2 Tim 2,14-21
Übersetzung
2 Tim 2,14-21 : 14 Dies rufe ins Gedächtnis, indem du bei (dem) Gott schwörst, keine Wortgefechte auszutragen; das ist zu nichts nütze, das führt zum Verderben der Zuhörer. 15 Sei eifrig bestrebt, dich vor (dem) Gott als bewährt zu erweisen, als Arbeiter, der sich nicht zu schämen braucht, der das Wort der Wahrheit richtig und klar verkündet. 16 Das unheilige, leere Gerede aber meide! Denn sie werden zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten, 17 und ihr Wort wird wie ein Krebsgeschwür um sich greifen. Zu ihnen gehören Hymenäus und Philetus, 18 die von der Wahrheit abgeirrt sind, indem sie behaupten, die Auferstehung sei schon geschehen, und den Glauben einiger zerstören. 19 Das feste Fundament (des) Gottes freilich besteht und trägt dieses Siegel: „Es hat [der] Herr die Seinen erkannt“, und „Es halte sich von Ungerechtigkeit fern jeder, der den Namen des Herrn nennt“. 20 In einem großen Haus aber sind nicht nur goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und tönerne, und die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre. 21 Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, brauchbar für den Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet.
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Beobachtungen: Wenn es selbstverständlich wäre, dass das Evangelium gemäß der „paulinischen“ (von „Paulus“ für paulinisch gehaltenen) Theologie und Lehre verkündigt und gelehrt wird, bräuchte „Paulus“ nicht auf die Notwendigkeit hinzuweisen. Dass er dies macht (vgl. insbesondere 2,2-3), macht deutlich, dass sich manche Prediger und Lehrer von der paulinischen Tradition entfernt haben. Wenn von der paulinischen Tradition abgewichen wird, stellt sich die Frage, woran sich die Theologie und Lehre orientieren sollen. Verschiedene Meinungen können auftauchen und in der Vielfalt von Theologien und Lehren können Konkurrenzkämpfe um den größtmöglichen Einfluss aufkommen. „Paulus“ muss angesichts dieser Lage dazu Stellung nehmen, wie gegenüber den Irrlehrern, die sich nicht an die paulinische Tradition halten, zu verfahren ist. Das tut er in 2,14-3,9.
„Paulus“ mahnt zunächst „Timotheus“, dass er „dies“ ins Gedächtnis rufen soll. Zwei Fragen stellen sich: Was soll er ins Gedächtnis rufen? Wem soll er „dies“ ins Gedächtnis rufen? Versuchen wir uns langsam den Antworten zu nähern. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es um eine Gefährdung der Kirche geht. Folglich betrifft das, was es ins Gedächtnis zu rufen gilt, die Christen. Nichtchristen bleiben außen vor. „Dies“ bezieht sich am ehesten auf unmittelbar vorhergehende oder auf unmittelbar folgende Aussagen. Unmittelbar vorhergehen tun die V. 11-13, die sich mit der Verheißung für Treue im Glauben befassen. Diese ist christologisch begründet (vgl. V. 8). Es wird deutlich, dass der Glaube kein Blankoscheck für das Heil ist, sondern Standhaftigkeit bei Bedrängnis erfordert. Wer Jesus Christus verleugnet, wird auch von diesem verleugnet und geht des Heils verlustig. Unter widrigen Umständen müssen also Christen den Mut aufbringen, zu ihrem Glauben zu stehen. Die widrigen Umstände können Verfolgung oder auch Irrlehren sein. Wer unter widrigen Umständen standhaft bleiben will, braucht zum einen eine klare Richtschnur, woran er sich halten soll. Diese Richtschnur ist das Evangelium. Das Evangelium kann aber ganz offensichtlich unterschiedlich gedeutet und verwendet werden. Daher kommt es „Paulus“ darauf an, dass das Evangelium gemäß der „paulinischen“ (von „Paulus“ für paulinisch gehaltenen) Theologie und Lehre verkündigt und gelehrt wird (vgl. 2,1-2). Das ist sozusagen der Kompass in der religiösen Vielfalt des Römischen Reiches. Dann bedarf es für die Standhaftigkeit aber auch der Konzentration auf das Wesentliche und des vollen Einsatzes. Das Wesentliche ist, das Heil (Zufriedenheit Jesu Christi; „Siegeskranz“; „Früchte“) zu erlangen (vgl. 2,4-6). Das Heil wird als „Rettung, die in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit“ definiert (vgl. 2,10). Der Einsatz ist gerade unter widrigen Bedingungen zu bringen. Dann zeigt er sich in Mühsal und Leid. Es wird deutlich, dass sich 2,11-13 nicht von den umstehenden Aussagen trennen lässt. All das Genannte dürfte „dies“ beinhalten, wobei nun speziell das Verhalten gegenüber Irrlehrern in den Blick kommt.
Wenn nicht konkretisiert wird, wem „dies“ ins Gedächtnis gerufen werden soll, haben wir davon auszugehen, dass wir es mit einer beabsichtigten Offenheit zu tun haben. „Dies“ ist nämlich gleichermaßen für „Timotheus“, alle kirchlichen Amtsträger und alle Christen relevant, wobei sie alle verschiedene Rollen innehaben. „Dies rufe ins Gedächtnis“ ist demnach im Sinne von „Diesen Sachverhalt bezüglich des Heils rufe dir selbst, allen Amtsträgern und allen Christen ins Gedächtnis“ zu verstehen.
Nun stellt sich die Frage: Führen Wortgefechte – gemeint sind vermutlich Wortgefechte um die rechte Theologie und Lehre – zum Heil? Die Antwort lautet: Nein! Die Grundlage des christlichen Glaubens, das Evangelium, ist klar. Auch ist klar, dass die „paulinische“ (von „Paulus“ für paulinisch gehaltene) Theologie und Lehre richtig ist und auch nachfolgenden Generationen überliefert werden muss. Angesichts dieser klaren Glaubensgrundlagen ist es sinnlos, sich in Wortgefechten mit Irrlehrern zu verzetteln. Diese führen nicht zum Heil, sondern zum Verderben der Zuhörer, die am Ende verwirrt sind und Gefahr laufen, das Evangelium und die rechte Theologie und Lehre aus dem Blick zu verlieren.
