Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 6,11-16

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 6,11-16



Übersetzung


1 Tim 6,11-16 : 11 Du aber, Mann Gottes, fliehe das! Jage nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glaube, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut! 12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, zu welchem du berufen wurdest und das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen abgelegt hast. 13 Ich gebiete dir vor (dem) Gott, der allem Leben gibt, und Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat, 14 dass du das Gebot unbefleckt [und] untadelig bewahrst bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, 15 die zur rechten Zeit zeigen wird der selige und alleinige Herrscher, der König der Könige und Herr der Herren, 16 der allein Unsterblichkeit besitzt, der ein unzugängliches Licht bewohnt, den kein Mensch je gesehen hat noch zu sehen vermag; ihm sei Ehre und ewige Macht. Amen.



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V. 11


Beobachtungen: 1 Tim 6,1-11 gehört zum Schluss des 1 Tim (6,3-21), der aus Schlussermahnungen und Schlussgruß besteht. Nachdem „Paulus“ in V. 3-10 auf die falschen Lehren und auf die falschen Motive der Irrlehrer eingegangen ist, gibt er nun dem „Timotheus“ Anweisungen bezüglich der rechten Lehre und dem rechten Verhalten. Dabei setzt er weiterhin die Irrlehrer und deren Lehren und „Timotheus“ bzw. die rechten Lehrer und deren rechte Lehre in Kontrast.


Der Kontrast wird durch die Bezeichnung „Mann Gottes“ (oder „Gottesmann“ oder „Mensch Gottes“; altgriechisch: „anthrôpos theou“) deutlich gemacht. „Mann Gottes“ (oder „Gottesmann“ oder „Mensch Gottes“) ist eine Bezeichnung, die deutlich macht, dass „Timotheus“ dem Willen Gottes entsprechend lehrt und handelt bzw. lehren und handeln soll. Ihm ist die Leitung der Gemeinde anvertraut und dieser Aufgabe hat er gewissenhaft nachzukommen. Dabei ist mit „Gott“ nicht ein beliebiger Gott gemeint, sondern der Gott Israels. Um das zu verdeutlichen, lesen einige Textzeugen „Mann des Gottes“ (oder: „Mensch des Gottes“; altgriechisch: „anthrôpos tou theou“). Der bestimmte Artikel verdeutlicht, dass es sich um einen den Lesern bzw. Hörern des Briefes vertrauten Gott handelt. Das ist der Gott Israels. Die Formulierung „Mann Gottes“ (oder „Gottesmann“ oder „Mensch Gottes“) findet sich als Bezeichnung für Mose und Propheten auch in der Septuaginta (LXX), dort aber mit dem bestimmten Artikel. In der Septuaginta ist eindeutig, dass der Gott Israels gemeint ist. Die Ergänzung des bestimmten Artikels seitens der Textvariante kann also eine Anpassung an die Septuaginta sein. „Timotheus“ erscheint also im Lichte herausragender atl. Gestalten wie Mose oder die Propheten. Allerdings bleibt offen, inwiefern „Paulus“ zwischen Mose, den Propheten und „Timotheus“ eine Kontinuität oder Ähnlichkeiten sieht. Kontinuität und/oder Ähnlichkeiten können hinsichtlich der leitenden (im engen oder weiten Sinn) Position oder hinsichtlich des Glaubens oder auch hinsichtlich des gottgefälligen Verhaltens gesehen werden.


„Timotheus“ soll die Geisteshaltung und das Verhalten der Irrlehrer, wie sie in V. 3-10 zur Sprache gekommen sind, fliehen. Das Verb „pheugô“ bedeutet zum einen „vermeiden“, beinhaltet hier aber auch eilende Bewegung, nämlich weg von etwas. Insofern kann es hier besser mit „fliehen“ übersetzt werden. „Timotheus“ soll also zusehen, dass er sich so schnell und weit wie möglich von der Geisteshaltung und vom Verhalten der Irrlehrer entfernt.


„Timotheus“ soll aber nicht nur fliehen, sondern er soll auch etwas nachjagen. Das Verb „diôkô“ bedeutet zum einen „streben nach“, beinhaltet hier aber auch eilende Bewegung, nämlich hin zu etwas. Insofern kann es hier besser mit „nachjagen“ übersetzt werden. „Paulus“ nennt nur einige Begriffe auf, die verdeutlichen, welche Geisteshaltung „Timotheus“ an den Tag legen und wie er sich verhalten soll. Der Kontrast zu Geisteshaltung und Verhalten der Irrlehrer ist unverkennbar.


Die „Gerechtigkeit“ („dikaiosynê“) meint das gottgefällige Leben. Für die Juden zeigt sich dieses im Befolgen der göttlichen Weisung, der Tora, von der im NT als „Gesetz“ gesprochen wird. Auch Paulus war ein Jude, weshalb das „Gesetz“ für ihn maßgeblich war. Allerdings stellte sich mit der Heidenmission die Frage, inwieweit das „Gesetz“ auch für die Heidenchristen gelten sollte. Nach christlichem Verständnis erfolgt die Rechtfertigung durch den stellvertretenden Kreuzestod Jesu Christi für die Sünden der Menschen. Die Rechtfertigung ist also als Sündenvergebung gedacht. Die rechte Antwort des Menschen darauf ist der Glaube (pistis) an die unverdient geschenkte Rechtfertigung. Dabei bezeichnet der altgriechische Begriff „pistis“ auch die „Treue“. Es ist die Treue zum Glauben, die allen Widrigkeiten trotzt. Die Standhaftigkeit (oder: Ausdauer/Beharrlichkeit) im Glauben angesichts von Bedrängnis und Irrlehren drückt in besonderem Maße auch der Begriff "hypomonê" aus. Der Verfasser des 1 Tim verwendet für den rechten Glauben den Begriff „Frömmigkeit“ („eusebeia“).. Der (rechte) Glaube ist eng mit dem rechten, weil gottgefälligen Verhalten verbunden. Für Heidenchristen hat sich durchgesetzt, dass das „Gesetz“ nicht streng befolgt zu werden braucht. Entscheidend für die Christen ist die „Liebe“, die als Kern des „Gesetzes“ verstanden wird und einen entscheidenden Verhaltensmaßstab darstellt. Dabei meint der Begriff „agapê“ nicht die erotische oder sexuelle Liebe zwischen zwei Partnern, auch nicht die neuzeitlichem Denken entsprechende romantische Liebe, sondern die dienende Liebe dem Nächsten gegenüber. Diese Nächstenliebe wiederum ist in einem engen Zusammenhang mit der Selbstliebe, der Gottesliebe (= Gott liebt und wird geliebt) und der Liebe Jesu Christi (= Jesus Christus liebt und wird geliebt) zu sehen. Ein wesentlicher christlicher Wesenszug ist auch der Sanftmut. „Paulus“ verwendet dafür den Begriff „praupathia“, der im NT nur in 1 Tim 6,11 vorkommt und vermutlich der Bedeutung des gängigeren Begriffs „prautês“ entspricht. „Sanftmut“ meint die milde und sanftmütige Freundlichkeit. Voraussetzung für eine solche Freundlichkeit ist die Fähigkeit des Menschen, seine Gefühle zu beherrschen. Auf diese Weise wird er davor bewahrt, seinen Mitmenschen durch gehässige Äußerungen und Zornesausbrüche zu verletzen.

