Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 1,6-14

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 1,6-14



Übersetzung


2 Tim 1,6-14 : 6 Aus diesem Grund erinnere ich dich daran, die Gnadengabe (des) Gottes anzufachen, die in dir ist durch das Auflegen meiner Hände. 7 Denn (der) Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 8 So schäme dich nun nicht des Zeugnisses des Herrn noch meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit für das Evangelium nach [der] Kraft Gottes. 9 Der hat uns gerettet und berufen mit heiligem Ruf, nicht aufgrund unserer Werke, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben, 10 jetzt aber offenbart worden ist durch die Erscheinung unseres Retters Christus Jesus, der den Tod zunichtegemacht, aber Leben und Unvergänglichkeit ans Licht gebracht hat durch das Evangelium, 11 für das ich eingesetzt worden bin als Herold und Apostel und Lehrer. 12 Aus diesem Grund leide ich dies auch; aber ich schäme mich nicht, denn ich weiß, an wen ich glaube, und bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut zu bewahren. 13 Halte dich an das Vorbild der gesunden Worte, die du von mir gehört hast, in Glaube und Liebe, die in Christus Jesus sind. 14 Das kostbare anvertraute Gut bewahre durch den heiligen Geist, der in uns wohnt.



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V. 6


Beobachtungen: In der Danksagung 2 Tim 1,3-5 hat „Paulus“ geschrieben, dass er von dem ungeheuchelten Glauben des „Timotheus“ überzeugt ist. Darauf bezieht sich vermutlich „aus diesem Grund“. Hätte „Timotheus“ den ungeheuchelten Glauben nicht, dann wäre er für keinen kirchlichen Dienst zu gebrauchen. Er hätte dann nämlich von Gott keine Gnadengabe erhalten, an die „Paulus“ erinnern könnte. Und wäre „Paulus“ nicht vom ungeheuchelten Glauben überzeugt, dann müsste er sich erst von ihm überzeugen, bevor er an eine Gnadengabe Gottes erinnern könnte.


Es bleibt offen, welche Gnadengabe (charisma) gemeint ist. Es ist nur ausgesagt, dass sie von Gott geschenkt ist. Man könnte an eine bestimmte Begabung, Fähigkeit denken, aber zu einer solchen passt die Lokalisierung „in dir“ nicht. In „Timotheus“ könnte der heilige Geist bzw. Geist Gottes sein. Dann wäre die Vorstellung, dass der heilige Geist bzw. Geist Gottes in „Timotheus“ eingegossen oder eingezogen ist. Damit könnte „Timotheus“ als lebendiger Tempel gedacht sein, in dem der heilige Geist bzw. Geist Gottes wohnt. Aber muss an den heiligen Geist bzw. Geist Gottes erinnert werden? Und muss er „angefacht“ werden? Wenn der heilige Geist bzw. Geist Gottes eine Wirkkraft ist, dann müsste sie wirken, ohne dass „Timotheus“ sich ihrer erinnern und sie „anfachen“ muss. Angesichts dieser Ungereimtheit könnte man mit Blick auf die Handauflegung des „Paulus“ zu dem Schluss kommen, dass der Amtsauftrag die Gnadengabe ist, denn mit der Handauflegung dürfte eine Beauftragung verbunden sein. Allerdings ist ein Amtsauftrag genauso wenig in einem Menschen, wie es eine Begabung bzw. Fähigkeit ist. Ein Amtsauftrag ist nicht lokalisiert, sondern wird ausgeübt. Als Ergebnis bleibt also, dass keine der genannten Möglichkeit so recht überzeugt. Allerdings bleibt auch als Ergebnis, dass keine der genannten Möglichkeiten ganz auszuschließen ist. Das führt uns zu der Möglichkeit, dass alle genannten Möglichkeiten zugleich gemeint sind und sich gegenseitig ergänzen. Gehen wir davon aus, dass mit der Handauflegung des „Paulus“ tatsächlich ein Amtsauftrag, und zwar die Beauftragung mit einem kirchlichen Amt, verbunden ist, dann muss dieser ausgeübt werden. Nun könnte „Timotheus“ das kirchliche Amt irgendwie, ohne jede Befähigung ausüben. Das wäre wahrscheinlich zum Schaden der Kirche und würde nicht nur seine Person, sondern das ganze Amt diskreditieren. Also benötigt „Timotheus“ für die Ausübung des kirchlichen Amtes Begabungen bzw. Fähigkeiten. Nun könnte sich „Timotheus“ anstrengen, alle Voraussetzungen zu erfüllen und dann sein Amt gut auszuüben. Das wäre dann eine Leistung. Das NT ist aber von dem Gedanken durchzogen, dass nicht die Christen selbst Werke vollbringen, sondern dass es des Beistandes des heiligen Geistes bzw. des Geistes Gottes/Christi oder Gottes oder Jesu Christi bedarf. Diese sind die eigentlichen Wirkkräfte. Der (heilige) Geist kommt von Gott her, weshalb er am ehesten als Gabe gedacht sein dürfte. Und der heilige Geist bzw. Geist Gottes kann auch in „Timotheus“ sein. Er dürfte bewirken, dass „Timotheus“ die Voraussetzungen zum kirchlichen Amt erfüllen und sein Amt gut ausüben kann. „Timotheus“ soll sich des heiligen Geistes erinnern und ihn „anfachen“. Und er soll sich auch der Begabungen bzw. Fähigkeiten, die für die rechte Ausübung des kirchlichen Amtes nötig sind, erinnern und diese „anfachen“. Diese Begabungen bzw. Fähigkeiten soll „Timotheus“ nutzen, also nicht vernachlässigen. Sie sind von Gott geschenkt. Sie können in ihrer Gesamtheit ebenso als „Gnadengabe“ verstanden sein wie der Amtsauftrag oder das kirchliche Amt selbst. An die Mission als Dienstauftrag dürfte wohl nicht gedacht sein, auch wenn der historische Timotheus mit Paulus missioniert hat. Ebenso wie der 1 Tim dürfte der 2 Tim in nachpaulinischer Zeit verfasst worden sein, in der es nicht mehr vorrangig um die Missionsarbeit ging, sondern um Gemeindeaufbau und Gemeindeleitung. Abschließend lässt sich festhalten: Die Formulierung „Gnadengabe in dir“ ist unklar und mehrdeutig. Aber gerade die Unklarheit und Mehrdeutigkeit ermöglicht es, mit einer einzigen Formulierung mehrere Aussagen zu machen, die zusammengenommen ein Ganzes ergeben.


Das Verb „anfachen“ („anazôpyrein“) lässt an ein Feuer („pyr“) denken. Da „Timotheus“ die Gnadengabe von Gott geschenkt worden ist, muss er nicht erst mühsam das Feuer entzünden. Das wäre ein Werk, eine eigene Leistung. Das Feuer ist bereits entzündet. Es geht nun darum, dass das Feuer auch wirklich lodert. „Timotheus“ ist also zur Aktivität aufgerufen. Er soll sich des Feuers erinnern und es anfachen. „Timotheus“ soll also den heiligen Geist bzw. den Geist Gottes in seinem Wirken unterstützen, seine Begabungen nutzen und sein kirchliches Amt gut ausüben.


