Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Korintherbrief

Der zweite Brief des Paulus an die Korinther

2 Kor 12,14-18

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Kor 12,14-18

 

 

Übersetzung

 

2 Kor 12,14-18:14 Siehe, ich bin jetzt bereit, zum dritten Mal zu euch zu kommen, und ich werde euch [wiederum] nicht zur Last fallen; denn ich suche nicht euer Hab und Gut, sondern euch. Denn nicht die Kinder müssen für die Eltern sparen, sondern die Eltern für die Kinder. 15 Ich aber werde sehr gern [Geld] ausgeben und mich [sogar] für euer Leben verausgaben. Wenn ich euch mehr liebe, soll ich [darum] weniger geliebt werden? 16 Nun gut, ich persönlich habe euch nicht belastet; jedoch verschlagen wie ich bin, habe ich euch mit List gefangen. 17 Habe ich etwa jemanden von denen, die ich zu euch geschickt habe, - habe ich euch durch ihn übervorteilt? 18 Ich habe Titus aufgefordert [zu euch zu gehen] und den Bruder mit ihm geschickt. Hat euch etwa Titus übervorteilt? Sind wir nicht in demselben Geist gewandelt, in denselben Fußstapfen?

 

 

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V. 14

 

Beobachtungen: Nach dem Briefkorpus 2,14 (bzw. 3,1) - 12,13 folgt nun der Briefschluss 12,14-13,13, der mit der apostolischen Parusie (12,14 - 13,10) eingeleitet wird. In ihr kommt Paulus auf seinen geplanten dritten Besuch in Korinth zu sprechen.

Der Übergang von der Nachrede zum Selbstruhm wider Willen (12,11-13) zur apostolischen Parusie wird durch einen deutlichen Themenwechsel markiert. Da der Selbstruhm wider Willen ("Narrenrede“) samt Vorwort und Nachrede abgeschlossen ist, verwundert der Themenwechsel hier nicht. Folglich spricht nichts dagegen, dass 12,14-18 (bzw. der gesamte Abschnitt 12,14-13,10/13) eine literarische Einheit mit 10,1-12,13 bildet. Aufgrund des deutlichen Themenwechsels ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass mit V. 14 ein Fragment eines anderen Briefes angefügt worden ist.

 

Paulus kommt in V. 14-18 auf seine Uneigennützigkeit zu sprechen. Gemäß V. 14 ist Paulus bereit, ein drittes Mal nach Korinth zu kommen. Das bedeutet, dass Paulus schon zweimal in Korinth gewesen ist, der Missionsaufenthalt zwecks Gemeindegründung eingerechnet. Dieser Missionsaufenthalt wäre somit der erste Aufenthalt. Der zweite Aufenthalt müsste der Besuch sein, der in 2 Kor 2,5-11 zur Sprache kommt und ein unrühmliches Ende fand: Paulus ist von einem korinthischen Gemeindeglied betrübt worden und deshalb vorzeitig abgereist. Ein dritter Besuch lässt sich aus den beiden Korintherbriefen nicht erschließen, sodass davon auszugehen ist, dass 12,14-18 nach dem unerfreulich verlaufenen zweiten Besuch ("Zwischenbesuch“) verfasst worden ist. Dass Paulus schon während des zweiten Aufenthaltes seinen dritten Besuch angekündigt hat, ist möglich. Allerdings geht aus 2,1-4 hervor, dass der Apostel den Besuch nicht in einer vergifteten Atmosphäre abstatten wollte. Direkt nach dem Betrübnis und der vorzeitigen Abreise hat er folglich keinen weiteren Besuch ins Auge gefasst. Folglich ist 12,14-18 sicherlich kein Bestandteil des in 2,4 erwähnten "Tränenbriefes“. Es muss eine gewisse Zeit nach der Abreise vergangen sein, und zwar vermutlich die Zeit bis zur angemessenen Bestrafung des Übeltäters. Nach der Bestrafung dürfte (1,1 bzw.) 1,12-2,13 verfasst worden sein. Passt also 12,14-18 (bzw. der gesamte Abschnitt 10,1-13,13) zu 1,12 - 2,13? Vom rechtfertigenden Inhalt her gesehen ist ein Zusammenhang durchaus möglich. Nun stellt sich aber das Problem, dass möglicherweise (1,1 bzw.) 1,12-2,13 und 7,5-16 ursprünglich einen zusammenhängenden Text gebildet haben. 7,5-16 klingt aber so, als sei alle Verstimmung zwischen den Korinthern und Paulus ausgeräumt, wogegen insbesondere 11,1-12,13, aber auch der Rest des Abschnitts 10,1-13,13, von erheblicher Verstimmung geprägt ist. Dass 7,5-16 und 11,1-12,13 auch ursprünglich ein und demselben Brief angehört haben, ist folglich unwahrscheinlich. Geht man also davon aus, dass (1,1 bzw.) 1,12 - 2,13 und 12,14-18 ursprünglich ein und demselben Brief angehört haben, so kann entweder (1,1 bzw.) 1,12 - 2,13 und 7,5-16 keine literarische Einheit bilden, oder 11,1-12,13 (bzw. 10,1-12,13) und 12,14-18 (bzw. 12,14-13,13). Schließlich bleibt aber auch die Möglichkeit, dass sich zwischenzeitlich das Verhältnis wieder verschlechtert hat und 12,14-18 (bzw. der ganze Abschnitt 10,1-13,13) nach 7,5-16 (und auch Kapitel 8 und 9) verfasst worden ist.

