Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an Philemon

Phlm 15-20

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phlm 15-20



Übersetzung


Phlm 15-20:15 Vielleicht ist er ja deswegen eine Zeit lang [von dir] getrennt geworden, damit du ihn für immer erhältst - 16 nicht länger als einen Sklaven, sondern mehr als einen Sklaven, als einen geliebten Bruder. [Der ist er] ganz besonders für mich, um wie viel mehr aber für dich sowohl im Fleisch als auch im Herrn. 17 Wenn du also mich zum Genossen hast, nimm ihn auf wie mich. 18 Wenn er dich aber (etwas) geschädigt hat oder dir etwas schuldet, dann stelle mir das in Rechnung! 19 Ich, Paulus, habe eigenhändig geschrieben: Ich werde [es] erstatten – um dir nicht zu sagen, dass du sogar dich selbst mir schuldest. 20 Ja, Bruder, ich möchte deiner froh werden im Herrn. Erquicke mein Herz in Christus!



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V. 15


Beobachtungen: Der Übergang von V. 14 zu V. 15 ist nicht ganz klar: In V. 14 hat Paulus deutlich gemacht, dass er den Sklaven Onesimus nicht ohne das Einverständnis seines Herrn, Philemon, für Hilfsdienste im Rahmen seiner Gefangenschaft bei sich behalten will. In V. 15-20 scheint Paulus besonders an der Bereinigung des Verhältnisses zwischen Philemon und Onesimus gelegen zu sein, weshalb er Philemon deutlich macht, dass die Zeit der Abwesenheit des Onesimus angesichts dessen, was Philemon nach der Trennung erhält, nicht ins Gewicht fällt. Die Bereinigung des Verhältnisses liegt Paulus wohl deswegen am Herzen, weil er die Einheit und enge Verbindung der christlichen Glaubensgemeinschaft für wesentlich hält. Darüber hinaus ist er sich aber auch bewusst, dass Einheit und enge, freundschaftliche Verbindung zwischen ihm, Philemon und Onesimus die Erfüllung des Wunsches erleichtern, dass Philemon ihm den Sklaven für die Hilfsdienste überlässt.


Das Passiv „echôristhê“ gibt am besten die passivische Übersetzung „er ist getrennt worden“ wieder. Von wem er (= Onesimus) von Philemon getrennt worden ist, bleibt dabei offen, doch ist anzunehmen, dass ein „passivum divinum“ vorliegt: Onesimus ist von Gott von Philemon getrennt worden. Möglich ist aber auch die Übersetzung des Passivs mit „er ist getrennt gewesen“.


Tacha“ kann entweder „schnell/sogleich“ oder „vielleicht“ bedeuten. Erstere Bedeutung ist hier unwahrscheinlich, weil Onesimus sicherlich nicht schnell getrennt war oder worden ist. Entscheidet man sich für die Bedeutung „schnell/sogleich“, so ist die passivische Verbform „echôristhê“ nicht mit „er ist getrennt worden“ oder mit „er ist getrennt gewesen“, sondern aktivisch mit „er hat [sich] getrennt / er ist abgereist“ zu übersetzen. Dann wäre Onesimus schnell von Paulus abgereist, damit Philemon ihn für immer erhält. Diese aktive Übersetzung des Passivs ist möglich. Entscheidet man sich dagegen für die Bedeutung „vielleicht“, dann erscheint V. 15 als Überlegung, als Erwägung einer Möglichkeit (vgl. Röm 5,7). Sollte Paulus tatsächlich eine Möglichkeit erwägen, statt eine deutliche dogmatische Aussage zum Hintergrund der Trennung machen, dann würde das auf eine gewisse Unsicherheit des Apostels hinweisen: Auch er kennt nicht die verborgenen Ratschlüsse Gottes. Eine deutliche dogmatische Aussage ist aber auch nicht notwendig, weil schon die Vermutung, dass Gott am Werk gewesen sein könnte, die Ärgernis erregende Trennung des Sklaven von seinem Herrn in einem positiven Licht erscheinen lässt.


