Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 4,7-10

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 4,7-10



Übersetzung


Eph 4,7-10 :7 Einem jeden von uns wurde die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi. 8 Darum heißt es: "Hinaufgestiegen zur Höhe erbeutete er Kriegsgefangene, gab den Menschen Gaben." 9 Das "er stieg auf", was bedeutet es anderes, als dass er auch herabstieg in die Niederungen der Erde? 10 Der herabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er das All erfülle.



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V. 7


Beobachtungen: Nachdem 4,1-6 zur Einheit gemahnt hat, geht 4,7-16 nun auf die Verschiedenheit in der Kirche ein. Die V. 7-10 benennen die Grundlage dieser Verschiedenheit und die V. 11-16 machen Aussagen zum Ziel der Verschiedenheit. Die Verschiedenheit ist im Rahmen der Mahnung zur Einheit zu verstehen, also als Verschiedenheit in der Einheit der Kirche.


V. 7 macht zunächst keine Aussagen dazu, was unter der "Gnade" zu verstehen ist. Dass die Gnade aber hier nicht auf die Sündenvergebung zu beziehen ist, geht aus den folgenden Versen 8-16 hervor, wo es um Befähigungen, um "Ämter" geht.

Diese Befähigungen sind eine Gabe, und zwar eine Gabe Christi. Der Genitiv "Christi" benennt hier nicht das, was gegeben wurde, sondern die Herkunft der Gabe. Es handelt sich also nicht um etwas, was die Gläubigen durch eigene Anstrengung und durch Training erlangt haben. Die Gabe erfolgte nach einem Maß. Der Begriff "Maß" ("metron") enthält wohl zwei verschiedene Aspekte: zum einen den Aspekt der Unterschiedlichkeit der Gaben, zum anderen den Aspekt der unterschiedlichen Menge der Gabe. Es sind also alle Christen von Christus begabt. Sie sind aber nicht alle in gleicher Art und Weise begabt und sie sind auch nicht alle in gleicher Menge begabt.


Weiterführende Literatur: L. M. White 1987, 209-228 verortet die theologischen Vorstellungen und Begriffe Eph 4,1-16 hinsichtlich sozialer Organisation, Leitung und Gemeindeaufbau im Kontext der Hausgemeinden.


Mit der Frage nach dem Wesen des Dienstes gemäß Paulus befasst sich R. Y. K. Fung 1982, 129-146, der auf S. 139-144 auf Eph 4,7-16 eingeht. Paulus spreche mehr vom Dienst im Hinblick auf die Kirche als im Hinblick auf die Welt. Zwar komme der Verkündigung des Evangeliums, die ein direkter Dienst an der Welt sei, große Bedeutung zu, aber dennoch lege Paulus das Hauptgewicht auf den Dienst an der Kirche. Zuerst sei mittels Zurüstung und Gemeindeaufbau die Kirche zur Reife zu führen, bevor diese wirksam ihren einzigartigen Beitrag in der Welt leisten könne.


Auf das Konzept der Kirche als „Leib Christi“ als Schlüsselelement der paulinischen Theologie geht J. L. Breed 1985, 9-32 ein, wobei die biblischen Schlüsseltexte (S. 17-18: Eph 4,1-16) und die Schlüsselbegriffe im Mittelpunkt stehen.


R. Penna 1979, 278-286 legt dar, dass es sich bei der „Gnade“ um die Teilhabe am Dienst für die Heiligen (vgl. 2 Kor 8,4) handele. Und diese sei allen Heiligen (= Christen) von Christus gegeben. Das „Maß“ beziehe sich auf die Verschiedenheit der Dienste. Einige der verschiedenen Dienste würden in Eph 4,11 aufgezählt. Unter ihnen fänden sich grundlegende Dienste und es sei auffällig, dass ein großer Teil der Dienste ein „Dienst am Wort“ sei.


M. Fatehi 2000, 176-180 legt dar, dass 4,7 zwar im Aussagegehalt 3,7 ähnele, allerdings in 4,7 nicht Gott als Gebender erscheine, sondern Christus. 4,11 führe verschiedene konkrete Beispiele der Begabung auf, nämlich verschiedene Ämter, und bringe die beiden Verse enger zusammen. Christus wirke in Bezug auf die Gnadengaben auf gleiche Weise wie Gott, und zwar durch die Kraft des Geistes.


P. W. Gosnell 2000, 135-143 beleuchtet Eph 4,7-16 unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung von Führungsstrukturen in den frühchristlichen Gemeinden. Es werde die Rolle der Lehrer herausgestellt, die die christliche Gemeinschaft zum einen vor „falscher“ Information schützen, zum anderen durch „wahre“ Information stärken sollen. Auf diese Weise würden die gemeinsamen Bande der christlichen Gemeinschaft gestärkt. So stehe sie dann auf einer starken gemeinsamen Grundlage, wenn von einem neuen Konvertiten abwegige Information kommt, und nehme diese nicht so schnell auf. Die Führungsstrukturen seien also nicht autokratisch gedacht, sondern im Sinne des Gemeindeaufbaus. Die Leitungskräfte seien in ihrem Verhalten Vorbilder für die anderen Gemeindeglieder.


