Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 6,1-4

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 6,1-4



Übersetzung


Eph 6,1-4 :1 Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern im Herrn; denn das ist recht. 2 Ehre deinen Vater und die Mutter - das ist [das] erste Gebot mit einer Verheißung -, 3 damit es dir gut geht und du lange lebst auf der Erde. 4 Und ihr Väter, erzürnt eure Kinder nicht, sondern erzieht sie in der Bildung und Ermahnung des Herrn.



V. 1


Beobachtungen: Der Abschnitt 6,1-4 gehört zur christlichen "Haustafel" (5,21/22-6,9). Bei einer "Haustafel" handelt es sich um Anweisungen bezüglich des Verhaltens der Angehörigen einer Hausgemeinschaft, die in der Antike sowohl eine Wohn- als auch eine Wirtschaftsgemeinschaft darstellt. Eine christliche "Haustafel" bezieht sich auf das Leben in einer christlichen Hausgemeinschaft. Die christliche "Haustafel" wiederum ist ein Teil der Mahnungen zum christlichen Lebenswandel (4,1-6,9).

Es werden - im Gegensatz zum sonstigen Eph - einzelne soziale Gruppen angeredet. Nach der einleitenden allgemeinen Forderung der Unterordnung (5,21) wendet sich der Verfasser des Eph an die Ehefrauen (5,22-24), dann an die Ehemänner (5,25-33), dann an die Kinder (6,1-3), dann an die Eltern (6,4), dann an die Sklaven (6,5-8) und schließlich auch noch an die Sklavenbesitzer (6,9).


Die christlichen "Haustafeln" (Kol 3,18-4,1; Eph 5,21/22-6,9; 1 Tim 2,8-15; 6,1-10; Tit 2,1-10; 1 Petr 2,18-3,7) kennzeichnet eine ganz bestimmte Struktur: Zunächst wird eine bestimmte soziale Gruppe angeredet, dann wird diese ermahnt und schließlich wird die Ermahnung begründet.


Die Kinder wohnen noch bei ihren Eltern - in den Worten von 5,31: haben Vater und Mutter noch nicht verlassen -, sind aber bereits in einem Alter, in dem sie die Weisungen der Eltern verstehen und selbst entscheiden können, ob sie ihnen gehorchen oder nicht. Eph 6,1 mahnt Gehorsam an. Das Geschlecht der Kinder lässt sich nicht bestimmen, weshalb wir davon auszugehen haben, dass es sich gleichermaßen um Söhne und Töchter handelt. Der Verfasser des Eph redet die Kinder direkt an, was ebenfalls die Fähigkeit der Kinder, Weisungen zu verstehen, beweist. Geht man davon aus, dass Briefe an Gemeinden im Gottesdienst vorgelesen wurden, so ist anzunehmen, dass die Kinder an Gottesdiensten teilnahmen. Dort hätten sie dann ohne den Umweg über die Eltern die Weisungen gehört.


Die Kinder sollen sich ihren Eltern nicht unterordnen, sondern sie sollen ihnen gehorchen. Insofern ist ihr Verhältnis zu den Eltern ein anderes, als es zwischen Ehemann und Ehefrau herrscht, denn die Ehefrauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen (vgl. 5,21-22). Die Ehemänner und Ehefrauen werden also gleichermaßen als Erwachsene angesehen, die nicht mehr erzogen werden müssen. Dabei werden sie im Rang unterschieden, die Ehefrau dem Ehemann untergeordnet. Die Kinder dagegen sind noch keine Erwachsenen und bedürfen somit der Erziehung. Damit die Erziehung fruchten kann, müssen sie den im Rahmen der Erziehung erteilten Weisungen gehorchen. Bei dieser Unterscheidung von Unterordnung und Gehorsam darf jedoch nicht vergessen werden, dass beides eng zusammenhängt: Wenn eine Person der anderen untergeordnet ist, dann wird sie sich Weisungen gehorsam fügen. Und wenn eine Person der anderen gehorcht, dann ist sie ihr untergeordnet (vgl. 1 Petr 3,5-6). Gehorsam resultiert aus Unterordnung. Insofern ist wohl vorausgesetzt, dass die Ehefrauen den Weisungen ihrer Ehemänner gehorchen, und dass die Kinder ihren Eltern untergeordnet sind.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen.