Gemäß 2 Tim 1,6 hat „Paulus“ selbst dem „Timotheus“ in einer nicht genauer geschilderten Situation die Hände aufgelegt. In 1 Tim 4,14 ist ebenfalls von einer Auflegung der Hände auf „Timotheus“ die Rede, jedoch ist diese seitens des „Ältestenrates“ erfolgt, also seitens eines Gremiums, dem „Paulus“ wohl nicht angehört hat. Mit der Auflegung der Hände des „Ältestenrates“ ist vermutlich an „Timotheus“ der Amtsauftrag ergangen und vielleicht auch die Gabe des heiligen Geistes bzw. Geistes Gottes/Christi und eine geistliche Stärkung erfolgt.

Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen der Schilderung der beiden Verse? Zunächst einmal ist zu bedenken, dass wir es bei 1 Tim und 2 Tim nicht mit Geschichtsbüchern im modernen Sinn zu tun haben. Es geht also nicht darum, so genau wie möglich zu schildern, was tatsächlich geschehen ist. Vielmehr handelt es sich um Briefe, die theologische Aussagen machen und auch Aussagen zu den damals aktuellen kirchlichen Entwicklungen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass vermutlich weder der 1 Tim noch der 2 Tim von dem historischen Apostel Paulus verfasst worden ist. Es wird also vermutlich nicht eine Auflegung der Hände auf Timotheus, den Mitarbeiter des Apostels Paulus bei der Mission, geschildert, der der Apostel Paulus selbst beigewohnt hat und von der er nun berichtet. Höchstens hat ein „Schüler“ des Paulus – vermutlich nach dem Tod des Paulus – ihm überlieferte Berichte aufgenommen. Ob der Verfasser des 1 Tim mit dem Verfasser des 2 Tim identisch ist, ist unsicher. Es kann also ein und derselbe Verfasser dieselbe Begebenheit verschieden geschildert haben; ebenso können zwei verschiedene Verfasser dieselbe Begebenheit verschieden geschildert haben. Die unterschiedliche Schilderung kann auf unterschiedlichen Überlieferungen beruhen oder auf unterschiedlichen Aussageabsichten. Es ist aber auch möglich, dass sich die beiden Verse auf verschiedene Begebenheiten beziehen, 1 Tim 4,14 auf den Amtsauftrag und 2 Tim 1,6 auf eine andere Begebenheit. Und schließlich ist auch möglich, dass 2 Tim 1,6 die Schilderung 1 Tim 4,14 korrigiert. Es fällt nämlich eine Variante von 1 Tim 4,14 auf, gemäß der nicht der „Ältestenrat“, sondern der „Älteste“ dem „Timotheus“ die Hände aufgelegt hat. Natürlich kann es sich um einen Hör- oder Schreibfehler („presbyterou“ statt „presbyteriou“) handeln, aber es ist auch möglich, dass sich Schreiber die Frage gestellt haben, wie ein ganzes Gremium die Hände aufgelegt haben kann. Auch könnten sie eine kirchliche Praxis ihrer eigenen Zeit im Blick haben, wonach nur eine Person – speziell der Bischof – bei der Einsetzung eines Klerikers die Hand auflegt. In 2 Tim 1,6 wäre dann der „Älteste“ durch „Paulus“ ersetzt worden, vielleicht um die persönliche Beziehung zwischen „Paulus“ und „Timotheus“ stärker herauszustellen Ob der Verfasser von 2 Tim die schwach bezeugte Variante kannte, wissen wir allerdings nicht.


Weiterführende Literatur: K. Löning 2008, 131-150 befasst sich mit Paulus als soteriologischer Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen. Zu 2 Tim 1,3-18: Als Autor des als Freundschaftsbrief stilisierten 2 Tim formuliere Paulus sein Vermächtnis als Philosoph. Hier gehe es nicht um die Organisation der Gemeinden als Wissensträger, sondern um den Glauben als das geistige Erbe des Paulus. Dieses für die Pastoralbriefe wesentliche Anliegen werde im Proömium programmatisch entwickelt.


Das Charisma (Gnadengabe) und Amt bei Paulus hat N. Baumert 1986, 203-228 zum Thema, der auf S. 223 konkret auf 2 Tim 1,6 eingeht. Der Begriff „charisma“ bedeute hier nicht mehr als „Geschenk“.

S. S. Schatzmann 1987, 49-50 legt dar, dass „charisma“ auch in 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6 „Gnadengabe“ bedeute und – anders als man angesichts der Ordination meinen könnte – nicht die Bedeutung „(kirchliches) Amt“ angenommen habe.

G. Rednic 2010, 218-236 legt dar, dass das Priestertum nicht der Gnadengabe entgegengesetzt sei, sondern zu den Gnadengaben gehöre.


Das Interesse von O. Hofius 2010, 261-284 gilt der Frage nach Gestalt und Bedeutung der in den Pastoralbriefen bezeugten Ordination. Diese Frage lasse sich ohne Rekurs auf den rabbinischen Ordinationsritus beantworten. O. Hofius befasst sich mit der Terminologie, dem ordinationsgebundenen Amt, dem Ordinator, der Voraussetzung für den Empfang der Ordination, der Handauflegung und der Verleihung des Amtscharismas, der Übergabe der apostolischen Lehrtradition und dem Bekenntnis der Ordinanden, der apostolischen Sukzession und abschließend mit dem soteriologischen Aspekt. Im Gegensatz zu 1 Tim 4,14 sei 2 Tim 1,6 eindeutig: Timotheus ist von Paulus ordiniert worden, und eine Mitwirkung weiterer Ordinatoren wird nicht erwähnt. Das Wesen der Ordination bestehe nicht darin, dass eine Gemeinde bestimmten von ihr erwählten Personen das Amt der Verkündigung und Lehre überträgt. Die Übertragung des Amtes wie auch die Bevollmächtigung zu ihm erfolge vielmehr durch Gott selbst. Die Handauflegung – besser: Handaufstemmung – sei nicht nur ein Segensgestus, der die Übergabe des Amtsauftrags begleitet, und auch nicht bloß ein Akt der Bestätigung, mit dem die Amtsübertragung sichtbar bekräftigt wird. Vielmehr handele es sich um die wirksame Übermittlung einer spezifischen Gnadengabe. Da nach Tit 3,5 alle an Christus Glaubenden bereits als Getaufte den heiligen Geist empfangen haben, könne mit der „Gnadengabe“ („charisma“) nicht der heilige Geist schlechthin gemeint sein, sondern nur eine besondere Ausrüstung durch den heiligen Geist, die den Ordinierten zur Ausübung des ihm übertragenen Amtes befähigt. Die Gnadengabe sei gegeben und vorhanden, aber es bedürfe zu seiner Wirksamkeit gewissermaßen der ständigen Aktivierung, indem sie ernst genommen und in der Ausübung des Dienstes am Evangelium stets neu in Anspruch genommen wird. Was Gott durch die Gabe des „charisma“ dem Ordinierten schenke, sei die Freiheit von aller Menschenfurcht, die Kraft zur Verkündigung des Evangeliums, die Liebe zu den Menschen, denen die Botschaft ausgerichtet wird, und die Selbstüberwindung angesichts aller Widerstände, mit denen der Verkündiger in seinem Amt zu rechnen habe.

