Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (9-12)

Die Anfänge der Heidenmission

Apg 9,36-43

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 9,36-43

 

 

Übersetzung

 

Apg 9,36-43:36 In Joppe aber war eine Jüngerin namens Tabitha, was übersetzt "Gazelle“ heißt. Diese war reich an guten Werken und Almosen, die sie tat. 37 Es geschah aber in jenen Tagen, dass sie krank wurde und starb. Man wusch sie und bahrte sie in einem Obergemach auf. 38 Da aber Lydda nahe bei Joppe liegt, sandten die Jünger, als sie hörten, dass Petrus dort sei, zwei Männer zu ihm mit der Bitte: "Zögere nicht, zu uns herüber zu kommen!“ 39 Da machte sich Petrus auf und ging mit ihnen. Als er angekommen war, führte man ihn in das Obergemach. Und alle Witwen traten zu ihm, weinten und zeigten Unter- und Oberkleider, die die "Gazelle“ gemacht hatte, als sie [noch] bei ihnen war. 40 (Der) Petrus aber schickte alle hinaus, kniete nieder und betete. Und zu dem Leichnam gewandt sprach er: "Tabitha, steh auf!“ Da schlug sie ihre Augen auf; und als sie (den) Petrus erblickte, setzte sie sich auf. 41 Er aber reichte ihr [die] Hand und half ihr auf die Füße. Dann rief er die Heiligen und die Witwen und stellte sie [ihnen] lebendig vor. 42 Es wurde aber in ganz Joppe bekannt, und viele kamen zum Glauben an den Herrn. 43 Und es begab sich, dass er einige Tage in Joppe bei einem gewissen Simon, einem Gerber, blieb.

 

 

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V. 36

 

Beobachtungen: Die Auferweckung der Tabitha, die auf die Heilung des gelähmten Äneas (9,32-35) folgt, ist die zweite von zwei Wundergeschichten, die einen vorbereitenden Vorspann zur Bekehrung und Taufe des Kornelius (10,1-11,18) und zur Heidenmission bilden.

 

Joppe, das atl. Jafo, liegt knapp 20 Kilometer nordwestlich von Lydda, dem Schauplatz der ersten Wundergeschichte, am Mittelmeer. Heute heißt die Stadt Jaffa und liegt im Süden des Ballungsgebietes der Großstadt Tel Aviv.

 

Die Bezeichnung "mathêtria“ begegnet im NT nur hier. Sie kann mit "Jüngerin/Anhängerin“ oder "Schülerin“ übersetzt werden. Dabei bleibt jedoch offen, welcher philosophischen oder religiösen, charismatischen Persönlichkeit sie anhing oder von welchem philosophischen oder religiösen Lehrer (oder: Lehrerin) sie lernte. Diogenes Laertius (3. Jh. n. Chr.) bezeichnet in seiner Geschichte der griechischen Philosophie zwei Schülerinnen Platons als "mathêtriai“. In Apg 9,36 lässt die fehlende Konkretisierung jedoch darauf schließen, dass - dem ntl. Gebrauch des Begriffs "mathêtês“ ("Jünger/Schüler“) entsprechend - Tabitha eine Jüngerin/Änhängerin/Schülerin Jesu war. Tabitha war also vermutlich Christin. Weil die Übersetzung "Schülerin“ persönliches Lernen von Jesus annehmen lässt, dieses jedoch nicht aus dem Text zu erschließen ist, ist der Übersetzung "Jüngerin“ Vorzug zu geben.

 

"Tabitha“ ist ein aramäischer Name, der häufig "Tabita“ (statt: Tabitha) transkribiert wird. Weil die Adressaten der Apg wohl des Aramäischen nicht mächtig waren, nannte der Verfasser die griechische Übersetzung des Namens: "Dorkas“. Die Großschreibung weist darauf hin, dass auch die Übersetzung "Dorkas“ als Name verstanden wird. "Dorkas“ bedeutet "Gazelle“.

