Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 1,3-5

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 1,3-5



Übersetzung


2 Tim 1,3-5 : 3 Ich danke (dem) Gott, dem ich wie schon [meine] Vorfahren mit reinem Gewissen diene, wie ich [auch] in meinen Gebeten unablässig an dich denke, Tag und Nacht, 4 voller Verlangen, dich zu sehen – eingedenk deiner Tränen -, um mit Freude gefüllt zu werden. 5 [Denn] ich erinnere mich an den ungeheuchelten Glauben in dir, der zuerst in deiner Großmutter Lois und deiner Mutter Eunike wohnte, und [jetzt] – davon bin ich überzeugt – auch in dir.



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V. 3


Beobachtungen: „Paulus“ (= der Verfasser des 2 Tim, der vermutlich nicht der historische Apostel Paulus ist) dankt „dem Gott“, wobei der bestimmte Artikel „dem“ erkennen lässt, dass nicht ein beliebiger Gott gemeint ist, sondern ein ganz bestimmter, vertrauter, nämlich „Gott Vater“ (vgl. 1,2). „Gott Vater“ ist der Gott, den die Juden und die Christen verehren.


„Paulus“ dient diesem Gott „von Vorfahren her“ („apo progonôn“), wobei die Vorfahren des „Paulus“ gemeint sein dürften. Da der Verfasser des 2 Tim vermutlich glauben machen will, dass sein Brief vom historischen Apostel Paulus verfasst worden ist, dürfte „von Vorfahren her“ im Sinne von „von den Vorfahren des Paulus her“ zu verstehen sein. Paulus war Jude (und von seiner Berufung zu Jesus Christus an Judenchrist = Jude, der Jesus Christus für den Messias hält), seine Vorfahren Juden. Der Gott, dem „Paulus“ dankt und dient, ist folglich der Gott der Juden, der Gott Israels. Diesem Gott haben bereits die jüdischen Vorfahren des Paulus gedient. Nun könnte man meinen, „Paulus“ wolle betonen, dass sein Dienst und damit das Christentum jüdische Wurzeln hat. Dem ist jedoch nicht so. „Paulus“ dürfte vielmehr betonen, dass sein Dienst nicht neu ist, sondern alt. Er entspricht dem seiner Vorfahren, von denen her er den Dienst hat. Damit ist der Dienst bewährt und hat sozusagen einen Qualitätsnachweis.

Was ist mit dem „Dienst“ gemeint? Da Paulus ein Missionar war, könnte man meinen, dass hier die Missionstätigkeit gemeint ist, also die Verkündigung und der Gemeindeaufbau. Zu bedenken ist jedoch, dass die jüdischen Vorfahren des Paulus keine Missionare waren, schon gar nicht christliche Missionare. Ihr Dienst war also keine Missionstätigkeit, sondern ganz grundsätzlich Gottesverehrung. Dafür spricht auch, dass das altgriechische Verb „latreuein“ („dienen“) in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel (= AT), in kultischen Zusammenhängen auftaucht. Dem verehrten Gott zu danken ist demnach ein Ausdruck der Gottesverehrung.

Auch das Gebet ist wohl Ausdruck der Gottesverehrung. Und das Gebet bietet Raum für das Gedenken, das hier jedoch nicht als zeitlich begrenztes, mit Worten vorgetragenes Gebet zu verstehen sein dürfte, sondern als eine Geisteshaltung. Das Gedenken ist nämlich unablässig; es erfolgt „Tag und Nacht“. Das bedeutet nicht unbedingt, dass auch das Gebet unablässig ist. Gemeint ist wohl eher, dass „Paulus“ sowohl am Tag als auch in der Nacht betet. Wenn „Paulus“ am Tag oder in der Nacht betet, dann ist sein Geist zum einen bei Gott, zum anderen bei „Timotheus“. Daraus ist zu schließen, dass „Paulus“ die Nacht nicht als eine Zeit des Schlafes ansieht, in der „Timotheus“ aus dem Sinn ist.


