Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Galaterbrief

Der Brief des Paulus an die Galater

Gal 1,6-9

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Gal 1,6-9



Übersetzung


Gal 1,6-9:6 Ich wundere mich, dass ihr so schnell von dem abfallt, der euch durch Christi Gnade berufen hat, zu einem anderen Evangelium, 7 [wo] es [doch] kein anderes gibt, außer dass es einige gibt, die euch verwirren und die das Evangelium (des) Christi verdrehen wollen. 8 Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium verkündigen würden entgegen dem, was wir euch verkündigt haben - er sei verflucht! 9 Wie wir früher [schon einmal] gesagt haben, sage ich auch jetzt wieder: Wenn euch jemand ein Evangelium verkündigt entgegen dem, was ihr empfangen habt - er sei verflucht!



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V. 6


Beobachtungen: Im Galaterbrief lässt Paulus ungewöhnlicherweise die Danksagung aus. Somit folgt auf das Präskript (1,1-5) mit dem Eingangsgruß unmittelbar ein Abschnitt, der auf den Grund für das Schreiben eingeht. Es wird deutlich: Es gibt keinen Grund für eine Danksagung, weil die Christen in Galatien auf Abwege geraten sind. Woher Paulus von den Zuständen in Galatien weiß, bleibt offen.


Paulus wundert sich. Seine Verwunderung ist damit zu erklären, dass das Verhalten der galatischen Christen nicht mit seinen Erwartungen übereinstimmt. Paulus hat erwartet, dass die Galater beim rechten Glauben bleiben werden, tatsächlich sind sie jedoch von ihm schnell abgefallen.


Abgefallen sind sie von dem, der sie durch Gnade (oder: in Gnade) berufen hat. Um wen handelt es sich dabei? Zunächst ist an diejenige Person zu denken, die die Gemeinden der Adressaten gegründet hat. Da nur von einer einzigen Person die Rede ist, kann auch nur eine einzige Person die Gemeinden gegründet haben. Doch wer ist diese Person? Handelt es sich um die Gemeinden in der Landschaft Galatien, so kann es sich bei dem Gemeindegründer um Paulus gehandelt haben, denn er hat dort laut Apg 16,6; 18,23 gewirkt. Da jedoch nirgendwo ausdrücklich davon die Rede ist, dass die Gemeinden in der Landschaft Galatien auf das Wirken des Apostels zurückzuführen sind, könnte bei der Landschaftshypothese auch ein anderer Missionar Gemeindegründer gewesen sein. Glaubt man dem Verfasser der Apostelgeschichte (vgl. 13,13-14,27), so lässt sich nur sicher sagen, dass Paulus auf seiner ersten Missionsreise in den südlichen Landschaften der römischen Provinz Galatien (zur Landschafts- und Provinzhypothese vgl. die Beobachtungen zu Gal 1,2) Gemeinden gegründet hat, und zwar Antiochia (in Pisidien), Ikonion, Lystra und Derbe (in Lykaonien). Als Fazit lässt sich somit sagen, dass wahrscheinlich - nicht jedoch sicher - ist, dass die Gemeinden der Adressaten auf das Wirken des Apostels zurückgehen.

Angesichts der Tatsache, dass andernorts in den paulinischen Briefen eindeutig Gott als Berufender erscheint (vgl. Gal 1,15; Thess 2,12; 5,24; Röm 9,12), ist jedoch auch gut möglich, dass nicht der Gemeindegründer derjenige ist, der die Adressaten berufen hat, sondern Gott.

Weniger wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist, dass Jesus Christus, der sich Paulus offenbart hat (vgl. Gal 1,16; Apg 9,1-9), der Berufende ist.


Paulus spricht davon, dass die Berufung durch Gnade geschehen ist. Um wessen Gnade es sich handelt, ist bei zahlreichen alten und wichtigen Textzeugen klar: Es handelt sich um diejenige Christi (oder: Jesu). Einige wenige Minuskeln lesen jedoch „Gottes“ statt „Christi“, gehen also von der Gnade Gottes aus. Und schließlich lassen einige wichtige Textzeugen offen, um wessen Gnade es sich handelt.