Wie lange Onesimus von Philemon getrennt war, bleibt offen. Der Begriff „hôra“ kann mit „Stunde“ oder „Zeit“ übersetzt werden. Die Schätzung der Zeitdauer der Trennung hängt wesentlich davon ab, welchen Ort man als Aufenthaltsort des Paulus und welchen man als Wohnort des Philemon annimmt. Der Aufenthaltsort des Paulus ist zugleich ein Ort der Gefangenschaft, wobei gemäß biblischem Befund mindestens zwei oder drei verschiedene Orte in Frage kommen: Rom, Caesarea und vielleicht auch Ephesus. Darüber hinaus hat es wahrscheinlich auch namentlich nicht genannte Orte der Gefangenschaft gegeben (ausführlich zum Aufenthaltsort des Paulus siehe V. 1). Auch der Wohnort des Philemon ist unbekannt, wobei am ehesten an Kolossä zu denken ist (zum Wohnort des Philemon und der weiteren Adressaten des Briefes siehe V. 2). Beschränkt man sich auf die wahrscheinlichsten Aufenthalts- und Wohnorte, so sind in jedem Fall tausende von Kilometern Entfernung zwischen dem Aufenthaltsort des Paulus und dem Wohnort des Philemon anzunehmen – mit einer Ausnahme: sowohl Ephesus als auch Kolossä, der wahrscheinlichste Wohnort der Adressaten, liegen in der heutigen Türkei, etwa 200 Kilometer voneinander entfernt. Diese vergleichsweise geringe Entfernung spricht für Ephesus als Aufenthaltsort des Paulus. Aber selbst wenn Onesimus nicht Tausende von Kilometern zurückgelegt hat, sondern nur 200 Kilometer, dürfte die Reise über Land einige Tage gedauert haben. Hinzu kommt die Aufenthaltszeit bei Paulus. Auf jeden Fall ist Onesimus länger als ein paar Stunden oder gar nur eine Stunde von Philemon getrennt. Folglich ist „hôra“ in V. 15 als unbestimmte Zeitdauer zu verstehen, nicht als „Stunde“. Allerdings scheint Paulus der Länge der Zeitdauer keine Bedeutung beizumessen, sondern diese vielmehr herunter zu spielen, als habe es sich tatsächlich nur um eine kurze Zeitdauer, ein „Stündchen“, gehandelt.


Dass Philemon seinen Sklaven „für immer“ („aiônion“) zurückerhält, kann sich nicht auf das bisherige Verhältnis zwischen Onesimus und Philemon beziehen, denn nach antikem Verständnis war Onesimus schon vor der Trennung zeitlich unbegrenzt der Sklave seines Herrn, Philemon. Außerdem liegt das Hauptaugenmerk des Apostels Paulus nicht auf dem weltlichen Status „Sklave“, der zu zementieren wäre. Viel mehr Gewicht kommt der Hoffnung zu, dass Onesimus dem Paulus in der Gefangenschaft dienen möge (vgl. V. 12-14).


Das Verb „apechô“ entstammt der Geschäftssprache und bedeutet „ich habe empfangen [und quittiere]“. Dabei wird gewöhnlich der Empfang von Geld bestätigt und quittiert (vgl. Phil 4,18). Der Gebrauch des Verbs in Phlm 15, wo vom Empfang eines Menschen die Rede ist, ist ungewöhnlich. Vielleicht ist er damit zu begründen, dass ein Sklave in der Antike als Sache galt und einen Geldwert besaß, so dass er gekauft und verkauft werden konnte. Mit der Rückkehr des Onesimus erhält Philemon einen Geldwert, einen Teil seines Vermögens zurück. Paulus setzt den Geldwert voraus, doch gibt er ihm kein entscheidendes Gewicht, wie aus V. 16 hervorgeht.


Weiterführende Literatur: Laut P. Arzt-Grabner 2004, 136-140 werde wie in Phlm 15 das Verb „chôrizô“ auch in literarischen und dokumentarischen Quellen im Zusammenhang mit Personen häufig in einer passiven Form verwendet, die dann allerdings in aktiver Bedeutung („weggehen/fortgehen“) aufzufassen sei. Dies gelte insbesondere für zeitgenössische Belege. In Phlm 15 sei die Form „echôristhê“ also in aktiver Bedeutung aufzufassen und nicht – wie traditionell – mit „er wurde getrennt“ zu übersetzen: es gehe um ein „Weggehen“ des Onesimus von Philemon. Durch den Zusatz „pros hôran“ („eine Zeit lang“) werde der zeitliche Rahmen angegeben. Onesimus habe seinen Herrn verlassen, aber nur für eine gewisse, für eine vergleichsweise kurze Zeit.


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V. 16


Beobachtungen: Erst in V. 16 spricht Paulus erstmals über Onesimus als „Sklaven“. Dies weist darauf hin, dass er diesem weltlichen Status keine besondere Bedeutung beimisst, sondern ihn einfach als gegeben hinnimmt.


Dass es Paulus nicht um eine dauerhafte Zementierung des Verhältnisses Sklave – Herr geht, sondern um ein dauerhaftes neues Verhältnis, geht deutlich aus V. 16 hervor. Dieses neue Verhältnis ist geistlich, vom gemeinsamen Glauben bestimmt. Den Fortbestand des weltlichen Sklave – Herr – Verhältnisses zwischen Onesimus und Philemon zweifelt Paulus nicht an, doch ist das Weltliche nicht die entscheidende Dimension. Entscheidend ist vielmehr die Glaubensgemeinschaft, in der alle Gläubigen Brüder und Schwestern und damit gleichrangig sind. Diese geistliche Dimension des Daseins geht über die weltliche Dimension hinaus.

Die enge und herzliche Verbindung zwischen den Glaubensgeschwistern wird noch dadurch betont, dass Paulus Onesimus nicht nur als seinen „Bruder“, sondern als seinen „geliebten Bruder“ bezeichnet. Die Liebe begründet nun ein von Gleichrangigkeit geprägtes Dreiecksverhältnis: Gemäß V. 16 ist Onesimus der „geliebte Bruder“ von Paulus und Philemon. Gemäß V. 1 ist Philemon der „Geliebte“ von Paulus.


