Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (9-12)

Die Anfänge der Heidenmission

Apg 12,18-19

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 12,18-19

 

 

Übersetzung

 

Apg 12,18-19:18 Als es aber Tag geworden war, herrschte unter den Soldaten nicht geringe Aufregung, was wohl mit (dem) Petrus geschehen sei. 19 Herodes aber ließ ihn suchen und fand ihn nicht, verhörte die Wachen und befahl, [sie] abzuführen. Dann ging er von Judäa nach Cäsarea hinab, wo er verweilte.

 

 

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V. 18

 

Beobachtungen: Die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis (12,11-17) hat sich während der Nacht abgespielt, in der Petrus ebenso wie die beiden Soldaten in seiner Zelle und vermutlich auch die Soldaten vor dem Gefängnis geschlafen hatte. Petrus war von dem Engel des "Herrn“ aufgeweckt worden, die Soldaten dagegen hatten weiter geschlafen. Vermutlich sind die Soldaten mit Tagesanbruch wach geworden, haben das Fehlen des Petrus bemerkt und sind darüber in Aufregung geraten. Vermutlich haben die beiden Wachen in der Zelle das Fehlen zuerst bemerkt und die Wachen vor dem Gefängnis aufgeregt benachrichtigt.

Es fällt auf, dass kein Wachwechsel in den Blick kommt, obwohl gemäß 12,4 zur Gewährleistung der Wachsamkeit der Soldaten vier Wachschichten mit je vier Soldaten vorgesehen waren. Für den Fortlauf der Erzählung spielen die Wachwechsel keine Rolle, so dass offen bleibt, ob die Befreiung des Petrus erst bei der letzten Schicht erfolgt ist oder ob die Soldaten den Schichtwechsel versäumt haben. In letzterem Fall wäre zu erwarten gewesen, dass die Soldaten der folgenden Schicht die schlafenden Soldaten aufgeweckt hätten.

 

Weiterführende Literatur: Zur literarischen Struktur von Apg 12,1-19 siehe W. Rakocy 1994, 39-45. Im Text komme V. 5 als dispositio eine Hauptrolle zu. Thematisch gehe es in den V. 1-19 um die Befreiung von Petrus, nicht um die Verfolgung der Christen.

 

Während die um die Geschichte des Frühchristentums bemühte historisch-kritische Exegese mit einem Subtraktionsverfahren alle wunderhaften Elemente der Darstellung des Lukas streiche, um den verbleibenden Rest für ihre historische Konstruktion verwerten zu können, sei Lukas gemäß S. Alkier 1998, 111-134 gerade darum bemüht, mit Hilfe des Wunderdiskurses göttliche und menschliche Geschichte in einer Story unzertrennlich zu verknüpfen. S. Alkier geht dieser Erzählstrategie narrativer Theologie in einer semiotischen Lektüre von Apg 12 nach. Dabei rücke das in den Vordergrund, was Apg 12 sei: ein Text.

 

D. Marguerat 2003, 163-188 befasst sich mit dem intertextuellen Netz, das der Verfasser der Apg im Hinblick auf Apg 12 mittels Zitaten und Anspielungen knüpfe, und deutet Apg 12 auf Grundlage dieses Netzes.

 

Im Rahmen seiner Analyse der Befreiungswunder analysiert J. Hintermaier 2000, 187-240 auch Apg 12. Anhand von Vergleichstexten insbesondere des Lukasevangeliums macht J. Hintermaier deutlich, dass Apg 12 auf der Passion (V. 1-6) und Auferstehung Jesu (V. 12-19) aufbaue. Insbesondere ab V. 6 kämen Elemente des Exodusmotivs hinzu, das für Apg 12 eine zentrale Bedeutung habe. Es handele sich nicht nur um Anspielungen auf den gemeinsamen Zeitpunkt der Befreiung (in jener Nacht, Pascha) oder den Ablauf des Paschafestes, der in den Anordnungen des Engels im Gefängnis anklinge (Hüften gürten, Schuhe an den Füßen, hastig), sondern auch die narrative Struktur (Gefangenschaft, Bitte um Hilfe, Befreiung, Erkenntnis, Weggang, Verfolgung, Bestrafung der Verfolger) sei in der Apg aufgegriffen worden. Zudem fänden sich einzelne Stichwörter, die sowohl in Exodus als auch in Apg 12 von Bedeutung seien (patassô, exagô, kyrios), und die mit den anderen Elementen eine ganze Kette von Zusammenhängen bildeten. Die Aufgliederung in Szenen und die sprachlich-syntaktische und semantische Betrachtung zeigten laut J. Hintermaier die grundsätzliche Einheit der gesamten Perikope 12,1-23 auf, auch wenn in der Begründung des Straftodes ein Bruch festzustellen sei.

