Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 2,22-26

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 2,22-26



Übersetzung


2 Tim 2,22-26 : 22 Die jugendlichen Begierden aber fliehe! Jage vielmehr Gerechtigkeit, Glauben, Liebe [und] Frieden nach, zusammen mit denen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen! 23 Die törichten und unverständigen Diskussionen aber weise ab; du weißt ja, dass sie [nur] zu Streitereien führen. 24 Ein Sklave des Herrn soll aber nicht streiten, sondern zu allen freundlich sein, die Lehre überzeugend vermitteln, nachsichtig sein 25 und die Widerspenstigen mit Sanftmut zurechtweisen – ob ihnen (der) Gott nicht vielleicht einen Sinneswandel schenkt hin zur Erkenntnis der Wahrheit 26 und sie wieder zur Besinnung kommen.aus der Schlinge des Teufels heraus, nachdem sie von ihm gefangen genommen worden sind für seinen Willen.



V. 22


Beobachtungen: In 2,14-3,9 befasst sich „Paulus“ damit, wie mit den Irrlehrern umgegangen werden soll. Nachdem er in 2,14-21 dazu gemahnt hat, von Irrlehrern und Irrlehren Abstand zu nehmen, mahnt er in 2,22-26 dazu, mit Irrlehrern und ihren Anhängern nicht diskutieren. Die Diskussionen führten nämlich nur zu Streitereien und könnten die Irrlehrer und ihre Anhänger nicht zum rechten Glauben bekehren.


Warum kommt „Paulus“ auf die Jugend zu sprechen? Sind die Irrlehrer, von denen sich „Timotheus“ hüten soll, jung? Das kann sein, jedoch wird nirgends im 2 Tim ausdrücklich gesagt, dass die Irrlehrer jung sind. Oder ist „Timotheus“ jung? Dass er jung ist, kann aus 1 Tim 4,12 geschlossen werden, jedoch ist diese Deutung des Verses nicht die einzig mögliche. Oder kommt „Paulus“ ganz unabhängig vom Alter der Irrlehrer und des „Timotheus“auf die Jugend zu sprechen, weil er sie in besonderem Maße mit Begierden in Verbindung bringt?


Welche Begierden mögen im Blick sein? „Paulus“ konkretisiert die Begierden nicht weiter. Daher haben wir davon auszugehen, dass es ihm nicht nicht um ganz bestimmte Begierden geht. An erster Stelle mögen einem sexuelle Begierden in den Kopf kommen, aber es kann auch an die Begierde, sich im Kampf auf einem Schlachtfeld auszeichnen zu können, oder an materielle Begierden gedacht sein. Darüber hinaus ist auch möglich, dass der „Sturm und Drang“ Jugendlicher im Blick ist, die Ungeduld, das Ungestüme und das Verlangen, etwas möglichst schnell erreichen zu wollen.


„Timotheus“ soll die jugendlichen Begierden fliehen. Das Verb „pheugô“ bedeutet zum einen „vermeiden“, beinhaltet hier aber auch eilende Bewegung, nämlich weg von etwas. Insofern kann es hier besser mit „fliehen“ übersetzt werden. „Timotheus“ soll also zusehen, dass er sich so schnell und weit wie möglich von den jugendlichen Begierden entfernt.


„Timotheus“ soll aber nicht nur fliehen, sondern er soll auch etwas nachjagen. Das Verb „diôkô“ bedeutet zum einen „streben nach“, beinhaltet hier aber auch eilende Bewegung, nämlich hin zu etwas. Insofern kann es hier besser mit „nachjagen“ übersetzt werden. „Paulus“ zählt nun auf, welchen Dingen „Timotheus“ nachjagen soll: Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden.