Die Innigkeit, die schon die Formulierung „geliebter Bruder“ verdeutlicht, wird noch verstärkt: „ganz besonders für mich, um wie viel mehr aber für dich“. Diese fast schon übertrieben wirkende Verstärkung ist wohl ein rhetorisches Stilmittel, das hier vermutlich dazu dient, die Dringlichkeit der Streitbeilegung hervorzuheben. Unklar ist, warum Onesimus noch mehr für Philemon als für Paulus der „geliebte Bruder“ ist. Möglicherweise liegt hier die in der antiken Rhetorik gebräuchliche Schlussfolgerung a fortiore vor, bei der vom schwerer zu Bewerkstelligende auf das leichter zu Realisierende geschlossen wird. Das schwerer zu Bewerkstelligende ist, dass sich der Apostel und Glaubenslehrer Paulus mit dem neu zum christlichen Glauben gekommenen Onesimus auf eine Stufe stellt. Diese Gleichstellung ist erfolgt, folglich müsste es ein Leichtes sein, dass sich Philemon mit Onesimus auf eine Stufe stellt. Im Glauben hat nämlich Philemon seinem Sklaven wenig voraus, eigentlich nur die längere Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft. Noch ein Punkt könnte die Gleichstellung des Philemon mit Onesimus erleichtern: Philemon ist länger als Paulus dem Onesimus persönlich verbunden. Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass das persönliche Verhältnis zwischen Philemon und Onesimus bisher ein Herr – Sklave – Verhältnis war, was den Übergang zu einem brüderlichen Verhältnis erschwert.


Das neue Verhältnis hat vor der „Flucht“ des Onesimus vom Hause seines Herrn noch nicht bestanden, sondern ist erst mit dem Aufenthalt des Onesimus bei Paulus, durch den er vermutlich zum christlichen Glauben gekommen ist, entstanden (vgl. V. 10). Philemon erhält also Onesimus zurück, allerdings nicht länger als einen Sklaven, sondern mehr noch als einen Sklaven: als Christ. Weil Paulus nicht an einen Abfall vom Glauben denkt, unterstreicht er die Dauerhaftigkeit des neuen Verhältnisses („für immer“; V. 15) und lässt so die Zeit der Trennung des Onesimus von seinem Herrn als kurz und unbedeutend erscheinen. Angesichts der Kürze und geringen Bedeutung der Trennung ist – dies ist wohl die Botschaft an Philemon – Wut über sie geradezu lächerlich. Wenn Wut aber unbegründet ist, dann erleichtert das die Versöhnung des Philemon mit seinem Sklaven.


Der Begriff „sarx“ („Fleisch“) hat bei Paulus oftmals eine negative Färbung, bezeichnet den fleischlichen Aspekt den Leibes, der auch die Vergänglichkeit und die menschlichen Begierden samt der sexuellen Lust umfasst. In V. 16 ist eine solch negative Färbung allerdings nicht zu erkennen. Vielmehr bezeichnet das „im Fleisch“ neben „im Herrn“ einen Bereich, in dem Onesimus dem Paulus und dem Philemon ein geliebter Bruder ist. „Im Fleisch“ steht vermutlich für den menschlichen und „im Herrn“ für den göttlichen Bereich. Beide Bereiche stehen hier wohl nicht im Gegensatz zueinander, sondern ergänzen sich im Sinne der Totalität: Es gibt keinen Bereich des Lebens, in dem Onesimus nicht der geliebte Bruder wäre. Bezieht man „im Fleisch“ nur auf das bruderschaftliche Verhältnis zwischen Philemon und Onesimus, dann kann man auch zu dem Schluss kommen, dass Philemon und Onesimus leibliche Brüder sind. Ein solcher Schluss ist aber schon deswegen nicht wahrscheinlich, weil in V. 16 Onesimus ausdrücklich als „Sklave“ („doulos“) bezeichnet wird, aber Onesimus sicherlich nicht Sklave seines eigenen leiblichen Bruders ist. Außerdem kann sich „im Fleisch“ durchaus auch auf das bruderschaftliche Verhältnis mit Paulus beziehen. Paulus ist aber bestimmt nicht Onesimus‘ leiblicher Bruder – und ganz bestimmt auch nicht zugleich Philemons Bruder.


Weiterführende Literatur: Zur (auch historischen) Diskussion zum bruderschaftlichen Verhältnis zwischen Philemon und Onesimus und zur Frage, ob Onesimus ein entlaufener Sklave ist, siehe A. D. Callahan 1993, 357-376.


C. S. de Vos 2001, 89-105 geht der Frage nach, ob Paulus von Philemon die Freilassung (manumissio) des Sklaven Onesimus verlangt. Ergebnis: Die griechisch-römische Welt sei eine ausgeprägt kollektivistische, autoritäre und patriarchale Gesellschaft gewesen. In dieser habe die Freilassung an sich nicht grundsätzlich das Verhältnis zwischen den (ehemaligen) Sklaven und den (ehemaligen) Herren geändert. Paulus gehe es daher nicht um die Freilassung an sich, sondern um ein geändertes Verhältnis zwischen dem Herrn und dem Sklaven, was eine radikalere Forderung sei.