 

Paulus hat in der Vergangenheit die Annahme von Unterhaltszahlungen seitens der korinthischen Gemeinde abgelehnt und will dies auch beim dritten Besuch tun. Paulus begründet sein Verhalten damit, dass er der korinthischen Gemeinde nicht zur Last fallen will. Damit grenzt er sich von den "Überaposteln“, seinen selbstbewussten Konkurrenten, ab, die seiner Meinung nach die Gemeindeglieder finanziell ausnehmen (vgl. 2 Kor 11,7-15). Paulus geht es um die Gemeindeglieder, nicht um deren Geld. Wenn er sagt, dass er die Gemeindeglieder "sucht“, dann sagt er damit vermutlich aus, dass er sie für das Heil zu gewinnen sucht. Zwar sind sie schon getauft, doch laufen sie immer wieder Gefahr, durch Streit und Laster vom rechten Wege der Christusnachfolge abzukommen, sodass Paulus sie immer wieder ermahnen und für das wahre christliche Leben gewinnen muss.

 

Paulus stellt sein Verhältnis zu den Adressaten als ein Vater-Kind-Verhältnis dar (vgl. 1 Kor 4,15; 2 Kor 6,13), und zwar auch im Hinblick auf den Aspekt der finanziellen Fürsorge: Nicht die Kinder müssen für die Eltern sparen, sondern die Eltern für die Kinder. Die Eltern haben also für ihre Kinder zu sorgen, nicht umgekehrt. Dieses Fürsorgeverhältnis hat zumindest so lange Bestand, wie die Kinder noch nicht erwachsen sind. Wenn Paulus, der Vater der korinthischen Gemeinde, also in Korinth ist, will er Gebender und nicht Nehmender sein.

 

Weiterführende Literatur: L. Aejmelaeus 2000 kommt in seinem Buch bezüglich der Argumentation des Paulus mit den Begriffen "Schwachheit“ und "Kraft“ zu folgendem Ergebnis: Der Apostel verfolge zwei Ziele: Auf der einen Seite versuche er zu bewirken, dass die korinthischen Gemeindeglieder ihre falschen Auffassungen und Einstellungen von echter christlicher Kraft und Schwachheit verändern. Auf der anderen Seite versuche er sich im "Tränenbrief“ so effektiv wie möglich gegen die gegen ihn gerichtete Kritik zu verteidigen. Seine Ziele versuche Paulus durch drei verschiedene Argumentationsweisen zu erreichen: 1) Paulus drohe den Gemeindegliedern mit zukünftigen Strafmaßnahmen (vgl. 10,1-6; 12,19-13,6). 2) Paulus versuche zu beweisen, dass er bei richtiger Bewertung für "kraftvoll“ gehalten werden sollte (vgl. 10,7-11,15; 12,11-18). 3) Paulus gebe zu, dass er aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet in der Tat "schwach“ gewesen sei, diese Schwachheit ihrer Natur nach jedoch für positiv gehalten werden müsse (vgl. 11,16-12,10; 13,7-10).