D. Rode 2006, 151-160 legt dar, dass der heilige Geist die verschiedenen Geistesgaben so schenke und verteile, dass die Kirche die Einheit wahren kann. Die Einheit sei von Gott bewirkt, er sei ihr Urheber. Paulus (= der Verfasser des Eph) ermahne dazu, die Einheit zu wahren, und zeige, wie Gott Einheit bewirkt und wie die Kirche sie bewahren muss.


Zu Gemeinde und Gemeindeleitung nach Eph 4 siehe C. Böttrich 1999, 137-150. Zu V. 7: Die Verantwortung für die Bewahrung der Einheit und den Aufbau der Gemeinde liege nicht nur bei den Amtsträgern, sondern bei allen Gemeindegliedern. Alle seien dazu durch die Gnade Christi befähigt. Diese Befähigung kenne wohl Unterschiede, die spezielle Aufgaben betreffen. Aber grundlegend verlange die Einheit der Gemeinde das kollegiale und nicht das hierarchische Prinzip.


Laut H. Merklein 1981, 194-210 sei Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 zu verstehen. Genauer sei diese Rezeption als Transformation zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung der Antithetik "irdisch vs himmlisch = christlich" (Kol) zu "heidnisch vs christlich" (Eph) ergebe. Da die Antithetik "heidnisch vs. christlich" nicht nur die Paränese (Eph 4,1-5,20), sondern auch die theologischen Ausführungen (besonders Eph 2,11-22; aber auch Eph 3) des Epheserbriefes beherrsche, sei mit einer einheitlichen Pragmatik des ganzes Briefes zu rechnen. Die dazugehörige Kommunikationssituation lasse sich allerdings nur noch hypothetisch erheben. Manches spreche dafür, dass der Autor des Epheserbriefes sich an ein Heidenchristentum wendet, das aus dem "gesetzesfreien" paulinischen Evangelium falsche Folgerungen gezogen hatte. Die "Emanzipation" der heidenchristlichen Kirche vom Gesetz habe gedroht, die theologisch-heilsgeschichtliche Bindung der Kirche an Israel in Vergessenheit geraten zu lassen, und habe auf sittlichem Gebiet die Gefahr des Rückfalls in heidnisches Leben mit sich gebracht. Von daher erkläre sich sowohl die theologische als auch die paränetische Intention des Epheserbriefes und lasse ihn als einen textpragmatisch einheitlichen Text erscheinen.


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V. 8


Beobachtungen: "Dio legei" ist wörtlich mit "darum/deshalb sagt er/sie" zu übersetzen. Da aber offen ist, wer sagt, und auch nicht auf Gesagtes im engeren Sinne, sondern auf etwas (auch) Geschriebenes hingewiesen wird, ist hier die Übersetzung "darum/deshalb heißt es" vorzuziehen.


Es folgt ein Zitat, wobei offen bleibt, woher es entnommen ist. Es wird nur deutlich, dass die zitierte Aussage aus dem in V. 7 geschilderten Sachverhalt folgt. Das Zitat ist ebenso wie der in V. 7 geschilderte Sachverhalt in der Gegenwart unverändert gültig, wie die präsentische Verbform "legei" deutlich macht.

Das Zitat dürfte Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) entnommen sein. Dort ist davon die Rede, dass der Gott Israels, JHWH zur Höhe hinaufgestiegen ist, Kriegsgefangene erbeutet und unter/von der Menschheit / den Menschen Gaben empfangen hat. Beim genauen Lesen des Verses fallen aber deutliche Unterschiede zu Eph 4,8 auf: Erstens wird in Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) Gott direkt angesprochen: "Du bist zur Höhe hinaufgestiegen, du hast Kriegsgefangene erbeutet und du hast ... Gaben empfangen", in Eph 4,8 dagegen wird über Gott gesprochen. Zweitens hat gemäß Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) Gott empfangen, gemäß Eph 4,8 hat Gott dagegen gegeben. Drittens ist in Eph 4,8 das "unter/von [der] Menschheit / unter/von [den] Menschen" ("en anthrôpô") zu "den Menschen" ("tois anthrôpois") geändert. Diese Änderungen können mit der Textgeschichte, mit Fehlern oder absichtlichen Änderungen erklärt werden.


Wer hat gemäß Eph 4,8 gehandelt? Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) steht in einem Zusammenhang, in dem JHWH als mächtiger Gott gepriesen wird, der sein Volk Israel vor den Feinden behütet. Dabei wird ein Kriegsszenario präsentiert: JHWH hat die Feinde Israels niedergeworfen, Kriegsgefangene erbeutet und ist dann auf den heiligen Berg Zion aufgestiegen. Es ist klar, dass gemäß diesem Psalmvers JHWH, der Gott Israels, gehandelt hat. In Eph 4,8 ist das aber nicht so klar, weil in V. 7 Christus als Gebender und damit Handelnder erscheint. Auch das Aufsteigen in V. 8 erscheint in diesem Lichte gelesen als Handlung Christi. Dabei ist am ehesten an den Aufstieg gen Himmel nach der Auferweckung von den Toten zu denken. Der Himmel bzw. die Himmel wäre(n) demnach die "Höhe", die in Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) eine Bezeichnung für den Berg Zion ist. Die "Höhe" steht zum einen für den Wohnort JHWHs bzw. Christi, zum anderen aber für Erhabenheit, Überlegenheit und Transzendenz.