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V. 17


Beobachtungen: Der Begriff „koinônos“ enthält verschiedene Aspekte: Der geistliche Aspekt geht deutlich aus V. 16 hervor. Demnach ist nicht nur Paulus, sondern auch Onesimus Teilhaber des gleichen Glaubens wie Philemon. Alle drei sind also Glaubensgenossen und als solchen soll Philemon Onesimus, Paulus gleich, aufnehmen. Inwiefern an Onesimus als aktiven Verkündiger des Evangeliums oder als in der Gemeindearbeit Aktiven gedacht ist, ist fraglich. Dass Philemon seinen Sklaven als verkündigenden und in der Gemeindearbeit aktiven Christen aufnehmen soll, kann man aus V. 1 schließen, wonach Philemon ein Mitarbeiter (synergos) des Apostels ist. Die Aktivität bei der Verbreitung und Festigung des christlichen Glaubens ist also ein Gemeinschaftsaspekt. Ein Teilhaber dieser Gemeinschaft könnte auch Onesimus sein, der dann als solcher wie Paulus aufzunehmen wäre. Nun ist der Begriff „koinônos“ aber nicht nur geistlich zu verstehen, sondern auch wirtschaftlich. So bezeichnet er in Papyrusdokumenten den Geschäftspartner, den Teilhaber an einem handwerklichen oder landwirtschaftlichen Betrieb. Mit Blick auf Paulus stellt sich allerdings die Frage, inwiefern Paulus ein Geschäftspartner des Philemon ist. Geht er der gleichen Handarbeit nach – von solcher ist in 1 Kor 4,12 die Rede, wobei Apg 18,3 von der Herstellung von Zelten ausgeht – und ist dabei Geschäftspartner des Apostels? Dies muss offen bleiben, denn über die berufliche Tätigkeit des Philemon finden wir im Philemonbrief keine Informationen. Grundsätzlich ist möglich, dass auch Onesimus als Teilhaber an geschäftlichen Angelegenheiten aufgenommen wird, denn fähige Sklaven können durchaus aufsteigen und Posten in der Gutsverwaltung oder Betriebsführung übernehmen. Als dritter Aspekt neben dem geistlichen und wirtschaftlichen ist schließlich noch an den Aspekt der Freundschaft zu denken. Paulus und Philemon sind nicht nur durch den gleichen Glauben und (vielleicht) durch geschäftliche Beziehungen miteinander verbunden, sondern auch durch Freundschaft. So wie Paulus von Philemon als Freund aufgenommen wird, so soll auch Onesimus als Freund aufgenommen werden.


Das Verb „proslambanô“ („aufnehmen“) ist nicht im Sinne der Aufnahme eines Gesandten zu verstehen, sondern im Sinne einer Aufnahme, die von Akzeptanz und Wertschätzung geprägt ist. Philemon soll Onesimus so in die Hausgemeinschaft (wieder) aufnehmen, als würde er Paulus selbst empfangen.


Weiterführende Literatur: Was die Paulusbriefe betrifft, so sei gemäß P. Arzt-Grabner 2010, 137-142 kein einziger unter ihnen zur Gänze als Empfehlungsbrief zu charakterisieren, doch einige enthielten Abschnitte, die genau dem Briefcorpus von Empfehlungsbriefen entsprechen, und auch die darin empfohlenen Personen könnten entsprechend den allgemeinen brieflichen Konventionen der damaligen Zeit als Überbringer des entsprechenden Paulusbriefes identifiziert werden. Wie die beiden Paulusstellen Röm 16,1-2 und Phil 2,29-30 enthielten auch die meisten auf Papyrus erhaltenen Empfehlungsbriefe die Bitte um grundsätzliche Unterstützung; selbst ausführlicher vorgebrachte Bitten enthielten kaum spezielle Anliegen, sondern ersuchten den Adressaten, den Briefüberbringer bei sich aufzunehmen oder einfach in allem zu unterstützen, was er benötigt. Damit sei zunächst auch Phlm 17 vergleichbar, jedoch sei ein entscheidender Unterschied festzustellen: Der Briefsender Paulus schreibe den Brief nicht zugunsten eines eigenen Sklaven, Familienmitgliedes oder sonstigen Angehörigen seines „Hauses“, sondern es gehe um den Sklaven des Adressaten, für den er bei diesem Fürsprache einlege.