Ebenfalls mit Blick auf 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6 fragt J. C. Poirier 2009, 83-99: Beziehen sich die beiden Verse auf zwei verschiedene Situationen? Falls ja: Warum war es nötig, Timotheus zweimal die Hände aufzulegen? Wenn sich die beiden Verse dagegen auf zwei verschiedene Gelegenheiten beziehen, warum ist dann einmal von der Handauflegung der Ältesten und das andere Mal von der Handauflegung des Paulus die Rede? C. Poirier vertritt die These, dass sich die beiden Verse zum einen auf zwei verschiedene Situationen beziehen, zum anderen auf zwei verschiedene Riten. Die Handauflegung der Ältesten sei ein Ritus der Legitimation, durch den die Gemeinde Timotheus als ihren Repräsentanten und als Repräsentanten des Evangeliums legitimiere („Ordination“). Die Handauflegung des Paulus dagegen beinhalte den realen Übergang des Charismas von Paulus auf Timotheus.

R. Schwarz 2010, 145-159 befasst sich mit den Vorstellungen von Ordination in den Pastoralbriefen und mit der Ordination unter der Voraussetzung der Unechtheit der Pastoralbriefe. Zum letzteren Punkt: Erklärbar seien die in den Pastoralbriefen geschilderten Fakten bezüglich der Amtsträger und ihrer Ordination letztlich durch ein starkes Interesse an einer Rückbindung der „rechten Lehre“ an die Autoritäten des Anfangs, hier besonders an Paulus und seine Schüler Timotheus und Titus. Die Pastoralbriefe (besonders die beiden Timotheusbriefe) seien Zeugen einer den Adressaten bekannten Praxis der Ordination ihrer Amtsträger.


Laut A. Stöger 1984, 31-34 (und 1988, 252-257) sei die Wurzel priesterlichen Lebens die Weihegnade. Gemäß dem Zweiten Vatikanum setze das Priestertum der Amtspriester zwar die christlichen Grundsakramente voraus, werde aber durch ein eigenes Sakrament übertragen. Dieses zeichne die Priester durch die Salbung des heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und mache sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln können. Von dieser Salbung des heiligen Geistes spreche 2 Tim 1,6-14 in einer Paränese für Timotheus. Sie sei nach dem Schema aufgebaut: A+ B + C + B + A. Die parallelen Abschnitte seien durch die gleichen Stichworte gekennzeichnet.


Gemäß M. Tsuji 2013, 65-76 werde die Handauflegung meist als Beauftragung mit einem kirchlichen Dienst (Gemeindeleitung oder Verkündigung) gedeutet, tatsächlich sei jedoch eher von einem Taufritus auszugehen. Diese Deutung löse den Widerspruch zwischen 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6 auf und passe besser zum gesamten Zusammenhang V. 3-14. Der Verfasser der Pastoralbriefe habe wahrscheinlich seine Information, dass Timotheus von Paulus getauft worden ist, von seiner Deutung von 1 Kor 4,17 erhalten und hier verwendet.


Eine Auslegung der V. 6-7 bietet H. Bürki 2006, 68-74.


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V. 7


Beobachtungen: Das Substantiv „pneuma“ („Geist“) kann sowohl Nominativ als auch Akkusativ sein. Insofern kann der Geist sowohl Subjekt als auch Objekt des Satzes sein. Er kann also selbst gegeben haben oder gegeben worden sein. Als Nominativ und damit Subjekt verstanden, ist „Geist“ mit dem anderen Nominativ, „ho theos“, zu verbinden. Es ist dann also „der Gott Geist“, der gegeben hat. Als Akkusativ und damit als Objekt verstanden, ist es „ein Geist“, der gegeben wurde. Was diesen Geist charakterisiert wird genauer bestimmt: Kraft, Liebe und Besonnenheit.


Sollte an einen „Gott Geist“ gedacht sein, dann wäre Gott als Geist gedacht. Wenn an einen Geist gedacht ist, der gegeben wurde, dann kann es sich um den heiligen Geist bzw. Geist Gottes handeln oder um einen menschlichen Geist. Der heilige Geist bzw. Geist Gottes wäre von Kraft, Liebe und Besonnenheit geprägt und würde Kraft, Liebe und Besonnenheit bewirken. Und der menschliche Geist wäre von Kraft, Liebe und Besonnenheit geprägt und könnte mit Hilfe des heiligen Geistes bzw. des Geistes Gottes kraftvoll wirken. „Paulus“, der Verfasser des 2 Tim, scheint kein Interesse daran zu haben zu präzisieren, ob es sich bei dem Geist um Gott Geist, um Gottes Geist bzw. den heiligen Geist oder um einen menschlichen Geist handelt. Entscheidend ist, dass er wirkt und was er wirkt und wie er wirkt. Vermutlich ist an ein Zusammenspiel von Gott, heiligem Geist und Mensch – in diesem Fall „Timotheus“ – gedacht. Und „Timotheus“ wird daran erinnert, dass er an dem Zusammenspiel aktiv teilhaben soll.

Dadurch, dass vorangestellt wird, was den Geist nicht prägt und was er auch nicht wirkt, nämlich Verzagtheit, werden die Kraft, die Liebe und die Besonnenheit betont. Das lässt daran denken, dass „Timotheus“ angesichts seines Amtsauftrags zögerlich und ängstlich ist, vielleicht weil er sich der Bedeutung seines kirchlichen Amtes und der Fülle der bevorstehenden Aufgaben bewusst ist und befürchtet, seinem Amt nicht gewachsen zu sein. Historisch gesehen könnte der Übergang von der Presbyter(ial)verfassung, hin zur Episkopalverfassung hinter der Verzagtheit stehen. Einer Einzelperson, nämlich dem Bischof, zulasten eines Gremiums, nämlich der Ältesten oder Bischöfe, mehr Befugnisse zu geben, dürfte umstritten gewesen sein. Es dürften sich die Fragen gestellt haben, ob der Bischof wirklich seiner vergrößerten Amtsbefugnis gewachsen ist. Vielleicht lässt der 2 Tim auch deswegen den „Paulus“ dem „Timotheus“, der vielleicht für die als Einzelpersonen wirkenden Bischöfe steht, die Hände auflegen. So wird deutlich, dass die Episkopalverfassung nicht nur von den Ältesten gewünscht ist, sondern auch vom Apostel Paulus legitimiert ist.


