Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Thessalonicherbrief

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher

2 Thess 3,14-16

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Thess 3,14-16



Übersetzung


2 Thess 3,14-16 : 14 Wenn aber jemand unserem Wort durch den Brief nicht gehorcht, dann merkt ihn euch [und] habt keinen Umgang mit ihm, damit er beschämt wird. 15 Doch seht ihn nicht als einen Feind an, sondern weist ihn als einen Bruder zurecht. 16 Er aber, der Herr des Friedens, gebe euch den Frieden allezeit und auf alle Weise. Der Herr sei mit euch allen!



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V. 14


Beobachtungen:


Der Begriff "logos" („Wort“) meint hier sicherlich kein einzelnes Wort, sondern Aussagen, und zwar diejenigen Aussagen, die sich im Zweiten Thessalonicherbrief finden. In Verbindung mit dem Verb „gehorchen“ kann das „Wort“ genauer bestimmt werden: Es handelt sich um Anweisungen, denen zu gehorchen ist. Dabei sind sicherlich die Anweisungen in 2 Thess 3,6-13 im Blick. Diese sind durch den Brief mitgeteilt.

Ein Teil der Anweisungen betrifft diejenigen Gemeindeglieder, die einen unordentlichen Lebenswandel führen und nicht arbeiten. Diese sollen einen ordentlichen Lebenswandel führen und arbeiten. Der andere Teil der Anweisungen betrifft die Gemeindeglieder, die einen ordentlichen Lebenswandel führen und arbeiten. Diese Gemeindeglieder sollen die unordentlichen und arbeitsscheuen Gemeindeglieder meiden. Von sämtlichen Gemeindegliedern wird also Gehorsam seitens des mit paulinischer Autorität schreibenden Verfassers des 2 Thess verlangt. Wenn nun in V. 14 geboten wird, keinen Umgang mit einem Gemeindeglied zu haben, das den durch den Brief mitgeteilten Weisungen nicht gehorcht, dann kann das ungehorsame Gemeindeglied beiden Gruppen angehören. Sofern es der Gruppe der unordentlichen und arbeitsscheuen Gemeindeglieder angehört, wäre jedoch eine Doppelung der Meidung festzustellen: Meidung wegen der Unordnung und Arbeitsverweigerung (V. 6) und Kontaktabbruch wegen des Ungehorsams (V. 14). Insofern ist eher anzunehmen, dass ein Gemeindeglied im Blick ist, das nicht der Weisung folgt, unordentliche und arbeitsscheue Gemeindeglieder zu meiden. Es wäre gegenüber dem „Wort durch unseren Brief“ ungehorsam, womit der Kontakt mit ihm zu meiden wäre. Allerdings soll der Kontakt nicht vollständig unterbunden werden, weil immerhin die Möglichkeit der geschwisterlichen Zurechtweisung vorgesehen ist (V. 15). Von einer solchen ist bezüglich der unordentlichen und arbeitsscheuen Gemeindeglieder nicht ausdrücklich die Rede. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein unordentliches und arbeitsscheues Gemeindeglied im Blick ist. In V. 15 käme gegenüber V. 6 der Aspekt der geschwisterlichen Zurechtweisung hinzu.


Das Verb „sêmeiomai“ kommt im NT nur in 2 Thess 3,14 vor. Es handelt sich um die mediale Verbform von „sêmeioô“, das „markieren“, „siegeln“ oder „signalisieren“ bedeuten kann und vom Substantiv „sêmeion“ abgeleitet ist, dessen Grundbedeutung „Zeichen“ ist. So kann man erschließen, dass „sêmeiomai“ in etwa „sich markieren“ oder „sich signalisieren“ bedeutet. Welche Übersetzung passt angesichts dieser Deutungsmöglichkeiten am besten? Eine Übersetzung, die sich nahelegt, ist „sich merken“. Die Bedeutung wäre dann, dass sich die Gemeindeglieder das ungehorsame Gemeindeglied merken sollen. Und dann sollen sie mit ihm keinen Umgang pflegen.


Bei der Verbform „entrapê“ handelt es sich um einen Aorist Konjunktiv Passiv des Verbs „entrepô“, das „beschämen“ oder „umdrehen“ bedeutet. Das Passiv bedeutet demnach „beschämt werden“ oder „zur Umkehr bewegt werden“. Demnach kann die Formulierung „hina entrapê“ mit „damit er beschämt wird“ oder „damit er zur Umkehr bewegt wird“ übersetzt werden. Die Isolierung des ungehorsamen Gemeindegliedes ist also nicht einfach nur eine Bestrafung, sondern soll Schamgefühl und einen Verhaltenswandel bewirken.