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V. 18


Beobachtungen: Paulus ist sich bewusst, dass ein Schaden, der nicht wieder gut gemacht wird, die Versöhnung erschwert. Er kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass Onesimus den Schaden wieder gut macht, denn er hätte ja schon Wiedergutmachung leisten können statt zu „fliehen“. Überhaupt ist es ja anscheinend erst zu einem Konflikt gekommen, weil Philemon und Onesimus einen Sachverhalt verschieden bewerten: Schaden oder nicht? Von Onesimus verschuldet oder nicht? Die unterschiedliche Bewertung scheint noch nicht aus dem Weg geräumt zu sein und Paulus scheint auch an der Klärung der Schadens- oder Schuldfrage kein besonderes Interesse zu zeigen. Ihm kommt es in erster Linie auf Streitbeilegung an. Um die Streitbeilegung auch ohne einvernehmliche Schadens- und Schuldklärung ermöglichen zu können, bietet er sich in V. 18-19 als Bürge für Onesimus an. Ob Onesimus über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um – den entsprechenden Willen vorausgesetzt – den Schaden begleichen zu können, kommt nicht in den Blick.

Paulus lässt als Bürge die Schadens- und Schuldfrage offen. Die Bewertung der Sachlage überlässt er Philemon, weil dieser sich von Onesimus geschädigt sieht. Nur wenn der (angeblich) Geschädigte zufrieden gestellt ist, kann Versöhnung erfolgen.


Paulus scheint den genauen Sachverhalt des Streitanlasses nicht zu kennen und sich auch nicht um genauere Kenntnis zu bemühen. Er ist sich aber der grundsätzlichen Möglichkeit bewusst, dass Philemon seine Meinung nicht geändert hat und weiterhin Schadenersatz fordert. Diese Forderung soll Philemon aber nicht mehr an Onesimus richten, sondern an Paulus selbst.


Über die Beschaffenheit der (angeblichen) Schädigung lässt sich nicht mehr sagen, als dass sich der Schaden berechnen und in Rechnung stellen (ellogeô) lässt. Auch bleibt offen, was Onesimus seinem Herrn schuldet. Überhaupt ist unklar, ob die beiden Verben „adikeô“ („schädigen / Unrecht tun“) und „opheilô“ („schulden“) zwei verschiedene Arten der Schädigung meinen oder nur zwei verschiedene Ausdrücke für dieselbe Schädigung sind (Hendiadyoin). Der Schaden kann ein finanzieller Schaden aufgrund einer unsachgemäßen Arbeits- oder Verhaltensweise sein, eine Beschädigung von Gegenständen (inkl. Arbeitstiere) oder auch ein Diebstahl, sei es der eines Gegenstandes oder der von Geld. Insbesondere bei dem Verb „opheilô“ ist auch an das Nichtzurückzahlen von geliehenem Geld zu denken.


Weiterführende Literatur: C. J. Martin 1991, 321-337 untersucht die rhetorische Funktion, die der von Paulus u. a. in V. 18 gebrauchten Geschäftssprache zukommt. Paulus versuche alle Einwände gegen die Erfüllung seiner Bitte zu beseitigen. Dazu bringe er alle seine eigenen finanziellen Mittel zu Gunsten des Onesimus ein.


Gemäß G. W. Peterman 1997, 185-192 betrachte Paulus das Evangelium als ein Geschenk, das Verpflichtungen seitens des Empfängers mit sich bringe (vgl. Phlm 17-19; Röm 15,26; Phil 4,15). Die Verpflichtung komme insbesondere dann in den Blick, wenn sich Paulus von ihr einen Nutzen bei der Verbreitung des Evangeliums erhofft. Im Philemonbrief beziehe sich die Verbreitung des Evangeliums auf dessen Entfaltung im Leben seines Empfängers Philemon.


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V. 19


Beobachtungen: Das eigenhändige Schreiben betont, dass es Paulus wirklich ernst ist um das, was er Philemon zusichert. Durch die Eigenhändigkeit eignet sich Paulus ganz praktisch die Zusicherung an: Statt den Brief oder eine Passage des Briefes einem Schreiber zu diktieren, greift er beim eigenhändigen Schreiben selbst zur Feder. Mit dem eigenhändigen Schreiben bekommt das Zugesicherte den Charakter eines Vertrages, der an das sog Cheirographon erinnert. Dabei handelt es sich um den wichtigsten Urkundentyp des privaten Rechts, der am privaten Briefstil orientiert und ab dem 3./2. Jh. weit verbreitet ist. Typisch für das Cheirographon sind die subjektive Formulierung durch den Aussteller und die eigenhändige Niederschrift.