Der Dienst erfolgt mit „reinem Gewissen“ („en kathara syneidêsei“). In 1 Tim 1,5 ist von „reinem Herzen“ und „gutem Gewissen“ die Rede. Vielleicht enthält die Formulierung „mit reinem Herzen“ sowohl den Aspekt des reinen Herzens als auch den Aspekt des guten Gewissens. Auf jeden Fall macht sie deutlich, dass der Dienst des „Paulus“ aufrichtig ist und nicht aufgrund von Heuchelei oder irgendwelchen schlechten Beweggründen wie z. B. Eigennutz erfolgt.


Fraglich ist, wie „hôs“ zu übersetzen ist. Gut möglich ist, dass hier die Bedeutung „so lange“ oder „wenn“ vorliegt. Die Übersetzung wäre dann „...wenn ich in meinen Gebeten …“. Der Dank würde dann (nur) während des Gebets erfolgen. Dass er Ausdruck der Dienstes ist, käme nicht in den Blick oder wäre zumindest nicht von besonderem Belang. Möglich ist auch die Übersetzung „wie [auch]“. Die Übersetzung wäre dann „...wie ich {auch] in meinen Gebeten …“. Der Dank und das Gedenken in den Gebeten würden dann als zwei Handlungen nebeneinander gestellt, wobei sich nahe legt, dass beide Handlungen – ebenso die Gebete - Ausdruck des Dienstes sind, der mit reinem Gewissen erfolgt. Dass der Dank ebenso wie das Gedenken in den Gebeten erfolgt, ist anzunehmen, allerdings muss der Dank nicht unbedingt an das Gebet gebunden sein. Nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich ist auch die kausale Übersetzung „dass“ oder „weil“. Demnach würde „Paulus“ Gott danken, dass/weil er in seinen Gebeten unablässig an „Timotheus“ denkt.


Weiterführende Literatur: K. Löning 2008, 131-150 befasst sich mit Paulus als soteriologischer Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen. Zu 2 Tim 1,3-18: Als Autor des als Freundschaftsbrief stilisierten 2 Tim formuliere Paulus sein Vermächtnis als Philosoph. Hier gehe es nicht um die Organisation der Gemeinden als Wissensträger, sondern um den Glauben als das geistige Erbe des Paulus. Dieses für die Pastoralbriefe wesentliche Anliegen werde im Proömium programmatisch entwickelt.


Laut R. van Houwelingen 2008, 1715-1733 entspreche die Darstellung des Paulus in 1 Tim 1,13 als Lästerer und Verfolger und Frevler dem „Gottesfeind“, wie er aus der antiken jüdischen Literatur bekannt sei. Aber Paulus sei nicht göttliche Rache widerfahren, sondern göttliche Gnade. Er sei somit ein Kämpfer für Gott geworden, der Anwalt des Christentums. Aber wie kann 2 Tim 1,3 dann sagen, dass Paulus von seinen Vorfahren her mit reinem Gewissen Gott dient? Das könnte als merkwürdige Diskrepanz verstanden werden. Eine Auslegung beider Passagen zeige jedoch, dass das Bild des Paulus in den Pastoralbriefen konsistent ist. Paulus habe seinen Glauben neu definieren müssen, dabei aber stets nur den Gott seiner Vorfahren verehrt.


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V. 4


Beobachtungen: Dass „Paulus“ dem „Timotheus“ schreibt, setzt eine Situation der äußerlichen, räumlichen Trennung voraus. Innerlich sind „Paulus“ und „Timotheus“ jedoch keineswegs getrennt, sondern vielmehr verbunden. Diese Verbindung wird mit emotionalen Begriffen geschildert: „Verlangen“, „Tränen“, „Freude“. Alle diese Begriffe drücken die geschwisterliche Liebe aus. Liest man sie im Lichte der Gottesverehrung, dann drücken sie auch „Gottesliebe“ (seitens des „Paulus“) aus. Die Formulierung „geliebtes Kind“ (1,2) wird mit Leben gefüllt, wobei hier die Liebe des „Paulus“ „Timotheus“ gegenüber im Vordergrund steht, allerdings auch durchschimmert, dass „Timotheus“ auch von Gott bzw. Jesus Christus geliebt ist.