Wortgefechte sind ein Merkmal der Irrlehrer (vgl. 1 Tim 6,4-5). Deshalb soll „Timotheus“ keine Wortgefechte austragen. Und weil dies so wichtig ist, soll er dies bei Gott schwören. Sicherlich sollen auch die „zuverlässigen Menschen, die fähig sind, wieder andere zu lehren“ (vgl. 2,2) keine Wortgefechte austragen. Der Fokus ist hier aber auf „Timotheus“ gerichtet, dem bei der Überlieferung der rechten Theologie und Lehre eine zentrale Bedeutung zukommt. Er hat eine Vorbildfunktion und seine einzige Aufgabe ist es, klar und deutlich die rechte Theologie und Lehre zu vermitteln und so zum Heil zu führen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Diese Aufgabe drückt nun V. 15 positiv aus. Dabei wird das Vokabular von 2,4-6 aufgegriffen, vom zur Zufriedenheit seines Kriegsherrn kämpfenden Soldaten, vom Athleten, der seinen Wettkampf mit voller Kraft nach den Regeln führt, um den Siegeskranz zu erlangen, und vom Bauern, der sich abmüht und dafür als erster Anspruch auf die Früchte hat. In V. 15 ist nun vom „Arbeiter“ die Rede, was zwar nicht genau den genannten drei Analogien entspricht, aber am besten zur kirchlichen Arbeit passt. Es klingt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 20,1-16 (auch darin wird das Wort „ergatês“, „Arbeiter“, verwendet) an, wobei es in 2 Tim 2,15 darum geht, sich vor Gott als bewährt zu erweisen. Dass alle Arbeiter den gleichen Lohn bekommen bzw. bekommen könnten, ist hier nicht Thema. Anders als der Soldat ist der Arbeiter (im Weinberg) nicht nur auf seinen Herrn fixiert. Anders als der Athlet ist der Arbeiter (im Weinberg) nicht nur auf sich selbst fixiert. Am ehesten gleicht der Arbeiter (im Weinberg) dem Bauern, der ein Landgut bestellt. Es geht aber nicht nur darum, selbst die Früchte zu ernten und auch nicht nur darum, dem Herrn zu gefallen, sondern es geht auch darum, als Arbeiter (im Weinberg) so zu wirken, dass auch anderen Menschen das Heil zukommt. Zu denken ist an die Aussage „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Der Weinstock wäre demnach Jesus, die Christen wären die Reben. Gott wäre der Besitzer des Weinbergs und „Timotheus“ der Lohnarbeiter, der sich darum bemüht, dass die Reben reiche Frucht bringen. Die Rede vom Arbeiter ist nicht auf das Gleichnis vom Arbeiter im Weinberg beschränkt. In Mt 9,37 und Lk 10,2 ist von der großen Ernte und den wenigen Arbeitern die Rede. Und in Lk 10,7 (zitiert in 1 Tim 5,18) heißt es „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“. Der Arbeiter auf einem Landgut oder in einem Weinberg ist ein Bild, das den damaligen Menschen, die in einer weitgehend landwirtschaftlich geprägten Welt lebten, vertraut war. Nur von 2 Tim 2,15 her gesehen, kann es sich natürlich auch um einen Arbeiter im Handwerk handeln, denn es ist ja nicht ausdrücklich von einem Landgut oder einem Weinberg die Rede. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Und zuletzt: Wir dürfen uns unter dem „Arbeiter“ keinen Arbeiter in einer Fabrik vorstellen, also keine Vorstellungen des Industriezeitalters in den biblischen Text hineintragen.
Das Verb „spoudazô“ kann „eilen“ oder „erstreben“ bedeuten. Hier liegt letztere Bedeutung vor. Angesichts der Tatsache, dass mit Blick auf das Heil voller Einsatz verlangt ist, ist hier wohl die Bedeutung „eifrig bestrebt sein“.
Das Adjektiv „anepaischyntos“ taucht im NT nur hier auf. Gemeint ist „schamlos“, wobei sich die Frage stellt, ob sich „Timotheus“ nicht schämen soll oder ob er sich nicht schämen braucht. Vermutlich sind beide Aspekte im Blick: Wenn „Timotheus“ eifrig bestrebt ist, sich vor Gott als bewährt zu erweisen, dann gibt es keinen Grund, sich vor Gott wegen eines zu geringen Einsatzes für den christlichen Glauben zu schämen. Es wird ja von einer freimütigen Verkündigung des „Wortes der Wahrheit“ ausgegangen. Darüber hinaus geht es aber auch darum, dass sich „Timotheus“ für seine freimütige Verkündigung nicht zu schämen braucht, auch wenn ihr Inhalt in der auf Macht, Ruhm und Ehre ausgerichteten mehrheitlich heidnischen Gesellschaft lächerlich oder als Schande erscheinen mag und Gefangenschaft schwach und schmachvoll erscheint (vgl. 1,8.12.16).
Mit dem „Wort der Wahrheit“ ist sicherlich kein einzelnes Wort gemeint, sondern der Inhalt der Verkündigung, das Evangelium. Das Evangelium ist kein Diskussionsgegenstand, sondern wahr. Dennoch gibt es ganz offensichtlich Wortgefechte. Diese haben aber nicht damit zu tun, dass das Evangelium unklar wäre, sondern damit, dass es verdreht wird. Da liegt das Problem.
Folglich muss das „Wort der Wahrheit“ richtig vertreten werden. Um das auszudrücken, verwendet „Paulus“ das Verb „orthotomeô“, das im NT nur hier vorkommt. Wörtlich übersetzt bedeutet es „in gerader Linie schneiden“. Das „Wort der Wahrheit“ erscheint wie ein Steinblock, der für den Bau eines Gebäudes zugeschnitten wird, damit er sich nahtlos einfügt. „Timotheus“ wäre demnach ein Steinmetz auf einer Baustelle. Der Begriff „Arbeiter“ erscheint also offen für verschiedene Vorstellungen: Der Arbeiter im Weinberg, der Arbeiter auf dem Feld, der Arbeiter im Handwerk. „Paulus“ hat eine klare Vorstellung davon, was es bedeutet, das Evangelium recht zu vertreten: Das bedeutet, sich an Paulus zu halten, so wie er das Evangelium verkündigt hat. Das Evangelium ist der Weg zum Heil, der aber – auch dies vermutlich eine Bedeutung von „orthotomeô“ – durch rechte Verkündigung eröffnet und dann gegangen werden muss. Die Eröffnung des Heilsweges ist aber nur möglich, wenn das „Wort der Wahrheit“ nicht nur richtig, sondern auch deutlich vernehmbar und nicht verschämt verkündigt wird. Dieser Sachverhalt wird deutlich, wenn „orthotomeô“ mit „geradeheraus verkündigen“ oder „richtig und klar verkündigen“ übersetzt wird. Allerdings lässt „verkündigen“ an Mission unter Heiden denken. Der 2 Tim setzt aber wahrscheinlich eine spätere und andere Situation voraus, nämlich die Verwirrung der Gemeinde bzw. Gemeinden durch Irrlehrer. „Timotheus“ muss das „Wort der Wahrheit“ in dieser Situation richtig und klar darbieten. Das kann in der Predigt sein oder in der Lehre. Um diesen Sachverhalt auszudrücken, kann zwischen verschiedenen Übersetzungen gewählt werden: „richtig und klar darbieten“, „richtig und klar vertreten“ oder „richtig und klar kundtun“. Auch „richtig und klar verkünden“ ist möglich, denn „verkünden“ ist nicht so stark auf die Predigt bezogen wie „verkündigen“ (vgl. „ein Gesetz verkünden“, „ein Urteil verkünden“).