 

Möglicherweise weist der aramäische Name auf jüdische Herkunft Tabithas hin. Nähe zum Judentum lässt auch die Information annehmen, dass Tabitha "reich an guten Werken und Almosen, die sie tat“ war. Gute Werke und das Geben von Almosen genossen im Judentum hohe Wertschätzung. Tabitha dürfte also eine Jüdin, eine Judenchristin oder eine "Gottesfürchtige“, also eine dem Judentum nahe stehende Heidin, gewesen sein. Dabei setzen die guten Werke und Almosen ein Mindestmaß an Wohlstand voraus.

 

Wo Tabitha in Joppe war, wird nicht gesagt. Ihr genauer Aufenthaltsort innerhalb von Joppe und ihr soziales, geistiges und religiöses Umfeld scheinen keine Rolle zu spielen.

 

Weiterführende Literatur: J. C. Anderson 2004, 22-48 befasst sich von feministischer Warte aus mit verschiedenen Deutungen des Abschnitts 9,36-42 in Vergangenheit und Gegenwart.

 

F. Erichsen-Wendt 2005, 67-90 skizziert zunächst die Forschungsgeschichte zu 9,36-42 und schließt Beobachtungen zum Kontext der Erzählung an. Die weitere Gliederung orientiert sich am Duktus von 9,36-43. Die betonte Verortung der Erzählung in Joppe lasse vermuten, dass der lokale Haftpunkt als kultureller Verstehenshintergrund gelesen werden will. Die Geschichte der Stadt Joppe reiche möglicherweise bis in die Mittelbronzezeit zurück. So sei es nicht verwunderlich, dass sich um sie Mythen und Vorstellungen ranken, deren Wirksamkeit man auch in neutestamentlicher Zeit noch voraussetzen dürfe. In Bezug auf die Tradition der Tabithaerzählung seien dies zum einen der Mythos von Andromeda und Perseus, zum anderen − daran anschließend − die atl. Jona-Erzählung. F. Erichsen-Wendt legt dar, dass Tabitha in überbietungssynkretistischer Weise mit Andromeda verglichen werde. Nicht nur an der Grenze von Leben und Tod, sogar über diese Grenze hinaus werde sie gerettet. Die Bezeichnung Tabithas als "Jüngerin“ nehme vorweg, was im Folgenden näher geschildert wird: ihre tätige Existenz als Christin. Tabithas Name drücke Vitalität und Behendigkeit angesichts bedrohlicher Umweltsituationen aus. Zugleich sei der Name ein Vorverweis darauf, dass das Thema "Leben und Tod“ eine identitätsprägende Funktion für die Protagonistin hat. Und schließlich habe sich Tabitha als "Gerechte“ erwiesen, indem sie Dinge tat, die dem Mangel der Anderen abhalfen. Mittels ihrer "gerechten Werke“, der Anfertigung der Kleider, habe Tabitha die Witwen nicht nur vor Kälte geschützt, sondern auch deren − wie auch ihren eigenen - Status aufgewertet.

Zur Bedeutung des Namens "Tabitha“ siehe auch B. Holtz 1983, 8.

Zur Verortung der Erzählung in Joppe und den daraus resultierenden Bezügen zum Andromeda-Mythos und zu Jona, Petrus und Tabitha siehe auch P. B. Harvey 1994,1-14.

 

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V. 37

 

Beobachtungen: An welcher Krankheit Tabitha starb, wird nicht gesagt. Nicht die Art der Krankheit ist von Bedeutung, sondern ihre Folge, der Tod.

 