Wer ist in Eph 4,8 mit den Kriegsgefangenen gemeint? Eph 4,8 setzt kein Kriegsszenario auf Erden voraus, sondern ein überirdisches Kriegsszenario oder ein Kriegsszenario im übertragenen Sinne. Ein Kriegsszenario solcher Art findet sich in Eph 1,21-22, wo davon die Rede ist, dass Gott über alle Macht und Gewalt und Kraft und Herrschaft und über jeden Namen, der genannt wird, nicht nur in diesem Zeitalter, sondern auch in dem kommenden, erhaben ist und alles unter Christi Füße getan hat. In Eph 1,21-22 ist zwar Gott Handelnder, aber Erhabenheit, Überlegenheit und Transzendenz sind Merkmale, die auf Gott und Christus gleichermaßen zutreffen. Insofern können in Eph 4,8 Gott und Christus gleichermaßen Handelnde sein. Folglich kann 4,8 durchaus auf Christus bezogen werden, wobei in Eph 1,21-22 Gott "Kriegsherr" wäre, in 4,8 dagegen Christus. Gemäß 1,22 hätte Gott dem Christus alles unter dessen Füße getan, gemäß 4,8 hätte Christus alles unter seine Füße getan. Die "Kriegsgefangenen" könnten also Mächte, Gewalten, Kräfte und Herrschaften sein, die mit dem Irdischen und/oder Sündigen verbunden sind und/oder nicht zum Heil beitragen. Christus hätte diese Mächte, Gewalten, Kräfte und Herrschaften mit seinem die Sünden der Menschen sühnenden Kreuzestod, mit seiner Auferstehung von den Toten und seiner Erhöhung in den Himmel bzw. in die Himmel überwunden. Er hätte im überirdischen oder übertragenen Sinn einen militärischen Sieg errungen und Kriegsgefangene erbeutet. Christi Triumph wäre letztendlich ein Triumph Gottes, der ja schließlich den Heilsplan, zu dem Christus gehört, ersonnen hat.

Das Kriegsvokabular wird in Eph 6,10-20 wieder aufgenommen, wo es um den geistlichen Kampf des Christen geht, der ja bei dem Triumph Christi bzw. Gottes eine gewichtige Rolle spielt: Der Triumph Christi bzw. Gottes muss sich im Verhalten der Gläubigen widerspiegeln.


Welche Gaben sind gemeint, die Christus (oder: Gott) den Menschen gegeben hat? Der Verfasser des Eph verwendet den Begriff "domata" ("Gaben"), also nicht den in V. 7 benutzten Begriff "dôrea" ("Gabe"). Diese Beobachtung verbietet eine voreilige Gleichsetzung der in V. 8 erwähnten "Gaben" mit der jedem Christen ganz individuell gegebenen "Gnade", der "Gabe Christi". Allerdings ist V. 8 im Lichte des V. 7 zu lesen und im ganzen Abschnitt V. 7-16 geht es um Befähigungen, um "Ämter". Das lässt annehmen, dass der Verfasser des Eph mit den "domata" die Befähigungen, dabei auch die "Ämter", meint. Der Plural macht deutlich, dass es sich um eine Vielzahl Befähigungen und "Ämter" handelt. "Dôrea" ist dagegen ein Singular, der hier das Gewicht auf die Herkunft der Befähigungen und "Ämter" legt, und zwar auf die Herkunft von Christus.