Im Hinblick auf die verschiedenen Thesen, wer der Berufende sein könnte, lässt sich mit Blick auf die unterschiedlichen Lesarten Folgendes sagen: Sollte Jesus Christus der Berufende sein, so ist die Lesart „Christi Gnade“ sicherlich nicht die ursprüngliche, denn dann hätte es „seine Gnade“ heißen müssen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass Christus zuvor als Berufender ausdrücklich genannt wird und nicht erst an solch später Stelle.

Wenn Gott der Berufende ist, so kann die Lesart „Christi Gnade“ durchaus ursprünglich sein. Doch stellt sich die Frage, warum nicht von „seiner/Gottes Gnade“ die Rede ist, wo doch laut 1,4 das Kreuzigungsgeschehen auf den Willen Gottes zurückzuführen ist. Diese Unklarheit mag dazu geführt haben, dass der Genitiv „Christi“ in korrigierender Absicht von verschiedenen Textzeugen ausgelassen wurde. Auch kann der Genitiv unabsichtlich ausgelassen worden sein. Dass der Genitiv „Christi“ nachträglich hinzugefügt wurde, ist unwahrscheinlich, denn warum hätte man betonen sollen, dass es sich um die Gnade Christi handelt?

Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, dass Paulus (oder derjenige Missionar, der die Gemeinden der Adressaten gegründet hat) der Berufende ist. In diesem Fall könnten beide Lesarten ursprünglich sein. Nahe liegender ist aufgrund von 1,4, dass Paulus die Adressaten durch Gnade und nicht durch Christi Gnade berufen hat, wobei es sich um die Gnade Gottes und nicht des Apostels handeln dürfte. Allerdings ist auch möglich, dass Paulus hier die Berufung der Adressaten ausdrücklich auf Christi Gnade zurückführt, weil sein eigenes missionarisches Wirken ohne Christi Erscheinung bei Damaskus und die damit zusammenhängende Bekehrung nicht zu denken ist. Keine der beiden Varianten spricht also inhaltlich dagegen, dass Paulus der Berufende ist.


Die Galater sind laut Paulus zu einem „anderen Evangelium“ abgefallen. In V. 6 gesteht er also noch zu, dass es sich auch bei der anderen Lehre um ein Evangelium handelt.


Weiterführende Literatur: R. Meynet 1996, 51-64 untersucht die Gliederung und die literarische Gattung von 1,6-2,21. In 1,6-10, dem exordium (gemäß Betz), lege Paulus den Sachverhalt dar, der ihn zur Abfassung des Briefes bewegt hat; 1,11-17 thematisiere die Berufung des Paulus; 1,18-24 sei ein Übergangsabschnitt hin zu 2,1-10, wo erzählt werde, wie die Berufung von den anderen Aposteln anerkannt wurde. R. Meynet sieht eine Entsprechung von 1,6-10 und 2,11-21: In ersterem Abschnitt werfe Paulus den Galatern, in letzterem Abschnitt Petrus/Kephas Untreue gegenüber dem Evangelium vor.


J. S. Vos 1994, 1-16 vertritt die Ansicht, dass sich Gal 1-2 in jeder Hinsicht als Antwort auf die Forderung nach Beschneidung oder Gesetzestreue verstehen lasse. Es sei nicht erforderlich, weitere Forderungen zu rekonstruieren.


D. F. Tolmie 2000, 122-137 vertritt die Meinung, dass die paulinische rhetorische Strategie in Gal 1,1-10 anhand eines „grounded theoretical approach“ zu analysieren sei, nicht anhand einer Übertragung von antiken rhetorischen Kategorien.


