Tit 3,8-11
Übersetzung
Tit 3,8-11 : 8 Glaubwürdig ist das Wort, und ich will, dass du dafür mit Nachdruck eintrittst, damit diejenigen, die zum Glauben an Gott gekommen sind, darauf bedacht sind, sich mit guten Werken hervorzutun. Das ist gut und nützlich für die Menschen. 9 Törichte Diskussionen und Geschlechtsregister, Hader und Streitereien um das Gesetz aber meide; sie sind nämlich nutzlos und führen zu nichts. 10 Einen Menschen, der eine Irrlehre vertritt, weise einmal und auch ein zweites Mal zurecht; dann schließe ihn aus! 11 Du weißt ja, dass ein solcher verdreht ist und sündigt und sich selbst damit das Urteil spricht.
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Beobachtungen: Der altgriechische Begriff „logos“ („Wort“) meint hier kein einzelnes Wort, sondern das Evangelium (vgl. 1,3), das rechter Predigt und Lehre zugrunde liegt. Ganz konkret bezieht er sich hier aber wohl auch auf die unmittelbar vorhergehenden Aussagen über die „Rettung“ durch die Taufe (3,1-7).
Wenn das Wort „glaubwürdig“ ist, dann ist es völlig anders beschaffen als die jüdischen Fabeln und Gebote von Menschen, die „Paulus“ in 1,14 kritisiert hat. Diese haben seiner Meinung nach nichts mit der „Wahrheit“, dem Evangelium, zu tun und haben für das Heil des Menschen keine Relevanz. „Glaubwürdig“ bedeutet sowohl richtig als auch heilsam.
„Peri toutôn“ („dafür“) ist wörtlich mit „für diese Dinge“ zu übersetzen. „Für diese Dinge“ soll „Titus“ mit Nachdruck eintreten, wobei es sich um Dinge handelt, die zum „Wort“ gehören. Untrennbar mit dem „Wort“ ist die „gesunde Lehre“ verbunden, die „Titus“ vertreten soll (vgl. 2,1).
„Titus“ soll mit seiner Verkündigung und Lehre das feste Glaubensfundament legen, auf dem das rechte Verhalten gründet. Dabei sollen diejenigen, die zum Glauben an Gott gekommen sind, nicht nur gute Werke tun, sondern sich in diesen hervortun. Sie sollen also bezüglich des Verhaltens Vorbilder sein. Das ist der Gedanke, der den gesamten Titusbrief durchzieht (vgl. 2,14; 3,1.5.14): Die Gläubigen sollen sich aus dem Glauben an Jesus Christus, der sich selbst für „uns“ hingegeben hat, heraus in „guten Werken“ hervortun. Die „guten Werke“ sind also nicht die Voraussetzung für die Rettung vor dem Verderben, sondern sie sind die Antwort auf die Rettung, die uns aufgrund der Gnade Gottes geschenkt ist. Was für „gute Werke“ im Blick sind, wird nicht konkretisiert. Wir haben an alle Verhaltensweisen zu denken, die mit der „gesunden Lehre“, also dem Evangelium und „paulinischer“ (= von „Paulus“ für paulinisch gehaltener) Theologie und Lehre, übereinstimmen. Dazu gehören auch Verhaltensweisen, die untertänigen Staatsbürgern entsprechen, denn „Paulus“ hat eine sehr gesellschaftskonforme Vorstellung vom Christentum (vgl. 2,1-10).
Das Verb „proistasthai“, das hier „sich hervortun“ bedeutet, bedeutet an anderen Stellen „vorstehen“ .Im Ersten Timotheusbrief – ebenso wie der Titusbrief ein Pastoralbrief – geht es um das „Haus“ und um die Gemeinde, denen im Sinne der Leitung vorgestanden wird (vgl. 1 Tim 3,4-5; 5,17). Die Verben „sich hervortun“ und „vorstehen“ sind eng miteinander verbunden. Wer sich in „guten Werken“ hervortut, ist dafür geeignet, einem „Haus“ und/oder einer Gemeinde vorzustehen. Wer seinem „Haus“ gut vorsteht, kann auch einer Gemeinde gut vorstehen. Und wer einem „Haus“ und/oder einer Gemeinde gut vorsteht, tut sich auch mit „guten Werken“ hervor.