Der Hinweis auf die von „Timotheus“ – vermutlich beim Abschied von „Paulus“ – vergossenen Tränen lässt „Timotheus“ als nicht wirklich männlich, als weibisch erscheinen. Das ist insofern bemerkenswert, als die Antike ein Zeitalter der Wertschätzung des Männlichen war, mit dem Kraft, Macht und Ansehen verbunden wurden. Emotionen wie das Weinen wurden eher den Frauen zugeschrieben.


Weiterführende Literatur: M. Villalobos Mendoza 2014, 45-80 legt dar, dass Timotheus zwar verschiedentlich als ein Macho dargestellt werde, sich aber in Wirklichkeit auf der anderen Seite befunden habe. Er sei nicht redegewandt gewesen, dazu jung und oftmals krank und habe weibisch Tränen vergossen. Er sei zwar zur Gemeindeleitung und zur Lehre ausersehen gewesen, jedoch wüssten wir nicht, ob er wirklich gelehrt, ermahnt und zurechtgewiesen hat. Es scheine so, dass es ihm nicht gelungen ist, ein „wahrer Mann“ („verus vir“) zu werden. Stets erschienen in den Pastoralbriefen die Stimmen der Anderen stärker als die Stimme des Timotheus. Er müsse kämpfen, um seiner Stimme Gehör zu verschaffen und als „wahrer Mann“ anerkannt zu werden, indem er sich als tugendhaft erweist.


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V. 5


Beobachtungen: Die Namen „Lois“ und „Eunike“ (übersetzt: „siegreich“) tauchen im NT nur hier auf. Insofern können wir nichts weiter sagen, als dass Lois und Eunike bereits vor Timotheus zum christlichen Glauben gekommen waren. In Apg 16,1 ist davon die Rede, dass Timotheus Sohn einer „gläubigen jüdischen Frau“ ist. Im Lichte von 2 Tim 1,5 gelesen bedeutet das, dass Eunike, die Mutter des Timotheus, eine Judenchristin war und nicht eine praktizierende Jüdin.

Der Aorist „enôkêsen“ („wohnte“) lässt annehmen, dass Lois, die Großmutter, und Eunike, die Mutter des Timotheus bereits verstorben sind. Warum erwähnt „Paulus“ überhaupt deren ungeheuchelten Glauben? Offensichtlich geht es darum, auch „Timotheus“ als Glied einer Überlieferungskette erscheinen zu lassen. Der Glaube des „Timotheus“ ist nicht neu, sondern auch seine Großmutter und seine Mutter hingen ihm schon an. Dabei geht es jedoch nicht nur um den christlichen Glauben an sich, sondern um den ungeheuchelten christlichen Glauben. Dass Timotheus ein Christ ist, ist aufgrund der Taufe klar. Nicht so klar ist jedoch, dass der christliche Glaube des „Timotheus“ ungeheuchelt ist. Davon ist „Paulus“ jedoch überzeugt, denn er scheint ausreichend Erfahrung mit seinem engen Mitarbeiter „Timotheus“ gesammelt zu haben. Die wörtliche Übersetzung „… und – davon bin ich überzeugt – auch in dir“ legt nahe, dass „Timotheus“ damals bei dem Abschied von „Paulus“ einen ungeheuchelten Glauben hatte, möglicherweise jetzt aber nicht mehr. Der Tonfall des 2 Tim lässt aber keinen Zweifel daran, dass der Glaube des Timotheus weiterhin ungeheuchelt ist. „Timotheus“ steht demnach in einer familiären Glaubenstradition und repräsentiert den familiären Glauben in der Gegenwart und gibt ihn vermutlich auch an seine Nachkommen weiter.