Weiterführende Literatur: R. A. Taylor 1991, 319-336 geht den Fragen nach, wieso Eph 4,8 Ps 68,18 (= 67,19LXX; Ps 68,19 MT) in deutlich abweichender Form zitiert und was die Bedeutung dieser Abweichungen ist. Gewöhnlich hätten die ntl. Autoren das AT aus dem griechischen Text der Septuaginta (LXX) zitiert, weniger aus dem hebräischen Text. Daher sei zunächst zu fragen, ob Eph 4,8 die Textfassung der Septuaginta zitiert. Das sei nicht der Fall. Die griechische Textfassung der Septuaginta entspreche weitgehend dem hebräischen Masoretischen Text (MT) und weiche verschiedentlich von der in Eph 4,8 enthaltenen Textfassung ab. Allerdings gebe es verschiedene Textvarianten. Die lateinischen, koptischen, aramäischen und syrischen Psalmübersetzungen kämen wegen ihrer textlichen Abhängigkeiten, fehlenden Unterschiede gegenüber der Septuaginta oder dem Masoretischen Text, Harmonisierungsbestrebungen oder eigenständigen Deutungen des Ps 68 nicht als direkte Vorlagen von Eph 4,8 infrage. Hat der Verfasser des Eph (Paulus) vielleicht Ps 68 falsch gedeutet und daher V. 18 falsch zitiert? Wahrscheinlicher sei eine Aktualisierung des Ps 68 auf das eigene messianische Zeitalter hin. Liegt Eph 4,8 vielleicht nicht Ps 68,18, sondern ein früher christlicher Hymnus zugrunde? Für eine solche Annahme seien die Bezüge zu Ps 68 zu deutlich. Wurde vielleicht aus dem Gedächtnis zitiert? Zitate aus dem Gedächtnis heraus seien zwar nicht ungewöhnlich, aber für ein Gedächtniszitat seien die Änderungen doch zu offensichtlich und bewusst. Gründet Eph 4,8 vielleicht auf einem Zitat aus einer Sammlung biblischer Texte für die religiöse und biblische Unterweisung? Diese Annahme sei eher unwahrscheinlich. Wollte der Verfasser des Eph eine jüdische Deutung des Ps 68 korrigieren? Das lasse sich aus Eph 4,8 nicht erkennen. Sei es dem Verfasser des Eph bei dem Zitat nicht um wörtliche, sondern um sinngemäße Wiedergabe gegangen? Auch diese Deutung sei nicht ohne Probleme. Haben wir es mit einem deutenden Text nach Art eines jüdischen Midrasch pescher zu tun? Diese Annahme habe etwas für sich, lasse aber offen, von welchen Quellen die Deutung des Verfassers des Eph geprägt ist. Liegt Eph 4,8 eine abweichende Textfassung des Ps 68,18 zugrunde? Dieser Annahme komme die größte Wahrscheinlichkeit zu. Dabei hätten wir nicht unbedingt von einem wörtlichen Zitat auszugehen, sondern es könne deutend sein, und zwar auf Christus hin.

Laut M. Wilcox 1988, 198-199 sei lange bekannt, dass Eph 4,8 Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) in einer Form zitiert, die sowohl vom Masoretischen Text (MT) als auch vom Wortlaut der Septuaginta (LXX) abweicht. In dieser Abweichung entspreche es dem Targum Psalmen. Bei den Worten "edôken domata tois anthrôpois" ("gab den Menschen Gaben") liege auch Übereinstimmung mit der Peschitta, Tertullians Schrift "Gegen Markion (5,8)" und Justins "Dialog mit dem Juden Trypho (87)" vor. Allen diesen Texten liege vermutlich eine gemeinsame, in aramäischer Sprache verfasste Grundlage zugrunde, deren frühestes Zeugnis Eph 4,8 sei.

L. Floor & L. P. Viljoen 2003, 183-201 gehen ebenfalls den Gründen und der Bedeutung der Unterschiede zwischen dem Ps 68,19 im atl. Kontext und Eph 4,8 nach. Auch sie zählen die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten auf und diskutieren diese. Auch sie kommen zu dem Ergebnis, dass Eph 4,8 vermutlich eine Variante von Ps 68,19 zugrunde liege. Diese lasse sich auch dem Targum Psalmen, Midrasch und der Peschitta entnehmen und sei wohl in rabbinischen Kreisen weit verbreitet gewesen. Der Verfasser des Eph habe nach Art eines Midrasch pescher eine traditionelle Lesart des Psalmverses im Rahmen eines neuen Deutungshorizontes übernommen.

S. Scholtus 2010, 171-186 befasst sich mit atl. Zitaten und Anspielungen im Eph, um den Grund für die Aufnahme des Ps 68,18 in Argumentation und Inhalt des Eph herauszufinden. Sie vergleicht die Textfassungen von Eph 4,8, Ps 67,19LXX und Ps 68,18 (= Ps 68,19MT) und macht deutlich, dass sich die Textfassung von Eph 4,8 von den beiden anderen Textfassungen unterscheide. Dann befasst sie sich mit dem Vers im Zusammenhang des Eph. Ergebnis: Paulus (= Verfasser des Eph) deute Ps 68 in einer von den Textfassungen der Schriften seiner Zeit verschiedenen Schriftfassung als eine Textpassage mit messianischen Anspielungen neu und lese ihn im Lichte der Offenbarung Christi. Dies begründe seine Autorität im Hinblick auf die Ermahnungen gegenüber seiner Leserschaft bzw. Hörerschaft. Die profunde Kenntnis der biblischen Schriften und der Traditionen und zeitgenössischen Deutungen erlaube Paulus in seiner Argumentation einen eigenständigen Umgang bezüglich Formulierung und Deutung des Psalmverses. Paulus berücksichtige den gesamten Inhalt der biblischen Schriften (= AT) und deute von diesem her die Verwirklichung der Verheißungen Gottes im Lichte des Christusereignisses.