Laut F. Schnider, W. Stenger 1987, 44 handele es sich rhetorisch besehen bei 1,6-7 um die Umkehrung einer sonst am Redeanfang begegnenden captatio benevolentiae, d. h. eine vituperatio.


R. E Van Voorst 2010, 153-172 geht der Frage nach, warum sich im Galaterbrief keine Danksagung befindet. Gewöhnlich werde dem Fehlen der Danksagung besondere Bedeutung beigemessen und das Fehlen von Gal 1,6-10 her gedeutet. Tatsächlich liege es jedoch darin begründet, dass es sich bei der Danksagung nicht um eine briefliche Konvention gehandelt habe. Paulus habe sie zwar gewöhnlich in seine Briefe eingefügt, die Galater hätten das jedoch nicht gewusst. Es sei auch nicht von 1,6-10 her zu deuten, sondern von der Form und vom Inhalt des erstaunlichen Präskriptes 1,1-5 her. Dieses verstoße gegen hellenistische briefliche Konventionen und bereite die „schlechten Nachrichten“ 1,6-10 vor.


Gemäß J. H. Roberts 1992, 329-338 gebrauche Paulus in Gal 1,6 das Verb „thaumazô“ in Übereinstimmung mit einer antiken epistolarischen Gepflogenheit, um seine echte Bestürzung über das Verhalten der Galater auszudrücken. Die Anwendung dieser Gepflogenheit sei in erheblichem Maße mit Emotionen beladen und mit Folgerungen verbunden, die sowohl den Autor als auch die Empfänger betreffen. Unter anderem würden die Empfänger zurückgewiesen, um sie herauszufordern und zur Abkehr von den Irrlehren hin zur richtigen Botschaft im Sinne des Apostels zu bewegen.


K. Nikalopoulos 2001, 199-201 versteht Gal 1,6 als ironisches Erstaunen des Apostels. Ironisch nenne er die Irrlehren „anderes Evangelium“. Diese Formulierung sei widersprüchlich, weil das Evangelium, die gute Nachricht, die erlösende Botschaft des Sohnes Gottes einzig, etwas Besonderes sei. Nur dieses eine Evangelium sei echt. In den V. 7-9 setze sich die Ironie bezüglich der Formulierung „anderes Evangelium“ fort.

Zur rhetorischen Funktion des Substantivs „Evangelium“ und der verwandten Worte im Galaterbrief siehe F. W. Hughes 1994, 210-221.


C. E. Arnold 2005, 429-449 geht der Frage nach, warum die Galater so schnell vom Evangelium, das Paulus verkündigt hatte, abfielen. Dabei beleuchtet er den heidnisch-religiösen Hintergrund der Galater und zieht Inschriften der betreffenden Region heran, und zwar lydisch-phrygische Bekenntnisinschriften und Inschriften des Hosios-Kultes und Dikaios-Kultes. Ergebnis: Die Verpflichtung, kultische Gebote zu befolgen und gute Werke zu tun, um bei den lokalen Göttern ein gutes Ansehen zu genießen, habe die galatischen Christen anfällig für die Botschaft der Gegner des Paulus gemacht.


F. E. Udoh 2000, 214-237 spürt dem Ursprung der außergewöhnlich negativen Einstellung des Paulus gegenüber dem jüdischen Religionsgesetz nach. Allgemein gesagt sei der Ursprung dieser Einstellung der grundsätzliche christliche Glaube, dass – für Juden gelte dies genauso wie für Heiden – Rettung nur durch den Eintritt in die messianische Bewegung durch den Glauben an Jesus Christus erlangt werden könne. Eine Besonderheit im Rahmen dieses Glaubens sei jedoch die grundsätzlich negative Einstellung des Apostels gegenüber dem Gesetz. Diese negative Einstellung sei auf dem historischen Hintergrund der Diskussion über die Regeln für die Einbeziehung der Heiden und – genauer gesagt – dem Beharren einiger Judaisten darauf, dass Heiden jüdische Bundesidentität annehmen müssten, zu verstehen. Drei historische Zeitpunkte hätten zu Höhepunkten des Konfliktes geführt: a) Paulus‘ zweiter Besuch in Jerusalem; b) Petrus‘ Besuch in Antiochia; c) die Krise in Galatien. Der eigentliche Ursprung der negativen Einstellung zum Gesetz sei jedoch in der Krise in Galatien zu suchen.