Wir haben es eher mit Lehre als mit Verkündigung zu tun. In einer solchen Situation geht es darum, das „Wort der Wahrheit“ richtig und klar darzubieten. Dieser Sachverhalt wird besser durch die möglichen Übersetzungen „richtig und klar darbieten“, „richtig und klar kundtun“ oder „richtig und klar vertreten“ ausgedrückt. Und schließlich ist auch die Übersetzung „richtig und klar verkünden“ möglich.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Unter dem „leeren Gerede“ haben wir Gerede zu verstehen, das man nicht ernst nehmen kann. Es ist töricht und hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Somit ist es nichtig und führt nicht zum Heil. Es ist also ein völlig irrelevantes Gerede. Die „leeren Reden“ geißelt „Paulus“ als „unheilig“. Sie haben demnach nichts mit Gott, Jesus Christus und dem heiligen Geist zu tun und sind somit unchristlich.
Bei der Verbform „prokopsousin“ handelt es sich um ein Futur. Es wird also ein zukünftiges Geschehen ausgedrückt. Dabei stellt sich die Frage, ob sie transitiv oder intransitiv zu verstehen ist. Die transitive Bedeutung wäre „sie werden … fördern“ oder „sie werden zu … führen“. Ausgesagt ist demnach „Sie führen nämlich zu immer mehr Gottlosigkeit“. Mit „sie“ ist das „unheilige, leere Gerede“ gemeint, wobei der Übersetzung „unheiliges, leeres Gerede“ ein Plural zugrunde liegt, nämlich „bebêlous kenophônias“ („unheilige, leere Reden“). Demnach lautet die Übersetzung von V. 16 entweder „Die unheiligen, leeren Reden aber meide! Sie führen nämlich zu immer mehr Gottlosigkeit“ oder „Das unheilige, leere Gerede aber meide! Es führt nämlich zu immer mehr Gottlosigkeit“. „Führen“ bzw. „führt“ ist zum einen futurisch, also im Sinne von „werden führen“ bzw. „wird führen“ zu verstehen, womit ausgesagt wird, was in der Zukunft geschieht. Darüber hinaus macht es aber auch eine Aussage zur grundsätzlichen Wirkung des unheiligen, leeren Geredes. Verstehen wir „prokopsousin“ intransitiv, dann ist die Bedeutung „sie werden fortschreiten“. Mit „sie“ sind die Menschen gemeint, die sich dem gottlosen, leeren Gerede hingeben. Die Übersetzung lautet dann „Denn sie werden zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten“. Die transitive und die intransitive Bedeutung hängen eng zusammen. V. 16 ist somit wie folgt zu deuten: „Timotheus“ soll das gottlose, leere Gerede meiden. Das gottlose, leere Gerede führt nämlich zu immer mehr Gottlosigkeit. Und deshalb werden die Menschen, die sich dem gottlosen, leeren Gerede hingeben, zu immer mehr Gottlosigkeit fortschreiten. V. 17 führt diesen Gedankengang fort.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die Formulierung „ihr Wort“ lässt erkennen, dass mit „sie“ nun nur noch die Menschen, die sich dem gottlosen, leeren Gerede hingeben, gemeint sind. Ihre Lehren sind kein „Wort der Wahrheit“, sondern nur „Wort“. Die „Wahrheit“ fehlt ebenso wie die Heilsrelevanz. Es ist halt einfach nur leeres Gerede. Nun könnte man sagen: „Na und? Wer es für richtig hält, soll doch daran glauben!“ Solch eine distanziert-tolerante Sicht ist „Paulus“ jedoch nicht eigen. Schließlich geht es um das Heil des Menschen, und das ist an das „Wort der Wahrheit“ gebunden. Für „Paulus“ ist das leere Gerede ein Krebsgeschwür, das Unheil über die Menschen bringt, weil es kein Heil vermittelt und damit die Menschen nicht vor dem Verderben, dem ewigen Tod, rettet. Da ist für ihn eine distanziert-tolerante Sicht völlig fehl am Platz. Es geht nicht darum, den Irrlehrern bei ihrem Treiben zuzusehen, sondern darum, ihnen Einhalt zu gebieten. Das soll aber nicht mittels Wortgefechten geschehen, sondern indem das „Wort der Wahrheit“ richtig und klar geäußert wird. Wenn das nicht geschieht, nutzen die Irrlehrer das Vakuum aus und verbreiten ihre Irrlehren immer weiter, indem ihnen immer mehr Christen auf den Leim gehen. Das ist wie ein Krebsgeschwür, das immer weiter wuchert, weil keine Gegenmaßnahme getroffen wird.
Die Formulierung „Krebsgeschwür“ steht in einem Gegensatz zu den „gesunden Worten“, die das Evangelium gemäß der „paulinischen“ (für paulinisch gehaltenen) Verkündigung und Lehre sind (vgl. 1,13). „Paulus“ arbeitet also mit dem Gegensatz von Gesundheit und Krankheit, von Heil und Unheil.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Zwei der Irrlehrer werden namentlich genannt, nämlich Hymenäus und Philetus. Wenn diese beiden von der Wahrheit abgeirrt sind, bedeutet das, dass sie zunächst Anhänger des rechten christlichen Glaubens waren. Von diesem sind sie jedoch abgeirrt, indem sie behaupten, die Auferstehung sei schon geschehen. Mit dieser Irrlehre verfehlen sie ihr Ziel („astocheô“ bedeutet sowohl „abirren“ als auch „das Ziel verfehlen“), nämlich „die Rettung, die in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit“ (V. 10), denn für diese ist der rechte christliche Glaube die Voraussetzung. Schlimmer noch: Sie zerstören auch den Glauben einiger Glaubensgenossen und bringen auch diese um „die Rettung, die in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit“. Es zeigt sich, dass die Irrlehren eine reale Gefahr sind, die schon in der Gegenwart erheblichen Schaden anrichtet.