Es wird nicht konkretisiert, was für eine „Liebe“ gemeint ist. Somit kann die Selbstliebe, die Liebe Gott bzw. Jesus Christus gegenüber und die Nächstenliebe gemeint sein.


Das Substantiv „sôphronismos“ taucht im NT nur hier auf. Die Bedeutung lässt sich kaum klar bestimmen, denn verschiedene Bedeutungsnuancen legen sich nahe: An erster Stelle ist an die Besonnenheit, also das überlegte Handeln und die Selbstdisziplin, zu denken. Darüber hinaus kann aber auch die Mäßigung im Blick sein, nämlich was Geld und Konsum angeht, aber auch was Alkohol angeht.


Weiterführende Literatur: Das geringe Maß an Bezügen auf den heiligen Geist in den Pastoralbriefen habe laut M. A. G. Haykin 1985, 291-305 manche Ausleger zur Annahme verleitet, dass wir es in diesen Briefen mit einem rigideren, weniger charismatischen Verständnis christlicher Theologie und Praxis zu tun haben. Diese Annahme sei jedoch irrig. Auch wenn der heilige Geist in den Pastoralbriefen keine prominente Rolle spiele, gebe es keinen Grund dazu, die pneumatologischen Aussagen in die Nähe späterer Autoren wie Ignatius von Antiochien zu rücken. Ignatius von Antiochien habe die Gaben des heiligen Geistes, speziell die Prophetie, als dem Bischof vorbehaltene Domäne betrachtet. Der heilige Geist werde in den Pastoralbriefen weiterhin als Herr über die Kirche angesehen, denn er sei es, der Freiheit von der Sünde und Bevollmächtigung zum Dienst bewirke und sicherstelle, dass die Wahrheit in einer lebendigen und verlässlichen Weise von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es gebe also in den Pastoralbriefen hinsichtlich des heiligen Geistes nichts, was Paulus nicht hätte schreiben können.


Der Aufsatz von P. H. Towner 2020, 577-601 ist in drei Teile geteilt. Im ersten Teil untersucht er die thematischen Konturen von 2 Tim und speziell die Darstellung von Timotheus als Nachfolger des Paulus. Im zweiten Teil befasst er sich mit der Argumentation in 1,3-14 und im dritten Teil mit der komplexen Intertextualität und dem Wortspiel in V. 7. In Röm 8,15 werde der Begriff „douleia“ („Sklaverei“) verwendet, den der ähnliche Vers 2 Tim 1,7 durch „deilia“ („Verzagtheit/Feigheit“) ersetze. Dabei handele es sich um ein bewusstes Wortspiel, und zwar um eine Paronomasie, also um eine Zusammenstellung zweier klangähnlicher oder -gleicher Wörter. Die eigentliche Bedeutung des Wortspiels lasse sich jedoch nicht aus Röm 8,15, sondern aus Moses Beauftragung des Josua zu seinem Nachfolger erschließen. Mose fordere Josua in Dtn 31,7-8 und Jos 1,6-7.9; 8,1; 10,25 auf, mutig statt furchtsam zu sein. Ein biblischer Topos verbinde Feigheit und Unglaube, vor deren Folgen gewarnt werde.


A. T. Hanson 1981, 402-418 legt dar, wie der Verfasser der Pastoralbriefe das den paulinischen Briefen entnommene Material verwendet hat und welche Schlüsse sich daraus hinsichtlich der Entwicklung der Haupttradition der christlichen Theologie ziehen lassen. Zu 2 Tim 1,6-9 mit Blick auf Röm 8,12-17 (S. 405-407): Es zeige sich das typische Charakteristikum der Pastoralbriefe, dass Worte, die Paulus an alle Christen gerichtet habe, nur auf die Kleriker bezogen würden. Der Verfasser der Pastoralbriefe übernehme von Paulus, was ihm passend erscheint und wende es auf die Lage seiner Zeit an, die nicht genau derjenigen des Apostels Paulus entspreche. Alle diejenigen Elemente des paulinischen Gedankenguts, mit denen er nicht vertraut sei, lasse er aus oder ändere er ab. Auffällig sei, dass er im Gegensatz zu Paulus nicht davon spricht, dass Jesus der Sohn Gottes sei. Diesen für Paulus zentralen Gedanken ersetze er durch die heterogene Zusammenstellung der drei Substantive Kraft, Liebe und Besonnenheit.


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V. 8


Beobachtungen: V. 8 lässt erkennen, dass es sich bei dem Christentum zur Zeit der Abfassung des 2 Tim noch um die Religion einer Minderheit handelte. Wer sich zu Jesus Christus, dem „Herrn“ (vgl. 1,2), bekannte, hatte nicht nur Beifall zu erwarten, sondern auch – und vielleicht sogar in erster Linie – Kritik, Verfolgung und Gefangenschaft. Daher sieht „Paulus“ die Gefahr, dass sich „Timotheus“ nur sehr zurückhaltend und verschämt zum „Herrn“ Jesus Christus und zu „Paulus“, von dem er das Evangelium und die rechte Lehre vermittelt bekommen haben dürfte, bekennen könnte. Die verschämte Zurückhaltung wäre als Strategie zu verstehen, sich einerseits zwar in einer mehrheitlich feindlich gesinnten Umgebung zum Christentum zu bekennen, dabei aber keine Verfolgung und keine Gefangenschaft zu riskieren.

Das „Zeugnis des Herrn“ muss nicht unbedingt das Zeugnis sein, das „Timotheus“ im Hinblick auf den „Herrn“ Jesus Christus ablegt. Es ist auch möglich, dass das Zeugnis gemeint ist, das der „Herr“ Jesus Christus durch Wort und Tat ablegte. Er hätte den Heilsplan Gottes bezeugt, wie auch immer dieser gedacht sein mag.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.


Wenn „Paulus“ sich als „Gefangener“ bezeichnet, stellen sich folgende Fragen: Ist der Apostel Paulus selbst der Verfasser des 2 Tim und verweist er hier auf seine eigene Gefangenschaft? Dass Paulus im Laufe seiner Missionstätigkeit verfolgt und ins Gefängnis geworfen wurde, geht aus mehreren Bibelstellen (2 Kor 6,5; 11,23; Apg 25,4.21) hervor. Oder handelt es sich – was wahrscheinlicher ist – um eine Paulusfiktion? Dann würde der Verfasser des 2 Tim auf die Gefangenschaft des Paulus verweisen, um seinen Brief im Lichte der Theologie, der Lehre, des Wirkens und des Leidens des Paulus erscheinen zu lassen. Möglich ist auch, dass der Verfasser des 2 Tim selbst gefangen war. Wenn er es aber nicht war, dann hätte die Aufforderung zum Leiden kaum überzeugt. Ebenso wäre nicht vom „Mitleiden“ die Rede gewesen, weil sich ja die Frage stellt, inwiefern der Verfasser des 2 Tim leidet oder gelitten hat. Wie auch immer: Der Verweis auf die Gefangenschaft des Paulus bzw. „Paulus“ gibt dem Brief Autorität und Überzeugungskraft und ermöglicht, das Leid zu thematisieren. Und schließlich mag auch anklingen, dass Paulus bzw. „Paulus“ im übertragenen Sinn Gefangener des „Herrn“ ist, nämlich insofern, als er sich dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums Christi nicht entziehen kann.