Die „Gerechtigkeit“ („dikaiosynê“) meint das gottgefällige Leben. Für die Juden zeigt sich dieses im Befolgen der göttlichen Weisung, der Tora, von der im NT als „Gesetz“ gesprochen wird. Auch Paulus war ein Jude, weshalb das „Gesetz“ für ihn maßgeblich war. Allerdings stellte sich mit der Heidenmission die Frage, inwieweit das „Gesetz“ auch für die Heidenchristen gelten sollte. Nach christlichem Verständnis erfolgt die Rechtfertigung durch den stellvertretenden Kreuzestod Jesu Christi für die Sünden der Menschen. Die Rechtfertigung ist also als Sündenvergebung gedacht. Die rechte Antwort des Menschen darauf ist der Glaube (pistis) an die unverdient geschenkte Rechtfertigung. Aber wieso soll „Timotheus“ dem Glauben nachjagen, wo er doch schon längst gläubiger Christ ist? Die Antwort erschließt sich, wenn wir uns bewusst machen, dass der altgriechische Begriff „pistis“ auch die „Treue“ bezeichnet. Es ist die Treue zum Glauben, die allen Widrigkeiten trotzt. Neben der Glaubenstreue mag auch an den rechten Glauben gedacht sein, der ja angesichts von Irrlehren bedroht ist. In der Parallele 1 Tim 6,11 werden für die Glaubenstreue und für den rechten Glauben die Begriffe „hypomonê" („Standhaftigkeit“) bzw. „eusebeia“ („Frömmigkeit“) verwendet. In 2 Tim 2,22 werden diese beiden Begriffe nicht aufgeführt, aber es ist davon auszugehen, dass diese beiden Aspekte des Glaubens im Begriff „pistis“ („Glaube/Treue“) enthalten sind (vgl. die Thematisierung der Glaubensstärke und Glaubenshingabe in 2 Tim 2,1-7). Anders als in 1 Tim 6,11 werden sie jedoch nicht betont.


Der (rechte) Glaube ist eng mit dem rechten, weil gottgefälligen Verhalten verbunden. Für Heidenchristen hat sich durchgesetzt, dass das „Gesetz“ (eigentlich „Tora“ = „Weisung“) nicht streng befolgt zu werden braucht. Entscheidend für die Christen ist die „Liebe“, die als Kern des „Gesetzes“ verstanden wird und einen entscheidenden Verhaltensmaßstab darstellt. Dabei meint der Begriff „agapê“ nicht die erotische oder sexuelle Liebe zwischen zwei Partnern, auch nicht die neuzeitlichem Denken entsprechende romantische Liebe, sondern die dienende Liebe dem Nächsten gegenüber. Diese Nächstenliebe wiederum ist in einem engen Zusammenhang mit der Selbstliebe, der Gottesliebe (= Gott liebt und wird geliebt) und der Liebe Jesu Christi (= Jesus Christus liebt und wird geliebt) zu sehen.


Die „eirênê“ ist als ein Friede zu verstehen, der sich in einem guten Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen zeigt. Friede ist die Voraussetzung für die Einheit der Gemeinde. Die folgende Präposition „meta“ („mit“ oder„zusammen mit“) muss nicht unbedingt auf „diôke“ („jage nach“) bezogen werden. Es ist auch ein Bezug auf „eirênê“ möglich. Geht man von diesem Bezug aus, ist vom „Frieden mit denen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen“ die Rede. Ein solcher Bezug ist aber nicht wahrscheinlich. Erstens würde der „Friede“ im Gegensatz zur „Gerechtigkeit“, zum „Glauben“ und zur „Liebe“ konkretisiert. Eine solche Konkretisierung ist aber für die Pastoralbriefe und auch für weitere nachpaulinische Briefe untypisch, insbesondere in Aufzählungen. Typisch ist vielmehr die Mehrdeutigkeit, die abstrakten Begriffen ohne Konkretisierung eigen ist. Eine solche Mehrdeutigkeit ist auch im Hinblick auf den „Frieden“ zu erwarten. Und wieso sollte „Paulus“ den geforderten „Frieden“ nur auf wahre Christen beziehen? Das würde ja bedeuten, dass die „Irrlehrer“ ausgeschlossen sind, obwohl doch in den V. 22-26 eine ganz wesentliche Forderung ist, nicht mit den Irrlehrern zu streiten. Auch würde der Friede mit sich selbst, mit Gott und mit Jesus Christus nicht mehr anklingen.