Gemäß 1,2 dürfte in 6,1 mit dem "Herrn" Jesus Christus gemeint sein. Die Formulierung "im Herrn" dürfte einen Macht- und Wirkraum bezeichnen, und zwar denjenigen Christi. "Im Herrn" befinden sich Christen, denn sie glauben an Christus, erkennen ihn als ihren "Herrn" an und haben sich so in dessen Macht- und Wirkraum begeben. Das Wirken Christi bringt Heil, weshalb der Macht- und Heilsraum Christi zugleich ein Heilsraum ist. Das mit Christus verbundene Heilsgeschehen bezieht die Menschen, die sich in dem Heilsraum Christi befinden, mit ein. "Im Herrn" kann sich in 6,1 sowohl auf die Kinder bzw. ihren Gehorsam als auch auf ihre Eltern beziehen. Sowohl die Kinder als auch die Eltern dürften Christen sein.

Ob "im Herrn" zum ursprünglichen Text gehört oder eine Zufügung ist, ist unklar. Etwas besser bezeugt ist die längere Lesart. Die Formulierung "im Herrn" kommt im Eph durchaus vor (vgl. 4,17; 6,10), ebenfalls die Formulierung "wie dem Herrn" (vgl. 5,22; 6,7). Das spricht einerseits für die Ursprünglichkeit, andererseits aber auch gegen sie, weil sich eine Zufügung an bereits im Eph vorhandenen Formulierungen ausgerichtet haben könnte. In letzterem Fall wäre aber ebenso gut die Zufügung der Formulierung "wie dem Herrn" möglich gewesen. Als Zufügung könnte die Formulierung aus dem Bestreben heraus zu erklären sein, den christlichen Charakter der Mahnung zu unterstreichen. Notwendig ist die Zufügung aber eigentlich nicht, weil aus dem im folgenden Vers angeführten atl. Gebot hervorgeht, dass die Mahnung keinen weltlichen Charakter hat, sondern auf Grundlage der Bibel und im Rahmen des christlichen Glaubens und Lebenswandels zu verstehen ist. Dieser Sachverhalt mag dazu verleitet haben, "im Herrn" zu streichen. Allerdings wurden von Schreibern aus Achtung vor den Inhalten der Bibel grundsätzlich eher Zufügungen als Streichungen vorgenommen. Streichungen resultieren meistens aus einem Versehen und im Falle von 6,1 ist nicht erkenntlich, wie eine versehentliche Auslassung zustande gekommen sein könnte.


"Dikaion" kann mit "gerecht" oder mit "recht" übersetzt werden. Gemeint ist, dass der Gehorsam der Kinder den Eltern gegenüber christlichen Verhaltensmaßstäben entspricht und somit ein rechtes Verhalten ist. Diese Bedeutung wird durch letztere Übersetzungsmöglichkeit kenntlich gemacht. Vergleicht man Eph 6,1 mit der Parallele Kol 3,20, so fällt auf, dass dort der von den Kindern geforderte Gehorsam den Eltern gegenüber wie folgt begründet wird: "denn das ist wohlgefällig im Herrn". Gott bzw. Christus ist also der Maßstab rechten Verhaltens. Ganz so deutlich wird das in Eph 6,1 nicht ausgedrückt, denn dort heißt es nur: " denn das ist (ge)recht". Dies kann man auf zweierlei Weise deuten: Entweder verzichtete der Verfasser des Eph deswegen auf eine ausdrückliche Ausrichtung des Verhaltensmaßstabes am "Herrn", weil er unmittelbar zuvor den Gehorsam schon ausdrücklich als "im Herrn" charakterisiert hat, oder er bezieht "(ge)recht" nicht nur auf den "Herrn" als Verhaltensmaßstab, sondern auch auf die gesellschaftliche Ordnung, die er als gerecht ansieht.


Weiterführende Literatur: D. K. Darko 2008 legt dar, dass oftmals 4,17-5,21 als Aufforderung an die Adressaten, sich von der nichtchristlichen Umwelt abzugrenzen, verstanden werde. Die „Haustafel“ 5,22-6,9 werde dagegen im Sinne einer Aufforderung zur Anpassung an die nichtchristliche Umwelt verstanden. Tatsächlich sei es so, dass 4,17-5,21 die Christen als klar von der nichtchristlichen Umwelt unterschiedene soziale Gruppe definiere.. 5,22-6,9 allerdings sei nicht im Sinne der Anpassung zu verstehen. Die „Haustafel“ enthalte allgemein anerkannte Traditionen und moralische Ideale. Es gehe in ihr weder um Abgrenzung noch um Anpassung. Es gehe um Stärkung der inneren Geschlossenheit der Christen als „Haushalt Gottes“, indem sie sich an allgemein anerkannte Traditionen und moralische Ideale halten.


