Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Römerbrief

Brief des Paulus an die Römer

Röm 16,1-2

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Röm 16,1-2



Übersetzung


Röm 16,1-2:1 Ich empfehle euch aber unsere Schwester Phöbe, die Diakonin der Gemeinde in Kenchreä ist, 2 dass ihr sie im Herrn aufnehmt, wie es sich für die Heiligen gebührt, und ihr in jeder Angelegenheit, in der sie euch braucht, beisteht. Auch sie ist nämlich vielen Beistand gewesen, auch mir selbst.



( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 1


Beobachtungen: Paulus spricht nach seiner abschließenden Bitte (15,30-33) eine Empfehlung aus. Empfohlen wird den Adressaten Phöbe. Warum die Empfehlung nötig ist, geht aus V. 2 hervor.


Phöbe wird als „unsere Schwester“ bezeichnet. Sie ist also „Schwester“ des Paulus und wohl auch aller Adressaten. Somit ist anzunehmen, dass sie nicht die leibliche Schwester, sondern eine Glaubensschwester ist.

Sie wird als „Diakonin der Gemeinde in Kenchreä“ bezeichnet. „Diakonin“ („diakonos“) ist eine Amtsbezeichnung. Dass Phöbe tatsächlich ein Amt innehat, legt auch die Verbindung der Amtsbezeichnung mit einer Ortsgemeinde, nämlich der Gemeinde von Kenchreä, nahe. Nun stellt sich die Frage, ob es zu Paulus’ Lebzeiten überhaupt schon ausgebildete Ämter gab. Eine erste Verfestigung von Tätigkeiten zu Ämtern geht in den echten Paulusbriefen möglicherweise aus 1 Kor 12,27-31 hervor, wo von Aposteln, Propheten, Lehrern und Wundertätern die Rede ist, die von Gott eingesetzt wurden. Aus diesem Abschnitt zu schließen, dass es sich bei der Diakonin um ein Amt handelte, führt jedoch zu weit. Erstens ist nämlich fraglich, ob „einsetzen“ tatsächlich im Sinne einer Ämtereinsetzung zu verstehen ist, und zweitens ist von Diakoninnen nicht die Rede. Dieser Befund schließt das Vorhandensein eines Diakoninnenamtes jedoch auch nicht aus. In Phil 1,1 werden nämlich neben „Bischöfen“ („episkopoi“) auch Diakone („diakonoi“) genannt. Es ist gut möglich, dass hier fest ausgebildete Ämter im Blick sind. In 1 Tim 3,8-13 wird wohl schon das Diakonenamt thematisiert, allerdings stammt der Erste Timotheusbrief aus einer späteren Zeit als die Paulusbriefe. Für die Annahme, dass „Diakon“ und „Diakonin“ schon früh ein Amt waren, spricht die Tatsache, dass der Diakonie in den Gemeinden eine große Bedeutung zukam. Dass auch Frauen Inhaberinnen des Amtes waren, lässt sich damit begründen, dass es Dienste gab, die speziell Frauen galten, wie z. B. Geburtshilfe und die Pflege von Müttern. Schließlich bleibt noch als Argument für die Deutung von „diakonos“ als „Diakonin“ anzuführen, dass Paulus wohl das Substantiv „diakonia“ („Dienst“) oder das Verb „diakonein“ („dienen“) benutzt hätte, wenn er nur diakonische Tätigkeiten und kein Amt im Blick gehabt hätte.


Kenchreä ist der Name von sechs Ortschaften, wobei hier wohl die wichtigste dieser Ortschaften, eine heute nicht mehr existente, wenige Kilometer östlich von Korinth am Saronischen Golf gelegene kleine Hafenstadt gemeint sein dürfte. Dass die Empfehlung einer Person aus dieser Stadt gilt, ist ein Hinweis darauf, dass Paulus den Römerbrief in der Nähe von Kenchreä, vermutlich in Korinth, verfasst hat.