Die Formulierung „die zum Glauben an Gott gekommen sind“ irritiert, denn es wäre eigentlich die Formulierung „die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind“ zu erwarten. Schließlich ist Kern des christlichen Glaubens der Glaube an das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen (Kreuzigung, Begräbnis, Auferweckung von den Toten). Darüber hinaus wäre eigentlich vor „Gott“ ein bestimmter Artikel zu erwarten, denn es ist ja nicht irgendein Gott im Blick, sondern ein ganz bestimmter Gott, nämlich der Gott der Juden und Christen. Also, warum heißt es nicht „die zum Glauben an den Gott gekommen sind“? Zunächst einmal zur Frage, warum der Fokus auf Gott liegt und nicht auf Jesus Christus: Das haben wir wohl damit zu erklären, dass Gott der „Rettergott“ ist, dessen Wille und gnadenvolles Handeln erst die „Rettung“ der Menschen ermöglicht hat. Auch Jesus Christus ist „Retter“, allerdings eher im Sinne eines Mittels, dessen sich Gott bei der Umsetzung deines Heilsplanes bedient. Zur Frage, warum „Gott“ kein bestimmter Artikel vorangeht: „Paulus“ spricht mal von „Gott“, mal von „dem Gott“, wobei stets klar ist, dass er den Gott der Juden und Christen meint. Er scheint also dem bestimmten Artikel im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem Gott der Juden und Christen und anderen Göttern keine große Bedeutung beizumessen.
Es ist unklar, worauf sich „das“ bezieht. Das altgriechische „tauta“ ist ein Plural, was bei der Wahl der Übersetzung „diese Dinge“ deutlich wird. Er kann sich auf die „guten Werke“ beziehen, auf „dafür“ – also auf die„gesunde Lehre“ und was mit ihr verbunden ist – oder auch auf das nachdrückliche Eintreten „dafür“. Vermutlich haben wir es nicht mit einem „Oder“ zu tun, sondern mit einem „Und“, will sagen: „Das“ ist mehrdeutig und es liegen vermutlich alle drei Bezüge gleichzeitig vor.. Zu dieser Annahme führt die Beobachtung, dass sowohl die „gesunde Lehre“ (und was mit ihr zusammenhängt) als auch das Eintreten dafür und die „guten Werke“ „gut und nützlich für die Menschen“ sind. „Gut“ bzw. „gut für die Menschen“ ist kein vager ethischer Ausdruck und „nützlich für die Menschen“ nicht utilitaristisch (= nur auf den praktischen Nutzen bedacht) zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um Heilsbegriffe. „Gut“ ist das, was dem Evangelium, der rechten (= gesunden) Lehre und dem gottgefälligen Verhalten entspricht und zum Heil führt. Und „nützlich“ ist das, was zum Heil führt. Alles Genannte entspricht also dem Evangelium, der rechten Lehre, dem gottgefälligen Verhalten und führt zum Heil.
„Für alle Menschen“ bezieht sich sicher auf „nützlich“, darüber hinaus aber wohl auch auf „gut“. Das Heil ist also an alle Menschen gerichtet, sie müssen es nur gläubig annehmen.
Weiterführende Literatur: In den Pastoralbriefen findet sich fünfmal die Formel „pistos ho theos“ („glaubwürdig ist das Wort“: 1 Tim 1,15; 3,1; 4,9; 2 Tim 2,11; Tit 3,8). Dabei ist umstritten, ob die Formel den Worten, auf die sie sich bezieht, vorausgeht oder folgt. R. A. Campbell 1994, 73-86 macht anhand von formkritischen Argumenten deutlich, dass sie ihnen stets vorausgingen, sie also einleiteten. Gewöhnlich werde die Formel in Tit 3,8 auf Vorhergehendes bezogen, weil im folgenden Teil des V. 8 kein „Wort“ zitiert werde. Allerdings sei das vorhergehende liturgische Material zu lang und zu schwer zu behalten, um als das „glaubwürdige Wort“ gelten zu können. Eine Lösung tue sich aber auf, wenn „hina“ in V. 8 nicht mit „damit“ übersetzt, sondern – Eph 5,33 entsprechend – imperativisch verstanden werde. Der mit „hina“ eingeleitete Satz laute dann „… dass diejenigen, die zum Glauben an Gott gekommen sind, darauf bedacht sind, sich mit guten Werken hervorzutun“ oder – imperativisch formuliert - „Diejenigen, die zum Glauben an Gott gekommen sind, sollen darauf bedacht sein, sich mit guten Werken hervorzutun“. Dies sei das „glaubwürdige Wort“.