Zu den ntl. Haustafeln Kol 3,18-4,1 und Eph 5,22-6,9 siehe G. Strecker 1989, 349-375, der sich der Definition und dem Textbefund, der Forschungsgeschichte, der Geschichte der Tradition, den Frauen und Männern, den Kindern und Vätern und abschließend auch den Sklaven und Herren widmet.

E. Best 1994, 146-160 geht der Stellung der Haustafel in der Argumentation des Eph als Ganzem und der Relevanz der an die christlichen Haushalte der Antike gerichteten Lehre der Haustafel nach. Außerdem fragt er nach einer möglichen Existenz der Haustafel vor dem Eph. Die Haustafel des Eph gebe rein christlichen Haushalten verlässlichen und vertrauenswürdigen Rat. Beziehungen zu nichtchristlichen Familienmitgliedern oder zum nichtchristlichen Staat kämen – anders als in der Haustafel 1 Pet 2,13-3,7 (speziell 2,13-17 zum Verhältnis zum Staat) - nicht in den Blick. Die Haustafel des Eph und Kol habe vermutlich einen nichtchristlichen Ursprung, und zwar entweder im Judentum oder im Heidentum, bei anschließender Übermittlung durch das Judentum an das Christentum. In den Eph habe sie unabhängig vom Kol Aufnahme gefunden.

Zur Gattung Haustafel im Kol und Eph, zu ihrer Position innerhalb der Paränese-Abschnitte und zu ihrem Hintergrund in der spätantiken Gesellschaft siehe D. Hellholm 2009, 103-128. Die Haustafeln des Kol und Eph könnten sowohl deskriptive als auch präskriptive Funktion haben. Einerseits seien sie idealisierte Konstrukte, die es gegen vorhandene Missverhältnisse in der Familienstruktur zu verwirklichen gelte, andererseits spiegelten sie aber zuweilen zweifellos auch eine existierende Vorbildlichkeit im Haushalt. Deswegen seien die Haustafeln in erster Linie präskriptive Sprechakte. Sie zeugten aber zumindest indirekt von familiären Verhältnissen unterschiedlicher sozialer und ethischer Art und hätten somit gewissermaßen auch deskriptiven Charakter.

Gemäß J. Woyke 2000 frage die ntl. Haustafelethik nach den Konsequenzen des Herrseins Jesu Christi für das Beziehungsgefüge der antiken Hausgemeinschaft. Gibt es eine dem christlichen Glauben angemessene Rollenverteilung oder sollen gesellschaftliche Unterordnungsstrukturen, durchdrungen vom Evangelium, von innen her aufgelöst werden? Diese an der zeitüberdauernden Bedeutung der Haustafeln orientierte Leitfrage präge die Haustafelforschung des 20. Jh.s bis in die exegetischen Detailfragen hinein. Die Studie von J. Woyke versucht, die zum Teil unübersichtliche Forschungsgeschichte anhand der einzelnen exegetischen Kontroversen systematisch darzustellen und kritisch zu diskutieren, um schließlich zu einem begründeten Urteil über die bleibende theologische Bedeutung der ntl. Haustafelethik zu kommen.

Mit den Haustafeln befasst sich D. L. Balch 1988, 25-50, und zwar unter folgenden Gesichtspunkten: der Ursprung der Form, seine soziale Funktion und die Charakteristika der einzelnen Ermahnungen; Arius Didymus zur "Hausverwaltung" und zur "Politik"; Anmerkungen zum Text des Arius Didymus; Haustafeln im NT und in der frühchristlichen Literatur.