S. M. Ehorn 2013, 96-120 bietet eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Erklärungen der Textfassung Eph 4,8. Für die weitere Beschäftigung mit der Frage nach dem Gebrauch von Ps 68,18 (= 67,19LXX; Ps 68,19 MT) in Eph 4,8 gibt S. M. Ehorn drei Anregungen: Erstens seien – auch mit Blick auf den mit dem Epheserbrief verwandten Kolosserbrief – hermeneutische Fragen im Hinblick auf den Umgang des Verfassers des Eph mit atl. Zitaten zu berücksichtigen. Zweitens sei der Septuaginta bei der Frage, aus welchem Kontext ein Zitat stammt, größeres Gewicht zu geben. Es könne nicht angehen, dass zwar die Bedeutung der griechischen Bibel (= Septuaginta) hinsichtlich des Eph betont wird, dann aber doch der hebräische Kontext im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Drittens seien die polarisierenden Meinungen, wonach der Verfasser des Eph – so die einen – den gesamten Inhalt des Psalmes zusammengefasst oder – so die anderen - Ps 68,18 falsch zitiert habe, aufzugeben. Wir hätten davon auszugehen, dass der Verfasser des Eph den Psalm auf eine bestimmte Weise lese, weniger deute. Maßgeblich sei für sein Verständnis, dass Christus der in Ps 67,19LXX genannte „Herr“ („kyrios“) ist.


Laut W. Bales 2010, 84-100 habe Eph 4,9 den Abstieg Christi in das Reich der Toten in der Zeit zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung von den Toten im Blick. Der Glaube an einen solchen Abstieg sei in einer ganzen Reihe Schriften früher Kirchenväter bezeugt, die entweder auf Eph 4,9 anspielten oder diesen Vers zitierten. Es sei wahrscheinlich, dass ein solcher Abstieg auch in 1 Pet 3,18-20; 4,6 im Blick ist.

W. H. Harris III 1991, 208-213 (vgl. W. H. Harris III 1996) erklärt den Bezug des Eph auf Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) wie folgt: Der Verfasser des Eph (Paulus) habe Zugang zu einer Tradition gehabt, die Ps 67,19LXX (= Ps 68,19) im Sinne des Aufstiegs des Mose auf den Berg Sinai, wo er die Zehn Gebote erhalten habe, und des folgenden Abstiegs, um den Menschen die Zehn Gebote als Gabe Gottes zu übermitteln, gedeutet habe. Es sei durchaus wahrscheinlich, dass diese Übermittlung bereits vor dem Eph mit dem Pfingstfest in Verbindung gebracht worden war. Folglich sei äußerst wahrscheinlich, dass der Verfasser des Eph Ps 67LXX (= Ps 68) aufgegriffen hat, um ihn auf Christus zu beziehen, nicht auf Mose. Der Zusammenhang sei derselbe: Ein siegreicher Aufstieg zur Gegenwart Gottes, gefolgt von einem Abstieg, der das Verteilen von Gaben zur Zeit des Pfingstfestes beinhalte. Mose habe das Gesetz als Gabe herabgebracht, Christus mit dem heiligen Geist die Gnade (vgl. Eph 4,7).

T. G. Gombis 2005, 367-380 hält diese Erklärung für nicht überzeugend. Erstens gebe es im Text von Apg 2, wo von dem Herabkommen des heiligen Geistes die Rede ist, keinen Hinweis auf einen Bezug auf Ps 67LXX (= Ps 68). Zweitens gebe es in Eph 4 weder einen Hinweis auf gegen Mose gerichtete Polemik noch einen Hinweis darauf, dass der Verfasser des Eph die Bewegungen Christi im Lichte derjenigen des Mose verstanden hat. Auch sei die Konstruktion eines Kontrastes Gesetz – Gnade im Hinblick auf Eph 4 nicht sachgemäß. Drittens gebe es keinen Grund, Christus in Eph 4,8-11 mit dem heiligen Geist zu identifizieren. T. G. Gombis verficht folgende Deutung: Der Verfasser des Eph habe Ps 67LXX (= Ps 68) als einen Text aufgegriffen, der JHWHs Thronbesteigung nach einem Sieg beschreibt, und ihn auf Christus hin gedeutet. Christus werde also als der triumphierende göttliche Krieger beschrieben, der seinen Thron als erhöhter und siegreicher Herr besteigt und seine Leute mit Gaben beschenkt. Dass es in Eph 4 Christus selbst ist, der Gaben gibt, in Ps 67LXX (= Ps 68) dagegen Gott Gaben erhält, habe keine Rolle gespielt, weil der Verfasser des Eph den Psalm nicht wörtlich habe wiedergeben wollen. Vielmehr sei es ihm um den Erzählstrang mit den Bewegungen gegangen.

