Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 1,1-2

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 1,1-2



Übersetzung


Eph 1,1-2 : 1 Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, an die Heiligen, die in Ephesus sind, und Treuen in Christus Jesus. 2 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und [dem] Herrn Jesus Christus.



V. 1


Beobachtungen: Verfasser des Briefes ist gemäß V. 1 der Apostel Paulus. Das bedeutet aber nicht, dass der Brief auch tatsächlich von Paulus verfasst worden ist, denn es kann sich auch um einen falschen Namen (= Pseudonym) handeln. Möglich ist, dass die Nennung des Paulus als angeblicher Verfasser des Briefes der Legitimation und Einordnung der Inhalte des Briefes dient. Wenn jemand anderes als Paulus der Verfasser des Epheserbriefes ist, stellen sich die Fragen: Woher nimmt der Verfasser die Autorität, einen solchen Brief zu schreiben? Und welchem Gedankengut fühlt sich der Verfasser verpflichtet? Der Verfasser kann durchaus ein Amt innegehabt haben oder auch ohne ein Amt eine angesehene Person gewesen sein und dennoch unter falschem Namen (= Pseudonym) geschrieben haben. In der Antike war es durchaus nicht ungewöhnlich, dass man sich unter Verwendung eines falschen Namens eine höhere Autorität verschaffte und zu erkennen gab, wessen Gedankengut das Geschriebene angehörte. Der Verfasser (oder: die Verfasser) hätte seinem Schreiben also so große Bedeutung beigemessen, als sei es von Paulus selbst verfasst worden. Um sicherzustellen, dass seinem Schreiben seitens der Empfänger auch tatsächlich die gewünschte Bedeutung beigemessen wird, hätte er unter falschem Namen geschrieben. So wussten die Empfänger auch gleich, dass der Inhalt dem Gedankengut des Paulus entsprach. Wenn sie den Verfasser kannten, dann dürfte ihnen natürlich klar gewesen, dass es nicht der leibhaftige Paulus war, der ihnen den Brief geschrieben hatte. Es kann sein, dass der leibhaftige Paulus bei der Abfassung des Briefes an die Epheser bereits gestorben war und die Empfänger des Briefes das auch wussten. Sollte Paulus ein falscher Name sein, so ist dies also nicht im Sinne einer Fälschung zu deuten und sicherlich von den Empfängern auch nicht so gedeutet worden.


Paulus hat den Brief nicht als reine Privatperson verfasst, sondern als „Apostel Christi Jesu“. Ein „Apostel“ ist zunächst einmal ein Gesandter, wie sie von Gemeinden geschickt werden. Paulus ist allerdings nicht im Auftrage einer Gemeinde tätig, sondern im direkten Auftrage Jesu Christi. Es war nicht Paulus’ eigener Wille, sich zum „Apostel“ zu ernennen, sondern es war Gottes Wille. Es ist möglich, wenn auch nicht zwingend anzunehmen, dass sich Paulus auf seine in Apg 9,1-9 geschilderte, von einer Audiovision bewirkte Bekehrung vom Christenverfolger zum Christen bezieht. Der Hinweis auf Gottes Willen soll vielleicht Einwände von Kritikern im Hinblick auf Paulus’ Legitimation entkräften.


Bei den „Heiligen“ handelt sich gemäß frühchristlichem Verständnis nicht um besondere Wundertäter, sondern um alle Christen, die durch ihre Taufe geheiligt worden sind und nun ein neues, heiliges und reines Leben führen (sollten).


Die Formulierung "die in Ephesus sind" verortet die Heiligen. Die Stadt Ephesus, im Westen der heutigen Türkei, etwa fünf Kilometer vom Meer entfernt, spielte im Leben des Paulus eine bedeutende Rolle. Wenn man der Apostelgeschichte Glauben schenken kann, so lebte Paulus in Ephesus zwei oder drei Jahre (Apg 19,10; 20,31), wobei er sich in der multikulturellen und multireligiösen Stadt Feinde machte und in mache Turbulenzen geriet (vgl. Apg 19). Von Ephesus aus hat Paulus brieflich mit den Gläubigen in anderen Gemeinden kommuniziert. Mit dem Ersten Korintherbrief ist uns ein sicher in Ephesus verfasster Brief (vgl. 1 Kor 16,8) erhalten geblieben.