Wenn von Hymenäus und Philetus gesagt wird, dass sie behaupten, die Auferstehung sei schon geschehen, dann stellen sich bezüglich dieses Glaubens Fragen. Gehen sie von nur einer Auferstehung aus? Dann würde das bedeuten, dass diese Auferstehung schon geschehen sei. Wenn sie die Auferstehung nur als geistliches Ereignis verstehen, dann leugnen sie die leibliche Auferstehung. Oder wenn sie davon ausgehen, dass die leibliche Auferstehung der Toten schon geschehen sei, dann leugnen sie, dass diese am Ende der Tage erfolgt. Oder gehen Hymenäus und Philetus von mehreren verschiedenen Arten der Auferstehung aus? Dann könnten sie die Meinung vertreten, dass die Auferstehung als geistliches Ereignis schon erfolgt sein, jedoch die Vollendung durch die leibliche Auferstehung am Ende der Tage noch aussteht. Die Unsicherheit bezüglich des Auferstehungsglaubens des Hymenäus und Philetus spiegeln auch die verschiedenen Textversionen wieder: Die eine Textversion bietet vor „Auferstehung“ den bestimmten Artikel „die“. Sie geht also davon aus, dass Hymenäus und Philetus die Ansicht vertreten, dass eine ganz bestimmte oder die einzige Auferstehung schon erfolgt sei. Dabei ist an die leibliche Auferstehung der Toten zu denken. Diese sei demnach schon erfolgt, so dass es am Ende der Tage keine Auferstehung der Toten mehr gebe. In der anderen Textversion findet sich der bestimmte Artikel „die“ nicht. Demnach gehen Hymenäus und Philetus davon aus, dass eine Auferstehung als geistliches Ereignis schon erfolgt sei. Wie es sich mit der leiblichen Auferstehung der Toten verhält, bliebe offen.
„Paulus“ lehnt zwar den Auferstehungsglauben des Hymenäus und Philetus ab, schreibt jedoch nicht, was der richtige Auferstehungsglaube ist. Das hat zwei Konsequenzen: Erstens erhalten wir keine Antwort auf die offenen Fragen bezüglich des Auferstehungsglaubens des Hymenäus und Philetus, zweitens können wir aufgrund der verbleibenden offenen Fragen keine Rückschlüsse auf den von „Paulus“ vertretenen Auferstehungsglauben ziehen. Um diesen rekonstruieren zu können, müssen weitere Texte wie 1,18 und 4,1 herangezogen werden.
Ein Mann namens Hymenäus wird auch in 1 Tim 1,20 erwähnt. Dort heißt es, dass „Paulus“ Hymenäus zusammen mit Alexander dem Satan übergeben hat, damit sie von diesem gezüchtigt werden und nicht mehr lästern. Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass die beiden vom rechten Glauben abgefallen sind. Es liegt nahe, dass 1 Tim 1,20 und 2 Tim 2,17-18 von demselben Menschen namens Hymenäus sprechen, zumal es sich um keinen gängigen Namen handelt, allerdings ist das nicht sicher. Die Unsicherheit wird durch zwei Unterschiede genährt: Gemäß 1 Tim 1,20 hat Hymenäus „gelästert“, allerdings wird das nicht weiter erläutert. Daher ist unklar, ob sich eine Verbindung zur Behauptung, dass die Auferstehung schon geschehen sei, ziehen lässt. Natürlich kann Hymenäus als ein und dieselbe Person ganz unabhängig vom abweichenden Auferstehungsglauben gelästert haben, jedoch bewegt sich dann die Annahme, dass der Hymenäus in 1 Tim 1,20 mit dem in 2 Tim 2,17-18 identisch ist, auf dünnem Eis. Der zweite Unterschied ist, dass in 1 Tim 1,20 Hymenäus zusammen mit Alexander genannt wird, in 2 Tim 2,17-18 dagegen zusammen mit Philetus. Wäre das Lästern mit dem abweichenden Auferstehungsglauben verbunden, wäre zu erwarten, dass in beiden Textstellen Hymenäus zusammen mit Alexander oder zusammen mit Philetus genannt wird. Dass Alexander nicht auch in 2 Tim 2,17-18 genannt wird, lässt annehmen, dass Alexander nicht den abweichenden Auferstehungsglauben hatte. Und dass Philetus nicht auch in 1 Tim 1,20 genannt wird, lässt annehmen, dass Philetus nicht gelästert hat. Hymenäus wäre die einzige der drei Personen, die sowohl gelästert als auch einen abweichenden Auferstehungsglauben vertreten hat – sofern wir es wirklich mit ein und demselben Hymenäus zu tun haben.
Weiterführende Literatur: P. H. Towner 1987, 95-124 legt dar, dass die in 1 Tim und 2 Tim erwähnten Irrlehrer nicht – wie seitens vieler Ausleger geschehen - voreilig mit dem Gnostizismus in Verbindung gebracht werden sollten. Vielmehr seien sie mit Blick auf 1 Kor wohl mit der präsentischen Eschatologie in Verbindung zu bringen, wonach die Auferstehung schon erfolgt sei.
R. Amici 2008, 455-473 geht den verschiedenen Aussagen zu Irrlehrern und deren Lehren nach, wie sie sich in den Briefen an Timotheus und Titus finden. Zu 2 Tim 2,18: Hier spiele die Vorstellung eine Rolle, dass die Rettung und die Auferstehung bereits erfolgt seien. Möglicherweise habe die Vorstellung einer bereits erfolgten geistlichen Auferstehung zu einer gewissen Laschheit im Lebenswandel geführt, denn der Geist sei ja bereits in überirdischen Gefilden und es sei nur der Körper, der sündigt. Gegen diese Laschheit wende sich der Verfasser der Pastoralbriefe ebenso wie gegen übermäßige Askese (vgl. 1 Tim 4,3).