Das Waschen und Aufbahren des Leichnams stellte eine Vorbereitung auf das Begräbnis dar. Diese Vorbereitung macht deutlich, dass Tabitha wirklich tot war. Interessanterweise fehlt jedoch die Salbung. Ist die Salbung als Teil der Vorbereitung des Begräbnisses dem Verfasser der Apg unbekannt? Dagegen spricht, dass im Lukasevangelium, das wohl vom gleichen Verfasser wie die Apg stammt, im Zusammenhang mit Jesu Begräbnis von wohlriechenden Ölen die Rede ist (vgl. Lk 24,1). Diese werden der Salbung gedient haben (vgl. Mk 16,1).Wahrscheinlicher ist, dass die Salbung den Adressaten der Apg fremd war und der Verfasser sie deshalb wegließ. Schließlich ist kann es aber auch sein, dass aus irgendeinem Grund der Leichnam Tabithas nicht gesalbt wurde. Der nahe liegendste Grund ist, dass die Salbung aus Kostengründen entfiel. Dass Tabitha nicht arm war, bedeutet nicht automatisch, dass auch die Menschen, die ihren Leichnam für das Begräbnis vorbereiteten, nicht arm waren. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Verstorbene nicht vielleicht ein Vermögen hinterlassen hat, von dem Salböl für ein angemessenes Begräbnis hätte gekauft werden können. Als weiterer Grund kommt infrage, dass der Verfasser der Apg die Qualität des Begräbnisses der Tabitha nicht zu sehr der Qualität des Begräbnisses Jesu angleichen wollte, um die Einzigartigkeit von Jesu Tod und Auferstehung herauszustellen. Aber warum sollte er die Einzigartigkeit herausstellen, wo doch die Auferstehung Tabithas ohne die Auferstehung Jesu kaum zu denken ist und somit ein enger Zusammenhang besteht? Als letzter möglicher Grund ist schließlich noch zu nennen, dass "waschen“ als Oberbegriff für die gesamte Begräbnisvorbereitung samt Salbung verstanden wird.

Wer Tabitha wusch und aufbahrte, wird nicht gesagt. Die Handelnden waren eine nicht genauer bestimmte Mehrzahl von Menschen.

 

Das Vorhandensein (mindestens) eines Obergemachs (hyperôon) setzt ein (mindestens) zweigeschossiges Haus voraus. Dabei bleibt offen, ob dieses Haus der Tabitha oder der Familie oder Verwandten von Tabitha gehörte. Insofern kann aus der Größe des Hauses nicht auf Tabithas Wohlstand geschlossen werden. Die einzige Information, die wir über das Haus haben, ist, dass es in Joppe stand. Die einzige Funktion des Obergemachs in der Erzählung ist, dass es als Ort der Aufbahrung des Leichnams vor dem Begräbnis dient. Vielleicht kam eine Aufbahrung in den anderen Räumen des Hauses nicht infrage, weil sich in diesen das tägliche Leben abspielte. Ob dem Obergemach über die Funktion als Aufbahrungsort hinausgehend eine weitere Bedeutung zukam, lässt sich nicht erschließen. Selbst wenn es sich um den Versammlungsraum einer Hausgemeinde gehandelt haben sollte, was reine Spekulation ist, spielt dies im Rahmen der Erzählung keine Rolle. Auch ein religiöser Grund für die Aufbahrung des Leichnams im Obergemach geht aus dem Text nicht hervor. Eher ist anzunehmen, dass die Erwähnung des Obergemachs mit Blick auf die beiden atl. Totenerweckungserzählungen von Elija und Elischa (1 Kön 17,17-24; 2 Kön 4,19-37) erfolgte, wo auch ein Obergemach Schauplatz des Geschehens ist (vgl. 1 Kön 17,19; 2 Kön 4,10.21).

 

Weiterführende Literatur: J. Smit Sibinga 1988, 242-246 geht der Frage nach, ob das Objekt "autên“ ("sie“) zum ursprünglichen Text gehört oder nicht. Fazit: Vermutlich sei es kein Bestandteil des ursprünglichen Textes, sondern sei vermisst und eingefügt worden.

 

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V. 38

 

Beobachtungen: Die geringe Entfernung zwischen Joppe und Lydda, wo sich Petrus nach der Heilung des Äneas weiterhin befand, ist in zweifacher Hinsicht für den Fortgang der Ereignisse von Bedeutung: Erstens hatte sich über die geringe Entfernung hinweg leicht die Kunde von Petrus' Anwesenheit und von der Heilung des gelähmten Äneas verbreiten können, zweitens ließ sich die Strecke zwischen beiden Städten innerhalb von vier Stunden zu Fuß zurücklegen, so dass der Rückweg noch am selben Tag erfolgen konnte. Man konnte also hoffen, dass Petrus noch am Tage der Entsendung der beiden Gesandten in Joppe eintreffen und zu Tabitha gelangen würde.