Warum benutzt Paulus bzw. der Verfasser des Eph hier nicht den Begriff "ekklêsia" und spricht somit nicht ausdrücklich von einer "Gemeinde"? Gab es in Ephesus keine Gemeinde, in der alle Christen zusammengefasst waren, sondern nur eine Ansammlung von Einzelpersonen christlichen Glaubens? Das ist in einer Großstadt, in der Paulus intensiv gewirkt hat, unwahrscheinlich, zumal wenn man das vermutlich späte Entstehungsdatum des Eph bedenkt. Wahrscheinlicher ist, dass es eine Mehrzahl Hausgemeinden gab, deren Mitglieder Paulus bzw. der Verfasser des Eph in der von ihm gewählten Formulierung zusammengefasst hat. Wenn man davon ausgeht, dass nicht Paulus der Verfasser des Eph ist, kann auch folgende Erklärung herangezogen werden: Der Verfasser des Eph benutzte den Begriff "ekklêsia" nicht im Sinne einer Ortsgemeinde, sondern nur im Sinne der ganzen Kirche.


Es ist fraglich, ob die Verortung der Heiligen "in Ephesus" ("en Ephesô") ursprünglich ist. Die beiden Worte finden sich in der großen Masse der Handschriften. Aber: Drei der ältesten und für die Rekonstruktion des ursprünglichen Textes wichtigsten Handschriften bieten sie nicht. Bei diesen Handschriften handelt es sich um den Papyrus 46, um den Codex Sinaiticus und um den Codex Vaticanus. Ebenfalls bieten die Minuskeln 6 und 1739 späteren Datums die beiden Worte nicht. Einige Kirchenväter kennen diese kürzere Textform und stellen sich bereits die Frage, was denn "an die Heiligen, die sind" bedeuten könnte. Aber auch ohne die Worte "in Ephesus" galt schon seit den frühesten Handschriften der Brief als an die Epheser gerichtet, weil die Überschrift "An [die] Epheser" lautet. Die Überschrift ist also ein weiteres Argument dafür, dass der Brief schon von Anfang an an die Epheser adressiert war. Es gibt auch keine Variante, die andere Adressaten nennt. Genau das wäre zu erwarten, wenn die Worte "in Ephesus" nicht ursprünglich, sondern erst später hinzugefügt worden wären. Denn dann - so eine durchaus plausible Annahme - könnte sich an der Stelle der beiden Worte "in Ephesus" ursprünglich eine Leerstelle befunden haben, in die je nach Bedarf die entsprechenden Empfänger eingetragen werden konnten. Diese Deutung würde auch die seltsame Formulierung "an die Heiligen, die sind" erklären. Gemeint wäre: "an die Heiligen, die ... sind". Und einzutragen wäre: "in Ephesus", "in Hierapolis", "in Smyrna" usw. Eine Leerstelle bezüglich der Adressaten würde durchaus gut zu dem unpersönlichen Charakter des Eph passen. So fehlen persönliche Grüße und persönliche Wendungen und es wird auch kein situationsbezogener Anlass für die Abfassung des deutlich. Der Eph macht vielmehr den Eindruck, als fasse er - auf dem Hintergrund der Theologie des Paulus - die christliche Lehre zusammen. Und eine solche Zusammenfassung könnte sich an alle christlichen Gemeinden gleichermaßen gerichtet haben. Diese Beobachtung führt zu einer anderen Vermutung: Ein (oder mehrere) Schreiber könnte gerade wegen dieses unpersönlichen Charakters des Briefes die Verortung der Adressaten in Ephesus fortgelassen haben, damit sich der Brief unmittelbar an seine Gemeinde richten ließ. So könnte deutlich gemacht worden sein, dass der Brief nicht nur für die Christen in Ephesus relevant ist, sondern auch für die eigene Gemeinde und auch für andere Gemeinden. Aber warum sollte Paulus bzw. der Verfasser des Eph einen Brief mit solch unpersönlichem und allgemeinem Inhalt konkret an die "Heiligen, die in Ephesus sind" geschrieben haben? Angesichts des langen und intensiven Wirkens des Paulus in Ephesus wäre vielmehr ein persönlicher Brief zu erwarten gewesen. Möglich ist, dass Paulus bzw. der Verfasser des Eph sein Schreiben von Anfang an als Rundschreiben konzipiert hatte. So kann es in Ephesus eine Mehrzahl Hausgemeinden gegeben haben, in denen der Eph weitergereicht wurde. Auch können aus dem Dienst des Paulus in Eph heraus um Ephesus herum Gemeinden entstanden sein, die sich Paulus und Ephesus verbunden fühlten.