 

H.-G. Sundermann 1996, 39-45 äußert sich zum rhetorischen Genus von 11,1-12,18 wie folgt: 11,1-12,18 gebe sich vordergründig als forensische Rede in einem Gerichtsverfahren zu erkennen, auf das sich Paulus − wenn auch zum Schein − in der Rolle des Angeklagten einlasse, der sich vor der richterlichen Instanz der korinthischen Gemeinde zu rechtfertigen suche. Die Gegner bzw. deren Sprecher in der Gemeinde seien in diesem Verfahren als Kläger präsent. In rhetorischen Kategorien sei in diesem Zusammenhang vom "genus turpe“ auszugehen, das denjenigen Partei-Gegenstand kennzeichne, der das Rechtsempfinden (oder: das Wert- und Wahrheitsempfinden) des Publikums schockiert. Der "Narrenrede“ (11,1-12,18) selbst falle im Kontext der paulinischen "Scheinapologie“ die Rolle der "argumentatio“ zu. Dabei gehe es dem Apostel um den Nachweis der Ebenbürtigkeit mit seinen Gegnern, der in Form eines Vergleichs ausgeführt werde. In der "probatio“ (11,16-12,18) gehe es vordergründig um Gemeinsamkeiten zwischen Paulus und seinen Gegnern. Der Apostel weise nach, dass er in allen Punkten mit seinen Gegnern Schritt halten kann.

 

Mit der Selbstdarstellung des Paulus in 2 Kor 10-13 befasst sich B. K. Peterson 1998, 258-270, wobei er insbesondere auf die bildlichen Vorstellungen eingeht, wonach Paulus Soldat und Elternteil/Vater ist.

 

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V. 15

 

Beobachtungen: Nun könnte man annehmen, dass es etwas Unangenehmes ist, Gebender zu sein. Gegen diese Vorstellung wendet sich Paulus, der unterstreicht, dass er gerne gibt. Er ist insofern Geber, als er das Evangelium unentgeltlich verkündigt und die Hörer für das Heil zu gewinnen sucht. In der Zeit, in der Paulus predigt, kann er nicht seinem Zeltmacherhandwerk nachgehen und Geld verdienen - es sei denn, er predigt während der Arbeit. Von daher verursacht das Predigen ihm Kosten, denn der Unterhalt muss auch in der einnahmelosen Zeit bestritten werden. Da das Verhältnis zwischen den (niedrigen) Einnahmen und den (hohen) Ausgaben sehr ungleich sein kann, kann Paulus davon sprechen, dass er sich für die korinthischen Gemeindeglieder verausgabt.

 

Genau genommen sagt Paulus, dass er sich gern für das Leben der korinthischen Gemeindeglieder verausgabt. Dem deutschen Substantiv "Leben“ liegt das griechische "psychê“ zugrunde, das auch mit "Seele“ übersetzt werden kann. Paulus verbindet mit dem Begriff allerdings das Irdisch-Körperliche. So nennt er den Menschen, der nicht vom Geist Gottes geprägt ist, "psychischer Mensch“ (vgl. 1 Kor 2,14). Dieser Mensch ist also rein irdisch gesinnt. In 2 Kor 12,15 ist das Substantiv "psychê“ also nicht als Seele im Sinne eines Leib-Seele-Dualismus zu verstehen, sondern als menschliche, an den Körper gebundene Lebenskraft (vgl. Röm 16,4). Dieser Gebrauch des Begriffs entspricht demjenigen der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel (= AT) Septuaginta, die das hebräische Wort für "Leben“, "näfäsch“, mit "psychê“ wiedergibt. Nach hebräischem Verständnis ist der Sitz des Lebens das Blut (vgl. Gen 9,4-5; Lev 17,11; Dtn 12,23). Zusätzlich zu dem körperlichen Aspekt ist aber auch der personale zu beachten: So kann das Wort "näfäsch“ die Person, das "Ich“, meinen.