L. T. Stuckenbrock 357-366 legt dar, dass in der Forschung weitgehend Konsens herrsche, dass die Anordnungen der „Haustafeln“ auf dem Hintergrund der griechisch-römischen Umwelt zu verstehen seien. Es werde auf eine Tradition verwiesen, die ihren Ursprung in den klassischen griechischen Philosophen wie Plato und Aristoteles habe, die bereits das Verhältnis zwischen Ehemann und Ehefrau, Vater und Kind sowie Herr und Sklave diskutiert hätten. Ihnen sei es um die Stabilität des Idealstaates mit dem Haushalt als kleinerer sozialer Einheit gegangen, die sie durch Autorität und Unterordnung gewährleistet gesehen hätten. Diese Tradition sei auch in späterer römischer Zeit diskutiert und interpretiert worden. Auch griechisch-jüdische Schriftsteller wie Philo von Alexandrien und Josephus hätten sie im Hinblick auf ihre Erläuterungen zur mosaischen Tora aufgegriffen. Wenig beachtet werde jedoch eine nichtqumranische Schrift unter den Schriftrollen vom Toten Meer mit Namen Musar le Mevin. Schon J.-S. Rey 2009, 231-255 habe darauf hingewiesen, dass diese Schrift eine neue Gesprächspartnerin im Hinblick auf die Deutung der „Haustafeln“ sein könne. Gemäß J.-S. Rey handele Musar le Mevin in viererlei Weise vom Verhältnis zwischen Ehemann und Ehefrau, wie es im Eph anklinge: a) Betonung der ehelichen Einheit durch wiederholte Anspielungen auf Gen 2,24; b) Betonung der Frau als Fleisch des Mannes; c) die Definition der Beziehung des Ehemannes zu seiner Ehefrau als Herrschaft; d) die Weisungen an den Ehemann gründeten in dem „Geheimnis des Seins“. Die Unterschiede zwischen Eph 5,21-6,4 und Kol 3,18-21 hätten Parallelen in der Schrift Musar le Mevin. L. T. Stuckenbrock zieht den Schluss, dass der Verfasser des Eph bei seinem Rückgriff auf die jüdische Tradition nicht auf die innerbiblische Tradition begrenzt sei, sondern auch die Deutungstradition berücksichtige, die in hebräischer Sprache kursierte. Für den Eph sei ein komplexer kultureller, sozial-religiöser und politischer Hintergrund anzunehmen.


Mit der Übersetzung und Bedeutung von "alla" (5,24) und "plên" (5,33) befasst sich H. Maillet 1980, 566-574, der einführend einen Überblick über verschiedene Übersetzungen gibt. Beide Begriffe bedeuteten gewöhnlich "aber" ("mais"), was im Falle des "plên" auf "dennoch/trotzdem" ("néanmoins") hinauslaufe. Eher zu erwarten wäre jedoch eine Schlussfolgerung, also "deshalb" oder "folglich" ("donc"). H. Maillet macht deutlich, dass nicht von einer christlichen Ehe ausgegangen werde, als könne es daneben eine nichtchristliche Ehe geben. Vielmehr sei die Ehe eine menschliche Institution Diese gelte es auf christliche Weise zur Ehre Gottes zu leben. Es werde kein sozialrevolutionäres Programm entworfen, sondern für Ehemann und Ehefrau, für Vater, Mutter und Kind sowie für Sklave und Herr gelte gleichermaßen: In der sozialen Stellung, in der sie sich befinden, sollen sie ihr Leben christlich führen und den Nächsten bzw. die Nächste wie sich selbst lieben. So werde die Aussage, dass Christus die Kirche liebe, recht verstanden.


Laut L. (S. J.) Nortjé-Meyer 2016, 53-69 suggeriere die von jüdischem Gedankengut geprägte „Haustafel“ Eph 5,22-6,9, dass Frauen in der christlichen Gemeinde von Ephesus ausschließlich die Rolle von gläubigen Untergebenen der Ehemänner und Männer im Allgemeinen gespielt hätten. Tatsächlich seien die christlichen Frauen aber nicht auf die patriarchalen Rollenvorstellungen des Eph festgelegt gewesen, sondern hätten sich auch mit der Göttin der Region, Artemis von Ephesus, identifizieren können. Diese sei von den Frauen als Befreierin und Nährerin angesehen worden. Eine starke, unabhängige Frau wie Artemis habe durchaus das Selbstbild der (christlichen) Frauen und ihr Rollenverständnis in der Hausgemeinschaft prägen können und könne auch in der Gegenwart Frauen als Vorbild dienen.


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V. 2


Beobachtungen: Der Verfasser des Eph weist auf das "erste Gebot mit einer Verheißung" hin. Das "erste Gebot" ist es wohl nicht dem Rang nach, denn die anderen Gebote der Zehn Gebote (= Dekalog) - speziell das Gebot, neben Gott keine anderen Götter zu haben - sind nicht weniger wichtig. Es ist auch nicht das erste Gebot der Reihenfolge nach, sondern das vierte oder fünfte Gebot (je nach Aufteilung und Zählung der Gebote). Es ist aber das erste Gebot, das mit einer Verheißung versehen ist. Wirft man den Blick nur auf die Zehn Gebote, dann ist es zugleich das einzige. Warum schreibt der Verfasser des Eph dann nicht " das ist [das] einzige Gebot mit einer Verheißung"? Die Erklärung dürfte darin zu sehen sein, dass es sich zwar um ein Gebot der Zehn Gebote handelt, der Verfasser des Eph mit dem Begriff "Gebot" aber nicht nur die Zehn Gebote meint, sondern weitere Gebote einschließt. Die Zehn Gebote" wären aber als Beginn - der Reihenfolge oder Gewichtung nach - der Gebote gedacht. Demnach gäbe es noch weitere Gebote, die ebenfalls mit einer Verheißung versehen sind. Diese Gebote wären aber nicht Bestandteil der Zehn Gebote. Dass das Gebot mit einer Verheißung versehen ist, mag man als Zeichen besonderer Bedeutung verstehen. Aber ist das wirklich so zu verstehen, dass es wichtiger als die anderen Gebote ist?