Laut E. Mouton 2012, 133-153 (vgl. E. Mouton 2014) sei sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend der Intertextualität des Eph bewusst geworden. Sie geht den möglichen Bezügen des Eph auf die hebräischen Schriften nach und folgt der Frage, inwiefern die Bezüge als Beleg für die Autorität Christi und für die Einheit der Kirche gedient haben könnten. Besonderes Augenmerk widmet sie Eph 4,8-9 mit dem Bezug auf Ps 68,18 (LXX 67,19; MT 68,19). Sie nennt die wesentlichen Änderungen, stellt die verschiedenen Deutungen dieser Änderungen vor und diskutiert diese. Sie selbst geht davon aus, dass der Verfasser des Eph den Ps 68 auf eine eigene kreative Art und Weise gebraucht habe, mit der eigenen rhetorischen Strategie, ohne sich unbedingt konkret auf den Psalm zu beziehen oder eine klare historische Analogie herzustellen. E. Mouton hält eine Entscheidung zwischen den beiden oben genannten Thesen für nicht nötig. Die christologische Deutung des Ps 68 sei nicht eindeutig, sondern lasse verschiedene hermeneutische Entscheidungen zu. Entscheidend für den Verfasser des Eph sei es, anhand von Ps 68 die erhöhte Stellung Christi aufzuzeigen, mit der die gnadenvollen Gaben verbunden seien. Er habe also zwei Absichten verfolgt, nämlich die Konstruktion christlicher Identität in Kontinuität mit der Geschichte Israels und aus dem Kontext des Römischen Reiches heraus.

Gemäß W. N. Wilder 2010, 185-199 könne man meinen, dass Paulus’ (= der Verfasser des Eph) Umgang mit Ps 68,18 eine missbräuchliche Ausübung apostolischer Macht über den Psalmtext sei. Tatsächlich hätten wir aber wohl davon auszugehen, dass er den ihm überkommenen Textlaut nicht unter Missbrauch seiner apostolischen Macht, sondern in Übereinstimmung mit bestimmten jüdischen Auslegungsmethoden oder mit der Absicht, den weiteren Aussagegehalt des Psalms zusammenzufassen und zu klären, geändert hat. Paulus lese atl. Texte in ihren unmittelbaren und kanonischen Zusammenhängen und im Hinblick auf ihre Erfüllung in Christus und der Kirche. Paulus habe aus einer Reihe von atl. Texten den auferstandenen und erhöhten Christus herausgelesen. Im Eph erscheine Christus als ein adamitischer und davidischer König, der mit dem Geist des Rates und der Macht gesalbt ist (vgl. Jes 11,2). Paulus sei davon ausgegangen, dass auch er selbst und andere Gläubige für den Dienst und den (geistlichen) Kampf mit demselben Geist gesalbt sind. Die Änderung des Wortlautes gegenüber Ps 68,18 sei unter dem Einfluss von Ps 68,34-35 (Ps 67,35-36LXX) erfolgt, von dem Paulus angenommen habe, dass er von den göttlichen Gaben der Stärke und Macht handele – Gaben, die Paulus schon in Jes 11 erkannt habe und seiner Vorstellung nach unter den in Christus Vereinten wirksam seien. Für Paulus’ Umgang mit Ps 68,18 bedeute das, dass es sich nicht um einen Missbrauch der apostolischen Macht handele, sondern um den Gebrauch des Rates und der Macht, der ihm als Apostel um der Kirche Willen gegeben sei.


R. Dormandy 1997/98, 206-207 geht der Frage nach, wer in V. 8 mit den „Kriegsgefangenen“ gemeint ist. Die Targumim bezögen Ps 68,18 auf Mose. In Eph 4,8 gebe es allerdings keinen Hinweis auf einen Bezug auf Mose. Als zweite Möglichkeit sei – im traditionelleren jüdischen Sinne - an die Feinde Gottes zu denken, die vom Herrn beherrscht werden (vgl. Ps 110). Dann hätte Christus die Feinde gefangen genommen und die Beute unter seinen Gefolgsleuten verteilt. Allerdings könnten die als Gabe verteilten „Ämter“ (vgl. Eph 4,11) schwerlich als Beute angesehen werden. Folglich sei wohl die dritte Möglichkeit richtig: „Wir“, zuvörderst Paulus, dann aber auch andere Christen, seien die Gefangenen (vgl. 2 Kor 2,14, wonach sie im Triumphzug Christi mitgeführt werden). Die Herrschaft Christi würde nicht allein über die Vormachtstellung definiert, sondern auch über die hingebungsvolle Liebe und verwandelnde Gnade. Indem Christus uns gefangen genommen hat, wandle er unsere sündigen Naturen um und sende uns aus, und zwar in der Art, wie er sich selbst gesandt hat: um Gaben für die Welt zu sein.


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V. 9


Beobachtungen: "Katôtera" ist ein Komparativ, der im NT nur hier vorkommt. Er ist wörtlich mit "weiter unten", "tiefer" oder "tiefer gelegen" zu übersetzen, eine sinngemäße Übersetzung wäre "Niederungen". Den Genitiv "tês gês" ("der Erde") kann man im Sinne eines Teiles eines Ganzen (= genitivus partitivus) deuten. Dann wären die tiefer gelegenen Gebiete der Erde, also Ebenen oder Senken, gemeint. Man kann den Genitiv aber auch so deuten, dass er einen Vergleich kennzeichnet (= genitivus comparationis). Dann wäre ein Bereich gemeint, der tiefer als die Erde gelegen ist, also die Unterwelt. Und schließlich kann der Genitiv auch das Gemeinte benennen (= genitivus epexegeticus). Das wäre hier die Erde, die - mit Blick auf das vom Betrachter aus gesehen höher gelegene Himmelsgewölbe - den tiefer gelegenen Teil des Universums darstellt.