Der Dativ "pistois" kann mit "Gläubigen" oder mit "Treuen" übersetzt werden. Sicher ist, dass sich "in Christus Jesus" auf "Gläubigen/Treuen" bezieht. Es handelt sich also entweder um "Gläubige in Christus Jesus" oder um "Treue in Christus Jesus". "In Christus Jesus" kann auch auf "die Heiligen" bezogen werden, bei denen es sich dann um "die Heiligen in Christus Jesus" handeln würde. Der Zusatz "in Christus Jesus" ist aber im Hinblick auf "die Heiligen" nicht nötig, weil der Briefinhalt ganz offensichtlich nur an Christen gerichtet ist, nicht aber an Juden, die als Gottesvolk ebenfalls als "Heilige" bezeichnet werden könnten, oder gar an heidnische Heilige, für die man insbesondere heidnische Priester halten könnte. "Die Heiligen" sind zugleich gläubig und "in Christus". Insofern würde die Übersetzung von "pistois en Christô Iêsou" mit "Gläubigen in Christus Jesus" eine Wiederholung ohne Gedankenfortschritt darstellen. Folglich ist diese Übersetzung wohl nicht die richtige. Stattdessen ist "pistois en Christô Iêsou" mit "Treue in Christus Jesus" zu übersetzen. Es handelt sich bei den "Treuen in Christus Jesus" wohl nicht um eine zweite Menschengruppe neben den "Heiligen", sondern die Christen in Ephesus werden zugleich als "Heilige" und als "Treue in Christus Jesus" bezeichnet. Vermutlich ist mit der Treue die Standfestigkeit im christlichen Glauben gemeint.

Der Zusatz „in Christus Jesus“ konkretisiert die Bezeichnung „Treue“ und macht deutlich, dass es sich bei diesen um Christen handelt. „In Christus“ gibt dabei den Macht- und Wirkungsbereich an, in dem sich die Christen befinden: Die Christen befinden sich im Macht- und Wirkungsbereich Jesu Christi (= Christi Jesu), ihres „Herrn“, an dem sie ihr Leben ausrichten und von dem sie ihr Heil erwarten. Möglich ist es auch, "in Christus Jesus" mit "durch Christus Jesus" zu übersetzen. Dann wäre die Treue bzw. Standfestigkeit im christlichen Glauben auf das Wirken Jesu Christi zurückzuführen.