Zwar ist auch das erste Gebot - das Gebot, neben Gott keine weiteren Götter zu haben - in Verbindung mit dem (zweiten) Gebot, sich von Gott kein Bildnis zu machen, mit dem Hinweis versehen, dass Gott denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, seine Huld erweist (vgl. Ex 20,6LXX), jedoch handelt es sich dabei nicht um eine Verheißung im eigentlichen Sinn, sondern um eine Aussage zu seinem Wesen und Verhalten.

Der Verfasser des Eph zitiert nahezu wörtlich Ex 20,12LXX (vgl. Dtn 5,16LXX). Das erklärt auch, warum er "Ehre deinen Vater und die Mutter..." schreibt und nicht "Ehre deinen Vater und deine Mutter..." (wie in Dtn 5,16LXX). Der Verfasser des Eph weist nur vage darauf hin, dass es sich um ein Zitat handelt, lässt aber offen, woher es stammt. Es bedarf also der Kenntnis der Zehn Gebote. Außerdem setzt der Verfasser des Eph voraus, dass die Leser bzw. Hörer des Briefes wissen, welche Gebote er in den Begriff "Gebot" einschließt, denn sonst wüssten sie erstens nicht, dass sich das Gebot, seinen Eltern zu gehorchen, in den Zehn Geboten findet, und zweitens würden sie sich fragen, welches der Zehn Gebote denn außer dem zitierten noch mit einer Verheißung versehen ist. Dass der Verfasser des Eph aus der hebräischen Bibel (= AT) zitiert, ist insofern bemerkenswert, als sich zwar auch im Kolosserbrief die Ermahnung der Kinder findet, ihren Eltern zu gehorchen (vgl. Kol 3,20), diese jedoch nicht mit einem biblischen Zitat unterfüttert wird. Dem Verfasser des Eph ist also daran gelegen, seine Aussagen bzw. Mahnungen biblisch zu begründen, wogegen der Verfasser des Kol in seinem gesamten Brief kein einziges biblisches Zitat aufbietet.


Weiterführende Literatur:


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V. 3


Beobachtungen: Eph 6,2-3 setzt einen Tun-Ergehen-Zusammenhang voraus: Für ein (ge)rechtes Verhalten haben die Kinder einen Lohn zu erwarten. Das gute Tun zieht also ein gutes Ergehen nach sich.


Es fällt auf, dass der Verfasser des Eph Ex 20,12LXX nicht vollständig zitiert, sondern einen Teil weglässt: Sein Zitat endet mit der Verheißung "... und du lange lebst auf der Erde". In Ex 20,12LXX heißt es dagegen: "... und du lange lebst auf der guten/gelobten Erde, die dir [der] Herr, dein Gott, gibt". Diese Auslassung lässt sich damit begründen, dass sich der Eph (vorrangig) an Heidenchristen richtet. Für diese ist die Verheißung "der guten/gelobten Erde" - gemeint ist das gelobte Land Israel - nicht von Belang, zumindest nicht im Sinne eines irdischen gelobten Landes. Was der Verfasser des Eph aber nicht geändert hat, ist die Vorstellung, dass es sich auf der Erde (Ex 20,12LXX: im gelobten Land) noch lange leben lässt. Nun kann man dies mit dem Respekt des Verfassers des Eph gegenüber der Überlieferung erklären, oder damit, dass er nicht annimmt, dass die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht. Letztere Erklärung würde darauf hinweisen, dass der Eph nicht zu den frühesten christlichen Schriften gehört, denn für diese (insbesondere den Ersten Thessalonicherbrief) ist die Naherwartung charakteristisch. Je länger die Wiederkunft Christi auf sich warten ließ, desto mehr verblasste die Erwartung, dass sie unmittelbar bevorstehe.


