sollen sie sich durch den heiligen Geist in ihrem Denken erneuern lassen. Bei aller Eigenverantwortung der Adressaten dürfte der heilige Geist als wirkende Kraft gedacht sein.


Weiterführende Literatur: C. J. H. Venter 2005, 1-25 befasst sich anhand von Eph 4,20-24 mit der „neuen Identität“, der neuartigen Lebens- und Denkweise, und zwar unter dem Gesichtspunkt emotionaler Intelligenz. Sie bietet einen Überblick über Definitionen und Modelle der emotionalen Intelligenz und führt dann das Erkennen der eigenen Persönlichkeit, Erkennen der eigenen Gefühle und der Gefühle anderer Menschen, das Beherrschen der eigenen Gefühle, die intrinsische Motivation, das Mitgefühl und den guten Umgang mit anderen Menschen als wesentliche Elemente der emotionalen Intelligenz auf. Praktisch-theoretische Anregungen aus pastoraler Perspektive schließen die Ausführungen ab.


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V. 24


Beobachtungen: Das Anziehen des neuen Menschen gehört wie das Ablegen des alten Menschen zur Bildwelt der Kleidung. Die Identität des Menschen wird wie ein Kleidungsstück gewechselt, mit dem Unterschied, dass nicht nur das Äußere des Menschen geändert wird, sondern der ganze Mensch in seiner ganzen Existenz.


Was bedeutet die Formulierung "ton kata theon ktisthenta"? Die wörtliche Übersetzung ist "der Gott gemäß/entsprechend" geschaffen wurde". Zunächst einmal ist festzustellen, dass der "neue Mensch" geschaffen wurde, d. h. es handelt sich nicht nur um eine Erneuerung des "alten Menschen" (gemäß 4,23 soll der "neue Mensch" den "Geist seines Denkens" erneuern lassen, was als fortdauernder Prozess gedacht ist). Dabei wird jedoch nicht ausdrücklich gesagt, von wem er geschaffen wurde. Zunächst ist mit Blick auf den ersten Schöpfungsbericht an Gott zu denken, der die Menschen erschaffen hat (vgl. Gen 1,26-27). Und auch der Verfasser des Eph sieht Gott als den Schöpfer des Menschen, denn er sieht ihn als Schöpfer von Allem (vgl. Eph 3,9). Und in Eph 2,10 heißt es, dass wir Gottes Gebilde sind, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken. Gott hat also den Menschen geschaffen. Allerdings besagt 4,24 nicht, dass Gott den Menschen geschaffen hat, sondern dass er den "neuen Menschen" geschaffen hat. Dabei steht jedoch nicht die Schöpfung des "neuen Menschen" an sich im Mittelpunkt, sondern das Wesen des "neuen Menschen". Es geht darum, was den "neuen Menschen" auszeichnet: Er wurde "Gott gemäß/entsprechend" geschaffen. Man kann dies so deuten, dass der "neue Mensch" Abbild/Bild Gottes ist. Dies erinnert an Gen 1,26, wonach der Mensch Abbild/Bild Gottes ist. Allerdings spricht Gen 1,26 nicht vom "neuen Menschen", sondern vom Menschen, ganz unabhängig davon, ob er an Gott und/oder Christus glaubt oder nicht. Wenn Eph 4,24 das Wesen des neuen Menschen zum Thema hat, dann kann der Vers nicht in erster Linie Gen 1,26 im Blick haben. Weiterführend mag ein Blick auf Kol 3,10 und 1,15-16 sein. Gemäß Kol 3,10 wird der "neue Mensch" zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat, erneuert. Dabei ist an eine fortdauernde Erneuerung gedacht. Laut Kol 1,16 wurde der Mensch durch Christus geschaffen. Somit wird der "neue Mensch" nach dem Bilde Christi erneuert. Und gemäß 3,10 ist Christus Abbild/Bild Gottes. Laut der Theologie des Kol drückt sich in der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Christus bis hin zur letzten Offenbarung und in der Einsicht in diese Schicksalsgemeinschaft und im entsprechenden Handeln aus, dass der Mensch als Abbild/Bild Gottes dem Abbild/Bild Gottes Christus gemäß wird. Er wird also zum Abbild/Bild Christi. Diese Theologie mag - zumindest in ähnlicher Form - auch Eph 4,24 zugrunde liegen. Diese Schicksalsgemeinschaft, die Christus und die Christen auszeichnet, zeigt sich im tatsächlichen Lebenswandel der Christen nicht unbedingt. Daher muss das Christus angemessene Verhalten angemahnt werden, damit Christus im täglichen Leben Gestalt gewinnt. Als weitere Deutung der Formulierung "ton kata theon ktisthenta" ist zu nennen, dass der "neue Mensch" nach dem Willen Gottes geschaffen worden ist.