Es stellt sich die Frage, ob sich „nach [der] Kraft Gottes“ auf „leide mit“ oder auf „das Evangelium“ bezieht. In ersterem Fall wäre gemeint, dass Gott dem „Timotheus“ die Kraft gibt, das Leid durchzustehen. Vielleicht wäre auch daran gedacht, dass Gott selbst das Leid bewirkt, aber auch die Grenzen des Leids setzt und „Timotheus“ die Kraft gibt, das Leid im Rahmen dieser Grenzen durchzustehen. In letzterem Fall wäre wohl das Evangelium als eine Kraft gedacht, nämlich – so mit Blick auf Röm 1,16 – als Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt. Eine Entscheidung zwischen beiden Bezügen ist nicht unbedingt nötig, weil beide Bezüge zugleich möglich und sogar wahrscheinlich sind.


Weiterführende Literatur: G. A. Couser 2004, 295-316 geht der Frage nach, was „to martyrion tou kyriou hêmôn“ bedeutet. Drei Bedeutungen kämen infrage: a) „Tou kyriou hêmôn“ sei als genitivus objectivus zu verstehen. Das „maryrion“ bezeichne das Zeugnis, das mit der Verkündigung des Evangeliums abgelegt werde und Jesu Dienst und Heilswerk zum Inhalt habe. b) „Tou kyriou hêmôn“ sei als genitivus subjectivus zu verstehen und beziehe sich auf die Anklage und den Kreuzestod Jesu. Es gebe also um das Zeugnis, das Jesus durch seine Worte, sein Tun, seine Anklage und durch seinen Kreuzestod abgelegt habe. c) Die Formulierung sei doppeldeutig: Es seien gleichermaßen die Bedeutungen a und b im Blick. G. A. Couser kommt in seiner eigenen Untersuchung der Bedeutung des Begriffs „maryrion“ und verwandter Worte zu folgendem Ergebnis: Es sei wohl das historische Werk Jesu gemeint, das Gottes Heilsplan umsetze und den Heilsplan bezeuge. Es liege in den beiden Timotheusbriefen ein besonderes Gewicht auf den Worten und Taten Jesu. Seinen Worten werde kanonische Autorität beigemessen (vgl. 1 Tim 5,18) und sie dienten als zentraler Zeuge des göttlichen Heilswerks (vgl. 1 Tim 2,6). Jesus Christus sei im Dienst des Paulus und Timotheus aktiv, und zwar sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Die Deutung als genitivus subjectivus sei folglich richtig.

K. Silvola 1985, 390-394 analysiert eingehend 1 Tim 2,6; 6,13; 2 Tim 1,8 und sucht nachzuweisen, dass "Zeugnis" an diesen Stellen bereits eine große Nähe zu der später üblichen Bedeutung "Martyrium" habe.


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V. 9


Beobachtungen: Die Rettung kommt dann in V. 9-11 ausdrücklich zur Sprache und es wird gleich dem möglichen Missverständnis ein Riegel vorgeschoben, dass die Rettung – vermutlich sind die Vergebung der Sünden und Rettung vor dem ewigen Tod gemeint – mit guten Werken verdient werden könnte. Es wird klargestellt, dass sie aus Gottes eigenem Entschluss und aus Gnade erfolgt.

Es fällt auf, dass von einer bereits erfolgten „Rettung“ die Rede ist, obwohl die „Rettung“ je eigentlich erst nach dem leiblichen Tod oder am Ende der Tage zu erwarten ist. Möglicherweise wird ausgedrückt, dass die neue, christliche Existenz, gerade auch in Verbindung mit einem kirchlichen Amt, eine Existenz im Macht-, Wirk- und Heilsraum Christi ist und diese neue Existenz von vornherein im Lichte der „Rettung“ zu verstehen ist.


Es bleibt offen, wozu Gott „uns“ berufen hat. Die Berufung dürfte zum einen zum christlichen Glauben erfolgt sein. Zum christlichen Glauben sind nicht nur „Paulus“ und „Timotheus“ berufen, sondern alle Christen. Darüber hinaus kann aber auch die Berufung zu ganz bestimmten Aufgaben und Ämtern gemeint sein. Die bezieht sich dann sicherlich vorrangig auf „Paulus“ und „Timotheus“, dann aber auch auf alle Christen, die bestimmte kirchliche Aufgaben ausüben und kirchliche Ämter innehaben.


„Vor ewigen Zeiten“ ist keine Zeitangabe im eigentlichen Sinn. Vielmehr weist die Formulierung über die menschliche Zeitrechnung und wohl auch über die Existenz der Erde hinaus. Wenn „uns“ die Gnade vor ewigen Zeiten gegeben ist, dann kann sich „in Christus Jesus“ (oder: „durch Christus Jesus“) nicht auf die Geburt, den Kreuzestod oder irgendeinen anderen Zeitpunkt des Lebens Jesu beziehen. Nicht der irdische Jesus Christus ist im Blick, sondern der präexistente. Jesus Christus existierte und wirkte schon, bevor er auf die Welt kam.


Weiterführende Literatur: W. Eisele 2012, 468-491 spürt in den Pastoralbriefen den Ansatzpunkten für ein spezifisches Verständnis von Zeit und Ewigkeit im Rahmen der universalen Heilsgeschichte nach. Er geht von der Beobachtung aus, dass in den Pastoralbriefen ein Paar von geprägten Zeitbegriffen begegne, das wir so und in dieser Zuordnung seines Wissens nirgendwo anders fänden. Gott handele einerseits „vor ewigen Zeiten“ („pro chronôn aiôniôn“; Tit 1,2; 2 Tim 1,9) und andererseits „zu seinen eigenen Zeiten“ („kairois idiois“; Tit 1,3; 1 Tim 2,6; 1 Tim 6,15). Dies werfe die Frage auf, wie sich die beiden Zeitbestimmungen zueinander verhalten und mit welchen heilsgeschichtlichen Daten sie jeweils verbunden sind. Dabei nähert er sich dem Problem in drei Schritten: Zunächst gelte es, ein allgemeines Verständnis der beiden Zeitbegriffe zu gewinnen, um anschließend nach ihrer Verwendung im konkreten Kontext zu fragen. Im Ergebnis solle schließlich das soteriologische Verhältnis geklärt werden, in welches Zeit und Ewigkeit mittels der beiden spezifischen Zeitbegriffe in den Pastoralbriefen gesetzt werden. Zu 2 Tim 1,8-12: Paulus sei als „Verkündiger und Apostel und Lehrer“ eingesetzt worden (= kairos), um das Evangelium zu bezeugen (= kairos). Wann immer das Evangelium gehört werde, das im historischen Erscheinen des Christus Jesus (= kairos) seinen Ursprung habe und durch die apostolische Verkündigung verbürgt werde, sei daher hochwertige Jetzt-Zeit, in der sich die Gnade Gottes offenbare. Erneut zeigten sich hier die drei entscheidenden kairoi der Offenbarung, Gottes eigene Zeiten, von ihm festgesetzt und erfüllt, um die Menschen zu retten.