Weiterführende Literatur:


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V. 4


Beobachtungen: In V. 4 finden sich V. 1 ergänzende Informationen zu den Kindern: Die Kinder werden noch von ihren Vätern erzogen und erhalten Weisungen. Das zeigt, dass sie noch nicht volljährig sind.


Der Plural "pateres" kann mit "Väter" oder auch mit "Eltern" übersetzt werden. Bei verschiedengeschlechtlichen Gruppen verwendet die männerzentrierte altgriechische Sprache stets einen maskulinen Plural und "verschluckt" so die Frauen. In 6,4 ist allerdings anzunehmen, dass tatsächlich nur die Väter gemeint sind, denn in V. 1 hat der Verfasser des Eph für die Eltern den Begriff "goneis" benutzt. Hätte er auch in V. 4 die Eltern gemeint, hätte er wahrscheinlich erneut den Begriff "goneis" benutzt. Der Verfasser des Eph setzt also voraus, dass vorrangig die Väter für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich sind. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als den Frauen in der Antike zuvörderst innerhäusliche Aufgaben zukamen, zu denen man auch die Erziehung der Kinder zählen könnte.


V. 4 überrascht insofern, als eher zu erwarten wäre, dass Kinder ihre Väter erzürnen, indem sie ungehorsam sind und sich seinen Anweisungen widersetzen. Daher wäre eher eine Ermahnung der Kinder zu erwarten. Tatsächlich richtet sich die Ermahnung aber an die Väter. Alle gesellschaftlichen Gruppen haben ihre Verpflichtungen, nicht nur die untergeordneten. Dabei lässt der Text offen, wie die Väter ihre Kinder erzürnen können. Zu denken ist an einen zu harten und lieblosen Tonfall, an Beleidigungen, an Sarkasmus oder an unbillige Forderungen.


Der Begriff "paideia" bezeichnet sowohl die "Zucht/Züchtigung" als auch den "Unterricht" und die "Bildung". Die "Zucht/Züchtigung" kann körperlich oder auch sittlich sein. Sie lässt an Disziplin und im Bedarfsfall auch Strafen denken. Da in V. 4 nicht die körperliche Ertüchtigung im Vordergrund steht, wäre eher an sittliche "Zucht/Züchtigung" zu denken, an die Verinnerlichung der gesellschaftlich erwünschten Verhaltensmaßstäbe und Moralvorstellungen. Der "Unterricht" ist wohl am ehesten im Sinne der Form und Inhalte des Unterrichtes zu verstehen. Die "Bildung" ist das Resultat des Unterrichtes, der in disziplinierter Form zu denken ist. In ihrer intensivsten und dauerhaftesten Form ist sie "Wissenschaft". An den wissenschaftlichen Aspekt des Begriffes "paideia" ist aber in V. 4 wohl nicht gedacht.


Der Begriff "nouthesia" meint die Ermahnung, und zwar wohl im Sinne eines weisenden und korrigierenden Einwirkens auf das Kind, das in Form von Worten erfolgt. Die Ermahnung setzt voraus, dass ein Kind nicht selbstständig und unfehlbar den rechten Bildungsweg geht, sondern dieser immer wieder eingeschärft werden muss.


Der Genitiv "des Herrn" ist nicht so zu verstehen, dass der "Herr" selbst gezüchtigt bzw. gebildet und ermahnt werden muss. Vielmehr ist der "Herr", Christus, der Verhaltensmaßstab, an dem sich Zucht, Unterricht, Bildung und Ermahnung ausrichten müssen. Vielleicht ist "des Herrn" auch so zu verstehen, dass Zucht, Unterricht, Bildung und Ermahnung vom "Herrn" her kommen. Damit sind Zucht, Unterricht, Bildung und Ermahnung nicht der Beliebigkeit preisgegeben und richten sich auch nicht nur einfach an den gängigen pädagogischen Vorstellungen der Zeit aus, sondern sind als christlich charakterisiert. Die Zucht samt den disziplinarischen Maßnahmen darf nicht übermäßig streng und hart sein, sondern hat sich an der Nächstenliebe zu orientieren. Der Unterricht hat in einer Art zu erfolgen, dass das Kind lernwillig ist. Und die Unterrichtsinhalte müssen mit christlicher Lehre und christlichen Verhaltensmaßstäben kompatibel sein. Und schließlich muss die Bildung so beschaffen sein, dass sie einen reifen Christen erkennen lässt. In diesen Rahmen soll sich das Kind gehorsam fügen.