Es fällt auf, dass sich die aufgezählten Tugenden zu einem vorbildlichen Christenleben fügen, wie es jeder Christ führen sollte. Nichts von dem Genannten bezieht sich nur auf kirchliche Amtsträger. „Timotheus“ soll also Vorbild hinsichtlich christlicher Lebensführung sein. Und die vorbildliche christliche Lebensführung soll seine Amtsführung prägen.


Weiterführende Literatur: Laut V. Mihoc 2009, 135-152 scheine 6,3-21 eine Sammlung verschiedener Ermahnungen und Anordnungen zu sein. Korrekter sei es aber wohl, den Abschnitt als Briefschluss anzusehen. Paulus behandele in ihm erneut die beiden grundlegenden Themen: die Anprangerung der Gegner und die Ermutigung des Timotheus.


A. T. Hanson 1981, 402-418 legt dar, wie der Verfasser der Pastoralbriefe das den paulinischen Briefen entnommene Material verwendet hat und welche Schlüsse sich daraus hinsichtlich der Entwicklung der Haupttradition der christlichen Theologie ziehen lassen. Zu 1 Tim 6,11-12 mit Blick auf Phil 3,12-14 (S. 404-405): Der Verfasser der Pastoralbriefe habe eine Passage genommen, in der Paulus von seiner Berufung und von seinem Dienst spricht, und habe diese Passage auf die Berufung und den Dienst des christlichen Ältesten oder Bischofs seiner Zeit bezogen.


N. Neumann 2009, 127-147 zeigt die Gemeinsamkeiten zwischen der Argumentation in 1 Tim 6,3-12 und der antiken kynischen Denkweise, die sich nach einer ersten Blütezeit im 4. und 3. Jh. v. Chr. zur Zeit der Entstehung des 1 Tim um 100 n. Chr. auf dem Weg zu neuer Popularität befunden habe, anhand der einschlägigen Quellen auf, um auf dieser Basis dann auch die Eigenarten des Abschnittes 1 Tim 6,3-12 umso präziser benennen zu können. Alles in allem stelle sich der Abschnitt als eine Adaption einer zeitgenössischen kynischen Gedankenführung auf den Bereich der frühchristlichen Theologie dar. Die kynische Argumentationsweise stehe vollständig im Dienst der Christologie; sie erhalte dadurch eine wesentlich neue Ausrichtung. Jedoch geschehe dies in einer Weise, in der die Einflüsse, die solches Denken und Argumentieren prägen, immer noch klar erkennbar bleiben.

Studien zur Morallehre der Pastoralbriefe hätten sich laut A. J. Malherbe 2010, 376-405 und 2011, 73-96 auf den Einfluss von Moralphilosophen auf den Verfasser der Pastoralbriefe konzentriert. Gewöhnlich kämen die Stoiker in den Blick, neuerdings auch die Kyniker. Darüber hinaus seien aber noch weitere Einflüsse populärer zeitgenössischer Morallehren wahrscheinlich. Es habe eine Vielzahl manchmal ähnlicher Lehren hinsichtlich des Reichtums gegeben. Diese Vielfalt lege nahe, dass 1 Tim 6,17-19, auf dessen engeren literarischen Zusammenhang (6,3-19) A. J. Malherbe eingeht, nicht von einer bestimmten Morallehre hergeleitet ist, sondern eine Sichtweise neben anderen ist. Auffällig sei die Bedeutung, die dem Genuss beim richtigen Gebrauch des Reichtums gegeben wird.


J. S. Rhee 1980, 1-5 legt 1 Tim 6,11-12 mit Blick auf die Ausbildung von „Gottesmännern“ für die heutige Kirche aus.


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V. 12


Beobachtungen: Der „gute Kampf des Glaubens“ ist nicht als ein Kampf mit materiellen Waffen zu verstehen, sondern als ein geistlicher Kampf. Die Erfüllung des besonderen geistlichen Auftrags bzw. die Ausübung des Gemeindeamtes ist demnach wohl „der Kampf“. Und „der Kampf“ ist „gut“, also für eine gute Sache. Die gute Sache ist vermutlich der Gemeindeaufbau und der Schutz der Gemeinde vor Irrlehren und sonstigen Gefährdungen. Zu diesen Gefährdungen mag auch die Verfolgung der Gemeinde durch ein feindlich gesinntes heidnisches und/oder jüdisches Umfeld gehören. Es fällt auf, dass „Paulus“ in 1 Tim 6,12 – anders als in 1,18 – nicht den militärischen Begriff „strateia“ („Kampf“) verwendet, sondern von einem „agôn“ spricht. „Agôn“ kann sowohl „Kampf“ als auch „Wettkampf“ bedeuten Außerdem benutzt er das Verb "agônizomai" („kämpfen“), das neben der Bedeutung „kämpfen“ auch die Bedeutung "wettkämpfen" haben kann. So gebraucht es Paulus in 1 Kor 9,25 im Zusammenhang mit einem sportlichen Wettkampf, mit dem er den geistlichen Lebenswandel vergleicht. In 1 Tim 6,12 scheint „Paulus“ folglich sowohl einen Kampf mit Tugenden als geistlicher Waffenrüstung (vgl. Eph 6,10-20; die Tugenden werden in 1 Tim 6,11 aufgezählt) als auch einen Wettkampf im Blick zu haben.