Weiterführende Literatur: Was die Paulusbriefe betrifft, so sei gemäß P. Arzt-Grabner 2010, 137-142 kein einziger unter ihnen zur Gänze als Empfehlungsbrief zu charakterisieren, doch einige enthielten Abschnitte, die genau dem Briefcorpus von Empfehlungsbriefen entsprechen, und auch die darin empfohlenen Personen könnten entsprechend den allgemeinen brieflichen Konventionen der damaligen Zeit als Überbringer des entsprechenden Paulusbriefes identifiziert werden. Wie die beiden Paulusstellen Röm 16,1-2 und Phil 2,29-30 enthielten auch die meisten auf Papyrus erhaltenen Empfehlungsbriefe die Bitte um grundsätzliche Unterstützung; selbst ausführlicher vorgebrachte Bitten enthielten kaum spezielle Anliegen, sondern ersuchten den Adressaten, den Briefüberbringer bei sich aufzunehmen oder einfach in allem zu unterstützen, was er benötigt.

M. Müller 1997, 214-216 merkt an, dass sich in keinem antiken Empfehlungsbrief der Topos der Empfehlung und zugleich eine solch lange Liste von Grußaufträgen finde.


D. C. Arichea 1988, 401-409 untersucht die Richtigkeit der Thesen, dass Phöbe eine Diakonin, gar die erste Diakonin sei. Tatsächlich sei Phöbe nicht nur ein hilfreiches, aktives Gemeindeglied, sondern habe in der Gemeinde Kenchreäs eine leitende Stellung inne. Auch wenn es sich noch nicht um ein Amt in einer ausgebildeten Kirchenhierarchie handele, so sei die Stellung doch durch ganz bestimmte pastorale und administrative Funktionen im Gemeindeleben gekennzeichnet, zu denen sicherlich auch Seelsorge, Lehre und sogar Mission gehört hätten. In Röm 16,1 würden also die Anfänge einer Entwicklung deutlich, die zur Entwicklung des Amtes der Diakonie geführt hätten, das zusammen mit dem Amt des Bischofs und dem Ältesten zu dem dreifachen Dienst der nachapostolischen Kirche gehört habe. Diese Entwicklung zeige sich deutlich in den Pastoralbriefen.

Aus der Tatsache, dass Phöbe mit dem Maskulinum „diakonos“ bezeichnet wird, gehe laut S. Heine 1987, 97-98 hervor, dass man damals zwischen einem Diakon und einer Diakonisse nicht unterschieden hat.

K. Romaniuk 1990, 132-134 dagegen versteht „diakonos“ nicht als Inhaberin eines diakonischen Amtes, sondern als fromme Frau, die sich mittels verschiedener Arbeiten und Tätigkeiten für die Gemeinde einsetzt. Die Grüße seien in besonderem Maße gefühlsbetont und es fänden sich freundliche Übertreibungen, zu denen die Begriffe „diakonos“ („Diakonin“) in V. 1 und „apostolos“ („Apostel“) in V. 7 gehörten.


R. Jewett 1988, 142-161 vertritt die These, dass Phöbe sich bereit erklärt habe, als Patronin der Spanienmission mit Paulus zusammen zu arbeiten. Weil die Spanienmission nicht in der Art von Paulus‘ bisheriger Strategie habe ablaufen können, sei Phöbe damit einverstanden gewesen, nach Rom zu reisen, während Paulus sich zwecks Kollektenübergabe nach Jerusalem begab. Ihre Aufgabe sei es gewesen, die logistischen Voraussetzungen der Spanienmission zu schaffen. Die Empfehlung der Phöbe seitens des Apostels sei also als Bitte an die römischen Gemeindeglieder zu verstehen, ihr in Belangen des Patronats zu helfen.


G. N. Uzukwu 2009, 779-786 vertritt die Ansicht, dass gemäß Röm 16,1-16 in der römischen Gemeinde das erfüllt sei, was in Gal 3,28 vorhergesagt werde: „Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freien, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.“ Die Namen in Röm 16,1-16 veranschaulichten gut die in 3,22; 5,1 ausgedrückte theologische Botschaft, dass alle Gläubigen durch den Glauben durch Christus gerechtfertigt worden sind. So gebe es zwischen ihnen keine Unterscheidung mehr, denn sie seien alle in Christus und Kinder Gottes (vgl. 1,16; 8,14.16-17.21; 9,26; Gal 3,28).