Weiterführende Literatur: Zur Funktion der „Haustafel“ in der gesamten Argumentation des Eph siehe T. G. Gombis 2005, 317-330. Gewöhnlich werde angenommen, dass die „Haustafel“ eine apologetische Intention habe. Christen würden vor dem Verdacht in Schutz genommen, sie würden die zeitgenössischen sozialen Strukturen untergraben und auf diese Weise letztendlich die Stabilität des Römischen Reiches gefährden. Diese Deutung sei jedoch weniger überzeugend als man auf den ersten Blick annehmen könnte. So gebe keinen wirklichen Hinweis auf eine apologetische Intention der „Haustafel“. Der Eph interessiere sich eher für das Leben im Inneren der Gemeinden als für die Beziehungen nach außen. Angesichts der harschen Kritik des Paulus im betreffenden Abschnitt des Briefes sei kaum anzunehmen, dass er eine gemeinsame Basis der christlichen Gemeinden und der sie umgebenden Kultur sucht. Paulus sei weit davon entfernt, die Unterschiede zwischen dem „Alten Menschen“ (4,22) und dem „Neuen Menschen“ (2,15; 4,24) herunterzuspielen, betone vielmehr, dass die beiden Sphären nicht miteinander vereinbar seien. Richtig verstanden sei die „Haustafel“ als Manifest hinsichtlich eines radikal neuen Menschen zu verstehen. Es gebe konkrete Anordnungen bezüglich der Gestaltung der Beziehungen des Gottesvolkes in der neuen Schöpfung. Paulus sei nicht sozial konservativ, indem er einen Ort der Hierarchie bewahre. Ebenfalls versuche er nicht nur die christliche Gemeinschaft vor dem gesellschaftlichen Druck im Römischen Reich zu schützen. Vielmehr seien seine Anordnungen insofern radikal, als sie direkt mit den sozialen Strukturen der zeitgenössischen Gesellschaft auf Konfrontationskurs gingen. Zu 6,1-4: Es gehe nicht nur um den Gehorsam der Kinder den Eltern gegenüber. Es sei nicht im Blick, dass die Eltern ihre Kinder zum Zwecke größtmöglicher Ehre der Familie kontrollieren sollen. Auch gehe es nicht darum, entscheidend über den Lebensweg der Kinder zu bestimmen. Dem Gehorsam stehe die nicht zu unterschätzende Aufforderung an die Eltern gegenüber, die Würde und die Bedürfnisse ihrer Kinder zu achten und diese nicht zu erzürnen.


E. Mouton 2014, 163-185 legt dar, dass es sich bei dem Haushalt um den Kern der christlichen Gemeinden gehandelt habe. Sie untersucht die Dynamik ntl. Haushalte und deren Verhaltensregeln. Dabei nimmt sie insbesondere die „Haustafel“ Eph 5,21-6,9 in den Blick und untersucht deren ambivalentes Verhältnis zum Rest des Briefes. Die Dokumente aus der Gründungszeit des Christentums seien in einer patriarchalisch geprägten Zeit entstanden und würden auch oft in patriarchalisch geprägten Gesellschaften gelesen. Zudem spiegele sich in ihnen die hierarchische Gesinnung des Römischen Reiches wider. Da dränge sich die Frage auf, wie die „Haustafel“ – konkret auch in Afrika - in der heutigen Zeit gelesen werden kann. Ergebnis: Die „Haustafel“ nehme nicht einfach nur zeitgenössische patriarchalische und hierarchische Vorstellungen auf, sondern modifiziere diese mit Blick auf die umwälzende Kraft und hingebungsvolle Liebe Christi. Diese christologische Perspektive sei für das Verständnis der „Haustafel“ entscheidend. Von der neuen Identität „in Christus“ her würden auch Selbstverständnis und Gesinnung der Gemeinden in Kleinasien herausgefordert. E. Mouton greift die feministische und postkoloniale Kritik auf und vertritt die These, dass die „Haustafel“ eine ständige Aufforderung sei, sich ausbeuterischer Macht zu widersetzen.


Laut M. Y. MacDonald 2014, 106-107.149-163 seien die Aussagen zum Verhältnis zwischen Eltern und Kindern im Eph im Vergleich zum Kol ausgebaut. Der Eph stelle die geeinte Familie das perfekte Umfeld für die Aufzucht von Kindern in der Lehre und Zucht des Herrn (Jesus Christus oder Gott) dar. Dabei folge 6,4 der traditionellen Vorstellung, wonach dem leiblichen Vater die Erziehung zukomme. In der Realität seien die Kinder jedoch oftmals Ersatzeltern übergeben worden, sei es weil die Eltern gestorben sind oder sich haben scheiden lassen, sei es weil bei einem nichtchristlichen Vater seitens der christlichen Gemeinschaft christliche Erziehung sichergestellt werden sollte.