Es fällt auf, dass sich die aufgezählten Tugenden zu einem vorbildlichen Christenleben fügen, wie es jeder Christ führen sollte. Nichts von dem Genannten bezieht sich nur auf kirchliche Amtsträger. „Timotheus“ soll also Vorbild hinsichtlich christlicher Lebensführung sein. Und die vorbildliche christliche Lebensführung soll seine Amtsführung prägen. Die genannten Tugenden werden auch im 1 Tim (6,11) von „Timotheus“ gefordert. Dass in 2 Tim 2,22 auch noch der „Friede“ hinzukommt, ist wohl damit zu erklären, dass es in 2 Tim 2,14–3,9 um den richtigen Umgang mit den Irrlehrern geht und dazu gemahnt wird, sich nicht auf Streit mit ihnen einzulassen. Der „Friede“ ist also auch und vielleicht sogar in erster Linie auf das Verhältnis zu den Irrlehrern bezogen. Es ist also nicht nur der Friede mit den wahren Christen im Blick.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.


Die Anrufung des „Herrn“ erfolgt in erster Linie im Gottesdienst. Angerufen werden sicherlich sowohl Gott als auch Jesus Christus, wobei die Anrufung Jesu Christi spezifisch christlich ist. „Der Herr“ (beachte den bestimmten Artikel!“ meint hier und möglicherweise auch im gesamten 2 Tim Jesus Christus, wobei dieser von Gott nicht zu trennen ist.


„Aus reinem Herzen“ gibt die Haltung an, aus der heraus die Anrufung des „Herrn“ erfolgt. Sie erfolgt aus einer vollkommenen Aufrichtigkeit heraus. Aber wie kann überhaupt in einer Zeit, in der mit dem christlichen Glauben eher Nachteile als Vorteile verbunden waren, jemand unaufrichtig den „Herrn“ angerufen haben? Vermutlich bezieht sich mögliche Unaufrichtigkeit auf die Irrlehrer, die gemäß 1 Tim 6,5 mit ihren pseudo-christlichen Lehren Geld verdienten. Es ist durchaus möglich, dass diese Irrlehrer Gottesdienste besuchten und dort den „Herrn“ anriefen. 2 Tim 2,22 kann so verstanden werden, dass alle Gottesdienstbesucher den „Herrn“ mit reinem Herzen anriefen, womit die Irrlehrer die Gottesdienste nicht besucht hätten. 2 Tim 2,22 kann aber auch so verstanden werden, dass diejenigen, die den „Herrn“ mit reinem Herzen anriefen, von denen unterschieden werden, die dies mit unreinem Herzen taten. In letzterem Fall hätten auch Irrlehrer die Gottesdienste besucht, es sei denn, die Anrufung des „Herrn“ seitens der Irrlehrer hat bei anderer Gelegenheit stattgefunden.


Weiterführende Literatur:


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V. 23


Beobachtungen: „Paulus“ ist an der Einheit der Gemeinde und der gesamten Kirche gelegen. Die Grundlage dieser Einheit soll das Evangelium sein, und zwar gemäß der „paulinischen“ (von „Paulus“ für paulinisch gehaltenen) Verkündigung und Lehre. Dieses ist laut „Paulus“ das „Wort der Wahrheit“ (vgl. 2 Tim 2,15). Die „Wahrheit“ ist keine Philosophie oder These, die es zu diskutieren gilt, sondern eine Tatsache, die es zu glauben gilt. Weil die Diskussionen nichts mit der „Wahrheit“ zu tun haben, sind sie töricht und unverständig.