Von diesen verschiedenen Deutungen des Partizips und Genitivs aus gesehen, sind folgende, die Heilsgeschichte betreffende Deutungen des Herabsteigens möglich: a) Gemeint ist das nach dem Kreuzestod erfolgte Herabsteigen Christi in die Unterwelt. b) Gemeint ist die Menschwerdung Christi, womit Christus auf die Erde kam. c) Gemeint ist das Herabkommen des heiligen Geistes nach dem Hinaufsteigen Christi zur Höhe. Die Möglichkeit a erscheint unwahrscheinlich, weil offen bliebe, was das Herabsteigen Christi in die Unterwelt mit der Gabe Christi, mit den Befähigungen und "Ämtern", zu tun hat und wo im gegebenen Zusammenhang die besondere theologische Relevanz liegt. Die Möglichkeit b erscheint wahrscheinlicher: Die Menschwerdung Christi ist im gegebenen Zusammenhang von besonderer theologischer Relevanz, weil das Hinaufsteigen voraussetzt, dass der Hinaufsteigende vorher in den Niederungen der Erde verweilte. Wenn der Hinaufsteigende nicht dem Irdischen zugeordnet ist, sondern dort - wie Jesus Christus - nur eine Zeit lang verweilte, dann muss er zuvor in die Niederungen der Erde herabgestiegen sein. Die Betonung des Herabsteigens in die Niederungen der Erde kann also durchaus auf die Menschwerdung Christi hinweisen und verdeutlichen, dass eine christologische Deutung des Psalmverses legitim ist. Die Möglichkeit c hat für sich, dass das Herabsteigen erst nach dem Hinaufsteigen erwähnt wird. Das Herabkommen des heiligen Geistes stellt ja tatsächlich einen Schritt zwischen der Erhöhung Christi und der Gabe von Befähigungen und "Ämtern" dar: keine Befähigung und kein "Amt" ohne das Wirken des heiligen Geistes. Allerdings ist der heilige Geist nicht Christus: Nicht Christus ist herabgestiegen, sondern der heilige Geist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Verfasser des Eph den heiligen Geist als Geist Christi versteht, bleibt doch festzustellen, dass der Geist Christi nicht mit Christus identisch ist, sondern nur in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Auch wäre beim heiligen Geist die Rede vom Herabfahren oder Herabkommen passender als die Rede vom Herabsteigen.

Eine vermutlich nicht ursprüngliche Variante betont mittels der Einfügung des Wörtchens "prôton" ("zuvor"), dass das Herabsteigen vor dem Hinaufsteigen erfolgte. Bei der Variante ist also die Deutungsmöglichkeit c ausgeschlossen.


Weiterführende Literatur: L. J. Kreitzer 1998, 218-229 vertritt die Ansicht, dass Eph 4,9-10 vom Herabsteigen Christi in die Unterwelt handele und der Text mit Blick auf das Plutonium (= Pluto-Tempel) in Hierapolis (das heutige Pamukkale) verfasst worden sei. Es handele sich um eine verschlüsselte Beschreibung des Plutoniums, einer unterirdischen Höhle, aus der giftige Gase aufgestiegen seien und die als Eingang zur Unterwelt angesehen worden sei. Bei dem Verfasser des Eph handele es sich um einen namentlich nicht bekannten Paulusschüler der Gemeinde in Kolossä. Dieser habe einen besonderen Bezug zu Hierapolis, einer Tochtergemeinde von Kolossä, gehabt, und sei mit den dortigen Begebenheiten vertraut gewesen. Vgl. L. J. Kreitzer 2007, 42-53 mit Abbildungen des Eingangs des Plutoniums.

L. J. Kreitzer 1998, 381-393 versucht seine These mit numismatischen Belegen zu untermauern. So habe die Stadt Hierapolis Münzen geprägt, die den Raub der Persephone (auch Kore genannt, Tochter der Demeter) durch Hades (lateinisch: Pluto), den Gott der Unterwelt, darstellten. Diese Münzen zeigten, wie groß die Bedeutung des Mythos' vom Raub der Persephone für die Stadt Hierapolis gewesen ist. Mit ihnen habe man die Aufmerksamkeit auf das Plutonium lenken wollen, das eine Art Touristenattraktion gewesen sei.

Weitere Belege sieht L. J. Kreitzer 2007, 68-72 in der Bildhauerei. Insbesondere auf zwei Bildwerke sei hinzuweisen: Das eine befinde sich an der Vorderseite des Amphitheaters in Hierapolis und stelle den Raub der Persephone durch Hades dar. Das zweite sei eine Marmorstatue des thronenden Gottes Hades, die sich im archäologischen Museum von Hierapolis befinde.


W. H. Harris III 1994, 198-214 vertritt die Ansicht, dass das Herabsteigen Christi auf das Hinaufsteigen Christi gefolgt sei. Der in den Himmel hinaufgestiegene, erhöhte Christus sei als heiliger Geist zu Pfingsten herabgestiegen.