Laut S. Bieberstein 2008, 92-95 würden in der Grußliste Röm 16,1-16 Frauen in unterschiedlichen verantwortlichen Funktionen sichtbar, die sie offensichtlich mit großer Selbstverständlichkeit ausgeübt hätten und darin von Paulus und anderen vorbehaltlos anerkannt worden seien. So lasse sich diese Liste wie eine Veranschaulichung der Charismenlisten lesen, in denen Paulus die verschiedenen geistgewirkten Gaben zusammenstelle, die er in den Gemeinden erlebe und die für die Gemeinde eingesetzt würden. Würden diese Charismenlisten mit der Grußliste kombiniert gelesen, zeige sich, dass sowohl Männer als auch Frauen Träger und Trägerinnen dieser Geistesgaben sein können, und dass alle diese Gaben sowohl von Frauen als auch von Männern wahrgenommen und verwirklicht werden.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 2


Beobachtungen: Das Empfehlungsschreiben soll bewirken, dass Phöbe gastfreundlich aufgenommen wird. Als Reisende benötigt sie zumindest eine Unterkunft. Weil sie aber bei den Christen in Rom wohl auch eine Aufgabe zu erledigen hat, ist mit „aufnehmen“ wohl auch die Gastfreundschaft im weiteren Sinn zu verstehen: Der Aufenthalt in der fremden Gemeinde soll Phöbe so angenehm wie möglich gemacht werden.

Warum ist Phöbe überhaupt auf Reisen? Sie wird einzig und allein in Röm 16,1-2 erwähnt. Aus diesem Text lässt sich nicht erschließen, dass sie schon nach Rom abgereist ist. Wenn sie sich noch in Kenchreä oder Umgebung befindet, aber in Kürze abreist und als einzige empfohlen wird, dann weist dies darauf hin, dass sie den Brief an die Römer, der fast fertiggestellt ist, überbringen soll. Für eine solche Überbringerfunktion spricht auch die Tatsache, dass nicht die Gemeinde von Kenchreä ein Empfehlungsschreiben ausstellt, sondern Paulus.

Die Formulierung „...und ihr in jeder Angelegenheit, in der sie euch braucht, beisteht“ gehört zu den typischen Formelementen eines Empfehlungsbriefs. Daher lässt sich auch nicht sagen, ob sie tatsächlich auch in anderen Angelegenheiten unterwegs ist und um was für Angelegenheiten es sich handeln könnte. Es geht aus den Worten des Apostels nur hervor, dass sie den Beistand der Adressaten brauchen könnte. Möglich ist es allerdings, von der Bezeichnung Phöbes als „prostatis“ („Patronin“; „Beistand/Fürsorgerin/Beschützerin“) ausgehend Vermutungen über mögliche Tätigkeiten in Rom anzustellen (s. u.)


Wenn Paulus schreibt, dass die Adressaten Phöbe aufnehmen sollen, wie es sich für die „Heiligen“ gebührt, dann ist daraus zu schließen, dass Gastfreundschaft für „Heilige“ typisch ist.

Als „Heilige“ werden im AT (vgl. Ps 16,3; 34,10; Jes 4,3; Dan 7,18-27; 8,24; Tob 8,15) und in der apokryphen Literatur (TestLevi 18,11; TestIss 5,4; TestDan 5,12) die (frommen) Israeliten bezeichnet. Paulus bezieht den Begriff auf die Christen, gleich ob Heiden- oder Judenchristen. Eine mittelalterliche Verengung auf besondere Wundertäter findet sich bei Paulus noch nicht.


„Der Herr“ kann Gott oder Jesus Christus sein. Weil hier Christen eine Christin aufnehmen sollen, dürfte „Herr“ spezifisch christlich zu deuten sein. Vermutlich ist also Jesus Christus im Blick. Ganz auszuschließen ist aber nicht, dass Gott gemeint ist, weil Gott der Vater Jesu Christi ist. Auf jeden Fall handelt es sich bei der Aufnahme „im Herrn“ um Gastfreundschaft unter Christen, wobei die Aufgenommene vermutlich auch in Glaubensangelegenheiten kommt, nämlich um den Brief an die Römer zu überbringen.