D. J. Clark 2002, 101-117 sieht in 1,13b und 3,8b zwei Brüche, die das Briefkorpus 1,13b – 3,8a rahmten.
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Beobachtungen: In V. 9-11 stellt „Paulus“ der „gesunden Lehre“, dem nachdrücklichen Eintreten für diese, dem rechten Glauben und dem gottgefälligen Verhalten törichte Diskussionen und Geschlechtsregister, Hader und Streitereien um das Gesetz gegenüber. Es handelt sich um eine Gegenüberstellung von dem, was zum Heil führt, und dem, was zum Unheil führt. Das, was zum Heil führt, ist die Welt der rechten Christen, das, was zum Unheil führt, ist die Welt der Irrlehrer und ihrer Anhänger.
Das Substantiv „zêtêsis“ kann sowohl „Streitfrage“ als auch „Diskussion/Kontroverse“ bedeuten. Wie haben wir uns also die Diskussion vorzustellen? Weil sich die Irrlehrer nicht an die „paulinische“ Theologie und Lehre halten, bewegen sich die Diskussionen argumentativ auf ganz dünnem Eis. Es kommen zig Streitfragen auf, die diskutiert werden. Weil die Diskutierenden aber keinen Bewertungsmaßstab haben, welche Antworten richtig und welche falsch sind, werden die Diskussionen uferlos. Das Ergebnis ist letztendlich nur Hader.
Geschlechtsregister (Genealogien) dienten in der Antike dazu, Antworten auf Fragen nach Herkunft und Ursprung zu geben. Dies geschah, indem sie über die Abstammung einer Person oder Gruppe von einem Ahn oder mehreren Ahnen informierten. Mittels dieser Informationen wurde die Identität und Autorität einer Person oder Gruppe definiert. Über diese Identität konnte sich auch eine größere Gruppe wie ein Stamm oder Volk definieren.
Auch von den Geschlechtsregistern hat „Paulus“ ein negatives Bild. Das ist nicht mit fehlender historischer Wahrheit zu begründen, sondern mit dem Fehlen von Heilsrelevanz. Es ist davon auszugehen, dass in den Geschlechtsregistern der barmherzige Gott und Jesus Christus keine Rolle spielten.
Mit den törichten Diskussionen und dem Heranziehen von Geschlechtsregistern ist „Hader“ („ereis“; der Plural bedeutet strenggenommen „Streitigkeiten“) verbunden. Der Begriff beinhaltet hier wohl zum einen den Wettstreit, nämlich den Wettstreit um das beste Gedankengebäude, dann aber auch das Gegeneinander und die schlechte Atmosphäre, in der sich der Wetteifer abspielt. Hader dürfte auch das Ergebnis des Wettstreites und des Gegeneinanders sein.
Dass die Atmosphäre schlecht und von einem Gegeneinander geprägt ist, lässt auch der Begriff „machai“ erkennen, der „Kämpfe“ bedeutet. Es werden also Meinungskämpfe ausgetragen, und zwar um das „Gesetz“. Damit dürfte das jüdische Religionsgesetz gemeint sein, womit die Irrlehrer als dem Judentum nahestehend oder als Judenchristen erscheinen. Vermutlich führen zu den „Kämpfen“ Meinungsverschiedenheiten, wie bestimmte Bestimmungen des „Gesetzes“ auszulegen und zu befolgen sind. Alle diese Meinungen haben jedoch eins gemein: Sie haben nichts mit der „rechten Lehre“ zu tun, sind somit falsch und führen nicht zum Heil.