Es lässt sich nicht einwandfrei klären, welche Worte Paulus eigenhändig schreibt. Paulus hat keinen Anlass, die handgeschriebenen Worte genauer zu kennzeichnen, weil der Adressat (oder: die Adressaten) am Wechsel der Schrift erkennen kann, welcher Teil des Briefes von einem Sekretär und welcher von Paulus selbst geschrieben wurde. Dass Paulus das Schreiben als in der Vergangenheit erfolgt darstellt und als Zeitform des Verbs den Aorist wählt (egrapsa), lässt zunächst daran denken, dass sich die von eigener Hand geschriebenen Worte im Vorhergehenden finden. Will man nicht annehmen, dass alles Vorhergehende eigenständig geschrieben und nicht diktiert wurde, dann muss man die eigenhändig geschriebene Passage begrenzen. Dabei fällt die Begrenzung schwer, weil Paulus selbst keine Hinweise auf den Beginn und das Ende des Handgeschriebenen bietet. Daher sind zunächst Aussagen in den Blick zu nehmen, die dem Hinweis auf das Handgeschriebene unmittelbar vorhergehen. Ist V. 18 handgeschrieben? Oder nur das einer Unterschrift entsprechende „ich, Paulus“? Auch andere vorhergehende Aussagen können handgeschrieben sein, doch lässt sich diesbezüglich nichts nachweisen. Die Suche nach dem Handgeschriebenen bleibt aber nicht auf das Vorhergehende beschränkt, denn der Aorist kann durchaus als brieflicher Aorist zu verstehen sein. Damit wären die Worte erst geschrieben, wenn Philemon den Brief in Händen hält. Die von eigener Hand geschriebenen Worte können also durchaus dem Hinweis auf die Eigenhändigkeit folgen. Die am weitesten gehende Möglichkeit, die sowohl das Vorhergehende als auch das Folgende umfasst, ist, dass Paulus den gesamten Brief nicht diktiert, sondern eigenhändig geschrieben hat. Paulus kann aber auch nur Teile des Vorhergehenden und Folgenden per Hand geschrieben haben. Und schließlich ist auch möglich, dass ausschließlich folgende Aussagen handgeschrieben sind. Dabei sind wiederum zunächst diejenigen Aussagen in den Blick zu nehmen, die dem Hinweis auf die Eigenhändigkeit am nächsten stehen. Die unmittelbar folgende Aussage ist „egô apotisô“ („ich werde [es] erstatten“). Inhalt und Satzbau sprechen durchaus für die Handschriftlichkeit konkret dieser Aussage, die die eigentliche Zusicherung ist. Auch Aussagen, die dieser Zusicherung folgen, können handgeschrieben sein, doch bleiben entsprechende Vermutungen rein spekulativ.


Paulus lässt das Recht des Philemon, etwas von Onesimus bzw. ihm selbst zu fordern, nicht für sich stehen, sondern stellt diesem Recht ein eigenes Recht entgegen: Dieses eigene Recht ist eine weiter gehende Forderung, die sich gleich auf den ganzen Menschen bezieht. So schuldet sich Philemon als ganzer Mensch dem Paulus. Was mag der Grund für diese Schuld sein? Weil Paulus theologisch argumentiert, ist an eine Schuld im Rahmen des Glaubens zu denken. Ist Philemon von Paulus getauft worden? Oder hat er ihm indirekt seinen christlichen Glauben zu verdanken, weil ohne die Mission des Apostels der christliche Glaube nicht verbreitet worden wäre und Philemon folglich nicht hätte Christ werden können? Wie auch immer: Wenn die Schuld des Philemon den ganzen Menschen umfasst, also auch das gesamte Verhalten, dann kann die Forderung des Paulus dem Schuldner Philemon gegenüber als Aufforderung verstanden werden, auf die Forderung einer Entschädigung Onesimus oder Paulus gegenüber zu verzichten: Wenn sich nämlich auf Rechten basierende Forderungen gegenüber stehen, dann birgt ein Rechts- und damit auch Forderungsverzicht der einen Seite die Aufforderung an die andere Seite, ebenfalls auf ein Recht und eine Forderung zu verzichten. Paulus hat bezüglich eines Verzichtes auf ein Recht den ersten Schritt gemacht; er hat nämlich darauf verzichtet, als Apostel „in Christus“ von dem Christen Philemon das Gewünschte zu gebieten, und hat sich stattdessen auf das Bitten verlegt (vgl. V. 8-9). Folglich ist eine Entsprechung zu erwarten, nämlich dass der Herr Philemon auf eine mögliche Entschädigungsforderung gegenüber seinem Sklaven Onesimus (oder stellvertretend Paulus) verzichtet.


Weiterführende Literatur: J. A. Weima 1994, 230-236 legt dar, dass unter den Auslegern Uneinigkeit darüber bestehe, wo der Schluss des Philemonbriefes beginnt. J. A. Weima hält einen Beginn mit V. 19 für wahrscheinlich und analysiert die Struktur des von ihm so abgegrenzten Briefschlusses. Der Schluss des Philemonbriefes habe eine stark zusammenfassende und wiederholende Funktion. Paulus bediene sich zwar der gewohnten Schlusskonventionen, doch füge er einige weitere briefliche Formeln hinzu, so dass der Briefschluss besser die Bitte des Briefkorpus‘ wiederhole und verstärke. Philemon solle es geradezu unmöglich gemacht werden, nicht der Bitte seines Freundes Paulus zu entsprechen.