Das „ewige Leben“ ist das Ziel des Kampfes, beim Bild des Wettkampfes ist es der Siegespreis. Das „ewige Leben“ fällt „Timotheus“ nicht in den Schoß, sondern muss mittels des tugendhaften Lebens aktiv ergriffen werden. Wie sich das „ewige Leben“ genau gestaltet, wird nicht gesagt.


Zu dem „ewigen Leben“ wurde „Timotheus“ berufen. Dabei bleibt offen, von wem er dazu berufen wurde. Vermutlich liegt ein passivum divinum vor, womit Gott (oder Jesus Christus) der Berufende wäre. Auch bleibt offen, wann „Timotheus“ berufen wurde. Die Zeitform Aorist sagt aus, dass es sich um ein in der Vergangenheit erfolgtes, abgeschlossenes Geschehen handelt. Zwei Ereignisse kommen in den Sinn: zum einen die Taufe, zum anderen die Ordination. Das ganze christliche Leben kann als „Kampf“ oder „Wettkampf“ verstanden sein, womit der geistliche Kampf mit der Taufe beginnt. Es kann aber auch speziell das kirchliche Amt als „Kampf“ oder „Wettkampf“ verstanden sein. Dieses beginnt mit der Ordination, wobei die Berufung zu dem kirchlichen Amt schon vor der Ordination erfolgt sein kann, vielleicht mit einer vorhergehenden Weissagung (vgl. 1 Tim 4,14). Von wem die Weissagung und damit die Berufung erfolgt ist, bliebe dann offen. Wenn die Ordination selbst als Berufung verstanden wird, kann man auch sagen, dass die Berufung durch den Ältestenrat erfolgt ist, denn durch diesen ist bei der Ordination ja die „Handauflegung“ erfolgt (vgl. 1 Tim 4,14). Auch wenn wir davon ausgehen, dass die Berufung durch die Taufe, durch die Prophezeiung oder durch die Ordination erfolgt ist, dürfte doch Gott (oder Jesus Christus) der eigentliche Berufende sein. Die irdische berufende (Symbol-)Handlung macht die Berufung auf Erden sichtbar und stellt eher eine Umsetzung des göttlichen Willens dar.


Um was für ein Bekenntnis es sich bei dem „guten Bekenntnis“ handelt und bei welcher Gelegenheit es abgelegt wurde, ist ebenfalls unklar. Nur zwei Dinge lassen sich sicher sagen: Zum einen handelt es sich um ein in der Vergangenheit erfolgtes, abgeschlossenes Geschehen. Darauf weist die Zeitform Aorist des Verbs hin. Zum anderen war „Timotheus“ in einem Alter, in dem er ein Bekenntnis sprechen konnte. Eine Säuglingstaufe scheidet damit hinsichtlich des Bekenntnisses aus. Es scheint eine Verbindung mit der Berufung vorzuliegen, und zwar mit der irdischen (Symbol-)Handlung. Insofern kann das „gute Bekenntnis“ bei der Taufe, bei der Prophezeiung oder bei der Ordination erfolgt sein. Da in 1 Tim 4,14 hinsichtlich der Ordination ja ausdrücklich gesagt wird, dass der Ältestenrat zugegen war, wären bei der Ordination sicher die vielen Zeugen zugegen gewesen. Dabei stellt sich die Frage, um was für ein Bekenntnis es sich gehandelt haben könnte. Um ein Glaubensbekenntnis? Oder um ein Bekenntnis bezüglich der guten Amtsausübung? Im Rahmen der Taufe dürfte ein Taufbekenntnis gesprochen worden sein. Insofern mag das „gute Bekenntnis“ am ehesten auf die Taufe hinweisen, bei der sicherlich auch andere Menschen als Zeugen anwesend gewesen sein dürften. Etwas unwahrscheinlicher, aber nicht auszuschließen ist, dass das „gute Bekenntnis“ in Zusammenhang mit der Prophezeiung erfolgt ist, die vor der Ordination erfolgt sein kann. Dann müssten viele Zeugen anwesend gewesen sein. Aber um was für ein Bekenntnis sollte es sich dann handeln? Das Sprechen des Taufbekenntnisses wäre nicht naheliegend. Und ein Bekenntnis bezüglich der guten Amtsausübung dürfte – wenn überhaupt – bei der Ordination gesprochen worden sein.Ebenfalls nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich ist, dass das Bekenntnis unabhängig von der Berufung in einer Situation der Bedrängnis erfolgt ist.


Das Adjektiv „gut“ zeigt an, dass das Bekenntnis für eine gute Sache erfolgt ist. „Gut“ ist das Evangelium, der Glaube an den Inhalt des Evangeliums und die Verkündigung des Evangeliums. Auch ist die Lehre, die dem Evangelium entspricht und somit keine Irrlehre ist, „gut“ (vgl. 1 Tim 1,10-11). Und schließlich ist auch der tugendhafte christliche Lebenswandel und die tugendhafte Ausübung des kirchlichen Amtes „gut“ (vgl. 6,11). Mit all dem hängt das „gute Bekenntnis“ zusammen.