Von diesem Zweck der Isolierung her gelesen, ist das Verb „sêmeiomai“ nicht nur im Sinne „sich merken“ zu verstehen, sondern auch im Sinne von „kennzeichnen“. Bei der Übersetzung mit „kennzeichnen“ wäre die Bedeutung, dass die Gemeindeglieder das ungehorsame Gemeindeglied kennzeichnen sollen, indem sie mit ihm keinen Umgang pflegen. Wenn das ungehorsame Gemeindeglied zum Außenseiter wird und es immer nur allein anzutreffen ist und sich niemand in seiner Nähe aufhält, dann ist seine Außenseiterrolle für alle ersichtlich. Das ist für das ungehorsame Gemeindeglied äußerst unangenehm und peinlich. Es wird also beschämt und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es bei ihm einen Sinneswandel gibt und es sein Verhalten ändert und fortan den brieflichen Anordnungen des Verfassers (oder: der Verfasser) des 2 Thess folgt.

Bei der Übersetzung „...dann kennzeichnet ihn, indem ihr keinen Umgang mit ihm habt“ wäre jedoch statt des Infinitivs „synanamignysthai“ („keinen Umgang haben“) ein Partizip („keinen Umgang habend“) zu erwarten. Da zudem „sêmeiomai“ eine mediale Verbform und nicht eine aktive Verbform ist, also die aktive Kennzeichnung eher im Hintergrund steht (auch wenn sie ebenfalls im Blick sein dürfte), spricht mehr für ihre Übersetzung mit „sich merken“ als mit „kennzeichnen“.


Bei der Übersetzung des Verbs „synanamignysthai“ kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei 2 Thess 3,14-15 um einen Text von autoritativ gebietendem, geradezu gesetzlichem Charakter handelt. In einem solchen Text ist die Übersetzung „keinen Umgang haben mit“ angemessen. Auch in einem gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Brief, dem Ersten Korintherbrief, findet sich in 5,9 das Verb „synanamignysthai“. Dort ist der Tonfall deutlich lebendiger, auch wenn er ebenfalls gebietenden Charakter hat. Aufgrund der Lebendigkeit bietet sich dort die (gleichbedeutende) Übersetzung „nichts zu schaffen haben mit“ an. Der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess mag bei seiner Formulierung die Mahnung 1 Thess 5,9, mit Unzüchtigen nichts zu schaffen zu haben, im Blick gehabt haben. Offensichtlich hat er jedoch den sehr emotionalen und lebendigen und durchaus auch konkreten Sprachstil nicht übernommen, sondern einen gesetzlicheren Sprachstil gewählt.


Der Infinitiv „synanamignysthai“ („keinen Umgang haben“) hat schon in der Antike für Verwunderung gesorgt, wäre doch eigentlich nach dem Imperativ „sêmeiousthe“ („merkt euch“; „kennzeichnet“) ein weiterer Imperativ zu erwarten. Und es wäre zu erwarten, dass dieser weitere Imperativ mit einem verbindenden „kai“ („und“) angeschlossen wird. Entsprechend dieser Erwartung wurde der Wortlaut abgeändert, wie die Variante beweist, die den Infinitiv zu einem Imperativ umwandelt und außerdem ein verbindendes „kai“ einschiebt. Angesichts der vergleichsweise schwachen Bezeugung und der leichten Erklärbarkeit der Variante ist klar, dass sie nicht ursprünglich ist.


Weiterführende Literatur: Zu disziplinarischen Aussagen bei Paulus siehe J. T. South 1992, der sich auf S. 160-170 mit 2 Thess 3,6-15 befasst. In 2 Thess 3,6-15 wende sich Paulus wie in den gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Briefen an die gesamte Gemeinde. Der Tonfall sei gebietend. Es liege derselbe, von Sorge und geschwisterlicher Teilhabe geprägte Geist der Autorität vor, wie er auch in den gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Briefen zu finden sei. An der Befolgung der disziplinarischen Anweisungen sei zu erkennen, inwieweit die Gemeinde der Autorität des Autors folgt, die letztendlich die Autorität von Christus selbst sei. Wie in den gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Briefen sei auch im 2 Thess ein aufrichtiges Interesse am Wohlergehen derjenigen zu erkennen, die sich nicht an die Anordnungen halten. Diese würden weiterhin als „Geschwister“ betrachtet. Anders als in 1 Kor 5 und 2 Kor 2 sei nicht an einen Ausschluss aus der Gemeinde gedacht, sondern an Meidung und geschwisterliche Ermahnung (vgl. Gal 6,1; Röm 16,17), um bei den Gemiedenen und Ermahnten mittels der Beschämung einen Sinneswandel herbeizuführen.