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V. 10


Beobachtungen: Die Geburt Jesu ist nur die „Erscheinung“ Jesu Christi in der Welt der Menschen. Durch seine „Erscheinung“ wurde die Gnade – vermutlich den Menschen – offenbart. Wie hätten sonst die Menschen von Jesus Christus und der Gnade wissen können?

Die Geburt Jesu ist jedoch nicht das entscheidende Ereignis. Entscheidend sind Jesu Kreuzestod und Jesu Auferweckung bzw. Auferstehung von den Toten. Mit diesem Ereignis wurde nämlich „der Tod zunichtegemacht“.


Direkte menschliche Augenzeugen von Jesu Auferstehung gab es keine. Es gab nur einige wenige Menschen, die nach Jesu Tod zu dessen Grab gingen und dort von einem Engel erfuhren, dass Jesus auferstanden ist (vgl. Mt 28,1-10; Mk 16,1-8; Lk 24,1-11; Joh 20,1-10). Und es gab auch nur wenige Menschen, denen Jesus nach seiner Auferstehung leiblich erschien (vgl. Mt 28,16-20; Lk 24,36-49; Joh 20,19-23). Die Auferstehung Jesu musste also als frohe Botschaft – griechisch: euangelion - weitererzählt werden, damit sie auch anderen Menschen zu Ohren kam. Und sie wurde nicht nur im Sinne einer historischen Tatsache weitererzählt, sondern als Heilsereignis, das (ewiges) Leben und Unvergänglichkeit bewirkt. So wurden (ewiges) Leben und Unvergänglichkeit durch die frohe Botschaft (= Evangelium) ans Licht gebracht, d. h. den Menschen bekannt.


Weiterführende Literatur: Laut T. Söding 1999, 149-192 sei das Erscheinen Jesu Christi als Retter aller Menschen das Leitmotiv der Pastoralbriefe. In Gott, dem Vater, habe das christologische Heilsgeschehen seinen Ursprung.


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V. 11


Beobachtungen: Die Verwendung des Personalpronomens „ich“ („egô“) zusätzlich zum Verb in der ersten Person Singular ist nicht unbedingt nötig. Sie betont das „Ich“ und macht deutlich, dass „Paulus“ für das Evangelium als Herold, Apostel und Lehrer eingesetzt ist und nicht eine andere Person.


Kêryx“ ist die Bezeichnung für einen Herold. Ein Herold ist ein Mensch, der mit lauter Stimme eine Botschaft verkündet. Im NT – so auch hier – ist er als Verkündiger/Prediger verstanden. Der Begriff „kêryx“ taucht allerdings im NT nur selten auf, in den gemeinhin für echt gehaltenen Paulusbriefen gar nicht. Das mag damit zusammenhängen, dass ein Herold nach griechischem Verständnis bei diplomatischen Missionen sowohl unter dem Schutz seines Volkes als auch unter der besonderen Obhut der Gottheit stand. Er galt also als unantastbar. Als von einem irdischen Herrn oder von einer Gottheit bzw. den Göttern Gesandter stand der Herold dem Apostel nahe, weshalb in V. 11 wohl die beiden „Ämter“ Herold und Apostel nebeneinander genannt werden. Allerdings ist der Dienst des Paulus kein geschützter. Vielmehr erfolgt sein Dienst in Bedrängnis, und zwar sowohl seitens der Juden als auch der Heiden. Dieser gravierende Unterschied lässt den Begriff „kêryx“ („Herold“) nur sehr eingeschränkt passend erscheinen. Das gilt auch insofern, als normalerweise im NT nicht der Verkündiger, sondern die Verkündigung im Vordergrund steht. Hier in V. 11 geht es jedoch um die Person und Autorität des Apostels. Und dass Paulus eine Person, ein Prediger von besonderer Autorität ist, vermag der Begriff „kêryx“ gut auszudrücken.


Ein „Apostel“ ist zunächst einmal ein Gesandter, wie sie von Gemeinden geschickt werden. Paulus ist allerdings nicht im Auftrag einer Gemeinde tätig, sondern gemäß 2 Tim 1,1 im direkten Auftrag Gottes und Jesu Christi (= Christi Jesu).


Paulus bzw. „Paulus“ wird als „Lehrer“ bezeichnet, allerdings bleibt offen, wen er lehrt. Es wird nur ausgesagt, dass er „eingesetzt worden“ ist, und zwar vermutlich von Gott (oder Jesus Christus). Damit ist er ein wahrer Lehrer, der eine wahre Lehre verkündigt. Und damit ist er gegenüber den anderen Lehrern, die nach eigenem Gutdünken ausgesucht werden (vgl. 2 Tim 4,3), positiv herausgehoben. Im Gegensatz zu 1 Tim 2,7 wird nicht gesagt, dass „Paulus“ Lehrer der Heiden ist. Ist daraus zu schließen, dass es dem Verfasser des 2 Tim in erster Linie darauf ankommt, dass „Paulus“ Lehrer ist, und weniger darauf, wessen „Lehrer“ er ist? Oder soll die Offenheit deutlich machen, dass „Paulus“ nicht nur ein Lehrer der Heiden ist, auch wenn diese seine vorrangige Zielgruppe sein mögen? Und was die Autorenschaft des 2 Tim betrifft: Kann die fehlende Konkretisierung als Hinweis darauf verstanden werden, dass der 1 Tim und der 2 Tim von zwei verschiedenen Verfassern stammen, die sich allerdings beide in den Fußstapfen des Paulus sehen und daher als „Paulus“ bezeichnen (vgl. 1 Tim 1,1; 2 Tim 1,1)?


Weiterführende Literatur: Mit einem koptischen Fragment des Abschnittes 2 Tim 1,11-2,2 befasst sich R. Stewart 1982, 7-10, der insbesondere auf 1,11-18 eingeht.


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V. 12


Beobachtungen: Der Einsatz als Herold, Apostel und Lehrer in einer mehrheitlich nichtchristlichen Umwelt bringt Leid mit sich, wobei sich als Leid nur die Gefangenschaft greifen lässt, nicht jedoch Schläge, Hunger, Durst usw. Das Leid, das über die Gefangenschaft hinausgeht, mag aber anklingen. Insofern dürfte sich „dies“ in erster Linie auf die Gefangenschaft beziehen und darüber hinaus am Rande auch auf das weitere Leid. Die Tatsache, dass die Leiden der Anfangszeit der Mission nicht (mehr) so deutlich und lebendig zur Sprache kommen wie in den vermutlich echten Paulusbriefen (und in der Apostelgeschichte), lässt erkennen, dass der 2 Tim nicht exakt Zeit und Erleben des Apostels Paulus widerspiegelt. Vielmehr dürften wir es mit einer Aktualisierung im Hinblick auf kirchliche Amtsträger zu tun haben.