Weiterführende Literatur:


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V. 13


Beobachtungen: Das Verb „zôogoneô“ bedeutet „Leben schenken“ oder „lebendig machen“. „Ta panta“ kann mit „alles“, „alle Dinge“ oder "das All" (im Sinne von "Alles"; vgl. Eph 4,10) übersetzt werden. Gott schenkt also allem / allen Dingen Leben bzw. Gott macht alles / alle Dinge lebendig“. Dabei kann an die Schöpfung gedacht sein, aber dann auch an die Auferweckung von den Toten. Sowohl die Schöpfung als auch die Auferweckung von den Toten sind Geschehnisse, die Macht und Wirkkraft voraussetzen und außerdem an einen Gott des Lebens denken lassen. Das Verb „gebieten“ klingt sehr autoritär und „vor (dem) Gott“ klingt dementsprechend drohend, als würde es darum gehen, dass jede Verfehlung von Gott bestraft wird. Tatsächlich haben wir es aber wohl eher mit einer beschwörenden Sprache zu tun. „Timotheus“ ist ein Amt von größter Wichtigkeit übertragen und er hat es mit größtem Verantwortungsbewusstsein auszufüllen. Er ist nicht in erster Linie dem „Paulus“, der gebietet, verantwortlich, sondern Gott, dem Gott Israels. Und Gott ist mächtig, wirkkräftig und ein Gott des Lebens. „Timotheus“ hat dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen an dem Leben, das Gott schenkt, Anteil bekommen. Alle Menschen sind von Gott geschaffen, haben irdisches Leben geschenkt bekommen. Nun geht es aber darum, dass sie auch das ewige Leben geschenkt bekommen. Es ist die Aufgabe des „Timotheus“, den rechten Glauben und die rechte Lehre zu verbreiten und darüber hinaus dafür zu sorgen, dass die Gemeindeglieder im rechten Glauben bleiben und wachsen und nicht von Irrlehren auf Abwege gebracht werden. Wer Irrlehren nachfolgt, geht des ewigen Lebens verlustig. Das ist aus Sicht des „Paulus“ eine dramatische Sache, die es unbedingt zu verhindern gilt. Daher seine beschwörende Sprache.


Die Präposition „epi“ kann örtlich oder zeitlich verstanden sein. In ersterem Falle wäre mit „vor“ zu übersetzen, in letzterem Falle mit „zur Zeit des“. Entweder ist also ausgesagt, dass Jesus vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat, oder es ist ausgesagt, dass Jesus zur Zeit des Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat. Die Zeit des Pontius Pilatus kann die gesamte Amtszeit meinen und muss nicht auf den Prozess in Anwesenheit des Pontius Pilatus bezogen werden. Insofern kann das gute Bekenntnis Jesu während des Prozesses erfolgt sein, aber auch mit Jesu Lebenswandel gleichgesetzt werden. Bei der Beantwortung der Frage, ob „epi“ in V. 13 „vor“ oder „zur Zeit des“ bedeutet, müssen wir uns bewusst machen, dass das gute Bekenntnis des „Timotheus“ und das gute Bekenntnis Jesu in einem engen Zusammenhang stehen. Dabei ist festzuhalten, dass das gute Bekenntnis des „Timotheus“ eine in der Vergangenheit abgeschlossene Handlung ist. Das weist auf ein Bekenntnis mit Worten hin, das in einem ganz bestimmten und besonderen Augenblick erfolgt ist. Weil „Timotheus“ noch lebt, kann das gute Bekenntnis also nicht konkret seinen Lebenswandel meinen, denn dieser erfolgt ja weiterhin noch. Für das gute Bekenntnis Jesu bedeutet das, dass vermutlich ebenfalls nicht konkret der Lebenswandel gemeint ist. Jesus hat nicht mittels seines Lebenswandels zur Zeit des Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt, sondern vor Pontius Pilatus während des Prozesses. Der Prozess ist natürlich zu Lebzeiten des Pontius Pilatus erfolgt, denn sonst hätte er nicht in dessen Anwesenheit erfolgen können.


Auch der Hinweis auf die Verantwortung gegenüber Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat, gehört zur beschwörenden Sprache. Jesus Christus (= Christus Jesus) ist derjenige, durch den Gott das ewige Leben bewirkt, indem er ihn für unsere Sünden dahingegeben hat. Gemäß 2,5 ist Jesus Christus ein Mittler zwischen Gott und Menschen, und zwar der einzige Mittler. Er steht sowohl den Menschen als auch Gott nahe. Als Mensch hat er das irdische Leben gelebt und als Mensch ist er auch den Kreuzestod gestorben. Und auch bezüglich des guten Bekenntnisses wirkt er sehr menschlich, so dass er bezüglich seines guten Bekenntnisses wie das Vorbild des „Timotheus“ erscheint. Allerdings fällt ein feiner Unterschied auf: Jesus Christus hat das gute Bekenntnis bezeugt, „Timotheus“ dagegen hat es abgelegt. So stellen sich also zwei Fragen: Was für ein Bekenntnis Jesu ist im Blick und was ist mit „bezeugt“ gemeint? Zunächst einmal handelt es sich um ein „gutes“ Bekenntnis, worin es dem Bekenntnis des „Timotheus“ entspricht. Auch das Bekenntnis Jesu hat also mit dem rechten Glauben, mit Treue, mit der rechten Lehre und mit dem rechten Lebenswandel zu tun. Darüber hinaus ist gesagt, dass Jesus das „gute“ Bekenntnis vor Pontius Pilatus bezeugt hat. Pontius Pilatus war der fünfte römische Statthalter in Judäa. Angesichts der Tatsache, dass „Timotheus“ vor vielen Zeugen bekannt hat, erscheint auch Pontius Pilatus wie ein Zeuge. Er war aber zugleich ein Richter. Pontius Pilatus richtete über Jesus als politischen Aufrührer und verurteilte ihn zum Tode. Pontius Pilatus hatte dafür zu sorgen, dass in Judäa Ruhe herrschte. Für ihn war der politische Aspekt des politischen Aufruhrs entscheidend, nicht die religiösen Streitigkeiten um die Person Jesus. Die Klärung von religiösen Streitigkeiten gehörte nicht zu seinen Aufgaben. Während dieses Prozesses aufgrund der Anklage gegen Jesu, er sei ein politischer Aufrührer, stellt Pontius Pilatus die Frage „Bist du der König der Juden?“. Und Jesus antwortete „Du sagst es“ (vgl. Mk 15,2; Mt 27,11; Lk 23,3), was „Ja, ich bin es“ bedeutet. Aus Sicht des Pontius Pilatus war das ein Unding. Seit dem Tod Herodes des Großen im Jahre 4 v. Chr. hatte es nämlich keinen „König der Juden“ mehr gegeben. Kaiser Augustus hatte die Herrschaft in Judäa zunächst dessen Sohn Archelaos übertragen, der den Titel Ethnarch (Volksfürst) – nicht Basileus (König) – getragen hatte. Nach dessen Absetzung und Verbannung war Judäa im Jahr 6 n. Chr. unter direkte römische Verwaltung gekommen. Diese direkte römische Verwaltung übte vor Ort der Statthalter aus. Wenn Jesus also von sich behauptete, „König der Juden“ zu sein, dann bekannte er sich offen zum Aufruhr gegen das Römische Reich und damit gegen den Kaiser selbst, dessen „Majestät“ und Hoheit er verletzte. Nach der Auslegung des von Kaiser Augustus erlassenen Majestätsgesetzes durch Kaiser Tiberius stand auf solchen Hochverrat die Todesstrafe. Jesus verstand den Titel „König der Juden“ aber gar nicht im Sinne des politischen Aufruhrs. Er verstand ihn nicht einmal im Sinne irdischer Herrschaft. Er verstand ihn im Sinne einer Herrschaft, die das Weltliche überschreitet. Es ist ein Titel, der Hoffnung ausdrückt (zu Jesus Christus als Hoffnungsträger siehe 1 Tim 1,1) - die Hoffnung auf Heil, das nicht nur die irdische Existenz des Menschen, sondern dessen gesamte Existenz betrifft.