Weiterführende Literatur: E. Best 1979, 29-41 legt dar, dass es in der textkritischen Debatte zu Eph 1,1 bestimmte Ergebnisse gebe, die allgemein von den Exegeten anerkannt seien: a) Paulus ist den Adressaten nicht bekannt oder nicht persönlich bekannt geworden, obwohl die Adressaten über ihn Bescheid wissen (vgl. Eph 1,15; 3,2; 4,20-21); b) der Brief ist nicht an eine ganz bestimmte christliche Gemeinde, sondern an eine größere Gruppe gerichtet (vgl. fehlende persönliche Details); c) der Brief ist nicht an die gesamte Kirche gerichtet, sondern an eine begrenzte Zahl Gemeinden (vgl. 1,15ff; 6,21-22); d) der Brief ist in erster Linie oder sogar ausschließlich an Heidenchristen geschrieben (vgl. 2,11ff.11ff; 3,1-2; 4,17). Neben diesen "Konstanten" gebe es umstrittene Punkte, "Variablen", wie Verfasserschaft, Absicht und Wesen (echter Brief oder in die Form eines Briefes gegossene Meditation, Andacht, Abhandlung oder Predigt?). Eine über den Eph hinausgehende "Variable" sei eine mögliche Identifikation mit dem in Kol 4,16 erwähnten Brief ("aus Laodizea"). E. Best bietet nun eine textkritische Abhandlung zu Eph 1,1, wobei er von verschiedenen Thesen bezüglich der umstrittenen Punkte ausgeht und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen untersucht. Ergebnis: Es ließen sich nur wenige Schlussfolgerungen ziehen und kein befriedigendes Ergebnis erzielen. Weiterführend könne jedoch eine noch ausstehende Beantwortung der Frage sein, warum der Brief mit dem Namen "Epheser" versehen worden ist. Dieser Frage geht E. Best 1997, 17-24 nach. Der Inhalt des Briefes lege keine konkreten Adressaten nahe. Die ersten entscheidenden Worte bezüglich der Adressaten seien "die Heiligen". Diese Worte könnten auch außen auf die Briefrolle geschrieben worden sein oder oben auf die Seite, falls die Sammlung der Paulusbriefe zunächst in Form eines Codex erfolgt ist. Später habe man in einer uns unbekannten Gemeinde aus einem uns unbekannten Grund gemeint, dass der Brief eine geographische Bestimmung haben müsse. So sei aus der Bestimmung "an die Heiligen" die längere Formulierung "an die Heiligen, die in Ephesus sind" geworden. Diese geographische Bestimmung habe man vermutlich in der Entstehungszeit des Codex für die Überschrift zu "an [die] Epheser" verkürzt. Die längere Formulierung habe man in den Text eingetragen, wobei der genaue Wortlaut fraglich sei. Auf diese Weise sei die Formulierung des Codex Alexandrinus entstanden, die "... an die Heiligen, die in Ephesus sind, und Treuen..." lautet. Einige Schreiber hätten sich jedoch daran erinnert, dass der Text ursprünglich keine geographische Bestimmung gehabt hat, und hätten den Bezug auf Ephesus ("in Ephesus") fortgelassen und so den Text des Codex Vaticanus geschaffen, der "... an die Heiligen, die sind, und Treuen..." bietet. Der Text des Papyrus 46 schließlich lasse sich mit einer Unachtsamkeit eines Schreibers erklären, der - von den drei auf ois endenden Worten (...hagiois tois ... pistois...) irritiert - das Wort "tois" ("die") ausließ und die Formulierung "... an die seienden Heiligen und Treuen..." (oder: "...an die Heiligen, [die] sind, und Treuen...") schuf.


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V. 2


Beobachtungen: Der Segenswunsch enthält den Wunsch, Gnade und Friede sollten bei den Christen in Ephesus sein. Dabei handelt es sich nicht um die Gnade und den Frieden von Menschen, sondern von Gott, dem Vater, und von dem „Herrn“ Jesus Christus. Mit dem Frieden ist vermutlich kein seelischer Zustand gemeint, aus dem der Friede der Christen untereinander resultiert, sondern das durch Jesus Christus bereinigte Verhältnis zu Gott.


Weiterführende Literatur: Ausführlich widmet sich J. M. Lieu 1985, 161-178 der hellenistischen und orientalischen Grußform. Sie gibt zahlreiche Literaturhinweise und berücksichtigt auch außerbiblische antike Literatur. Sie vertritt die Ansicht, dass Paulus nicht einfach die hellenistische Grußform, sondern auch orientalische Elemente benutze. Eine paulinische Besonderheit sei die Erwähnung der „Gnade“, die in der Septuaginta eine geringe Rolle spiele und erst in der zwischentestamentlichen Literatur als eine göttliche Gabe auftauche. Die Erwähnung sei erst recht in Verbindung mit dem in orientalischen Präskripten gebräuchlichen Begriff „Friede“ ungewöhnlich. J. M. Lieu gibt eine Übersicht über das Vorkommen der Verbindung Gnade - Friede in der neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur und listet die verschiedenen Stellen in einer Tabelle auf S. 171 auf. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Paulus die Eigenheiten zur Betonung des apostolischen Auftrags benutze. Die hohe liturgische Bedeutung und der Gebrauch in der frühchristlichen Literatur zeugten davon, dass manchen frühchristlichen Autoren die Außergewöhnlichkeit und Bedeutung des paulinischen apostolischen Grußes bewusst gewesen sei.



Literaturübersicht


Best, Ernest; Ephesians 1,1, in: Text and Interpretation, FS M. Black, Cambridge 1979, 29-41

Lieu, Judith M.; „Grace to you and Peace“: The Apostolic Greeting, BJRL 68 (1985), 161-178

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