 

Die Personen, die die zwei Männer senden, werden als "mathêtai“, was mit "Jünger/Anhänger“ oder "Schüler“ zu übersetzen ist, bezeichnet. Da − wie bei Tabitha − offen bleibt, wessen Jünger/Anhänger oder Schüler sie sind, dürfte es sich bei ihnen wohl um Jünger/Anhänger/Schüler Jesu und somit um Christen handeln. Wie bei Tabitha ist auch bei den Männern kein persönliches Schüler-Lehrer-Verhältnis zu Jesus nachweisbar, weshalb auch diesmal die Übersetzung "Jünger“ passender ist. Tabitha scheint inmitten von Glaubensgenossen gestorben zu sein, die nun aufgewühlt waren.

 

Es fällt auf, dass die beiden Gesandten nicht den Grund ihrer dringlichen Bitte nannten. Somit ist unklar, was sich die beiden Gesandten und die Entsendenden genau von der Anwesenheit des Petrus erhofften. Erhofften sie sich Beistand und Trost oder erhofften sie sich ein Wunder?

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 39

 

Beobachtungen: Petrus folgte den beiden Gesandten ohne jede Nachfrage nach dem Grund für die dringliche Bitte. Auch er scheint seiner Anwesenheit große Bedeutung beigemessen zu haben. Seine Haltung ist als Hilfsbereitschaft zu charakterisieren, ohne dass die Art der Hilfe von Bedeutung wäre. Somit kommen als Art der Hilfe sowohl Beistand und Trost als auch ein Wunder infrage.

 

Fraglich ist, ob die Gesandten dem Petrus auf dem Fußmarsch von Lydda nach Joppe erzählt haben, was vorgefallen war. Dass man Petrus − in Joppe angekommen − sogleich in das Obergemach führte, sagt darüber nichts aus. Es macht nur deutlich, dass man die unmittelbare Nähe des Petrus zur Verstorbenen wünschte. Den Glaubensgenossen der Tabitha reichte also Trost und Beistand ohne die unmittelbare Nähe zur Verstorbenen nicht aus. Wurde Petrus deshalb ins Obergemach zur Verstorbenen geführt, weil er ohne vorherige Information selbst sehen sollte, was vorgefallen war? Oder wollte man, dass er sich von der Richtigkeit des erzählten Geschehens überzeugen konnte? Oder wollte man das Mitgefühl des Petrus mit den Hinterbliebenen steigern und erhoffte sich intensiven Trost und Beistand? Oder erwartete man insgeheim ein Wunder und führte Petrus deshalb so nahe wie möglich an die Verstorbene heran?

 

Im Gegensatz zu V. 37 findet sich in V. 39 "Obergemach“ mit Artikel. So wird verdeutlicht, dass es sich um dasselbe Obergemach wie in V. 37 handelt.

 

Warum wurden Petrus die Unter- und Oberkleider, die Tabitha gemacht hatte, gezeigt? Und warum waren es gerade Witwen, die ihm die Kleider zeigten? Vermutlich besteht ein Zusammenhang zwischen Tabitha, den Kleidern und den Witwen. Gemäß V. 36 war Tabitha "reich an guten Werken und Almosen“. Wie die "guten Werke“ beschaffen waren, wird nicht gesagt. Da liegt es nahe, die Herstellung von Kleidern als "gute Werke“ anzusehen, wobei offen bliebe, ob Tabitha neben der Herstellung der Kleider noch weitere "gute Werke“ getan hat. Nun ist das Verfertigen von Kleidern nur dann als "gutes Werk“ anzusehen, wenn es nicht für Tabitha selbst geschehen ist, sondern für andere Menschen. Bei diesen Menschen ist in erster Linie an Bedürftige zu denken, denen ja auch die Almosen zugute kamen. Als bedürftig galten in der Antike insbesondere auch die Witwen. Insofern ist anzunehmen, dass deshalb Witwen die von Tabitha hergestellten Kleider zeigten, weil diese ihnen selbst geschenkt worden waren. Dass alle Witwen ihm die Kleider zeigten, soll vielleicht verdeutlichen, dass keine Witwe leer ausgegangen war.