Wenn „Paulus“ nicht sagt, was für ein Bekenntnis Jesus vor Pontius Pilatus bezeugt hat, dann haben wir davon auszugehen, dass der Inhalt zunächst einmal nicht im Fokus ist. Im Fokus ist zunächst einmal die Tatsache, dass sowohl „Timotheus“ als auch Jesus ein Bekenntnis abgelegt bzw. bezeugt hat. Das Bekenntnis des „Timotheus“ hat seinen (rechten) christlichen Glauben und/oder seine rechte Amtsausübung betroffen. Das Bekenntnis Jesu dagegen hat seine eigene Person und deren Bedeutung betroffen, also den Inhalt des Glaubens seiner Anhänger samt „Timotheus“. Das Bekenntnis selbst steht in V. 12-14 im Mittelpunkt. Das bedeutet aber nicht, dass der Titel Jesu selbst keine Rolle spielt. Der Titel und dessen Heilsbedeutung steht vom Ende des V. 14 bis V. 16 im Mittelpunkt. Entscheidende Aspekte der Bedeutung für das Heil der Menschen sind Macht/Herrschaft, Wirkkraft und Leben. Dabei scheint vorausgesetzt zu werden, dass die Leser wissen, was für ein Bekenntnis Jesus bezeugt hat, zumindest den Gedankengang und die fortlaufende Entfaltung der verschiedenen Aspekte nachvollziehen können.


Weiterführende Literatur: K. Silvola 1985, 390-394 analysiert eingehend 1 Tim 2,6; 6,13; 2 Tim 1,8 und sucht nachzuweisen, dass "Zeugnis" an diesen Stellen bereits eine große Nähe zu der später üblichen Bedeutung "Martyrium" habe.


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V. 14


Beobachtungen: „Timotheus“ soll „das Gebot“ („hê entolê“) voll und ganz bewahren. Die beschwörende Sprache lässt erkennen, dass „Paulus“ das Bewahren des Gebotes sehr wichtig ist. Daraus ist zu schließen, dass „Timotheus“ klar sein muss, welches Gebot gemeint ist. Allerdings scheint – liest man den Text mit der gebotenen Sorgfalt - die nötige Klarheit nicht gegeben zu sein. Es liegt nämlich am nächsten, „das Gebot“ auf die Ermahnungen der V. 11-12 zu beziehen. Bei einem solchen Bezug wäre aber eine konkretere Formulierung zu erwarten, nämlich „dieses Gebot“. Das lässt annehmen, dass kein Bezug auf die V. 11-12 vorliegt, zumindest kein ausschließlicher.. Aber welches Gebot könnte sonst gemeint sein? Ein ausschließlicher Bezug auf ein Gebot vor den V. 11-12 ist auszuschließen, denn ein solcher liegt nicht nahe und würde „Timotheus“ rätseln lassen, welches Gebot „Paulus“ denn meint. Allerdings gilt dies nur dann, wenn das Gebot vor V. 11-12 nicht ausdrücklich als Gebot gekennzeichnet ist. Also gilt es zu suchen, ob vor V. 11-12 der Begriff „entolê“ („Gebot“) auftaucht, am besten mit dem bestimmten Artikel „“. Das ist nicht der Fall. Folglich können wir ausschließen, dass nur ein Gebot vor V. 11-12 gemeint ist. Halten wir also zunächst fest, dass ein Bezug auf V. 11-12 vorliegt, allerdings kein ausschließlicher. Die Formulierung „das Gebot“ hat allgemeinen Charakter. Sämtliche Ermahnungen und Gebote des 1 Tim können zusammengenommen als „das Gebot“ verstanden werden. Insofern wäre ausgesagt, dass „Timotheus“ alle Ermahnungen und Gebote des 1 Tim voll und ganz bewahren soll. „Timotheus“ soll also voll und ganz ein christliches Leben führen, Vorbild im Glauben und in der christlichen Lebensführung sein. Er soll aber auch sein Amt voll und ganz nach der Maßgabe vorbildlichen Glaubens und vorbildlicher Lebensführung ausüben. Der Bezug auf die Amtsausübung ergibt sich nicht konkret aus den V. 11-12, sondern aus dem Blick auf die Gesamtheit der Ermahnungen und Gebote des „Paulus“. Nun lässt „Paulus“ bei seinen Ermahnungen und Geboten keine Willkür walten, sondern er ist an das Evangelium gebunden. „Paulus“ dürfte die Sichtweise vertreten, dass seiner Ermahnungen und Gebote dem Evangelium entsprechen, und zwar in der Form, wie es von Paulus verkündigt worden ist. Insofern dürfte letztendlich das Evangelium als Gebot verstanden sein. Es ist insofern ein Gebot, als mit dem Glauben an das Evangelium auch ein christlicher Lebenswandel gefordert ist.