„Paulus“ kann nur dann „Timotheus“ auffordern, sich nicht zu schämen (vgl. V. 8), wenn er sich selbst nicht schämt. Offen bleibt, aus welchem Grund er sich schämen könnte. Eine Antwort lässt sich aus V. 8 erschließen: Er könnte sich des „Zeugnisses des Herrn“ schämen oder seiner Gefangenschaft.


Die Aussage, dass „Paulus“ weiß, an wen er glaubt, wirkt zunächst einmal banal: Na klar, er glaubt an Jesus Christus und an Gott Vater (vgl. 1,2). Wäre ja verrückt, wenn er gläubig wäre, aber nicht wüsste, an wen er glaubt. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass diese Antwort zu einfach ist. „Paulus“ geht nämlich sofort zu der Macht dessen über, an den er glaubt, und verdeutlicht, was sie bewirkt. Von dieser Macht ist er überzeugt.

Doch wer ist „er“? Warum schreibt „Paulus“ nicht klipp und klar „Jesus Christus“ oder „Gott Vater“ oder „der Herr“? Die Offenheit scheint beabsichtigt zu sein, als wolle „Paulus“ den Lesern oder Hörern die Deutung überlassen, wer „er“ ist. An einer strikten Trennung zwischen Jesus Christus und Gott Vater scheint „Paulus“ nicht gelegen zu sein.


Parathêkê“ ist ein Begriff aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. In der Antike konnte Geld, das sicher aufbewahrt werden sollte, einer Bank übergeben werden. Eine solche Bankeinlage wurde als „parathêkê“ bezeichnet. Ebenso konnte Geld, ein Wertgegenstand (oder eine Person) einer vertrauenswürdigen Privatperson zur Aufbewahrung anvertraut werden. Der Begriff „parathêkê“ wird in 1 Tim 6,20 benutzt, auch dort ist also ein „anvertrautes Gut“ im Blick. Dieses „anvertraute Gut“ wird den unheiligen, leeren Reden und Widersprüchen der fälschlich so genannten „Erkenntnis“ gegenübergestellt, allerdings wird nicht präzisiert, worum es sich genau handelt. Es handelt sich auf jeden Fall um ein wertvolles Gut, denn es soll bewahrt (oder: behütet/bewacht) werden. Vermutlich ist an den Inhalt des 1 Tim gedacht. Diesen hält „Paulus“ für paulinisch (vgl. 1,1, wo sich der Verfasser des 1 Tim als „Paulus“ ausgibt), womit er die paulinische Theologie und Lehre bewahrt sehen möchte. Für die Bewahrung ist „Timotheus“ ausersehen, wobei der Name des engen Mitarbeiters des Paulus repräsentativ für die kirchlichen Amtsträger (speziell Aufseher/Bischöfe) stehen dürfte. Paulus ist das Evangelium anvertraut worden (vgl. 1,11) und er hat dieses auf seinen Reisen unverfälscht verkündigt.. Insofern dürfte es sich bei dem „anvertrauten Gut“ auch um das Evangelium als Grundlage „gesunder“ (= rechter) Theologie und Lehre handeln. Wenn nun in 2 Tim 1,12 der Begriff „parathêkê“ erneut auftaucht und ebenfalls nicht erklärt wird, dann ist an die Bedeutung zu denken, die er vermutlich in 1 Tim 6,20 hat. Dafür spricht der Fortgang der Worte des „Paulus“ in 2 Tim 1,13-14. Und in 2 Tim 1,10-11 hat sich ja Paulus ausdrücklich als Herold, Apostel und Lehrer des Evangeliums bezeichnet. Damit ist das anvertraute Gut sicherlich das Evangelium.

Aber von der ersten Verkündigung des Evangeliums an zeigt sich, dass dieses unterschiedlich verkündigt und gedeutet wurde. Paulus war ein bedeutender Missionar, aber nicht der einzige. So stellte sich – und das in besonderem Maße nach dem Tod des Paulus – die Frage, wessen Verkündigung und Lehre maßgeblich ist. Der Verfasser des 2 Tim gibt in 1,1 die Antwort: die Verkündigung und Lehre des Paulus! Und der Verfasser des 2 Tim sieht sich - ebenso wie der Verfasser des 1 Tim – offensichtlich als der Sachwalter der Verkündigung und Lehre des Paulus. Und da der ganze 2 Tim wie eine Abschiedsrede des Paulus gestaltet ist, haben wir davon auszugehen, dass das „anvertraute Gut“ samt dessen Bewahrung und Überlieferung in der nachpaulinischen Zeit den zentralen Inhalt des 2 Tim (und auch des 1 Tim) darstellt. Im 1 Tim wird der Begriff „parathêkê“ jedoch erst am Briefende verwendet, womit der gesamte Inhalt des Briefes, also alle Aussagen zu Gemeindeleitung und -ordnung, als Bestandteil des „anvertrauten Gutes“ erscheint. In 2 Tim fanden sich bisher nur Präskript (Absender, Adressat und Gruß), Danksagung an Gott (und indirekt an „Timotheus“ und dessen Großmutter Lois und dessen Mutter Eunike für deren aufrichtigen Glauben) und die Aufforderung an „Timotheus“ zu furchtlosem Bekenntnis. Weder wurde bisher paulinische Theologie entfaltet noch die rechte Gemeindeleitung und -ordnung thematisiert. Daraus ist zu schließen, dass der 2 Tim kein Brief ist, der isoliert für sich zu lesen ist. Er scheint einen anderen Brief vorauszusetzen, wobei am ehesten an den 1 Tim (und vielleicht auch an den Tit) zu denken ist. Dass der Verfasser des 2 Tim den 1 Tim (und den Tit) selbst verfasst hat, ist gut möglich, aber nicht sicher. Der 2 Tim ist als eine Willenserklärung gestaltet. Der Wille des Paulus bzw. „Paulus“ ist die Bewahrung des paulinischen Erbes auch für die zukünftigen Generationen. Es handelt sich somit um eine Art Testament. Die Bewahrung des paulinischen Erbes wird angemahnt, weshalb der 2 Tim als „testamentarische Mahnrede“ bezeichnet werden kann.


„Timotheus“ wird zwar ermahnt, das paulinische Erbe zu bewahren, aber die Bewahrung wird nicht als menschliches Werk angesehen. Vielmehr handelt es sich um ein Tun, dessen Gelingen von Gottes (oder Christi) Macht abhängt. „Paulus“ scheint an der Macht Gottes (oder Christi) nicht zu zweifeln, so dass er davon ausgehen kann, dass das paulinische Erbe bis zu „jenem Tag“ bewahrt wird. Es wird nicht gesagt, welcher Tag gemeint ist. „Paulus“ scheint davon auszugehen, dass die Leser und Hörer des Briefes mit der Formulierung etwas anfangen können. Es liegt nahe, sie auf den Tag der Wiederkunft Christi zu beziehen, wobei die Wiederkunft Christi in 1 Tim 6,14 als „Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“ bezeichnet wird.