 

Auf welche Weise haben die Witwen Petrus die Kleider gezeigt? Sie können diese mit ihren Händen vorgezeigt oder selbst − einer Modenschau ähnlich − getragen haben. Das mediale Partizip "epideiknymenai“ kann "zeigend“ oder "sich zeigend“ bedeuten, womit beide Möglichkeiten infrage kommen. Das Medium muss nicht unbedingt so gedeutet werden, dass sich die Witwen selbst mit den Kleidern zeigten; es kann auch darauf hinweisen, dass den Witwen die Kleider gehörten.

 

Das Weinen und das Zeigen der Kleider sind Bestandteile der Totenklage. Sie können ebenso eine Gefühlsäußerung ohne besonderen Zweck wie auch eine zweckgerichtete Handlung gewesen sein. Als möglicher Zweck kommt am ehesten infrage, dass das Mitgefühl des Petrus erregt werden sollte, indem ihm die gesellschaftliche Bedeutung der Tabitha und ihrer guten Werke und Almosen vor Augen geführt wurden.

 

Es werden zwei Arten von Kleidern genannt, und zwar der "chitôn“, das Unterkleid, und das "himation“, das Oberkleid. Das Unterkleid wurde direkt auf dem Körper getragen und bestand nur aus einem großen, viereckigen Wolltuch (oder: Leinentuch), das an der linken Körperseite gefaltet wurde und geschlossen war, an der rechten Seite jedoch offen blieb und an der Schulter mit einer Heftnadel zusammengehalten wurde (dorische Form). Das Unterkleid konnte aber auch sackartig geschlossen (ionische Form) und hemdartig mit Ärmeln versehen sein. Oftmals wurde das Unterkleid gegürtet getragen. Das Oberkleid wurde über dem Unterkleid getragen und bestand ebenfalls aus einem großen, viereckigen Wolltuch. Dieses wurde um den Körper geschlungen und auch drapiert, wobei ein Arm unbedeckt blieb. Es konnte auch mit einer Heftnadel auf einer Schulter befestigt werden. Frauen zogen das Oberkleid oftmals über ihren Kopf und trugen es als Kopftuch.

 

Weiterführende Literatur: F. S. Spencer 2004, 134-154 hat Frauen in der Apg, die mit der Textilarbeit befasst sind, zum Thema und geht auf S. 143-146 konkret auf Tabitha ein. Die Fürsorge für bedürftige Witwen lasse sie als wohlhabende Patronin erscheinen, jedoch sei zu beachten, dass sie die Kleider nicht aus ihrem eigenen großen Bestand verschenkt, sondern eigens herstellt, was für einen eher niedrigen sozialen Status spreche. Tabitha erscheine zwar als alleinstehende Frau, doch werde sie nicht als "Witwe“ ("chêra“) bezeichnet. Es sei davon auszugehen, dass Tabitha die Kleider außerhalb des Hauses nähte, allerdings wüssten wir nicht, in welcher Menge und unter welchen Umständen dies geschah. Die Annahme von J. M. Arlandson 1997, 143-144, dass sie zusammen mit einem kleinen Team gearbeitet und Kleider in großer Zahl hergestellt habe, von denen ein Teil in den Verkauf gegangen und ein anderer Teil an Bedürftige verschenkt worden sei, hält F. S. Spencer für reine Spekulation. Entscheidend sei in 9,36-43 der religiöse Aspekt der Tätigkeit Tabithas, wobei auffällig sei, dass Lukas Tabitha dem Petrus unterordne und statt vom "Dienst“ von "guten Werken“ spreche.

 

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V. 40

 

Beobachtungen: Dass Petrus nach dem Betreten des Obergemachs gleich alle hinausschickte, zeigt, dass er angesichts der verstorbenen Tabitha Beistand und Trost nicht für angemessen hielt Statt sich mit der gegenwärtigen Lage abzufinden, setzte er auf die heilende, die Wirklichkeit verändernde Kraft Gottes bzw. Jesu Christi.

 

Die maskuline Form "pantas“ ("alle“) beweist, dass sich neben den Witwen auch noch andere Personen im Obergemach aufhielten. Alle diese Personen wurden von Petrus hinausgeschickt.

 

Das Gebet erfolgte auf Knien. Dass Petrus betete, zeigt, dass er auf Gottes bzw. Jesu Christi Wundermacht vertraute, nicht jedoch auf die eigene.