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V. 7


Beobachtungen: In V. 7 korrigiert sich der Apostel jedoch sogleich dahingehend, dass es kein anderes Evangelium als dasjenige gibt, das er aufgrund Christi Offenbarung verkündigt hat. Es gibt nur ein einziges Evangelium und nicht eine Mehrzahl unterschiedlicher Evangelien.


Folglich, so führt Paulus in einer offensichtlich aufgewühlten Gemütslage weiter aus, verkündigen seine Gegner kein Evangelium, sondern versuchen dieses zu verdrehen und so die Galater zu verwirren.


Weiterführende Literatur: Laut A. Vanhoye 2002, 392-398 veranlasse eine Zeichensetzung, die die Formulierung „ouk allo ei mê“ („kein anderes, außer“) in zwei Bestandteile teilt, verschiedene Ausleger zur Behauptung, dass Paulus in Gal 1,6-7 die Existenz jeglichen anderen Evangeliums leugne. Belasse man jedoch die Einheit der griechischen Formulierung, dann werde deutlich, dass Paulus nur die Authentizität eines anderen Evangeliums leugne. Die Existenz von zwei legitimen Formen der Mission werde nicht bestritten (vgl. Gal 2,7).

Laut J. Schröter 2004, 49-67 stelle Paulus im Galaterbrief nicht lediglich sein Evangelium als “Evangelium Jesu Christi” und der Gegner Botschaft als “Nicht-Evangelium” einander gegenüber. Seine Argumentation sei vielmehr differenzierter und führe zwei Formen (juden- und heidenchristlich), in denen das Evangelium verkündet werde, auf eine gemeinsame Grundlage zurück, nämlich die Aufhebung der Trennung von Juden und Heiden in der Christusgemeinschaft. Das Ziel seiner Ausführungen sei dabei, die ursprüngliche Einheit dieser doppelten Gestaltwerdung des Evangeliums aufzuzeigen, welches von ihm, dem Heidenapostel, rechtmäßig verkündet, von den Gegnern und Kephas jedoch verdreht werde. Damit machten sie sich eines Verstoßes nicht nur gegen das Jerusalemer Abkommen, sondern gegen das von Gott autorisierte Evangelium selbst schuldig. Nicht dass es kein anderes Evangelium gibt, sondern dass die andere Gestalt des Evangeliums, wenn sie rechtmäßig verkündigt wird, sachlich von der seinigen nicht verschieden ist, sei demnach die Pointe der paulinischen Argumentation.


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V. 8


Beobachtungen: In V. 8 betont Paulus, dass es kein anderes Evangelium gibt als dasjenige, das er selbst gepredigt hat. Zwar nennt er die Lehre seiner Gegner wieder „ein Evangelium“, und ergänzt „abweichend von / entgegen dem, was wir euch verkündigt haben“, doch verbindet er dieses mit einem Fluch. Folglich kann es sich nicht um ein Evangelium im eigentlichen Sinne handeln, denn ein solches ist mit Segen verbunden.


Unklar ist, ob „abweichend von“ oder „entgegen dem“ zu übersetzen ist, denn die griechische Formulierung „par ho“ kann beides bedeuten. Die Erregung des Apostels lässt annehmen, dass der Unterschied zu dem von ihm selbst gepredigten Evangelium groß ist. Daher scheint die Übersetzung „entgegen dem“ angemessener zu sein.