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V. 10


Beobachtungen: Die Betonung, dass der Hinaufsteigende und der Herabsteigende identisch sind, spricht für die Deutung, dass das Herabsteigen die Menschwerdung Christi meint. Denn Christus ist ja wahrhaftig Mensch geworden und er ist nach seiner Auferweckung von den Toten auch erhöht worden. Christus selbst ist aber nach seiner Erhöhung nicht wieder auf Erden herabgestiegen. Es ist der heilige Geist herabgestiegen bzw. herabgekommen.


Christus ist nicht "nur" in den bzw. in die Himmel hinaufgestiegen, sondern über alle Himmel. Zum einen wird eine Mehrzahl Himmel angenommen, zum anderen erscheinen die Himmel nicht als Ort, dem Christus zugeordnet ist. Das erstaunt insofern, als 1,20 Christus zur Rechten Gottes in den Himmeln sieht. Macht der Verfasser des Eph einen Unterschied zwischen dem Begriff "epouranioi", den er u. a. in 1,20 gebraucht, und dem Begriff "ouranoi", den er u. a. in 4,10 gebraucht? Ein solcher Bedeutungsunterschied ist im gesamten Eph nicht zu erkennen: Beide Begriffe bezeichnen unterschiedslos die Himmel, wobei nicht der Wechsel der Begriffe die Mehrzahl Himmel anzeigt, sondern der Plural "epouranioi" bzw. "ouranoi". Zeigen die Verwendung der beiden Begriffe und der (scheinbare) Widerspruch zwischen 1,20 und 4,10 an, dass der Eph nicht von einem Verfasser stammt, sondern (mindestens) von zwei Verfassern, die für "Himmel" unterschiedliche Begriffe benutzen und verschiedene theologische Sichtweisen haben? Auch darauf weist nichts hin. Der Eph erscheint nicht als Textkomposition verschiedener Verfasser mit verschiedenen Denkweisen und Sprachstilen, sondern als ein einheitlicher Text eines Verfassers. Folglich lässt sich der scheinbare Widerspruch zwischen 1,20 und 4,10 am ehesten so erklären, dass 4,10 keine Aussage zum Aufenthaltsort Christi macht, sondern nur eine Aussage zu dessen Macht und Herrlichkeit. Christus ist nicht an die Welt oder an die Himmel gebunden, sondern er ist über sie erhaben. Er ist dermaßen erhaben, dass er sogar über die Himmel erhaben ist. Damit ist er auch über alle Mächte, Gewalten, Kräfte und Herrschaften erhaben, seien sie irdischer oder himmlischer Art.


Schon in 1,23 war davon die Rede gewesen, dass er, also Christus (oder Gott), alles in allem erfüllt. Die gewählte Formulierung war aber mehrdeutig und enthielt folgende Aspekte: Die Kirche und die ganze Welt werden voll und ganz von Christus erfüllt. Christus dagegen wird voll und ganz von Gott erfüllt. Und Christus, das Haupt, kommt nur dadurch zur Erfüllung, dass die Kirche, sein Leib, die ganze Welt füllt. Und auf diese Weise füllt auch Christus die ganze Welt. Schließlich ist Christus Haupt über alles und von allem (im Sinne der kosmologischen Deutung der Versöhnung und der Kirche, wie sie sich im Kol findet). In 4,10 scheint klarer zu sein, dass Christus derjenige ist, der "das All" (im Sinne von "Alles") erfüllt. Die Erfüllung "des Alls" ist letztendlich Ausdruck des Sieges Christi und damit auch Gottes, weil für die Christus feindlich gesinnten Mächte, Gewalten, Kräfte und Herrschaften kein Raum mehr bleibt. Mit der Erfüllung "des Alls" (samt der Kirche) klingt auch die weltweite Ausbreitung der Kirche mit.


Weiterführende Literatur: Gemäß W. H. Harris III 1991, 80-84 seien mit den „Himmeln“ („ouranoi“) zum einen die „Mächte“ gemeint, zum anderen handele es sich aber auch um eine Bestimmung des Ortes der „Mächte“. Auch in 4,10 finde sich also die für den Eph typische lokale Bedeutung. Darüber hinaus liege aber auch eine metaphorische Bedeutung vor.


Zur Mission Christi und der Christen im Eph siehe C. Basevi 1990, 27-55. Ergebnis: Die „Mission“ sei in erster Linie Christus zuzuschreiben. Die „Mission“ Christi sei es, mit seinem Tod und seiner Auferstehung die „Fülle“ zu ermöglichen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Kirche als Leib Christi als auch im Hinblick auf den vollkommenen, reifen Menschen. Die „Mission“ gehe auf die Kirche als „Fülle“ Christi über. Sie wachse und verbreite sich, wobei alle Christen die Heiligkeit nicht nur empfangen, sondern sie auch in die Welt hineintragen sollten. Das Ziel der Christen sei es, durch das eigene Leben die Herrlichkeit Christi zu bekunden. So erfülle Christus in perfekter Weise alle Dinge und sei schließlich die Perfektion aller Dinge.



Literaturübersicht


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