Paulus verschafft seiner Mahnung zum Beistand dadurch Nachdruck, dass er den Aspekt der Gegenseitigkeit zur Sprache bringt. Phöbe ist nämlich vielen „prostatis“ gewesen, wobei der Begriff mit „Patronin“ oder allgemeiner mit „Beistand“ oder „Beschützerin/Fürsorgerin“ zu übersetzen ist. Aus ihm geht hervor, dass Phöbe eine einflussreiche und wohl auch wohlhabende Frau ist. Paulus konkretisiert nicht, wem die Hilfe galt, sondern schreibt nur „vielen ..., auch mir selbst“. Offen bleibt auch, worin der Beistand, die Fürsorge oder der Schutz genau bestand. Es ist an finanziellen, rechtlichen oder auch weiteren Beistand bei der Lebensgestaltung zu denken. Diejenigen, denen der Beistand zugute kam, müssen in irgendeiner Form bedürftig gewesen sein. Es muss an Geld, wirtschaftlicher Kraft, sozialen Kontakten und/oder überhaupt an der Fähigkeit gemangelt haben, alleine das Leben zu bestreiten. Da Kenchreä eine Hafenstadt ist, ist wahrscheinlich, dass Reisende Nutznießer der Hilfeleistungen waren. So wäre auch zu erklären, dass auch der reisende Missionar Nutznießer war. Da Korinth eine seiner Hauptwirkungsstätten war, ist zu vermuten, dass er in Korinth oder der näheren Umgebung, zu der Kenchreä gehört, Unterstützung genoss. Als Fremder benötigte er eine Unterkunft und Geld. Als Zeltmacher konnte er die erste Zeit in der Fremde nicht arbeiten, weil es ihm an sozialen und wirtschaftlichen Kontakten fehlte, die für den günstigen Einkauf von Materialien und für den Verkauf der fertigen Produkte erforderlich waren. Phöbe mag ihm als einflussreiche und wohlhabende Frau eine Zeit lang Unterkunft gewährt, Geld gegeben, soziale und wirtschaftliche Kontakte vermittelt und/oder vielleicht auch rechtlichen Beistand gewährt haben. Paulus ist zwar Christ und möglicherweise auch römischer Bürger, doch bleibt offen, ob Phöbes Unterstützung nur Christen und römischen Bürgern galt.

Bezüglich des Begriffs „prostatis“ ist - ähnlich dem Begriff „diakonos“ - unklar, ob nur die fürsorgenden und schützenden Tätigkeiten gemeint sind oder ob das Patronat als soziale Institution im Blick ist. In letzerem Fall wären Phöbe „Patronin“ und die Schutzbefohlenen „Klienten“ gewesen. Die gegenseitige Unterstützung hätte einen verbindlicheren Charakter gehabt, und zwar verbindlicher im sozialen, nicht im rechtlichen Sinn. Ist tatsächlich anzunehmen, dass Paulus sich selbst als Klient der Patronin Phöbe darstellt? Möglich ist auch, dass Paulus bewusst die Bezeichnung für eine soziale Institution benutzt, ohne dass er die soziale Institut tatsächlich im Blick hat. Zu bedenken ist nämlich, dass in den Quellen Menschen männlichen Geschlechts zwar oft als „prostatês“ („Patron“) bezeichnet werden, jedoch nur zweimal Menschen weiblichen Geschlechts als „prostatis“ („Patronin“), nämlich neben Röm 16,2 auch in einem ägyptischen Papyrus des 2. Jh.s v. Chr. Ansonsten ruft man als „prostatis“ nur Göttinnen an oder belegt Abstrakta (Gerechtigkeit, Vernunft) oder Dämoninnen mit diesem Attribut. Bedenkt man darüber hinaus, dass „Phöbe“ auch ein Name der Artemis ist, und zwar mit einem lokalen Bezug zum saronischen Meerbusen, an dem Kenchreä liegt - dieser trug auch die Bezeichnung „limnê phoibaia“ („phöbisches Meer“, „phöbischer Meerbusen“) - und dass Artemis des öfteren als „prostatis“ o. ä. bezeichnet wird, dann könnte die Bezeichnung Phöbes als „prostatis“ folgendermaßen zu deuten sein: Phöbe ist wahrhaft zu dem geworden, was mit ihrem Namen verbunden wird, nämlich zu einer Beschützerin. Sie ist dies aber nicht als Heidin geworden, sondern dadurch, dass sie sich von den heidnischen Göttern abgewandt hat und Christin geworden ist. Bei diesen Anspielungen würde eine gewisse Ironie mitschwingen.