Bemerkenswert ist, dass „Timotheus“ „das Gebot“ nicht voll und ganz befolgen soll, sondern er soll es voll und ganz bewahren. Das Bewahren erfolgt über eine bestimmte Zeitdauer hinweg. Diese Zeitdauer enthält eine Überlieferungskette: Jesus hat das Bekenntnis „Ich bin der König der Juden“ abgelegt. Dieses Bekenntnis mit all seinen Facetten und dem Heilsgeschehen stellt den Inhalt des christlichen Glaubens dar. Dieser Inhalt wurde als Evangelium (frohe Botschaft) verkündigt und gelehrt, wobei Paulus für die rechte, weil unverfälschte Verkündigung und Lehre steht. Der Verfasser des 1 Tim sieht sich als Glied in der Überlieferungskette. Indem er sich als „Paulus“ bezeichnet (vgl. 1,1), macht er deutlich, dass er den Inhalt seines Briefes als paulinisch versteht. Er überliefert also aus seiner Sicht unverfälscht das Evangelium, wie es von Paulus recht verkündigt und gelehrt wurde. „Paulus“, der Verfasser des 1 Tim weiß aber, dass er auf Erden nicht ewig leben wird. Also muss er sicherstellen, dass die rechte Verkündigung und Lehre gewahrt bleibt. Er tut dies, indem er diejenigen instruiert, denen die Gemeindeleitung obliegt. Die Instruktion erfolgt auf dem Hintergrund der aktuellen kirchlichen Situation: Zum einen ist die Kirche von Irrlehren bedroht, womit die Gefahr falscher Verkündigung und Lehre besteht. Zum anderen findet ein Wandel bei der Gemeindeleitung statt, und zwar weg von der Presbyter(ial)verfassung, hin zur Episkopalverfassung. In dem Maße wie sich der Gedanke durchsetzt, dass die Gemeinde nicht von einem kollektiven Leitungsorgan (Ältestenrat oder Bischofskollegium), sondern von einer Einzelperson (Vorsteher/Bischof) geleitet werden soll (Monepiskopat), werden auch zunehmende Befugnisse auf die leitende Einzelperson übertragen. „Paulus“ befürwortet den Wandel hin zur Episkopalverfassung, ist sich aber auch bewusst, dass mit vermehrten Befugnissen auch größere Verantwortung verbunden ist. Er sieht auch durchaus die Gefahr des Amtsmissbrauchs, also die Verwendung des Amtes als Geldquelle oder für die Steigerung des eigenen Ansehens. Auf dem Hintergrund dieser Gefahren wird den Gemeindeleitern – und ganz besonders den Bischöfen – aufgetragen, die rechte Verkündigung und die rechte Lehre und darüber hinaus auch den rechten Lebenswandel voll und ganz zu bewahren. Dies gilt im Hinblick auf die Überlieferungskette, aber auch im Hinblick auf die eigene Amtsdauer. Die Amtsausübung ist nämlich kein unveränderlicher Zustand, sondern Gefährdungen durch Irrlehren und menschliche Schwächen unterworfen. Aber nicht nur das: Es geschieht auch Reifung hinsichtlich der Amtsführung. „Paulus“ will die Gemeindeleiter im Anblick der Gefährdungen stärken und zugleich Reifung bewirken (vgl. 4,15). Sie sollen also „das Gebot“ über die ganze Zeit der Amtsausübung voll und ganz bewahren. Und sie sollen auch dafür sorgen, dass „das Gebot“ weiterhin voll und ganz bewahrt wird, indem sie recht verkündigen und Lehren und nur Personen ins Amt einsetzen, die den Erfordernissen genügen. Die Überlieferungskette muss also weitergehen und auch in Zukunft „das Gebot“ voll und ganz bewahrt werden.


„Timotheus“ soll „das Gebot“ voll und ganz bewahren. „Voll und ganz“ drückt „Paulus“ mit den Begriffen „aspilon“ und „anepilêmpton“ aus. „Aspilon“ bedeutet „rein“, „unbefleckt“, „makellos“ und „anepilêmpton“ bedeutet „tadellos“. „Timotheus“ soll also „das Gebot“ gänzlich unverfälscht bewahren und so in keinster Weise Anlass zum Tadel geben.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.


Weiterführende Literatur: N. Eubank 2012, 144-150 vertritt die These, dass der Verfasser des 1 Tim die Ausdrucksweise des frühjüdischen Testaments Assers (2,8) und der rabbinischen Literatur verwende und mit dem „Gebot“ somit das Geben von Almosen meine. A. Giambrone 2014, 448-465 hält das Testament Assers (2,8) für keine überzeugende Belegstelle. Das „Gebot“ als Ausdruck für das Geben von Almosen habe seinen Ursprung im Kontext des Zweiten Tempels, als rund um die karitativen Gaben eine Art „paralleler Kult“ entstanden sei. Der aussagekräftigste Beleg für die Wohltätigkeit im Rahmen der Befolgung der Tora (vgl. Dtn 26,1-15), wie sie sich im Sinne des „Gebots“ auch in frühchristlicher Zeit erhalten habe, sei die Didache (1,5; 13,5.7).

Laut D. J. Downs 2016, 628-636 handele es sich bei dem Brief an die Philipper des Polykarp von Smyrna um einen wichtigen, aber bisher nicht beachteten Beleg dafür, das sich das „Gebot“ auf das Geben von Almosen bezieht.