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Beobachtungen: Die Rede von einem „festen Fundament“ (oder: „fester Grundstein“) lässt an ein Haus oder an einen Tempel denken. Es geht auf jeden Fall um die Frage, wem das Heil zukommt und wem nicht. Es ist also daran zu denken, dass das „Fundament“ die Heilsgrundlage darstellt und dieses „Fundament“ fest, also unverrückbar und unveränderlich ist. Das „Fundament“ wird also auch nicht in Anbetracht von Irrlehren geändert. Das „Fundament“ dürfte am ehesten das Evangelium sein, vielleicht auch dessen zentraler Inhalt, Jesus Christus. Weil das „Evangelium“ verschieden verkündigt werden kann, könnte auch das Evangelium gemäß „paulinischer“ (für paulinisch gehaltener) Verkündigung und Lehre das „Fundament“ sein. Wer auf ihm fest steht oder – die Christen als Steine des Tempels gesehen – gebaut ist, hat das Heil zu erwarten. Angesichts der Tatsache, dass „Paulus“ möglicherweise wie ein Steinmetz Steine zurecht zuschneidet (vgl. V. 15), ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die rechten Worte der Verkündigung und Lehre die Steine darstellen, nämlich die Steine des Tempels, in dem Gott wohnt. Blicken wir aber auf 1 Tim 3,15, kommt ein anderes Bild in den Sinn: Das „Haus Gottes“ ist die Gemeinde des lebendigen Gottes. Und diese Gemeinde ist Säule und Fundament der Wahrheit. Beziehen wir diesen Aspekt – der Verfasser des 1 Tim ist möglicherweise auch der Verfasser des 2 Tim - in die Deutung der gänzlich offenen Rede vom „festen Fundament“ ein, ergibt sich allein aus dieser Formulierung schon eine ganze Theologie: Der Verkündigung muss ein „festes Fundament“ zugrunde liegen, das „Wort der Wahrheit“, das Evangelium, bzw. dessen zentraler Inhalt, Jesus Christus. Das Evangelium muss richtig und klar verkündigt werden. „Richtig und klar“ bedeutet „im Sinne des ‚Paulus‘ bzw. Paulus“. Damit der christliche Glaube aber nicht auf Abwege gerät, muss auch stets die richtige Theologie gelehrt werden (beide Aspekte, Verkündigung und Lehre, enthält wohl V. 15). Die Prediger und die Lehrer, die das „Wort der Wahrheit“, das Evangelium, richtig verkündigen und lehren, sind das „feste Fundament“ des „Hauses Gottes“. Und weil es in 1 Tim 3,15 heißt, dass die Gemeinde des lebendigen Gottes das „Haus Gottes“ ist, bilden auch alle diejenigen, die unerschütterlich dem rechten Glauben anhängen, das feste Fundament. Da nicht gesagt ist, was für ein Gebäude gemeint ist, kann es sich um einen Tempel, ein Haus oder um eine Kirche handeln. Da es zur Zeit der Abfassung des 2 Tim jedoch vermutlich noch keine Kirchen gab, wäre die Vorstellung von der Kirche eine spätere, die „Paulus“ noch nicht hatte. Da „festes Fundament“ im Zusammenhang mit dem Heil zu verstehen ist, kann im Hinblick auf das Heil gesagt werden, dass das „Wort der Wahrheit“, das Evangelium, das richtig und klar verkündigt und gelehrt werden muss, die Grundlage des Heils ist. Und wer diesem Evangelium glaubt und wer es richtig und klar verkündigt und/oder lehrt, bekommt am Heil Anteil.
Der Offenheit der Formulierung „festes Fundament“ entspricht die Offenheit der Formulierung „(des) Gottes“. Es kann sich um das Fundament eines Gebäudes handeln, in dem Gott wohnt und das somit ein Gebäude „(des) Gottes“ ist. Es kann sich aber auch um das Fundament handeln, das von Gott gelegt ist. Das Evangelium ist auf Jesus Christus gegründet, und weil das Heilsgeschehen Gottes Wille ist und Jesus Christus Gottes Sohn, kommt das Evangelium letztendlich von Gott her. Und diejenigen, die dem Evangelium glauben und es richtig und klar verkündigen und lehren, sind dazu von Gott berufen und werden von Gott vor dem Verderben gerettet (vgl. 2 Tim 1,9; 2,10).
Bei der Verbform „hestêken“ handelt es sich um ein Perfekt, und zwar vom Verb „histamai“, das „sich hinstellen“, „treten“ oder „stehen“ oder „festhalten an“ bedeutet. Das Perfekt drückt ein Resultat oder eine besondere Bedeutung für die Gegenwart aus. Das Fundament wird also nicht mehr gelegt, sondern es ist gelegt und steht nun und ist unveränderbar. Das bedeutet, dass es keinen anderen zentralen Inhalt des Evangeliums geben kann als Jesus Christus. Das bedeutet auch, dass das Evangelium nicht nach Belieben verändert werden kann, sondern richtig und klar zu verkündigen und zu lehren ist. Und schließlich bedeutet das auch, dass kein Mensch, der nicht dem Evangelium glaubt oder dieses richtig und klar verkündigt oder lehrt, am Heil Anteil bekommt. Das alles gilt in der Gegenwart und auch in der Zukunft.
Ein Siegel dient der Bezeichnung des Eigentümers von Gegenständen (z. B. Gefäße), der Beglaubigung von Schriftstücken (z. B. einer Urkunde) und dem sicheren Verschluss (z. B. eines Briefinhaltes oder eines Rauminhaltes). Im Hinblick auf das „feste Fundament (des) Gottes“ bedeutet das, dass all das, was damit ausgedrückt wird, nicht einfach nur Gedanken des „Paulus“ sind, sondern von Gott (= dem Siegelinhaber) Beglaubigung erfährt bzw. Gottes Wille ist. Außerdem wird dessen Unveränderlichkeit besiegelt. Ein Siegel muss unverwechselbar sein, damit eindeutig der Siegelinhaber zu erkennen ist. Das bedeutet, dass es einer ganz eigenen Gestaltung bedarf, die figürlich und/oder inschriftlich sein kann. In 2 Tim 2,19 werden die Inschriften des Siegels Gottes genannt. Die erste Inschrift ist „Es kennt [der] Herr die Seinen“ und die zweite Inschrift ist „Es halte sich von Ungerechtigkeit fern jeder, der den Namen des Herrn nennt“. Das Besondere an diesen beiden Siegelinschriften ist, dass sie sich auf das Besiegelte beziehen. Gewöhnlich wird die figürliche und/oder inschriftliche Gestaltung an dem Siegelinhaber ausgerichtet. Beispielsweise kann das Porträt eines Herrschers oder einer von ihm verehrten Gottheit abgebildet sein. Oder es können bestimmte Kennzeichen des Siegelinhabers abgebildet sein oder bestimmte Symbole Aussagen zu dessen Herrschaftsverständnis oder Herrschaftsweise machen. Und die Inschrift benennt den Siegelinhaber und/oder macht eine Aussage zu dessen Herrschaftsverständnis oder Herrschaftsweise. Die beiden in 2 Tim 2,19 genannten Siegelinschriften machen zwar auch Aussagen zum Siegelinhaber, Gott, aber sie beziehen sich darüber hinaus auch auf das Besiegelte.
Wenn Gott etwas besiegelt, dann ist davon auszugehen, dass die beiden Siegelinschriften der Bibel entstammen. Schließlich wird die Bibel mit ihrem Alten Testament (AT; auch: Erstes Testament; Hebräische Bibel) und Neuen Testament (NT; auch: Zweites Testament; Griechische Bibel) als „Wort Gottes“ verstanden, das von Gott (bzw. Jesus Christus) handelt und Gottes Willen wiedergibt. Weil sich das NT aber noch in der Entstehung befand, ist mit Zitaten aus dem AT oder aus ntl. Schriften zu rechnen, die dem Verfasser des 2 Tim bereits vorlagen.