Mit der Rolle der Väter in den biblischen Schriften befasst sich B. Sear 2017, 49-68, wobei er sein Hauptaugenmerk auf Eph 6,1-4 legt. Zuerst untersucht er die Vaterschaft im AT und verwendet dabei eine kanonisch-kontextuelle Herangehensweise. Dann bietet er eine Exegese von 6,1-4, wobei er den größeren Kontext des Eph und die hellenistische Umwelt des 1. Jh.s berücksichtigt. Laut B. Sear komme den Vätern die entscheidende Rolle bei der Prägung des familiären Zusammenlebens und der religiösen Ausrichtung und Praxis der Kinder zu. Insofern sei die Ermahnung und Ermunterung der Väter, ihre Rolle adäquat auszufüllen, ein zentraler Punkt des kirchlichen Lebens. Eph 6,1-4 stelle Fürsorge und Gehorsam in den Mittelpunkt des Verhältnisses zwischen Vätern und Kindern. Väter sollten, dem Vorbild Gott Vaters und Jesu Christi entsprechend, ihre Rolle mit Freude ausfüllen. Väter seien aufgerufen, treue Vermittler Gottes zu sein und alle Dinge daheim Christus zu unterstellen, so dass ihre Kinder dazu angeleitet werden, schließlich auch ein an Christus ausgerichtetes Leben zu führen.



Literaturübersicht


Balch, David L.; Household Codes, in: D. E. Aune [ed.], Greco-Roman Literature and the New Testament: Selected Forms and Genres (SBL.SBS 21), Atlanta, Georgia 1988, 25-50

Best, Ernest; The Haustafel in Ephesians (Eph. 5:22-6:9), IBS 16 (1994), 146-160

Darko, Daniel K.; No longer Living as the Gentiles: Differentiation and Shared Ethical Values in Ephesians 4.17-6.9 (LNTS 375), London 2008

Gombis, Timothy G.; A Radically New Humanity: The Function of the Haustafel in Ephesians, JETS 48/2 (2005), 317-330

Hellholm, Lars; Die Gattung Haustafel im Kolosser- und Epheserbrief. Ihre Position innerhalb der Paränese-Abschnitte und ihr Hintergrund in der spätantiken Gesellschaft, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 55), Neukirchen-Vluyn 2009, 103-128

MacDonald, Margaret Y.; The Power of Children: The Construction of Christian Families in the Greco-Roman World, Waco, Texas 2014

Maillet, Henri, Alla...plen. Métaphore et pédagogie de la soumission dans les rapports conjugaux, familiaux, sociaux et autres selon Ephésiens 5,21-6,9, ETR 55/4 (1980), 566-574

Mouton, Elna; Reimagining Ancient Household Ethos? On the Implied Rhetorical Effect of Ephesians 5:21-33, Neotest. 48/1 (2014), 163-185

Nortjé-Meyer, Lilly (S. J.); Vrey, Alta; Artemis as Matrix for a New Interpretation of the Household Codes in Ephesians 5:22-6:9, Neotest. 50/1 (2016), 53-69

Rey, Jean-Sébastian; Family Relationships in 4QInstruction and in Eph 5:21-6:4, in: F. García Martínez [ed.], Echoes from the Caves: Qumran and the New Testament, Leiden 2009, 231- 255

Sear, Benjamin; The Role of Fathers in the Purposes of God: An Investigation and Application of the Instructions in Ephesians 6:1-4, Churchman 131/1 (2017), 49-68

Strecker, Georg; Die neutestamentlichen Haustafeln (Kol 3:18-4:1 und Eph 5:22-6:9), in: H. Merklein [Hrsg.], Neues Testament und Ethik, FS R. Schnackenburg, Freiburg i. Br. - Basel - Wien 1989, 349-375

Stuckenbrock, Loren T.; Traveling Ethics. The Case of the Household Codes in Ephesians 5:21-6:9 in Cross-Cultural Perspective, in: P. Wick, V. Rabens [eds.], Religions and Trade. Religious Formation, Transformation and Cross-Cultural Exchange between East and West (DHR 5), Leiden - Boston 2014, 357-366

Woyke, Johannes; Die neutestamentlichen Haustafeln: Ein kritischer und konstruktiver Forschungsüberblick (SBS 184), Stuttgart 2000

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