Wenn es sich bei Phöbe um eine einflussreiche und wohlhabende Frau handelt, dann ist gut möglich, dass sie in Rom auch wegen geschäftlicher oder rechtlicher Dinge unterwegs ist und in diesen Dingen der Unterstützung bedarf. Möglich ist auch, dass sie in Rom zu verkündigen beabsichtigt, doch lässt sich dies aus Röm 16,1-2 nicht erschließen. Dass sie trotz ihres Einflusses und Wohlstandes überhaupt der Unterstützung bedarf, mag zum einen damit zusammenhängen, dass sie eine Frau ist, die sich in einer männerdominierten Welt durchsetzen muss, zum anderen damit, dass sie eine Christin ist, die sich in Rom mit den dortigen Christen in einem heidnischen Umfeld befindet.


Aus der Bezeichnung Phöbes als „prostatis“ lässt sich nicht erschließen, welchen Tätigkeiten genau sie als „diakonos“ nachgeht. Es handelt sich um zwei voneinander zu trennende Aufgabenbereiche, die sich allerdings ähneln und auch überschneiden können. Weil hier keinerlei Tätigkeiten aufgezählt werden, lassen sich aus Röm 16,1-2 weder die Aufgabenbereiche selbst noch Ähnlichkeiten oder Überschneidungen der Aufgabenbereiche bestimmen.


Weiterführende Literatur: P. Lampe 1987, 131-135 befasst sich mit der Sprache in Röm 16 und merkt bezüglich des Begriffs „prostatis“ an, dass es sich dabei um einen Latinismus handele. Er deutet die Verwendung des Latinismus so: Paulus, der den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche gewesen sei, werde an dieser Stelle den Römern ein Römer.


U. Wagener 2006, 266-271 findet auffällig, dass der Text in Röm 16,1-2 zwischen maskulinen und femininen Bezeichnungen wechselt. Dass Phöbe der Titel „diakonos“ in maskuliner Form zugesprochen wird, sei gleichheitsandrozentrische Strategie, um zu betonen, dass sie keine spezielle Frauentätigkeit ausführt, sondern in gleicher Weise „diakonos“ ist, wie es ein Mann auch wäre – und wie Paulus selbst es ist. Das Femininum „prostatis“ werde nur in Röm 16,2 und einem ägyptischen Papyrus des 2. Jh.s v. Chr. auf menschliche Frauen angewandt; sonst sei es nur als Epiklese von Göttinnen sowie als Attribut von Abstrakta (Gerechtigkeit, Vernunft) und Dämoninnen belegt (vgl. O. Montevecchi 1987, 205-216). Nach den uns verfügbaren Quellen sei „prostatis“ also kein menschliches, sondern ein göttliches Attribut im Sinne von „Beschützerin“ – oder besser: „Schutzherrin“ – gewesen. Die Übertragung auf eine menschliche Frau müsse schon für die Erstleser überraschend und höchst auffällig gewesen sein. Sie könnte vielleicht durch Phöbes Namen veranlasst sein: „Phoibê“ sei auch ein Name der Artemis, und zwar mit einem lokalen Bezug zum saronischen Meerbusen, an dem Kenchreä liegt: dieser habe auch die Bezeichnung „limnê phoibaia“ getragen. Außerdem werde Artemis in verschiedenen Quellen als „prostatis“ (u. ä.) bezeichnet.

Auch E. Schüssler Fiorenza 1983, 47-48 hält Phöbe für eine in ihrer Gemeinde angesehene Frau.

M. Zappella 1989, 167-171 legt anhand einer seiner Meinung nach zu wenig beachteten lykischen Inschrift aus Solômos dar, dass der Begriff „prostatis“ in 16,2 vermutlich eine Frau meine, die Gastfreundschaft gewährt. So sei in der Inschrift von einer zur Zeit des Kaisers Claudius in Korinth wohnhaften, römischen Gastgeberin – vielleicht Witwe eines römischen Kaufmanns –die Rede.