 

Was bedeutet nun, dass sich Paulus sehr gern für das "Leben“ der Adressaten verausgabt? Man kann das "Leben“ auf das irdische Leben beziehen und die Aussage so deuten, dass Paulus nicht das irdische Leben der korinthischen Gemeindeglieder beeinträchtigen will, indem er sie finanziell belastet. Man kann aber auch den personalen Aspekt betonen und annehmen, dass Paulus sich für die korinthischen Gemeindeglieder aufopfert, von deren Verantwortlichkeit vor Gott bzw. Jesus Christus er weiß. Ihm geht es gemäß dieser Deutung darum, dass sich seine "Kinder“ auf die Wiederkunft Christi vorbereiten und einen angemessenen Lebenswandel führen.

 

Die Bedeutung des griechischen Verbs "dapanaô“, "ausgeben“, ist bei dem Kompositum "ekdapanaomai“, das "sich verausgaben“ übersetzt werden kann, verstärkt. Paulus spricht zwar konkret vom Geld, doch ist neben der finanziellen Verausgabung auch an die Hingabe des ganzen Menschen zu denken. Will man die Selbstaufopferung betonen, so kann man V. 15a auch wie folgt übersetzen: "Ich aber werde sehr gern ein Opfer bringen und mich [sogar] für euer Leben selbst ganz aufopfern.“

 

Paulus versteht sein Verhalten als Zeichen der Liebe den Korinthern gegenüber, nicht wie manch ein Gemeindeglied als einen Mangel an Liebe (zum Vorwurf mangelnder Liebe siehe 2 Kor 11,11). Von daher kann Paulus erwarten, dass auch er von den Adressaten geliebt wird. Das Erwarten von Gegenliebe ist auf dem Hintergrund zu verstehen, dass ein Teil der Adressaten die Konkurrenten des Apostels mehr achtet als den Apostel selbst.

 

Weiterführende Literatur: W. Harnisch 1996, 64-82 vertritt die Ansicht, dass sich ein moderner Toleranzgedanke kaum in den paulinischen Schriften ausfindig machen lasse. Allerdings könnten sich aus dem Gespräch mit Paulus weiterführende und erhellende Gesichtspunkte auch für die gegenwärtige Toleranz-Debatte gewinnen lassen, wenn man sich an der paulinischen Art des Umgangs mit Konflikten orientiert. Laut S. 77-78 artikuliere sich im Vierkapitelbrief (2 Kor 10-13) nicht die Sprache der Toleranz, wohl aber die Liebe als der Weise einer unerhört gesteigerten Toleranz.

 

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V. 16/17

 

Beobachtungen: Paulus greift, als ironisches Zugeständnis formuliert, eine Unterstellung auf, wie sie möglicherweise angesichts seiner Behauptung geäußert wird, er falle der korinthischen Gemeinde nicht zur Last. Es heißt, Paulus selbst belaste die Gemeinde zwar nicht, doch tue er dies auf indirektem Wege durchaus, und zwar auf hinterlistige Weise: Er sende seine Mitarbeiter aus, die die Gemeinde übervorteilen.

 

Fraglich ist, ob die Unterstellung von einer großen Zahl Gemeindegliedern stammt, oder ob es sich um verleumderische Stimmen Einzelner handelt. Für letztere Annahme spricht, dass die Unterstellung nicht zu dem Vorwurf an den Apostel passt, seine Weigerung, sich von der korinthischen Gemeinde unterstützen zu lassen, zeige, dass er diese - im Gegensatz zu anderen Gemeinden - nicht wirklich liebt. Ein solcher Vorwurf setzt nämlich voraus, dass die Annahme der finanziellen Unterstützung erwartet wird. Im Gegensatz dazu sieht die Unterstellung, dass Paulus der korinthischen Gemeinde auf verschlagen-indirekte Weise zur Last falle, jede Art der Annahme von Geldzahlungen - sei es auf direktem oder indirektem Wege - als unzulässige Selbstbereicherung an. Da kaum anzunehmen ist, dass dieselben Personen die Annahme von Geldzahlungen das eine Mal wünschen, das andere Mal aber ablehnen, ist zu vermuten, dass die beiden Unterstellungen von verschiedenen Kritikern geäußert werden. Möglich ist auch, dass Kritiker ihre Vorwürfe so auf ihre Gesprächspartner einstellen, dass sie mit einem Höchstmaß an Zustimmung rechnen können. Ziel wäre dann nicht die begründete Kritik am Verhalten des Apostels, sondern das Schüren einer paulusfeindlichen Stimmung.