T. J. Kraus 2001, 187-201 versucht anhand von Phlm 19, unter Berücksichtigung des engeren umgebenden Kontextes 17-20, die Relevanz und Effizienz der Nutzbarmachung des Sprachmaterials der dokumentarischen Papyri wie auch literarischer Zeugnisse der Zeit aufzuzeigen. Die semantische Klärung einzelner Lexeme und ihrer Funktion deuteten bereits auf den möglichen juristischen Hintergrund hin, der hier sprachlichen Niederschlag in eben jener Gestalt gefunden habe. Jedoch müssten auch manche Ungenauigkeiten, die in der Diskussion um Phlm 19 stets weiter getragen würden, mit Hilfe des papyrologischen Datenmaterials durch Klärungen und Korrekturen ausgeräumt werden. Ziel der Studie sei letztendlich der Erweis, dass in Phlm 19 eine klar juristische Diktion zu finden ist, die ihre Herkunft aus dem rechtlichen Alltag nimmt und die vom Autor bewusst und zielgerichtet in eben dieser Form verwendet wird.


Laut E. R. Richards 1991, 178-179 leite V. 19 eine Unterschrift in Form einer wiederholenden Zusammenfassung ein. Paulus habe die indirekt durch die Hand eines Sekretärs vermittelten Aussagen überflogen und den wesentlichen Inhalt selbst in prägnanteren, weniger taktvollen Worten wiederholen wollen.


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V. 20


Beobachtungen: Der Verzicht auf ein Recht und auf eine Forderung ist möglich, wenn dem weltlichen Status weniger Gewicht gegeben wird: Der weltliche Status bleibt zwar bestehen – der Apostel bleibt ein Apostel, der Herr ein Herr und der Sklave ein Sklave -, doch in Christus sind alle gleich: Bruder und Schwester im Glauben.


Eigentlich könnte Paulus die Auseinandersetzung zwischen Philemon und Onesimus als eine Angelegenheit abtun, die ihn selbst nicht betrifft. Das macht Paulus aber nicht, sondern er macht sich die Angelegenheit zu eigen. Dabei betont er zunächst seine besondere Beziehung zu Onesimus (vgl. V. 10-14). Er macht sich auf diese Weise die Sache des Onesimus zu eigen. Nun ergreift er aber nicht einseitig für Onesimus Partei, sondern er versucht den Streit zu schlichten. Da er weiß, dass Streitschlichtung nur möglich ist, wenn sich die Streitenden versöhnen, versucht er die besondere Beziehung zwischen Philemon und Onesimus herauszustellen (vgl. V. 15-17). Durch das Erkennen der besonderen Beziehung sollen die beiden – insbesondere der beschuldigende Philemon – zum Frieden bewegt werden. Zusätzlich betont Paulus seine besondere Beziehung zu Philemon und macht sich so dessen Sache zu eigen (vgl. V. 1.4-7.19-20). Paulus versetzt sich also auch in dessen Lage und enthält sich einer Bewertung, ob dessen Sichtweise und mögliche Forderung berechtigt ist oder nicht. Weil er weder der Sichtweise des Onesimus noch der Sichtweise des Philemon die Berechtigung abspricht, muss die Streitlösung mittels einer dritten Person erfolgen: seiner eigenen. Dass er sich der Streitlösung annimmt, macht er durch das wiederholte „Ich/mir“ deutlich (vgl. V. 18-20).


Der Wunsch V. 20 beruht auf dem in V. 5-7 allgemein charakterisierten und gelobten Verhalten. Dabei enthielt schon das Lob V. 7 eine Forderung, die auf die Erfüllung des Wunsches V. 20 abzielt. Die (erhoffte) Erfüllung des Wunsches wiederum stellt eine Bestätigung des in V. 5-7 beschriebenen, lobenswerten Verhaltens dar. Diese Wechselbeziehung geht aus sprachlichen und inhaltlichen Parallelen zwischen V. (5-)7 und V. 20 hervor:

In V. 20 bezeichnet Paulus wie schon in V. 7 Philemon als „Bruder“ (= Glaubensbruder), betont also die Gleichheit im christlichen Glauben.

Ebenso wie in V. 7 spricht Paulus in V. 20 vom „Erquicken der Herzen / des Herzens“ („anapauô ta splanchna“). „Ta splanchna“ („die Herzen / das Herz“) sind genau genommen die Innereien des Menschen, die hier wohl Ausdruck für das Innere des Menschen, für die Empfindungsfähigkeit sind. Weil wir heutzutage im westlichen Kulturkreis an erster Stelle das Herz mit der Empfindung in Verbindung bringen, ist die Übersetzung „Herzen/Herz“ passend. Dabei kann die Mehrzahl „Eingeweide/Innereien“ eine Mehrzahl Herzen – in V. 7 die Herzen der „Heiligen“ – oder ein einziges Herz – in V. 20 konkret dasjenige des Paulus – bezeichnen. Dabei geht es Paulus in V. 20 nicht nur um seine eigene Erquickung, sondern auch um diejenige des Onesimus, denn gemäß V. 12 ist Onesimus das „Herz“ des Paulus. Die Formulierung „mein Herz“ ist also doppeldeutig und unterstreicht die innige Beziehung zwischen Paulus und Onesimus. Wenn Onesimus keine Entschädigungsforderung mehr zu erwarten hat und Philemon vielleicht sogar ganz auf sie verzichtet, so erleichtert das Paulus ebenso wie Onesimus.