Das erste Zitat entstammt Num 16,5LXX. Dort heißt es „Es hat (der) Gott die Seinen geprüft und erkannt“. Es handelt sich um eine Aussage des Mose gegenüber Korach und seiner Leute, die während des Durchzugs des Volkes Israel durch die Wüste einen Aufstand angezettelt hatten. Gemäß dieser Aussage gehören Korach und dessen Leute nicht zu denen, die Gott gehören. Während Num 16,5LXX einen negativen Tenor hat, ist der Tenor von 2 Tim 2,19 eher positiv: Es geht um diejenigen, die zu Gott gehören. Dabei fällt auf, dass „(der) Gott“ durch „Herr“ ersetzt wurde. Dabei stellt sich die Frage nach dem Grund. Warum hat „Paulus“ eine klare Formulierung durch eine unklarere ersetzt? Hatte er eine andere Textfassung der Septuaginta (= LXX) vorliegen? Oder wollte er das Herrschaftsverhältnis verdeutlichen? Oder wollte er auch Jesus Christus anklingen lassen? „Paulus“ unterscheidet nämlich nicht streng zwischen Gott und Jesus Christus und jedes Mal, wenn er vom „Herrn“ spricht, stellt sich die Frage, ob er Gott meint oder Jesus Christus (ausführlich zu dieser Unsicherheit siehe die Beobachtungen zu 2 Tim 1,18). „Die Seinen“ sind ja Christen und es geht ja auch um die Zugehörigkeit zu Jesus Christus.
Die Verbform „egnô“ ist ein Aorist, womit die Übersetzung „er hat erkannt“ lautet. Es handelt sich also um ein abgeschlossenes Ereignis der Vergangenheit, ohne dass eine besondere Bedeutung des Geschehens für die Gegenwart oder das Ergebnis des Geschehens ausgedrückt wird. Vermutlich bezieht sich „er hat erkannt“ auf die in der Vergangenheit erfolgte Rettung und Berufung der Christen (vgl. 2 Tim 1,9), bei der die Gruppe derer, die zu Gott bzw. Jesus Christus gehören, bereits von Gott festgelegt wurde. Natürlich bedeutet das als Konsequenz, dass Gott die Seinen kennt, aber diese Konsequenz für die Gegenwart wird nicht vorrangig ausgedrückt. Die erste Siegelinschrift macht also eine Aussage zu Gott, dass er die Seinen berufen hat und somit Souverän der Berufung ist. Damit befindet Gott auch darüber, wer vor dem ewigen Verderben gerettet wird und wer nicht. Außerdem macht die erste Siegelinschrift eine Aussage zur gegenwärtigen Situation, dass nämlich nur diejenigen, für die das unverfälschte Evangelium Richtschnur des Glaubens, der Verkündigung und der Lehre ist, zu den Seinen Gottes gehören. Die Irrlehrer gehören also nicht dazu und auch diejenigen nicht, die ihnen folgen.
Es ist nicht klar, woher das zweite Zitat entnommen ist. Zu denken ist an Jes 26,13LXX und Lev 24,11.16LXX. In Jes 26,13LXX heißt es „Herr, außer dir kennen wir keinen anderen, deinen Namen nennen wir“. Das ist ein Bekenntnis zum Gott Israels, wobei sich die Parallele genau genommen auf „deinen Namen nennen wir“ bzw. „der den Namen des Herrn nennt“ beschränkt. Aber im Lichte von Jes 26,13LXX erscheint „der den Namen des Herrn nennt“ als Bekenntnis zu Gott. Und wer sich zu Gott bekennt, halte sich von Ungerechtigkeit fern. Die „Ungerechtigkeit“ dürfte sich in der aktuellen Situation, die „Paulus“ vor Augen hat, auf die Irrlehren beziehen. In Lev 24,11.16LXX geht es um die Nennung des Namens des „Herrn“ im Rahmen einer Gotteslästerung. Eine solche wird mit der Todesstrafe bestraft. In 2 Tim 2,19 ist keine Todesstrafe im Blick. Aber es wird mit Nachdruck angemahnt, dass diejenigen, die den Namen des „Herrn“ anrufen, den „Herrn“ also verehren, sich von Ungerechtigkeit fernhalten sollen. Die Irrlehren, die Ungerechtigkeit, erscheinen im Lichte der Gotteslästerung. Und deren Konsequenz ist das Ausbleiben von Heil, also – das lässt sich als Folge erschließen – das Verderben und der ewige Tod. Der Gedanke, dass man sich von Frevelhaftem fernhalten bzw. entfernen muss, um nicht dahingerafft zu werden,findet sich auch in Num 16,26LXX. In weiteren Bibelstellen stellen ist ausgedrückt, dass sich von Ungerechtigkeit fernhalten bzw. abwenden muss, wer den „Herrn“ verehrt (vgl. Ps 6,9; Sir 17,26; Lk 13,27). Rechter Glaube und Ungerechtigkeit, wie auch immer sich diese ausdrückt, sind miteinander unvereinbar.
Der Siegelinhaber ist der „Herr“. Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll. In den zitierten atl. Versen ist „Herr“ ein Titel für Gott. Dabei spielt keine Rolle, dass zunächst der bestimmte Artikel „der“ fehlt, dann genannt wird. Insofern kann auch nicht gesagt werden, dass im 2 Tim „der Herr“ Jesus Christus bezeichnet und „Herr“ Gott – oder umgekehrt. In 2,19 klingt in beiden Fällen sowohl Gott als auch Jesus Christus an. Es ist nicht ausgeschlossen, dass „Paulus“ bezüglich der Verwendung des bestimmten Artikels variiert. Bezüglich 2,19 scheint es so zu sein, dass „Herr“ in erster Linie Gott meint und „der Herr“ in erster Linie Jesus Christus, bei „Herr“ jedoch auch Jesus Christus anklingt und bei „der Herr“ auch Gott. Damit „Timotheus“ als Adressat überhaupt nachvollziehen kann, wann Gott und wann Jesus Christus gemeint ist, müsste sich dies durch den ganzen Brief ziehen.
Weiterführende Literatur: Mit dem Gebrauch des AT in den Pastoralbriefen befasst sich A. T. Hanson 1981, 203-219. Zu 2 Tim 2,19-21: Der Verfasser der Pastoralbriefe habe die beiden Zitate Lev 24,16 und Jes 52,11 wohl nicht direkt der hebräischen Bibel entnommen, sondern bereits vereint einem Taufzusammenhang.