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V. 15


Beobachtungen: Das Bewahren soll „bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“ erfolgen. Wann wird denn die Erscheinung – gedacht ist wohl an die Wiederkunft Christi (vgl. 2 Thess 2,8) – erfolgen? V. 15 gibt die Antwort: zur rechten Zeit (kairois idiois; wörtlich: „zu rechten Zeiten“, wobei dem Plural wohl keine besondere Bedeutung zukommt). „Kairos“ bezeichnet die rechte Zeit. Weil der Begriff aber auch einfach nur „Zeit“ bedeuten kann, findet sich noch das verdeutlichende „idios“, das „eigene“ oder „besondere“ bedeutet. Hier ist vermutlich gemeint, dass es der ganz bestimmte, von Gott festgelegte und seinem Willen entsprechende Zeitpunkt ist. Insofern passt die Übersetzung „rechte“. Den Menschen ist verborgen, wann die „rechte Zeit“ bzw. der „rechte Zeitpunkt“ der Erscheinung Jesu Christi ist. Insofern verbietet sich auch die Deutung, dass die Erscheinung noch zu Lebzeiten des „Timotheus“ erfolgt und er „das Gebot“ bis zu diesem Zeitpunkt „unbefleckt und tadellos“ bewahren soll. Vielmehr ist „Timotheus“ ein Glied einer Überlieferungskette. Wenn „Timotheus“ für alle Gemeindeleiter steht, dann beinhaltet der Begriff mehrere Generationen Gemeindeleiter und somit auch eine Mehrzahl Glieder der Überlieferungskette. Insofern ist ausgesagt, dass die Gemeindeleiter über Generationen hinweg so lange „das Gebot“ „unbefleckt und tadellos“ bewahren sollen, bis zur von Gott bestimmten Zeit Jesus Christus erscheint. Weil den Menschen, darunter auch „Paulus“, der Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu Christi unbekannt ist, kann aus der Aussage weder eine Naherwartung noch die Erwartung des langen Ausbleibens der Erscheinung Jesu Christi geschlossen werden.


Nicht Jesus Christus wird als Handelnder dargestellt, sondern Gott. Jesus Christus erscheint nicht selbst, sondern Gott zeigt die Erscheinung. „Paulus“ interessiert weder der genaue Zeitpunkt der Erscheinung Jesu Christi noch deren genauer Ablauf. Vielmehr geht es ihm darum, den Handelnden, Gott, zu charakterisieren. Jesus Christus wird nicht als Akteur dargestellt, sondern als Mittel der Umsetzung des Heilsgeschehens.


In 1 Tim 6,15 wird Gott selbst, nicht ein Mensch, als „selig“ („makarios“) bezeichnet. Für die Seligkeit gibt es stets einen Grund. Welches mag der Grund dafür sein, dass Gott selig ist? 1 Tim 6,15 sagt nicht, welches der Grund ist. In den griechischen Sagen werden Götter als „selig“ bezeichnet, weil sie nicht dem irdischen Leid und der irdischen Vergänglichkeit unterworfen sind. Dieser Grund ist auch in diesem Vers wahrscheinlich. Gott ist also erhaben. Und er ist nicht nur deshalb erhaben, weil er über das leidvolle und vergängliche irdische Dasein erhaben ist, sondern auch weil ihm Ehre und Ruhm zukommen, weil er glanzvoll und herrlich ist.


V. 15 stellt heraus, dass Gott der alleinige Herrscher ist. Diese Aussage wird dadurch unterstrichen, dass nur Gott „König“ („basileus“) und „Herr“ („kyrios“) ist. Er herrscht auch über diejenigen, die als Könige regieren (tôn basileuontôn), und über diejenigen, die die Stellung eines „Herren“ innehaben (tôn kyrieuontôn). Diejenigen, die als Könige regieren, sind keine wahren Könige. Und diejenigen, die die Stellung eines „Herrn“ innehaben, sind keine wahren „Herren“. Sie werden nur von den Menschen als „Könige“ und „Herren“ angesehen und üben die entsprechenden Funktionen aus. Sie haben Untertanen bzw. Klienten/Sklaven unter sich, üben Macht aus und können auch durchaus den Untergebenen Wohltaten erweisen, aber wahres Heil ist von ihnen nicht zu erwarten. Es sind rein irdische Wohltaten. Wenn der Kaiser weder als Gott oder Herrscher noch als Kaiser/König oder Herr dargestellt wird, dann dürfte V. 15 verklausulierte Kritik am Kaiserkult enthalten.

Aus V. 15 geht hervor, dass der Titel „Herr“ nicht dem Gott Israels vorbehalten ist, nicht nur für ihn verwendet wird. Auch Menschen können als „Herr“ bezeichnet werden, sofern sie Untertanen bzw. Klienten/Sklaven unter sich haben, im Rahmen des Abhängigkeitsverhältnisses Wohltaten erweisen bzw. erweisen sollten und möglicherweise sogar vergöttlicht werden. Vergöttlicht wurde – zumeist nach seinem Tode – der Kaiser. Speziell im Osten des Reiches wurden aber auch sonstige Herrscher und auch Feldherren vergöttlicht, gewöhnlich als Antwort auf erwiesene Wohltaten.

Angesichts der Tatsache, dass in V. 14 Jesus Christus als „unser Herr“ bezeichnet wird, kann man zu dem Ergebnis kommen, dass nicht Gott allein „Herr“ ist, sondern auch Jesus Christus. Allerdings haben wir das nicht so zu verstehen, als gäbe es zwei „Herren“, Gott und Jesus Christus, die beide in Konkurrenz zueinander stehen. Vielmehr sind Gott und Jesus Christus nicht streng voneinander zu trennen. Jesus Christus ist vielmehr das Mittel, mit dem Gott als „Herr“ seinen Heilsplan umsetzt. Gott übt als „Herr“ Macht aus und er tut dies durch den „Herrn“ Jesus Christus. Durch den Glauben an das durch Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und den Menschen bewirkte Heilsgeschehen treten wir in den Macht- und Wirkbereich Jesu Christi ein und er wird zu „unserem Herrn“.


Gott allein besitzt Unsterblichkeit. Auch das kann als Spitze gegenüber dem Kaiser verstanden werden, der aufgrund seiner Vergöttlichung für unsterblich gehalten wurde. Gemäß 6,15 ist er aber nicht unsterblich. Unsterblich ist nur Gott (vgl. 1,17, wo Gott als „König der Ewigkeit“ und „unvergänglich“ bezeichnet wird). Genauer: Nur Gott ist Unsterblichkeit eigen, nur er besitzt Unsterblichkeit (echôn athanasian = Unsterblichkeit habend/besitzend). Der unsterbliche Gott kann also über Unsterblichkeit verfügen, sie als Wohltat schenken. Die von Gott geschenkte Unsterblichkeit ist aber stets von ihm abhängig. Aus sich heraus ist kein Lebewesen unsterblich. Das gilt auch für die Christen. Ihnen wird ewiges Leben geschenkt; durch gute Werke, eigene Anstrengung oder Glaube allein kommen sie nicht zum ewigen Leben.