Weiterführende Literatur: P. Dragutinović 2016, 469-486 untersucht die vermeintliche „Verfolgung und Leiden“, vor allem 2 Tim, genauer, um aufzuzeigen, dass dies ein literarisches Konstrukt sei. Dieses diene dem Autor als Ausgangspunkt, die Gegner ins Visier zu nehmen. Die These laute: Die reale Situation des Autors der Pastoralbriefe sei kaum die Situation einer verfolgten Person. Dagegen sprächen gerade die Texte, in welchen er ein Ideal christlicher Bürgerlichkeit vertrete. Er versetze sich wohl in die Rolle des verfolgten und leidenden Paulus, um aus dieser Position heraus die Gegner aus der Kirchgemeinde auszuschließen. Die fiktive Verfolgung des Autors, des Timotheus und der Gemeinde werde dem Wohlergehen der Gegner gegenüber gestellt.


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V. 13


Beobachtungen: Die Formulierung „gesunde Worte“ ist der Welt des Körpers und auch des Geistes entnommen. Ein gesunder Körper ist erstrebenswert und verheißt ein langes und unbeschwertes Leben. Wenn auch der Geist gesund ist, dann ist die Grundlage für ein langes, unbeschwertes und glückliches Leben vollkommen. Wenn „Paulus“ von „gesunden Worten“ spricht, dann geht es ihm aber nicht in erster Linie um den Körper und den menschlichen Geist und um diesseitiges Glück, sondern es geht ihm um die ganze Existenz des Menschen, die auch das Jenseits, das Leben nach dem Verscheiden aus dem irdischen Leben, umfasst.

In 2 Tim 1,13 ist von „gesunden Worten, die du von mir gehört hast“ die Rede. Gehen wir davon aus, dass der 2 Tim nicht von Paulus verfasst wurde, sondern von einem „Paulusschüler“, der sich als „Paulus“ bezeichnet, dann wird eine Überlieferungskette deutlich: Der „Paulusschüler“ „Paulus“ überliefert dem „Timotheus“, der vermutlich die kirchlichen Amtsinhaber (speziell Aufseher/Bischöfe) repräsentiert, die paulinische Theologie und Lehre. „Timotheus“ soll die paulinische Theologie und Lehre bewahren und an die nächste Generation weitergeben. So soll es bis zu „jenem Tag“ geschehen. Nun ist der „Paulusschüler“ „Paulus“ nicht das erste Glied der Überlieferungskette, sondern er hat die paulinische Theologie und Lehre ebenfalls vermittelt bekommen, und zwar von Paulus oder einer vorhergehenden Generation „Paulusschüler“. Eine vorhergehende Generation „Paulusschüler“ hätte die paulinische Theologie und Lehre ebenfalls vermittelt bekommen, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach von Paulus. Und die Theologie und Lehre des Paulus beruht gemäß 1 Tim 6,3 auf den „Worten unseres Herrn Jesus Christus“. Die „Worte unseres Herrn Jesus Christus“ meinen sicherlich das Evangelium, das sowohl von Jesus Christus stammt als auch ganz zentral von ihm handelt. Die Rückführung der Theologie und Lehre des 1 Tim und 2 Tim auf die „Worte unseres Herrn Jesus Christus“ ist die Gewähr dafür, dass sie richtig, heilsam und damit „gesund“ sind.


Die Formulierung „in Christus Jesus“ macht deutlich, dass Jesus Christus ein Macht-, Wirk- und Heilsraum ist. Dieser Heilsraum ist von Glaube (oder: Treue) und Liebe geprägt. Es wird nicht konkretisiert, was wir unter „Glaube“ und „Liebe“ zu verstehen haben. Vermutlich handelt es sich um den Glauben an Jesus Christus und Gott Vater, außerdem um die Treue Jesus Christus und Gott Vater gegenüber. Die Treue mag sich auch auf die rechte paulinische Theologie und Lehre beziehen, die es zu bewahren und an zukünftige Generationen weiter zu überliefern gilt. Bei der Liebe handelt es sich wohl um die Liebe Jesus Christus und Gott Vater gegenüber, außerdem um die Selbstliebe und um die Liebe den Nächsten gegenüber. Diese zeigt sich in der unverfälschten Vermittlung des Evangeliums, der Grundlage für das Heil der Menschen.


Weiterführende Literatur:


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V. 14


Beobachtungen: Das Adjektiv „kalê“ bedeutet ganz allgemein „gut“. Das anvertraute Gut ist also „gut“. Allerdings geht es hier nicht um eine ethische Bewertung, sondern um die Bedeutung für das Heil des Menschen. Insofern ist die Übersetzung „gut“ hier nicht wirklich passend. Besser ist die Übersetzung „tauglich“. Das anvertraute Gut ist also tauglich, und zwar im Hinblick auf das Erlangen des Heils. Und weil das Heil das ist, was erstrebt wird, ist das anvertraute (für das Erlangen des Heils) taugliche Gut kostbar. Und dieses kostbare anvertraute Gut gilt es zu bewahren.


Das Bewahren wird zwar „Timotheus“ aufgetragen, aber es ist kein Werk, das er aus eigener Kraft vollführt und worauf er sich etwas einbilden kann. „Timotheus“ bedarf der Ertüchtigung durch den heiligen Geist, die Wirkkraft.


Im 2 Tim fällt die Betonung der Innerlichkeit auf. War in 2 Tim 1,4-5 bereits davon die Rede, dass Paulus von Freude erfüllt wurde und der ungeheuchelte Glaube in Lois, Eunike und Timotheus wohnt(e), so heißt es nun, dass der heilige Geist in „uns“ wohnt. „Uns“ kann sowohl nur „Paulus“ und „Timotheus“ als auch alle Christen, die ihren Glauben nicht heucheln, meinen.


Weiterführende Literatur: Laut I. M. Blecker 2002, 229-267 begegne das Wort „parathêkê“ innerhalb des NT nur in 1 Tim 6,20 und 2 Tim 1,12-14. In der außerbiblischen Literatur werde es vornehmlich juristisch gebraucht und bezeichne ein wertvolles, jemandem zum Aufbewahren anvertrautes Gut bzw. das durch das Hinterlegen zwischen Deponent und Depositarius entstehende Rechtsverhältnis selber. Der Kontext zeige, dass es sich in den Pastoralbriefen nicht etwa um Sachgut, sondern um Wissensgut handelt. Im Unterschied zu dem Begriff „paradosis“ bezeichne „parathêkê“ eine Wissenstradition, die an eine bestimmte Gründerperson gebunden ist. I. M. Blecker untersucht das Wissenskonzept der Pastoralbriefe und geht dabei auf Wissen, wie man sich im Hause Gottes verhalten muss: Ethik, auf Wissen über Grund und Ziel christlichen Lebens in der Kirche: Theologie und schließlich auf Wissen als Kultur ein.



Literaturübersicht


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