Der Optativ „onaimên“ („ich möchte froh werden“) macht deutlich, dass es sich um einen Wunsch handelt, von dem Paulus spricht. Es fällt auf, dass das Verb „oninêmi“ (= „nützen/erfreuen“) bzw. der Optativ „onaimên“ an den Sklavennamen „Onesimus“ (= „der Nützliche“) erinnert. Ob es sich hier um ein beabsichtigtes Wortspiel handelt, oder ob der Verbgebrauch ohne weiteren Hintergedanken erfolgt ist, lässt sich nicht erschließen. Nimmt man ein Wortspiel an, dann könnte ausgesagt sein, dass Philemon für Paulus ein Onesimus „im Herrn“ sein, ihm also als Sklave „im Herrn“ dienen solle. Gleich ob ein Wortspiel vorliegt oder nicht: Offensichtlich ist die inhaltliche Parallele des „froh werden“ zu V. 7, wo Paulus von seiner Freude (chara) wegen Philemons Verhalten spricht.

Paulus thematisiert das Verhalten des Philemon allen „Heiligen“, Onesimus und seiner selbst gegenüber nicht in einem weltlich-ethischen, sondern in einem geistlich-theologischen Rahmen. Es geht nicht darum, wie sich der Mensch und Herr Philemon verhalten soll, damit er zu einem friedlichen Miteinander aller Menschen und zu einem guten Verhältnis zwischen Herr und Sklave beiträgt, sondern es geht um das Verhalten „in Christus“ (V. 20; V. 6: „auf Christus hin“), also im Macht- und Heilsbereich Christi, und um erbauliches Gemeindeleben. Dementsprechend wird auch die Freude „im Herrn (= Gott/Christus)“ verankert.

Liest man V. 20 im Lichte von V. 5-7, so erscheint ein Verzicht auf eine Entschädigungsforderung als Liebeshandeln. In V. 5-7 stellt Paulus die Liebe des Philemon Jesus Christus und allen „Heiligen“ gegenüber heraus. Das Hervorheben der Liebe ist jedoch nicht nur als Lob für vergangenes Handeln, sondern auch als Ermahnung für das weitere Handeln zu verstehen. Paulus erwartet also weiterhin von Philemon liebendes Verhalten. Er erwartet dieses Verhalten gegenüber allen „Heiligen“, also auch dem kürzlich getauften Christen Onesimus gegenüber. Im Hauptteil des Philemonbriefes geht es im Wesentlichen um den Streitfall zwischen Philemon und Onesimus, wobei Paulus Philemon dazu zu bewegen versucht, von Onesimus (und Paulus) keine Entschädigung zu fordern. Verzichtet Philemon auf die Forderung einer Entschädigung, so kann dies als konkretes Liebeshandeln Onesimus (und Paulus) gegenüber verstanden werden.


V. 20 leitet zum Briefschluss über. Inhaltlich gehört der Vers zu V. 8-19, zum Briefkorpus, in dem sich Paulus des Streitfalls zwischen Onesimus und Philemon annimmt. Man kann aber auch V. 20 im Zusammenhang mit V. 21 sehen und als einen den Briefkorpus abschließenden zusammenfassenden Appell verstehen. Formal gesehen besteht auch ein Bezug zu V. 22, denn ebenso wie bei diesem Vers handelt es sich bei V. 20 um eine Ermahnung. Indirekt ist auch V. 21 eine Ermahnung, und zwar die Ermahnung, dass Philemon das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht enttäuschen soll. So können die V. 20-22 als Gesamtheit im Sinne abschließender Ermahnungen dem Schlussteil zugerechnet werden.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Arzt-Grabner, Peter; Onesimus erro. Zur Vorgeschichte des Philemonbriefes, ZNW 95/1-2 (2004), 131-143

Arzt-Grabner, Peter; Neues zu Paulusaus den Papyri des römischen Alltags, Early Christianity 1/1 (2010), 131-157

Callahan, Allen D.; Paul’s Epistle to Philemon: Toward an Alternative argumentum, HTR 86/4 (1993), 357-376

de Vos, Craig S.; Once a Slave, Always a Slave? Slavery, Manumission and Relational Patterns in Paul’s Letter to Philemon, JSNT 82 (2001), 89-105

Kraus, Thomas J.; Eine vertragsrechtliche Verpflichtung in Phlm. 19. Duktus und juristischer Hintergrund, in: J. Frühwald-König u. a. [Hrsg.], Steht nicht geschrieben?, Regensburg 2001, 187-200

Martin, Clarice J.; The Rhetorical Function of Commercial Language in Paul’s Letter to Philemon (Verse 18), in: D. F. Watson [ed.], Persuasive Artistry (JSNT.S 50), Sheffield 1991, 321-337

Peterman, Gerald W.; Paul’s gift from Philippi: Conventions of gift-exchange and Christian giving, Cambridge 1997

Richards, E. Randolph; The Secretary in the Letters of Paul (WUNT II/42), Tübingen 1991

Weima, Jeffrey A.; Neglected Endings: the Significance of the Pauline Letter Closings (JSNT.SS 101), Sheffield 1994


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