Weiterführende Literatur: Laut R. Van Neste 2002, 119-133 wiesen lexikalische Wiederholungen auf ein hohes Maß an Kohäsion hin: Der Abschnitt 2,1-3,8 hänge zusammen, 1,10-16 und 3,9-11 bildeten um 2,1-3,8 herum die inclusio und die dogmatischen Abschnitte seien eng mit der Einleitung verbunden.
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Beobachtungen: Das Adjektiv „airetikos“ bedeutet „häretisch“ oder „eine Parteiung bildend“. Es enthält also zwei Aspekte: Der betreffende Mensch ist häretisch, vertritt also eine Irrlehre. Weil er nicht (mehr) der rechten Lehre folgt, zerstört er die auf dem rechten Glauben und auf der rechten Lehre gründenden Einheit der Gemeinde und trägt zur Bildung einer Parteiung bei, die auf der Irrlehre gründet.
„Titus“, der wohl Gemeindeleiter repräsentiert, soll dem Zerfall der Gemeinde nicht tatenlos zusehen, sondern den Menschen - also das Gemeindeglied, das die Irrlehre vertritt -, einmal und auch ein zweites Mal ermahnen. Wenn das ermahnte Gemeindeglied dann (wörtlich: „nach der ersten und zweiten Zurechtweisung“) immer noch nicht von der Irrlehre abrückt, soll „Titus“ es zurückweisen. Damit ist vermutlich gemeint, dass er es aus der Gemeinde ausschließen soll. Durch den Ausschluss wird die Einheit der Gemeinde wieder hergestellt und die Verbreitung der Irrlehre innerhalb der Gemeinde verhindert. Das eine Irrlehre vertretende Gemeindeglied dürfte sich (weiterhin) als Christ verstehen, aber der Gemeindeleiter soll deutlich machen, dass nur diejenigen als Christen anzusehen sind, die dem rechten Glauben und der rechten Lehre anhängen. Der Ausschluss erfolgt für das Gemeindeglied nicht überraschend, weil mit den Zurechtweisungen („nouthesia“ bedeutet sowohl „Ermahnung/Zurechtweisung“ als auch „Warnung“) die Warnung verbunden sein dürfte, dass bei fortgesetztem Glauben an die Irrlehre ein Ausschluss aus der Gemeinde erfolgt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: V. 11 drückt die Hoffnungslosigkeit bezüglich des Gemeindegliedes, das sich auch durch eine zweite Zurechtweisung nicht von der Irrlehre abbringen lässt, aus. Ein solches Gemeindeglied ist durch die Irrlehre verdreht und lässt sich auch durch weitere Zurechtweisungen nicht von ihr abbringen. Weil es der Irrlehre folgt, ist es nicht imstande, sich so zu verhalten und so zu handeln, wie es von einem rechten Christen zu erwarten ist. Es sündigt somit und spricht sich selbst das Urteil.
Es ist unklar, welches Urteil sich das Gemeindeglied, das sich durch die Zurechtweisungen nicht von der Irrlehre abbringen lässt, selbst spricht. Es kann daran gedacht sein, dass es selbst seinen Ausschluss aus der Gemeinde bewirkt. Es handelt sich also nicht um ein eigenmächtiges Handeln, ein eigenmächtiges Urteil des „Titus“, sondern um das eigene Urteil des Gemeindeglieds, nicht mehr zur rechtgläubigen Gemeinde zu gehören. Es kann aber auch das Urteil Gottes bzw. Jesu Christi beim Jüngsten Gericht im Blick sein. Dass ein Gemeindeglied, das einer Irrlehre anhängt, beim Jüngsten Gericht verurteilt wird und das Verderben zu erwarten hat, hat es sich selbst zuzuschreiben.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Campbell, R. Alastair; Identifying the Faithful Sayings in the Pastoral Epistels, JSNT 54 (1994), 73-86
Clark, David J.; Discourse Structure in Titus, BiTr 53/1 (2002), 101-117
Van Neste, Ray; Structure and Cohesion in Titus. Problems and Method, BiTr 53/1 (2002), 118-133