Die andere Großmutter des „Timotheus“ und seine beiden Großväter sowie sein Vater kommen nicht in den Blick. Sind sie nicht zum christlichen Glauben gekommen? Oder war bzw. ist ihr Glaube nicht ungeheuchelt?


Der Glaube erscheint als etwas, was im Menschen ist: Er wohnt im (gläubigen) Menschen.


Weiterführende Literatur: J. Luttenberger 2012, 70-74 fragt, ob durch die Erwähnung von Großmutter und Mutter das zeitliche Nacheinander und die Kontinuität des Glaubens tatsächlich deutlich wird. Vorausgesetzt, dass 2 Tim ein pseudepigraphischer Brief ist, würde eine Kenntnis von Apg 16,1-3 zu vermuten sein. Danach entstamme Timotheus einer Mischehe und damit auch einer Mischtradition. Auffällig sei, dass 2 Tim von Großmutter und Mutter, die Apg aber nur von der Mutter spricht, der Vater an keiner Stelle erwähnt wird. Nach Apg 16,3 sei Timotheus, der offensichtlich einen heidnischen Vater gehabt habe, nicht beschnitten. Er sei erst nachträglich durch Paulus selbst beschnitten worden, obwohl die Mutter des Timotheus, wie Apg 16,1 betone, aus dem Judentum komme. Sollte sie erst nach der Geburt des Timotheus zum christlichen Glauben übergetreten sein, wäre eine Beschneidung des Timotheus bei seiner Geburt zumindest wahrscheinlich. Eindeutig sei das „fromme Familienerbe“ daher nicht. Apg 16 setze voraus, dass seine Mutter die Beschneidung nicht durchgesetzt hatte oder nicht durchsetzen konnte und nach 2 Tim 1,5 später Christin geworden ist. Die Beschneidung hätte dann ihre grundsätzliche Bedeutung verloren. Ob der Vater als Nichtjude Heide blieb oder Christ war bzw. wurde, werde nicht ausdrücklich gesagt. Timotheus sei demnach kein eindeutiges Beispiel für eine christliche Familientradition, da Großmutter und Mutter in der jüdischen Tradition verwurzelt seien. Da Timotheus möglicherweise nicht beschnitten war (und erst später von Paulus beschnitten wurde), eigneten er und seine Familie auch nicht als Paradigma für die Verwurzelung im Judentum. Timotheus sei doch eher das Beispiel für einen Menschen, der zwischen Judentum und Heidentum stehend zum christlichen Glauben findet.


M. Y. MacDonald 2014, 109-147 befasst sich mit der christlichen Versammlung und Familie in den Pastoralbriefen. Zu 2 Tim 1,5: Hier werde das Lehren der Frauen in hohem Maße wertgeschätzt. In diesem Fall sei Timotheus derjenige, dem die Glaubenslehre zugute gekommen ist.



Literaturübersicht


Löning, Karl; "Von ihnen bin ich der Erste" (1 Tim 1,15). Paulus als soteriologische Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen, in: T. Schmeller [Hrsg.], Neutestamentliche Exegese im 21. Jahrhundert. Grenzüberschreitungen, Freiburg i. Br. 2008, 131-150

Luttenberger, Joram; Prophetenmantel oder Bücherfutteral. Die persönlichen Notizen in den Pastoralbriefen im Licht antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie (ABG 40), Leipzig 2012

MacDonald, Margaret Y.; The Power of Children: The Construction of Christian Families in the Greco-Roman World, Waco, Texas 2014

van Houwelingen, Rob; Een godvechter wordt voorvechter, HTS 64/4 (2008), 1715-1733

Villalobos Mendoza, Manuel; When Men Were Not Men: Masculinity and Otherness in the Pastoral Epistles (The Bible in the Modern World 62), Sheffield 2014

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