Auch W. Radl 1983, 81-96 weist auf den Bezug der Befreiungswundergeschichte zur Herausführung Israels (Exodus) hin und spricht Parallelen zum Lukasevangelium an. Der entscheidende Gesichtspunkt sei der, dass Petrus wie Jesus von Gott gerettet wird. Sicher nicht aus dem Tod, sondern nur aus dem Gefängnis. Aber seine Einkerkerung, aus der es kein Entkommen gebe, sei gleichbedeutend mit dem Tod. Und im Kontrast zum Tod des Herodes erscheine die Befreiung des Petrus wie eine Rückkehr ins Leben. Über Gott lasse sich aussagen, dass dieser kontinuierlich als Gott des Exodus erscheine. Laut W. Radl solle die Befreiung des Petrus aus der Gewalt des Herodes die Christen ermutigen und die Juden vom Christusglauben überzeugen.

S. R. Garrett 1990, 656-680 vertritt die These, dass Tod, Auferstehung und Himmelfahrt als ein "Exodus“ erschienen, weil Jesus, der "Stärkere“, mittels dieser Ereignisse das Volk aus den Fesseln des Satans befreit habe. Dieser "Exodus“ sei typologisches Vorbild für Petrus' Befreiung aus der Gefangenschaft und den Fall des Tyrannen Herodes.

D. T. N. Parry 1995, 156-164 weist auf den Zusammenhang von Passafest, Auferstehung und Befreiung mit eschatologischen Erwartungen hin.

Zum "Rettungswunder“ Apg 12,1-19(.20-25) siehe auch R. Kratz 1979, 459-473, der gattungs- und literarkritische Überlegungen, eine Gliederung und eine Einzelauslegung bietet.

 

Laut D. Ziegler 2008, 183-187 evoziere Apg 12 die aus dem dionysischen Kontext (vgl. die "Bakchen“ des Euripides) hinreichend bekannten Motive des theomachos, der abrupt einsetzenden (erneuten) Verfolgung, die sogar von einem König (vgl. Pentheus!) initiiert werde, und das Motivrepertoire eines Türöffnungs- und Befreiungswunders, begleitet vom Gebet der Gemeinde. Der Tod des Agrippa werde in einer Weise geschildert, die der antiken Gattung vom Tod des Verfolgers entspricht.

 

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V. 19

 

Beobachtungen: Es ist anzunehmen, dass Herodes − gemeint ist vermutlich König Herodes Agrippa I. (vgl. Beobachtungen zu 12,1) - etwas von der Aufregung unter den Soldaten mitbekommen hat. Fraglich ist jedoch, ob er auch erfahren hat, dass der gefangen genommene Petrus verschwunden ist. Geht man von seiner Unkenntnis aus, so ist das Verb "epizêteô“ mit "verlangen nach“ zu übersetzen. Nimmt man an, dass er vom Verschwinden Kenntnis hatte, so muss die Übersetzung "suchen nach“ oder "suchen lassen nach“ lauten. Die Anmerkung, dass Herodes Petrus nicht (vor)fand, lässt annehmen, dass Herodes Agrippa I. erfahren hatte, dass Petrus nicht mehr im Gefängnis war. Sie setzt nämlich voraus, dass der König selbst Petrus (auf)gesucht hat. Nur dann konnte er ihn (vor)finden bzw. nicht (vor)finden. Eine solche Aktivität wäre jedoch nicht erfolgt, wenn der König nur nach Petrus verlangt hätte. Dann hätten nur die Wachsoldaten Petrus (vor)finden bzw. nicht (vor)finden können. Dem König selbst hätte Petrus nur ausgeliefert werden können. Dass "mê heurôn“ hier mit "[er] wurde ihm nicht ausgeliefert“ oder "[er] konnte ihm nicht ausgeliefert werden“ statt mit "er fand [ihn] nicht“ zu übersetzen ist, ist jedoch unwahrscheinlich.

 

Die beiden aktiven Partizipialformen lassen annehmen, dass Herodes Agrippa I. selbst nach Petrus gesucht, ihn aber nicht gefunden hat. Gemeint ist aber wahrscheinlich, dass Herodes Agrippa I. Petrus suchen ließ, dieser aber nicht gefunden wurde. Die aktiven Partizipialformen machen deutlich, dass Herodes Agrippa I. mit einer Dringlichkeit suchen ließ, als würde er selbst suchen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass er tatsächlich persönlich an der Suche teilgenommen hat.

Offen bleibt, wo die Suche stattgefunden hat: Blieb sie auf das Gefängnis und vielleicht den Gefängnishof beschränkt oder fand sie auch außerhalb des Gefängnisgeländes statt? Weil die Größe des Gefängnisses nicht bekannt ist, lässt sich auch nicht sagen, wie langwierig die dortige Suche war.

 

Nachdem die Suche erfolglos abgeschlossen und die Flucht des Petrus offensichtlich war, versuchte der König herauszufinden, wie es zu der Flucht kommen konnte. Weil die Wachsoldaten keine Erklärung gehabt haben dürften und auch Petrus nicht wieder auffinden konnten, ließ sie der König abführen.