Angesichts der Bezeichnung der Phöbe als „prostatis“ denkt H.-J. Klauck 1989, 15 daran, dass diese als „Patronin/Vorsteherin“ in ihrem geräumigen Haus die Filialgemeinde von Kenchreä zu Gast hatte.

C. F. Whelan 1993, 67-85 vermutet, dass der Begriff „prostasis“ auf ein Verhältnis gegenseitiger Verpflichtung hinweise, wobei sie insbesondere das Verhältnis zwischen Phöbe und Paulus im Blick hat: Phöbe sei auch Paulus Beistand gewesen; nun sei Paulus mit der Unterstützung an der Reihe. Vermutlich erwidere Paulus die ihm und der Kirche gewährten Wohltaten, indem er Phöbe an seinem Netzwerk an Bekanntschaften teilhaben lässt. Es sei davon auszugehen, dass Paulus darauf aus ist, dass das gegenseitige Unterstützungsverhältnis auch nach seiner Abreise nach Jerusalem und weiter nach Westen andauert. Paulus‘ Aussage, dass Phöbe eine Patronin für viele sei, lasse annehmen, dass er erwartet, dass sie in Zukunft auch Patronin der Epheser wird. Phöbe als Patronin und die Epheser als deren Klienten könnten in Zukunft Paulus‘ Interessen im Osten absichern.



Literaturübersicht


Arichea, Daniel C.; Who was Phoebe? Translating diakonos in Romans 16:1, BiTr 39/4 (1988), 401-409

Arzt-Grabner, Peter; Neues zu Paulusaus den Papyri des römischen Alltags, Early Christianity 1/1 (2010), 131-157

Bieberstein, Sabine; „Töchter Gottes in Christus Jesus“ (Gal 3,26)? Überlegungen zum neutestamentlichen Befund, in: J. Kügler, L. Bormann [Hrsg.], Töchter (Gottes), Münster 2008, 83-100

Ernst, Michael; Die Funktion der Phöbe (Röm 16,1f) in der Gemeinde von Kenchreai, PzB 1/2 (1993), 135-147

Heine, Susanne; Frauen der frühen Christenheit: zur historischen Kritik einer feministischen Theologie, Göttingen – Zürich, 2., durchges. Aufl. 1987

Jewett, Robert; Paul, Phoebe, and the Spanish Mission, in: J. Neusner et al. [eds.], The Social World of Formative Christianity and Judaism, FS H. C. Kee, Philadelphia 1988, 142- 161

Klauck, Hans-Josef; Die Hausgemeinde als Lebensform im Urchristentum, in: H.-J. Klauck [Hrsg.], Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 11-28

Lampe, Peter; Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten: Untersuchungen zur Sozialgeschichte (WUNT II/18), Tübingen 1987

Montevecchi, Orsolina; Phoebe prostatis (Rom 16,2), in: Fundació Salvador Vives Casajuana [ed.], Miscel lania papirològica Ramon Roca-Puig en el seu vuitantè aniversari, a cura de Sebastià Janeras, Barcelona 1987, 205-216

Müller, Markus; Vom Schluß zum Ganzen: Zur Bedeutung des paulinischen Briefkorpusabschlusses (FRLANT 172), Göttingen 1997

Romaniuk, Kazimierz; Was Phoebe in Romans 16,1 a Deaconess?, ZNW 81/1-2 (1990), 132- 134

Schüssler Fiorenza, Elisabeth; In Memory of Her: A Feminist Theological Reconstruction of Christian Origins, London 1983

Uzukwu, Gesila Nneka; The Oneness of the Believers: Studying Rom 16,1-16 in the Light of Gal 3,28, in: U. Schnelle [ed.], The Letter to the Romans (BETL 226), Leuven 2009, 779-787

Wagener, Ulrike; Phoebe, in: M. Keuchen, H. Kuhlmann, H. Schroeter-Wittke [Hrsg.], Die besten Nebenrollen: 50 Porträts biblischer Randfiguren, Leipzig 2006, 266-271

Whelan, C. F.; Amica Pauli: The Role of Phoebe in the Early Church, JSNT 49 (1993), 67-85

Zappella, Marco; A proposito di Febe Prostatis (Rm 16,2), RivBib 37/2 (1989), 167-171


( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )

Werbung: Römerbrief Ein reichlich kühnes Schreiben
Werbung: Die Sünde