 

Das Hinwenden zum Leichnam machte deutlich, auf wen die Gottes bzw. Christi heilende Kraft gerichtet sein sollte. Durch den Befehl "Tabitha, steh auf!“ wurde die heilende Kraft wirksam. Einige Textzeugen ergänzen "im Namen unseres Herrn Jesus Christus“ und verdeutlichen so, von wem die heilende Kraft kam: von Jesus Christus.

 

Das Verb "anistamai“ bedeutet hier "aufstehen“ im Sinne von "(von den Toten) auferstehen“. An anderen Stellen (Lk 18,33; 24,7.46; Apg 2,24.32; 3,26; 13,33) benutzt der Verfasser der Apg das Verb "anistêmi/anistamai“ hinsichtlich der Auferweckung bzw. Auferstehung Jesu.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 41

 

Beobachtungen: In V. 41 ist das Verb "anistêmi“ nicht mit "auferwecken“ zu übersetzen, denn Tabitha ist bereits von den Toten auferweckt, hat die Augen geöffnet und sitzt aufrecht. In V. 41 ist das Verb so zu verstehen, dass Petrus Tabitha dabei half, sich aufrecht hinzustellen. Das Reichen der Hand hatte den Zweck, dass sich Tabitha an der Hand festhalten und sich von der Bahre (oder: dem Bett) hochziehen konnte. Das aufrechte Stehen war der beste Beweis für die Lebendigkeit der von den Toten auferweckten Tabitha.

 

Das Rufen der "Heiligen“ und der Witwen und das "Vorstellen“ der Tabitha hatte zweierlei Funktion: Erstens konnten die "Heiligen“ und Witwen mit eigenen Augen sehen, dass Tabitha wieder lebendig war, zweitens konnte Tabitha wieder den Lebenden eingegliedert werden.

 

Die "Heiligen“ sind vermutlich mit den "Jüngern“ (vgl. V. 38), in deren Mitte Tabitha gestorben ist, identisch; zumindest gehören sie den "Jüngern“ an. Dies lässt sich daraus erschließen, dass sowohl "Jünger“ als auch "Heilige“ Bezeichnungen für Christen sind. Dass die "Heiligen“ tatsächlich Christen sind, nicht aber Juden oder strenggläubige Juden wie die Essener, geht aus V. 32 in Verbindung mit V. 35 hervor.

Zwar werden die Witwen getrennt von den "Heiligen“ genannt, doch bedeutet dies nicht unbedingt, dass sie keine "Heiligen“ waren. Sie lebten mit den "Heiligen“ in räumlicher Nähe und waren mit Tabitha ebenso verbunden wie die "Heiligen“. Dass sie als eigene Gruppe erscheinen, hängt damit zusammen, dass sie in der Erzählung als Empfängerinnen der Unter- und Oberkleider eine besondere Rolle spielen und eigenständig in Aktion treten.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 42

 

Beobachtungen: Die Aussage von V. 42 ähnelt derjenigen von V. 35: Wie schon die Heilung des gelähmten Äneas zu Bekehrungen zum "Herrn“ geführt hatte, so führte auch das Bekanntwerden der Auferweckung der Tabitha zu Bekehrungen. Allerdings erfolgten die Bekehrungen in geringerer Zahl: zum einen wurden nicht "alle“ bekehrt, sondern nur "viele“, zum anderen erfolgten die Bekehrungen nur in einer Stadt (Joppe) und nicht in einer Stadt (Lydda) und der gesamten Scharonebene. Dass die Bekehrungen über die Stadt Joppe hinausgehend auch anderswo erfolgten, ist unwahrscheinlich, weil das Auferstehungswunder nur in Joppe bekannt geworden war.

Dass weder Bekehrungen der "Heiligen“ noch Bekehrungen der Witwen zur Sprache kommen, obwohl diese am unmittelbarsten mit dem Auferstehungswunder in Kontakt kamen, weist darauf hin, dass sowohl die "Heiligen“ als auch die Witwen bereits Christus anhingen.