C. Molina, E. van Eck 2011, 1-4 machen deutlich, dass die Kennzeichnung von Authentizität, Besitz und Eigentum beim Menschenhandel im alten Vorderen Orient der wichtigste Anwendungszweck von Siegeln gewesen sei. In 2 Tim 2,19 werde das Bild vom Siegel auf den christlichen Lebenswandel und auf die christlichen moralischen Standards bezogen. Es gehe um das Verhältnis zwischen Christus und den Gläubigen. Das Verb „ginôskô“ („erkennen“) drücke die persönliche und lebendige Beziehung aus, die wesentlich für die bildliche Rede vom Siegel sei und über die reine Zugehörigkeit zu einem Glauben hinausgehe. Das Verb „anaginôskô“ („wissen“, „kennen“ oder „lesen“) habe dagegen eher äußerlich-kognitiven Charakter und bezeichne das genaue Wissen oder die Kenntnis und werde auch für das Lesen verwendet. Beide Verben drückten einen Gegensatz zur „adikia“, zur „Ungerechtigkeit“, aus.
A. Ruck-Schröder 1999, 105-106 sieht in „jeder, der den Namen des Herrn nennt“ eine Anspielung auf den in der Taufe genannten Namen. Die Taufe begründe, indem sie den Täufling dem Herrschafts- und Eigentumsbereich Jesu Christi zuordne, ein besonderes Eigentumsverhältnis zu Jesus Christus.
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Beobachtungen: In V. 20 ist ein wohlhabender Haushalt im Blick. Erstens wird nämlich von einem „großen Haus“ gesprochen, zweitens konnte sich mindestens die Unterschicht keine goldenen und silbernen Gefäße leisten. Bedeutet das, dass „Timotheus“ der Oberschicht entstammt? Nur ein Adressat der Oberschicht dürfte nämlich mit dem geschilderten Haushalt vertraut sein. Eine solche Schlussfolgerung ist keinesfalls zwingend. Aus V. 21 geht nämlich hervor, dass mit den Gefäßen Menschen gemeint sind, nämlich Christen. Und weil das Christsein mit Heiligkeit zu tun hat, liegt es nahe, dieses mit einem goldenen und einem silbernen Gefäß in Verbindung zu bringen. Genauso wie ein goldenes oder silbernes Gefäß nicht alltäglich ist, ist auch die christliche Existenz etwas Besonderes. Goldene und silberne Gefäße mögen Menschen mindestens der Unterschicht fremd sein, was aber nicht heißt, dass von ihnen nicht eine gewisse Faszination ausgeht. Von dieser können auch Menschen der Unterschicht berührt werden, so wie ja auch die christliche Existenz etwas Faszinierendes ist.
Weiterführende Literatur: A. T. Hanson 1981, 402-418 legt dar, wie der Verfasser der Pastoralbriefe das den paulinischen Briefen entnommene Material verwendet hat und welche Schlüsse sich daraus hinsichtlich der Entwicklung der Haupttradition der christlichen Theologie ziehen lassen. Zu 2 Tim 2,20-21 mit Blick auf Röm 9,21-23 (S. 407-409): Der Verfasser der Pastoralbriefe greife den paulinischen Gedanken auf, dass der Töpfer (= Gott) zwei Kategorien Gefäße mache, zum einen Gefäße für einen edlen Zweck, zum anderen Gefäße für einen unedlen Zweck. Er folge aber nicht der Doktrin der Prädestination, sondern gehe davon aus, dass es möglich sei, von einer Kategorie Gefäße zur nächsten zu wechseln. Der Verfasser der Pastoralbriefe missverstehe wohl die paulinischen Aussagen und mache sie sich in einer Form zu eigen, wie Paulus es wohl abgelehnt hätte.
Laut H. Blocher 2010, 189-192 stellten sich zwei Fragen: Was ist mit dem „großen Haus“ gemeint, die Kirche oder die Welt? Die griechischen Kirchenväter und Johannes Chrysostomos hätten mit Nachdruck für die zweite Option plädiert, die lateinischen Kirchenväter dagegen für erstere Option. Ihnen sei auch Calvin gefolgt, der aber die zweite Option nicht ausgeschlossen habe. Und wer sind die „Gefäße zur Unehre“, die Verworfenen oder diejenigen, die in der Kirche untergeordnete Dienste ausüben? H. Blocher macht deutlich, dass 2 Tim 2,19-21 mit Blick auf den Aufruhr Korachs, Datans und Abilams zu lesen sei (Num 16LXX, insbesondere V. 5 und V. 26-27). Das „große Haus“ sei die Kirche und die „Gefäße zur Unehre“ seien diejenigen, die - wie Hymenäus und Philetus - Irrlehren verbreiten und die Gemeindeglieder verführen. So wie sich die Israeliten von den Aufrührern fernhalten sollten, so sollten sich die Christen von den Irrlehrern fernhalten.
Laut G. A. Couser 2016, 460-475 enthalte 2 Tim 2,19-22 zwei eng miteinander verwobene metaphorische Darstellungen der Kirche als „Haus Gottes“. Tempel-Bildsprache betone Gottes Gegenwart und die Verpflichtungen und die Vorteile, die seine Gegenwart mit sich brächten. Auf dem Bild der Kirche als Tempel Gottes liege jedoch nicht das Gewicht der Verse. Vielmehr liege das Gewicht auf dem Bild der Kirche als Familie Gottes. Es handele sich um eine Familie, die von Gott gebildet, bewahrt, geschützt, geordnet und geleitet wird. Gottes rettendes Werk zeige sich in der unerschütterlichen Loyalität der Kirche dem „Hausherrn“ gegenüber, sei es durch unerschütterliche Befolgung seiner rettenden Absichten, sei es durch beständigen Widerstand gegenüber allem bzw. jedem, das bzw. der von den rettenden Absichten abbringt oder sich ihnen widersetzt.
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Beobachtungen: V. 21 ist auf dem Hintergrund der aktuellen Situation zu sehen, auf die „Paulus“ eingeht: Manche (ehemalige?) Gemeindeglieder verbreiten Irrlehren und stecken mit diesen weitere Gemeindeglieder an. Christen sind nach christlichem Verständnis (vgl. 1 Kor 1,2; 2 Kor 1,1 u. v. m.) geheiligt bzw. Heilige. Sie sind also, bildhaft gesprochen, goldene und silberne Gefäße. Und weil es viele Christen gibt und nicht alle dem Evangelium entsprechend glauben, leben, verkündigen und lehren, ist von einem großen Haus die Rede, in dem es neben goldenen und silbernen auch hölzerne und tönerne Gefäße gibt. Es geht gemäß 2 Tim 2,20 darum, ein goldenes oder silbernes Gefäß zu sein, und damit ein Gefäß zur Ehre.
Es wird nicht gesagt, zu wessen Ehre. Zu denken ist in erster Linie an „zur Ehre Gottes“ und „zur Ehre Jesu Christi“. Die gänzliche Offenheit ermöglicht aber auch, die Ehre auf das Christentum oder den einzelnen Christen zu beziehen. Es geht ja auch um die Ehre des Christentums als Volk Gottes und um die Ehre des einzelnen Christen als Heiliger.