"In Gerechtigkeit und Heiligkeit" bezeichnet eine Sphäre bzw. einen Raum, in dem die Erschaffung des "neuen Menschen" stattgefunden hat. Sie ist von Gerechtigkeit und Heiligkeit gekennzeichnet. Daraus lassen sich Schlussfolgerungen im Hinblick auf Gott, auf dessen Handeln und auf den "neuen Menschen" ziehen: Gott ist gerecht und heilig, ebenso ist sein Handeln gerecht und heilig (vgl. Dtn 32,4; Ps 145,17 = Ps 144,17LXX; Offb 16,5). Darüber hinaus ist sein Geschöpf, der "neue Mensch", gerecht und heilig, denn nach kultischem Verständnis darf sich im Bereich des gerechten und heiligen Gottes nur aufhalten, wer oder was ihm entspricht. Und der "neue Mensch" ist ja schließlich dem gerechten und heiligen Gott entsprechend geschaffen und entspricht auch dessen Willen.


Die Genitivkonstruktion "Heiligkeit der Wahrheit" kann zum einen bedeuten, dass die Wahrheit selbst heilig ist, denn sie ist Gott bzw. Christus zugeordnet. Sie kann aber auch bedeuten, dass die Wahrheit die Quelle ist, von der die Heiligkeit stammt. Die Wahrheit ist das Evangelium bzw. ihr zentraler Inhalt, Jesus Christus (vgl. Eph 1,13; 4,21). Wahrheit ist also nicht ohne das Evangelium und dessen zentralen Inhalt, Christus, zu denken. Heilig wird also, wer das Evangelium hört, an Christus glaubt, in der christlichen Lehre unterrichtet wird, Christus verinnerlicht und den Glauben im täglichen Lebenswandel bezeugt. Und mit der Heiligkeit ist auch die Gerechtigkeit verbunden, gedacht als Vergebung der Sünden durch den Kreuzestod Christi und eine christliche Lebensführung als dankbare Antwort darauf. Insofern ist anzunehmen, dass sich der Genitiv "der Wahrheit" auch auf "Gerechtigkeit" bezieht. Eine weitere Deutungsmöglichkeit, nämlich dass ausgesagt sei, dass die Gerechtigkeit und Heiligkeit wahr seien, dürfte wohl nicht richtig sein. Denn für den Eph gibt es keine falsche Gerechtigkeit und Heiligkeit. Die Christen sind keine "wahren" Gerechten und Heilige, sondern sie sind Gerechte und Heilige. Gleiches gilt für Gott.


Weiterführende Literatur: Die Kleidungs-Metaphern in Eph 4,22-24 sowie die hier verwendeten Traditionen könnten laut N. A. Dahl; D. Hellholm 2001, 139-158 im Kontext des allgemeinen griechischen sprachlichen Gebrauchs verstanden werden. Die biblischen Anspielungen gründeten auf der christlichen Rezeption und Umdeutung jüdischer exegetischer Traditionen. Dabei sei der Bezug zur Taufe nicht sicher, aber aufgrund der Analogie zu anderen Texten und des unmittelbaren Zusammenhangs anzunehmen. Antike christliche Taufriten und -predigten paraphrasierten oftmals Eph 4,22-24 und verwandte Texte. Insbesondere in älteren Texten werde Kleidungssymbolik in Verbindung mit der Taufe gebraucht.


Zur Mission Christi und der Christen im Eph siehe C. Basevi 1990, 27-55. Ergebnis: Die „Mission“ sei in erster Linie Christus zuzuschreiben. Die „Mission“ Christi sei es, mit seinem Tod und seiner Auferstehung die „Fülle“ zu ermöglichen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Kirche als Leib Christi als auch im Hinblick auf den vollkommenen, reifen Menschen. Die „Mission“ gehe auf die Kirche als „Fülle“ Christi über. Sie wachse und verbreite sich, wobei alle Christen die Heiligkeit nicht nur empfangen, sondern sie auch in die Welt hineintragen sollten. Das Ziel der Christen sei es, durch das eigene Leben die Herrlichkeit Christi zu bekunden. So erfülle Christus in perfekter Weise alle Dinge und sei schließlich die Perfektion aller Dinge.



Literaturübersicht


Basevi, Claudio; La missione di Cristo e dei cristaianinella Lettera agli Efesini. Una lettura di Ef 4,1-25, RivBib 38/1 (1990), 27-55

Dahl, Nils Alstrup; Hellholm, David; Garment Metaphors: the Old and the New Human Being, in: A. Y. Collins et al. [eds.], Antiquity and Humanity, FS H. D. Betz, Tübingen 2001, 139-158

Merklein, Helmut; Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 (zugleich ein Beitrag zur Pragmatik des Epheserbriefes), in: P.-G. Müller, W. Stenger [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1981, 194-210

Sellin, Gerhard; Über einige ungewöhnliche Genitive im Epheserbrief, ZNW 83,1-2 (1992), 85-107

Venter, Cassie J. H.; Aspekte van emosionele intelligensie in die lewe van die nuwe mens, IDS 39/1 (2005), 1-25

Witulski, Thomas; Gegenwart und Zukunft in den eschatologischen Konzeptionen des Kolosser- und Epheserbriefes, ZNW 96/1-2 (2005), 211-242


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