 

Weiterführende Literatur: I. Richter Reimer 1992, 55-90 bietet eine feministisch-theologische Exegese der Wundergeschichte 9,36-43. Sie bezeuge die Auferweckung einer Gerechten. Die Auferweckung der Tabitha könne dabei auch als das Ja Gottes zu ihrer jüdisch-christlichen Lebensführung gedeutet werden. Dabei seien zwei Wirkungen dieser Geschichte evident: a) Gott hat durch dieses Wunder Tabitha wieder in den Dienst an den sozial Schwachen eingesetzt. b) Durch das Bekanntwerden dieses Wunders glaubten viele − Männer und Frauen − an Jesus. Auch sie können sich − wie Tabitha − in den Dienst des einen Gottes stellen und durch Gerechtigkeitswerke lebensbringend wirken.

 

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V. 43

 

Beobachtungen: Die eigentliche Wundergeschichte ist mit V. 42 beendet. V. 43 dient als Bindeglied zu Apg 10 und erklärt, wo sich Petrus in der Zeit zwischen der Auferweckung der Tabitha und der Zeit in Cäsarea aufhielt.

 

Wie lange Petrus bei Simon, einem Gerber, blieb, schreibt der Verfasser der Apg nur vage: "einige Tage“. Wie viele Tage es waren, wird nicht präzisiert. So ist die Formulierung wohl im Sinne von "geraume Zeit“ zu verstehen.

 

Der Aufenthalt in Joppe stellt nach Lydda eine weitere Zwischenstation auf dem Wege zum nächsten Aufenthaltsort, Cäsarea, dar, wo sich die Bekehrung und Taufe des Kornelius (10,1-11,18) abspielen wird.

 

Gerber waren bei den Juden schlecht angesehen, galten wegen ihres Umgangs mit Tierkadavern und Exkrementen und wegen des mit dem Gerben verbundenen Gestanks als unrein. Insofern erstaunt es, dass sich der Judenchrist Petrus gerade bei ihm aufhielt. Weist dies darauf hin, dass Petrus religiöse Bestimmungen nicht allzu genau genommen hat? Dass er sie nicht befolgt hat, kann man nicht sagen: Aus 10,4 geht hervor, dass er zumindest die Speisegebote beachtet hat. Vielleicht war Petrus auch einfach nur inkonsequent. Oder V. 43 ist lokales Traditionsgut, das der Verfasser der Apg in den Gesamttext eingebaut hat, ohne darauf zu achten, ob es zu dem Gesamtbild des Petrus passt. Schließlich ist auch möglich, dass Apg 10 vorbereitet wird, denn in diesem Kapitel wird die Notwendigkeit der Befolgung der Speisegebote aufgehoben, was im Hinblick auf die Heidenmission bedeutsam ist.

 

Weiterführende Literatur:

 

 

Literaturübersicht

 

Anderson, Janice Capel; Reading Tabitha: A Feminist Reception History, in: A.-J. Levine [ed.], A Feminist Companion to the Acts of the Apostles (Feminist Companion to the New Testament and Early Christian Writings, 9), London − New York 2004, 22-48

Arlandson, James Malcolm; Women, Class and Society in Early Christianity: Models from Luke-Acts, Peabody, Massachusetts 1997

Erichsen-Wendt, Friederike; Tabitha − Leben an der Grenze. Ein Beitrag zum Verständnis von Apg 9,36-43, BN NF 127 (2005), 67-90

Harvey, Paul B.; The Death of Mythology: The Case of Joppa, JECS 2 (1994), 1-14

Holtz, Bruno; Die Gazelle, Heiliges Land 11/1 (1983), 8

Richter Reimer, Ivoni; Frauen in der Apostelgeschichte des Lukas: eine feministisch- theologische Exegese, Gütersloh 1992

Smit Sibinga, Joost; Acts 9,37 and Other Cases of ellipsis objecti, in: A. F. J. Klijn, T. Baarda [eds.], Text and Testimony: Essays on New Testament and Apocryphal Literature, FS A. F. J. Klijn, Kampen 1988, 242-246

Spencer, F. Scott; Women of "the Cloth“ in Acts: Sewing the Word, in: A.-J. Levine [ed.], A Feminist Companion to the Acts of the Apostles (Feminist Companion to the New Testament and Early Christian Writings, 9), London − New York 2004, 134-154

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