 

Paulus versucht die Unterstellung mittels rhetorischer Fragen, die an die Vernunft der Adressaten appellieren, zu entkräften. Auf die erste rhetorische Frage ist als Antwort ein "Nein“ erwarten. Natürlich hat Paulus die korinthischen Gemeindeglieder durch keinen seiner Gesandten übervorteilt. Der Gedanke an die Unterstellung verschlagener Selbstbereicherung erregt Paulus in hohem Maße, wie die Wiederaufnahme des Fragesatzes erkennen lässt.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 18

 

Beobachtungen: Titus ist einer der Mitarbeiter des Paulus, die dieser nach Korinth geschickt hat. Er war es, der nach seinem Besuch die gute Nachricht von der Bereinigung des Verhältnisses zwischen der Gemeinde und Paulus übermitteln konnte (vgl. 2 Kor 7,5-6.13-16). Aufgrund der guten Nachrichten wurde Titus von Paulus aufgefordert, wieder nach Korinth zurückzukehren und die vor einiger Zeit begonnene, jedoch aufgrund der zwischenzeitlichen Spannungen unterbrochene Kollekte zu beenden (vgl. 2 Kor 8,6).

"Der Bruder“ hat Titus auf seiner Reise nach Korinth begleitet. Allerdings verwundert, dass Paulus nur von einem einzigen "Bruder“ spricht, denn gemäß 2 Kor 8,16-24 haben Titus zwei "Brüder“ begleitet. Da beide "Brüder“ nicht nur Gesandte des Paulus sind, sondern auch Gesandte der Gemeinden in Makedonien, gibt es aufgrund des gleichen Status’ keinen Anlass für die Auslassung eines Begleiters. Allerdings ist anzumerken, dass nur ein "Bruder“ dazu bestimmt zu sein scheint, mit Paulus die Kollekte nach Jerusalem zu bringen (vgl. 8,19); dieser "Bruder“ ist möglicherweise bis zur Abreise von Korinth nach Jerusalem kein offizieller Gesandter. Nennt ihn Paulus deshalb allein, weil man einem Gesandten der Gemeinden wohl kaum vorwerfen könnte, er diene in Wirklichkeit der Selbstbereicherung des Paulus? Möglich ist auch, dass nur ein "Bruder“ Titus begleitet hat, der andere nachgereist ist. Diese Annahme wird allerdings vom Wortlaut 2 Kor 8,16-24 nicht gestützt. Schließlich kann man auch zu der Schlussfolgerung kommen, dass sich 12,18 nicht auf den Besuch zur Beendigung der Kollekte bezieht, sondern auf einen anderen Aufenthalt des Titus in Korinth. Am ehesten wäre an den Aufenthalt zu denken, von dem Titus die guten Nachrichten mitgebracht hat. Allerdings erwähnt Paulus im Zusammenhang mit diesem Besuch keinen "Bruder“ als Begleiter. Man kann die fehlende Erwähnung jedoch damit erklären, dass dieser bei der Überbringung der guten Nachricht keine Rolle spielte und deswegen nicht genannt zu werden braucht. In Frage kommt schließlich noch ein Bezug auf einen nur ganz am Rande in 8,6 erwähnten Korinth-Aufenthalt des Titus zu Beginn der Kollekte, bei dem es diese zu organisieren galt. Aber auch in diesem Zusammenhang wird kein "Bruder“ erwähnt, was wiederum verständlich ist.