 

Das Abführen der schläfrigen Soldaten geschah sicherlich zu deren Bestrafung, wobei allerdings nicht gesagt wird, wie die Strafe beschaffen war. Wahrscheinlich wurde nach dem römischen Grundsatz verfahren, dass die Wachsoldaten für den Gefangenen zu haften und das diesem zugedachte Schicksal zu erleiden hatten (vgl. Codex Justinianus 9,4,4; vermutlich sind auch Apg 16,27 und 27,42 im Lichte dieses Grundsatzes zu deuten). Nun stellt sich das Problem, dass nicht klar ist, wie Herodes Agrippa I. mit Petrus verfahren wollte: Wollte er ihn öffentlich vor Gericht stellen - bei offenem Prozessausgang − oder wollte er ihn hinrichten lassen (vgl. Beobachtungen zu 12,4.6)? Nur wenn die Hinrichtung geplant war, wäre für die Wachsoldaten die Todesstrafe anzunehmen. Ansonsten wäre die Todesstrafe möglich, aber nicht sicher. Dass die Wachsoldaten zur Hinrichtung abgeführt wurden, verdeutlicht eine Textvariante, die statt des Verbs "apachthênai“ ("abzuführen“) das Verb "apoktanthênai“ ("hinzurichten“) benutzt.

Ob nur die vier bei der Flucht diensthabenden Wachsoldaten verhört und abgeführt wurden oder alle 16 Wachsoldaten der vier Schichten zusammen, bleibt offen.

 

Warum Herodes Agrippa I. die Küstenstadt Cäsarea − genau genommen handelte es sich um Cäsarea Maritima − aufsuchte, wird nicht gesagt. Während des Passafestes war er in Jerusalem anwesend. Residierte er dort oder war er nur nach Jerusalem gekommen, weil angesichts der vielen Pilger die Gefahr von Unruhen bestand und sich diese vor Ort leichter unterdrücken ließen? Die römischen Statthalter der Jahre 6 − 41 n. Chr. haben sich wohl vor allem während der Feste in Jerusalem aufgehalten, ansonsten jedoch in Cäsarea residiert. Herodes Agrippa I. scheint dagegen von Jerusalem aus geherrscht und sich nur zeitweise in Cäsarea aufgehalten zu haben. In der Schrift " Jüdische Altertümer“ ("Antiquitates“) des Josephus wird erwähnt, dass Herodes Agrippa I. im dritten Jahr seiner (seit 41 n. Chr.) währenden Herrschaft über Judäa nach Cäsarea zog, um dort den Festspielen beizuwohnen, die er zu Ehren des Kaisers Claudius durchführen ließ (vgl. Jos. Ant. 19,8,2 § 343). Weil dieser Aufenthalt kurz vor dem Tod des Königs erfolgte, könnte er mit dem in Apg 12,19 erwähnten identisch sein, denn auch die Apg schildert im Nachfolgenden (vgl. 12,20-23) den Tod des Königs.

 

"Judäa“ dürfte in V. 19 eine Gebietsbezeichnung sein. In Judäa lag Jerusalem, wo sich das in Apg 12 geschilderte Geschehen abgespielt hatte. Dass Herodes Agrippa I. von Judäa nach Cäsarea hinabging, lässt sich damit erklären, dass das judäische Bergland samt Jerusalem höher gelegen war als die Hafenstadt Cäsarea in der Küstenebene.

 

Weiterführende Literatur:

 

 

Literaturübersicht

 

Alkier, Stefan; Hinrichtungen und Befreiungen: Wahn − Vision − Wirklichkeit in Apg 12. Skizzen eines semiotischen Lektüreverfahrens und seiner theoretischen Grundlagen, in: S. Alkier u. a. [Hrsg.], Exegese und Methodendiskussion, Tübingen − Basel 1998, 111-134

Garrett, Susan R.; Exodus from Bondage. Luke 9:31 and Acts 12:1-24, CBQ 52/4 (1990), 656-680

Hintermaier, Johann; Die Befreiungswunder in der Apostelgeschichte: motiv- und formkritische Aspekte sowie literarische Funktion der wunderbaren Befreiungen in Apg 5,17-42; 12,1-23; 16,11-40, Rom 2000

Kratz, Reinhard; Rettungswunder: Motiv-, traditions- und formkritische Aufarbeitung einer biblischen Gattung (Europäische Hochschulschriften: Reihe XXIII, Theologie; Bd. 123), Frankfurt a. M. u. a. 1997

Marguerat, Daniel; Un jeu d’échos intertextuels. L’évasion de Pierre et la mort du tyran (Actes 12), in: D. Marguerat [éd.], Quand la bible se raconte, Paris 2003, 163-188

Parry, David T. N.; Release of the Captives: Reflections on Acts 12, in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 156-164

Radl, Walter; Befreiung aus dem Gefängnis. Darstellung eines biblischen Grundthemas in Apg 12, BZ NF 27/1 (1983), 81-96

Rakocy, W.; Struktura literacka Dz Ap 12,1-19, ColT 64/4 (1994), 39-45

Ziegler, Detlef; Dionysos in der Apostelgeschichte − eine intertextuelle Lektüre (Religion und Biographie / Religion and Biography 18), Münster 2008

 

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