Weiterführende Literatur: W. Eisele 2012, 468-491 spürt in den Pastoralbriefen den Ansatzpunkten für ein spezifisches Verständnis von Zeit und Ewigkeit im Rahmen der universalen Heilsgeschichte nach. Er geht von der Beobachtung aus, dass in den Pastoralbriefen ein Paar von geprägten Zeitbegriffen begegne, das wir so und in dieser Zuordnung seines Wissens nirgendwo anders fänden. Gott handele einerseits „vor ewigen Zeiten“ („pro chronôn aiôniôn“; Tit 1,2; 2 Tim 1,9) und andererseits „zu seinen eigenen Zeiten“ („kairois idiois“; Tit 1,3; 1 Tim 2,6; 1 Tim 6,15). Dies werfe die Frage auf, wie sich die beiden Zeitbestimmungen zueinander verhalten und mit welchen heilsgeschichtlichen Daten sie jeweils verbunden sind. Dabei nähert er sich dem Problem in drei Schritten: Zunächst gelte es, ein allgemeines Verständnis der beiden Zeitbegriffe zu gewinnen, um anschließend nach ihrer Verwendung im konkreten Kontext zu fragen. Im Ergebnis solle schließlich das soteriologische Verhältnis geklärt werden, in welches Zeit und Ewigkeit mittels der beiden spezifischen Zeitbegriffe in den Pastoralbriefen gesetzt werden.


Laut T. Söding 1999, 149-192 sei das Erscheinen Jesu Christi als Retter aller Menschen das Leitmotiv der Pastoralbriefe. In Gott, dem Vater, habe das christologische Heilsgeschehen seinen Ursprung.


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V. 16


Beobachtungen: Was ist mit der Formulierung „der ein unzugängliches Licht bewohnt“ ausgesagt? Zunächst einmal können wir feststellen, dass Gott nicht selbst Licht ist. Vielmehr erscheint das Licht wie eine Wohnung, die Gott bewohnt (oikeô = „wohnen“). Gott ist also von Licht umgeben und Licht ist mit ihm verbunden. Ob es am Licht liegt, dass wir Gott nicht sehen können, ist fraglich. Denn wenn kein Mensch Gott je gesehen hat noch zu sehen vermag, dann ist Gott transzendent, jenseits der Welt, in der die Menschen leben und mit den Augen sehen. Die Transzendenz Gottes ist der Grund dafür, dass kein Mensch Gott je gesehen hat noch zu sehen vermag, nicht das umgebende Licht. Das Sonnenlicht oder sonstiges auf Erden hat wohl nichts mit dem unzugänglichen Licht, in dem Gott wohnt, zu tun. Gott wohnt ja nicht in der Sonne, in einer Kerzenflamme oder sonst einem auf Erden sichtbaren Licht, sondern er wohnt in einem unzugänglichen Licht. Wenn es unzugänglich ist, dann bedeutet das wahrscheinlich nicht nur, dass wir Gott darin nicht sehen können, sondern dass es wie Gott transzendent und daher für unsere Augen nicht sichtbar ist.


Amên“ ist hebräisch und bedeutet „gewiss“. Es ist eine Bekräftigung der Aussage, dass Gott Ehre und ewige Macht sei. Aber wie ist „Ihm sei Ehre und ewige Macht“ zu verstehen? Handelt es sich um eine Aufforderung an uns Menschen, Gott Ehre zu erweisen und ihn für alle Zeiten als mächtig anzusehen? Das schwingt mit, aber es handelt sich nicht um eine Aufforderung im eigentlichen Sinne. Vielmehr handelt es sich um einen Lobpreis (Doxologie). Es wird gepriesen, dass Gott herrlich und machtvoll ist, und zwar ohne zeitliche Begrenzung. Angesichts dieses Wesens Gottes steht ihm Ehre zu. Außerdem ist seine Macht zu erkennen und anzuerkennen. Und weil in V. 15-16 der Aspekt der Herrschaft so im Mittelpunkt steht, dürfte auch anklingen, dass Gott (und speziell auch Jesus Christus) zu dienen ist.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Downs, David J.; Rogan, Wil; Let Us Teach Ourselves First to Follow the Commandment of the Lord (Pol. Phil. 4.1): An Additional Note on "the Commandment" as Almsgiving, NTS 62/4 (2016), 628-636

Eisele, Wilfried; Chronos und Kairos. Zum soteriologischen Verhältnis von Zeit und Ewigkeit in den Pastoralbriefen, EChr 3/4 (2012), 468-491

Eubank, Nathan; Almsgiving in "the Commandment": A Note on 1 Timothy 6.6-19, NTS 58/1 (2012), 144-150

Giambrone, Anthony; According to the Commandment (Did. 1.5): Lexical Reflections on Almsgiving as "The Commandment", NTS 60/4 (2014), 448-465

Hanson, A. T.; The Domestication of Paul: A Study in the Development of Early Christian Theology, BJRL 63/2 (1981), 402-418

Malherbe, Abraham J.; Godliness, Self-Sufficiency, Greed, and the Enjoyment of Wealth. 1 Timothy 6:13-19. Part I, NT 52/4 (2010), 376-405

Malherbe, Abraham J.; Godliness, Self-Sufficiency, Greed, and the Enjoyment of Wealth. 1 Timothy 6:13-19. Part II, NT 53/1 (2011), 73-96

Mihoc, Vasile; The Final Admonition to Timothy (1 Tim 6,3-21), in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 135-152

Neumann, Nils; Kein Gewinn = Gewinn: Die kynisch geprägte Struktur der Argumentation in 1 Tim 6:3-12, NT 51/2 (2009), 127-147

Rhee, Jong Sung; Forming a Man of God (1 Tim 6,11.12), NEAJT 24-25 (1980), 1-5

Silvola, Kalevi; Jeesus todistajana Pastoraalikirjeissä, TAik 90/5 (1985), 390-394

Söding, Thomas; Das Erscheinen des Retters. Zur Christologie der Pastoralbriefe, in: K. Scholtissek [Hrsg.], Christologie in der Paulus-Schule (SBS 181), Stuttgart 1999, 149-192

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