Eine Lehre, die dem wahren, von Paulus verkündigten Evangelium entgegengesetzt ist, ist in keinem Fall ein Evangelium, auch wenn sie von Paulus selbst oder einem Engel vom Himmel - beide müssten das Evangelium ja eigentlich als Gesandte Jesu Christi bzw. Gottes am besten kennen - als solches dargeboten werden. Für eine solche Verkündigung würde beiden vielmehr die Verfluchung gebühren.


Weiterführende Literatur: Konditionalsätze im Allgemeinen und die Konditionalsätze in Gal 1,8-9 hat D. J. Armitage 2007, 365-392 zum Thema. Er untersucht die Semantik der Konditionalsätze 1,8-9 und die pragmatische Funktion dieser Sätze vom Standpunkt der „Speech Act Theory“ aus.


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V. 9


Beobachtungen: In V. 9 wiederholt Paulus des Fluch, was zeigt, wie wichtig ihm die Angelegenheit ist. Es geht nicht nur um eine Meinungsverschiedenheit, sondern um die Gefährdung des Heils der Adressaten schlechthin.


Paulus verweist bei seiner Wiederholung ausdrücklich auf eine gleichlautende frühere Aussage. Dabei sagt er jedoch nicht, wann er diese Aussage gemacht hat. Am ehesten ist an die unmittelbar vorhergehende des V. 8 zu denken, denn eine andere gleichlautende ist uns nicht bekannt. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass er in Vorahnung des späteren Abfalls schon bei seinem Missionsaufenthalt in Galatien einen solchen Fluch geäußert hat.


Die Formulierung: „was ihr empfangen habt“ statt „was wir euch verkündigt haben“ lässt sich damit erklären, dass Paulus deutlich machen will, dass die Adressaten seine Verkündigung nicht nur gehört, sondern sie auch angenommen haben und sich folglich taufen ließen.


Weiterführende Literatur: Gemäß G. Häfner 2001, 2001, 101-104 ist die Auslegung des Verbs „prolegein“ („früher/vorher sagen“) umstritten. Zwei Verständnisse stünden einander gegenüber. Zumeist werde das „pro…“ auf ein weiter zurückliegendes „früher“ gedeutet. Paulus beziehe sich auf eine Äußerung, die er bei einem vergangenen Aufenthalt in Galatien gemacht habe: „Wie wir es früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder.“ Nur selten vertreten werde eine zweite Möglichkeit: Ihr zufolge sei der Bezugspunkt von „prolegein“ die Aussage im voranstehenden Satz. Paulus schärfe das angedrohte Anathema durch eine Wiederholung besonders nachdrücklich ein: „Wie wir gerade zuvor gesagt haben, sage ich jetzt noch einmal. G. Häfners Überlegungen wollen die zweite Interpretation bestärken. Zunächst versucht er die zwei wesentlichen Einwände gegen die zweite Interpretation zu widerlegen, die lauten: a) „proeirêkamen“ („…wir früher/vorher gesagt haben“) sei nicht als schriftstellerisches „Wir“ zu verstehen. Der Wechsel zum Singular („Ich“) zeige vielmehr an, dass Paulus die frühere Verkündigungssituation (er selbst einschließlich seiner Mitarbeiter in Galatien) von der jetzigen Abfassung des Briefes (er allein) unterscheide. b) Zur Betonung des „Jetzt“ passe nur eine andere Zeitstufe als Gegenüber. Anschließend geht G. Häfner auf Schwächen der ersten Interpretation ein: Eine frühere Warnung sei unwahrscheinlich. Außerdem sei durchaus möglich, dass sich Paulus wiederholt. Dass die Wiederholung nicht wörtlich erfolgt, sei kein Argument gegen einen Rückbezug auf V. 8, sondern für ihn. M. Bachmann 2003, 112-115 versucht wiederum die Argumentation von G. Häfner zu widerlegen. Zwar könne das Zeitadverb „arti“ in der Tat bedeuten: „gerade jetzt / im selben Augenblick / sogleich“. Aber Paulus verwende es sonst nicht so, dass es den momentanen Zeitpunkt von dem unmittelbar vorangehenden unterscheidet. Auch das Verb „prolegein“ und die mit ihm im Blick auf bestimmte Tempora verknüpften Bildungen anderer Stämme ließen auf ein vor dem Zeitpunkt von 1,9a und vor der Briefsituation liegendes Reden schließen. Im Kontext des Briefes an die galatischen Gemeinden sei auch zu beachten, dass sich auch 5,3.21 auf bereits vor Abfassung des Schreibens den Galatern gegenüber (Vorher-)Gesagtes beziehen. Schließlich hält M. Bachmann auch G. Häfners Überlegungen bezüglich des Übergangs vom „Wir“ zum „Ich“ und zur wiederholenden Aufeinanderfolge von V.8 und 9 für nicht überzeugend.