C. J. Bumgardner 2009, 55-97 geht dagegen von einem dermaßen schwerwiegenden Vergehen aus, dass bei einer Fortsetzung des Fehlverhaltens Paulus den Ausschluss aus der Gemeinde fordere. Mit dieser Forderung liege 2 Thess 3,6-15 auf der Linie dessen, was auch das NT generell bei fortgesetztem Fehlverhalten fordere. Die „Ungehorsamen“, die in V. 14 in den Blick kommen, seien vermutlich die „Unordentlichen“ von V. 6-13, die sich zu arbeiten geweigert und so gegen die apostolische Tradition verstoßen hätten. Die meisten Gemeindeglieder hätten wohl den Geboten des Paulus (vgl. V. 4) gehorcht, die „Unordentlichen“ dagegen seien dauerhaft uneinsichtig gewesen. Sie seien nicht Willens gewesen, sich der Autorität des Paulus zu beugen. Dies sei von Paulus als ein schweres Vergehen betrachtet worden, wie die Stellung der Anordnungen an exponierter Stelle am Ende des Briefes und die bestimmte Sprache zeigten. Auch diejenigen, die sich nicht von den „Unordentlichen“ zurückzogen, würden indirekt als „ungehorsam“ betrachtet. Auch gegenüber ihnen würden disziplinarische Maßnahmen gefordert.


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V. 15


Beobachtungen: Eine Person, die den Anordnungen des Verfassers (oder: der Verfasser) des 2 Thess nicht gehorcht, bleibt trotz allem Christin, auch wenn der Kontakt mit ihr gemieden werden soll. Folglich wird sie auch nicht zu einem Feind, sondern bleibt ein geistlicher Bruder (oder: eine geistliche Schwester). Folglich soll sie auch nicht verloren gegeben, sondern zurechtgewiesen werden. Und die Zurechtweisung soll mit einer Haltung und mit einem Ton geschehen, wie es sich gegenüber einem geistlichen Bruder (oder: einer geistlichen Schwester) gehört. Ganz allgemein gesagt sollen Haltung und Ton gewinnend sein, nicht zurückweisend.


Das Substantiv „adelphos“ bedeutet „Bruder“, hier jedoch nicht im Sinne leiblicher Verwandtschaft, sondern geistlicher Verwandtschaft. Sowohl die zurechtweisende Person als auch die zurechtgewiesene ist christlichen Glaubens und gehört damit der geistlichen Gemeinschaft der Christen an. Da die zurechtgewiesene Person auch weiblich sein kann, kann statt der Übersetzung „Bruder“ auch die Übersetzung „Schwester“ gewählt werden. Das maskuline Geschlecht des Substantivs gibt an, dass auf jeden Fall ein männliches Gemeindeglied gemeint sein kann, weshalb hier die Übersetzung „Bruder“ gewählt wird. Es ist jedoch damit nicht ausgeschlossen, dass das Gemeindeglied weiblich ist. Wir haben es hier mit einem Fall männerzentrierter Sprache zu tun. Eine gerechte Übersetzung von V. 15 könnte „Doch seht ihn (oder: diese Person) nicht als einen Feind an, sondern weist ihn (oder: sie) als Bruder oder Schwester zurecht.“


Weiterführende Literatur:


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V. 16


Beobachtungen: Der „Herr“ (gemäß 1,1; 2,1 und 3,18 dürfte Jesus Christus gemeint sein) wird als „Herr des Friedens“ bezeichnet. Die Formulierung wird nicht weiter konkretisiert, so dass man nur allgemein feststellen kann, dass der „Herr“ Frieden bewirkt und Frieden wünscht. Der Begriff „Friede“ ist auch im einleitenden Segenswunsch 1,2 enthalten. Fraglich ist jedoch, ob es in erster Linie um den Frieden zwischen dem „Herrn“ und den Menschen oder um den Frieden zwischen den Menschen oder um beides geht.

Die Formulierung „Herr des Friedens“ ist insofern bemerkenswert, als in den paulinischen Briefen die Formulierung gewöhnlich „Gott des Friedens“ lautet (vgl. Röm 15,33; 16,20; 1 Kor 14,33; 2 Kor 13,11; 1 Thess 5,23; Phil 4,9). Der Gedanke, dass Gott ein Gott des Friedens ist, ist auch in 2 Thess 1,2 zu finden. Aber dort ist auch ausgesagt, dass der Friede auch von Jesus Christus, dem „Herrn“ ausgeht. Der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess scheint keine Hemmungen zu haben, Eigenschaften Gottes auf Jesus Christus zu übertragen.

Der Friede wird vom „Herrn“ nicht nur einmalig oder hin und wieder gegeben, auch nicht nur auf eine bestimmte Weise, sondern allezeit und auf alle Weise. Der Friede vom „Herrn“ ist also umfassend und in keinster Weise eingeschränkt.


Der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess versteht den Glauben als eine Zugehörigkeit zu einem Machtbereich. Wenn er also den „Herrn“ als „Herrn des Friedens“ bezeichnet und dieser mit den Adressaten sein soll, so ist ausgesagt, dass auch bei den Adressaten Friede herrschen soll - Friede, den Paulus in Jerusalem und manch anderer Gemeinde so schmerzlich vermisst hat. Der Friede kann nur vom „Herrn“ (oder Gott) kommen, nicht von den Adressaten allein.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bumgardner, Charles J.; "As a Brother": 2 Thessalonians 3:6-15 and Ecclesiastical Separation, DSBJ 14 (2009), 55-97

South, James T.; Disciplinary Practices in Pauline Texts, Lewiston, New York 1992


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