 

Die Nennung des "Bruders“ in 12,18 bringt das Problem der zeitlichen Einordnung des Abschnittes 12,14-18 (bzw. 10,1-13,13) mit sich. Sollte nämlich der genannte "Bruder“ einer der Begleiter des Titus auf der Reise nach Korinth zur Beendigung der Kollekte sein, dann muss der Abschnitt nach der Ankunft in Korinth verfasst worden sein. Da der Abschnitt nicht so klingt, als sei das Verhältnis zwischen der korinthischen Gemeinde und Paulus wirklich entspannt, muss sich das Verhältnis zwischenzeitlich wieder verschlechtert haben. Hat dazu vielleicht die Beendigung der Kollekte durch Titus und seine(n) Begleiter beigetragen? Wird Paulus nun wegen der Kollekte Selbstbereicherung vorgeworfen? Erst recht stellt sich die Frage, warum Paulus in 12,14-18 (und im gesamten Abschnitt 10,1-13,13) so angespannt wirkt, wenn man davon ausgeht, dass sich 12,18 nicht auf 8,16-24 bezieht, sondern auf den in 7,5-16 thematisierten, gut verlaufenen Besuch des Titus. Da liegt es näher, einen Bezug auf den in 8,6 erwähnten Besuch des Titus zwecks Organisation der anstehenden Kollekte anzunehmen, denn zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den korinthischen Gemeindegliedern und Paulus schon etwas belastet; der Eklat, der "Tränenbrief“ und die letztendliche Bereinigung des Verhältnisses stand jedoch noch aus.

 

Dass Paulus nicht Timotheus als Gesandten namentlich erwähnt, mag damit zusammenhängen, dass dessen Besuch (vgl. 1 Kor 4,17) in Korinth nun schon eine ganze Weile zurückliegt und den Adressaten daher nicht mehr so in Erinnerung ist.

 

Paulus sieht Titus als seinen engen Mitarbeiter an, der in demselben Geist und in denselben Fußstapfen wandelt, also aus den gleichen Beweggründen und auf die gleiche Art und Weise handelt wie er selbst. Wenn Paulus die korinthische Gemeinde nicht übervorteilt hat, hat Titus es auch nicht getan. Der Begriff "Geist“ ("pneuma“) verweist vielleicht auf Gottes Geist. Von diesem wäre das Wirken des Paulus und des Titus geprägt.

 

Weiterführende Literatur: K. H. Easley 1984, 299-313 befasst sich mit der Frage, was es bedeutet, wenn etwas "im Geiste“ geschieht. Dabei versucht er zu klären, ob es sich bei der Formulierung "im Geiste“ um einen terminus technicus mit der stets gleichen Bedeutung handelt, oder ob die Bedeutung des Begriffs vom Zusammenhang abhängt. Ergebnis: Paulus gebrauche den Begriff nicht als einen terminus technicus. Vielmehr verweise der Apostel mit ihm auf den Geist als wirksamen Mittler der Kraft Gottes, durch den Christen bestimmte Erfahrungen zuteil werden und durch den die Gläubigen in die Lage versetzt werden, bestimmte Erwartungen zu erfüllen.

 

 

Literaturübersicht

 

Aejmelaeus, Lars; Schwachheit als Waffe. Die Argumentation des Paulus im Tränenbrief (2. Kor. 10-13) (SESJ 78), Helsinki - Göttingen 2000

Easley, Kendell H.; The Pauline Usage of Pneumati as a Reference to the Spirit of God, JETS 27 (1984), 299-313

Harnisch, Wolfgang; “Toleranz” im Denken des Paulus? Eine exegetisch-hermeneutische Vergewisserung, EvTh 56/1 (1996), 64-82

Peterson, Brian K.; Conquest, Control, and the Cross: Paul’s Self-Portrayal in 2 Corinthians 10-13, Interp. 52/3 (1998), 258-270

Sundermann, Hans-Georg; Der schwache Apostel und die Kraft der Rede. Eine rhetorische Analyse von 2 Kor 10-13 (EHS R. XXIII; 575), Frankfurt 1996

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