Wer Irrlehren verbreitet oder diesen folgt, ist nicht heilig, weil die Irrlehren nicht dem Evangelium entsprechen und letztendlich ins Verderben führen. Die Formulierung „Wenn sich nun jemand von diesen reinigt“ hat Gemeindeglieder im Blick, die Irrlehrern folgen, aber nicht selbst Irrlehrer sind. „Diese“ sind Gefäße, also Menschen. Genauer: „Diese“ sind hölzerne und tönerne Gefäße, also Irrlehrer. Diese gehören zwar der Gemeinde an, aber nicht zur Ehre. Von den Irrlehrern geht eine verderbliche Wirkung aus, sie stecken an. Wer ihnen folgt, wird selbst zum hölzernen oder tönernen Gefäß, zwar nicht zum Irrlehrer, aber zur Unehre. Die Vorstellung von der Ansteckung erinnert an die jüdische Vorstellung, wonach Kontakt mit unreinen Lebewesen oder Gegenständen verunreinigt und Reinigung erfordert. Wer oder was Kontakt mit Unreinem hat, wird im Ganzen und nicht nur an der Oberfläche unrein. Um wieder rein zu werden, bedarf es der Reinigung. Diese ist mehr als ein Abwaschen von Dreck, umfasst die gesamte Existenz. Wer eine Zeit lang Irrlehrern gefolgt ist, ist noch nicht hoffnungslos verloren, sondern kann sich von den Irrlehren lossagen und so (gründlich) reinigen. Ein solcher Christ wird wieder zur Ehre sein. Die Möglichkeit zur Rückkehr zu den Heiligen ist möglich, weil Gott treu und gnädig ist und die Zusage der Sündenvergebung und Rettung aufrecht erhält, auch wenn Christen für eine gewisse Zeit untreu werden, also auf Abwege geraten (vgl. 2 Tim 2,13). Anders als mit der Vorstellung von der Ansteckung durch Kontakt ist nicht zu erklären, dass hölzerne oder tönerne Gefäße goldene oder silberne verunreinigen. „Verunreinigung“ ist im Sinne der Verwandlung des Materials zu verstehen, was einer Verwandlung der gesamten Existenz des Christen (zum Pseudo-Christen) gleichkommt. Die Verunreinigung ist nicht oberflächlich und geschieht nicht durch den Inhalt, der den Gefäßen eingegeben wird. Von Gefäßinhalten ist nicht die Rede. Gerade deswegen ist aber bemerkenswert, dass Paulus überhaupt das Bild von den Gefäßen verwendet. Es drängt sich der Gedanke auf, dass „Paulus“ ganz bewusst das Bild von den Gefäßen gewählt hat und es ihm auch auf den Inhalt ankommt. Den Inhalt thematisiert er an anderen Stellen, wenn er von Freude (1,4), ungeheucheltem Glauben (1,5) oder Gnadengabe (1,6) spricht, die in „Timotheus“ bzw. seiner Großmutter Lois und seiner Mutter Eunike ist bzw. sind.
Es stellt sich die Frage, ob sich ein Christ selbst heiligen kann, indem er von den Irrlehrern und den Irrlehren Abstand nimmt, oder ob die Heiligung nicht vielmehr durch Gott, Jesus Christus oder den heiligen Geist erfolgt. Eine Antwort auf diese Frage findet sich hier nicht. Die gleiche Frage stellt sich im Hinblick auf „bereitet“, wobei ebenfalls keine Antwort gegeben wird. Die Tatsache, dass die Heiligung und die Bereitung mit der Reinigung zusammenhängen, die der Christ selbst vornimmt, lässt bei alledem an Aktivität des Christen denken, allerdings von Gott, Jesus Christus und/oder dem heiligen Geist unterstützt oder bewirkt.
Der Begriff „despotês“ („Herr“) bezeichnet hier den Hausherrn, dem das Haus und die Gefäße gehören. Im Gegensatz zum Titel „kyrios“ handelt es sich also um einen profanen Begriff. Mit dem Hausherrn ist jedoch Gott oder Jesus Christus gemeint, womit wir es hier nicht mit einem gänzlich profanen Begriff zu tun haben.
Ein Gefäß ist nicht dazu da, dass es herumsteht, sondern es ist für den Gebrauch gedacht, und zwar unabhängig von dem Material, aus dem es besteht. Nun fällt auf, dass der Hausherr zwar auch hölzerne und tönerne Gefäße besitzt, aber nur die goldenen und die silbernen Gefäße für ihn brauchbar sind. Was ist mit den hölzernen und tönernen Gefäßen? Will er etwa Unrat statt in die hölzernen und tönernen Gefäße in die goldenen und silbernen Gefäße werfen? Es fällt auf, dass „brauchbar für den Herrn“ mit „guten Werken“ verbunden ist. Es stehen hier also Heilsgeschichte und gute Werke im Vordergrund, nicht Unheil und Fehlverhalten. Gott hat mit den Christen Gutes im Sinn, nicht Schlechtes. Die hölzernen und tönernen Gefäße kommen nur in den Blick, weil in der Kirche Irrlehren kursieren. Diese existieren halt, sind aber von Gott bzw. Jesus Christus nicht gewollt und im Hinblick auf Heilsgeschichte und gute Werke unbrauchbar.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Amici, Roberto; Etero-didascalie e falsi maestri nelle lettere a Timoteo e a Tito, RivBib 56/4 (2008), 455-473
Blocher, Henri; Les vases séparés (2 Timothée 2.19-21), in: H. Blocher [éd.], La Bible au microscope. Exégèse et théologie biblique. Vol. II, Vaux-sur-Seine 2010, 189-192
Couser, Gregory A.; "How Firm a Foundation": The Ecclesiology of 2 Timothy 2:19-21, BS 173/692 (2016), 460-475
Hanson, A. T.; The Domestication of Paul: A Study in the Development of Early Christian Theology, BJRL 63/2 (1981), 402-418
Hanson, A. T.; The Use of the Old Testament in the Pastoral Epistles, IBS 3/4 (1981), 203-219
Molina, Carlos; van Eck, Ernest; Sfragis and Its Metaphorical Testimonial Presence in 2 Timothy 2:19, HTS 67/3 (2011), 1-4
Ruck-Schröder, Adelheid; Der Name Gottes und der Name Jesu: eine neutestamentliche Studie (WMANT 80), Neukirchen-Vluyn 1999
Towner, P. H.; Gnosis and Realized Eschatology in Ephesus (of the Pastoral Epistles) and the Corinthian Enthusiasm, JSNT 31 (1987), 95-124