M. Behnisch 1984, 241-253 fragt, wie es möglich ist, dass in V. 9 (wie auch in V. 8) beides, Evangelium und Fluch, in einem Atemzug zur Sprache kommt. Ergebnis: Der Fluch bei Paulus könne die theologische Funktion haben, uns die eschatologische Qualität des paulinischen Evangeliums in Erinnerung zu rufen.



Literaturübersicht


Armitage, David J.; An Exploration of Conditional Clause Exegesis with Reference to Galatians 1,8-9, Bib. 88/3 (2007), 365-392

Arnold, Clinton E.; “I Am Astonished That You Are So Quickly Turning Away!“ (Gal 1.6): Paul and Anatolian Folk Belief, NTS 51/3 (2005), 429-449

Bachmann, Michael; Gal 1,9: „Wie wir schon früher gesagt haben, so sage ich jetzt erneut“, BZ 47/1 (2003), 112-115

Behnisch, Martin; Fluch und Evangelium: Galater 1,9 als ein Aspekt paulinischer Theologie, BThZ 1/2 (1984), 241-253

Häfner, Gerd; Zur Auslegung vor proeirêkamen in Gal 1,9, BZ 45/1 (2001), 101-104

Hughes, Frank W.; The Gospel and its Rhetoric in Galatians, in: L. A. Jervis, P. Richardson [eds.], Gospel in Paul, Sheffield 1994, 210-221

Meynet, Roland; Composition et genre littéraire de la première section de l’épître aux Galates, in: J. Schlosser [éd.], Paul de Tarse. Congrès de l’ACFEB (Strasbourg, 1995) (LeDiv 165), Paris 1996, 51-64

Nikalopoulos, Konstantin; Aspekte der „paulinischen Ironie“ am Beispiel des Galaterbriefes, BZ 45/2 (2001), 193-208

Roberts, J. H.; Paul’s Expression of Perplexity in Galatians 1:6: The Force of Emotive Argumentation, Neotest 26/2 (1992), 329-338

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), 1987, 3-41

Schröter, Jens; Die Einheit des Evangeliums: Erwägungen zur christologischen Kontroverse des Galaterbriefes und ihrem theologiegeschichtlichen Hintergrund, J. Mrázek, J. Roskovec [eds.], Testimony and Interpretation (JSNT.S 272), FS P. Pokorný, London 2004, 49-67

Tolmie, D. F.; Paulus se retoriese strategie in Galasiërs 1:1-10, Acta Theologica 20/2 (2000), 122-137

Udoh, Fabian E.; Paul’s Views on the Law: Questions about Origin (Gal 1:6-2:21; Phil 3:2- 11), NT 42/3 (2000), 214-237

Vanhoye, Albert; La définition de l’»autre évangile» en Ga 1,6-7, Bib. 83/3 (2002), 392-398

Van Voorst, Robert E.; Why Is There No Thanksgiving Period in Galatians? An Assessment of an Exegetical Commonplace, JBL 129/1 (2010), 153-172

Vos, Johan S.; Paul’s Argumentation in Galatians 1-2, HTR 87/1 (1994), 1-16


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