Das Adjektiv „apaideutos“ bedeutet genau genommen „unerzogen“ oder „ungebildet“. Bei der Verwendung dieses Adjektivs hat „Paulus“ jedoch nicht weltliche Erziehung und Bildung im Kopf, sondern geistige, und zwar gemäß dem Evangelium nach „paulinischer“ (von „Paulus“ für paulinisch gehaltenen) Verkündigung und Lehre. Mit diesem haben die Diskussionen nichts zu tun, weshalb sie aus der Sicht des „Paulus“ „unerzogen“ bzw. „ungebildet“ sind. Weil diese beiden Übersetzungen an weltliche Erziehung und Bildung denken lassen, ist besser nach anderen Übersetzungen zu suchen. Passender sind die Übersetzungen „unverständig“ und „unsinnig“. Unverständig sind die Diskussionen insofern, als sie Einsicht in die „Wahrheit“ vermissen lassen. Und unsinnig sind die Diskussionen deshalb, weil alles, was von der „Wahrheit“ abweicht, keinen Sinn ergibt.


Das Substantiv „zêtêsis“ kann sowohl „Streitfrage“ als auch „Diskussion/Kontroverse“ bedeuten. Wie haben wir uns also die Diskussion vorzustellen? Weil sich die Irrlehrer nicht an die „paulinische“ Theologie und Lehre halten, bewegen sich die Diskussionen argumentativ auf ganz dünnem Eis. Es kommen zig Streitfragen auf, die diskutiert werden. Weil die Diskutierenden aber keinen Bewertungsmaßstab haben, welche Antworten richtig und welche falsch sind, werden die Diskussionen uferlos und arten zu Meinungskämpfen aus. Daher schreibt „Paulus“, dass die Diskussionen zu „machai“, zu „Kämpfen“, führen. Dabei hat er nicht nur die Diskussionen im Blick, sondern die gesamte Stimmung und den gesamten Zustand.der „Gemeinschaft“. Es herrscht nicht Eintracht, sondern Zwietracht. Diese wird durch die ständig wiederkehrenden Meinungskämpfe (= Streitereien) befeuert. Zu einem Gesinnungswandel bei den Irrlehrern werden die Meinungskämpfe nicht führen (vgl. V. 25), womit ihr Ziel nicht erreicht werden kann.


Weiterführende Literatur:


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V. 24


Beobachtungen: In V. 24 taucht nun der Begriff „doulos“ auf, womit der Christ ausdrücklich als Diener/Sklave verstanden ist, und zwar als Diener/Sklave des „Herrn“ (= Jesu Christi und wohl auch Gottes). Ein „Sklave des ‚Herrn‘“ ist jeder Christ, in besonderem Maße aber ein kirchlicher Amtsträger.


Speziell von einem kirchlichen Amtsträger wird erwartet, dass er fest im christlichen Glauben verwurzelt und mit der „Wahrheit“ vertraut ist. Die „Wahrheit“ ist die unumstößliche Grundlage der Verkündigung und Lehre. V. 24 vermittelt das Bild eines kirchlichen Amtsträgers, der sich nicht Streitereien hingibt und sich in diesen verzehrt, sondern ausschließlich von dieser „Wahrheit“ her wirkt, sei es in der Verkündigung, in der Lehre oder im täglichen Umgang mit anderen Menschen. Was andere Menschen denken oder sagen, scheint keine Rolle zu spielen. So erklärt sich auch, dass der „Sklave des ‚Herrn‘“ zu allen Menschen freundlich sein soll. Damit ist wohl die Freundlichkeit eines Menschen gemeint, der in sich bzw. in der „Wahrheit“ ruht. Die Freundlichkeit beinhaltet keine Wertung dessen, was ein anderer Mensch sagt oder denkt, sondern ist eine grundsätzliche Verhaltensweise, unabhängig vom Gegenüber. Die Freundlichkeit ist also nicht im Sinne der Gleichgültigkeit oder gar der Akzeptanz im Hinblick auf Irrlehren zu verstehen. Das zeigt auch die Tatsache, dass der kirchliche Amtsträger nachsichtig sein soll. „Paulus“ geht davon aus, dass Lehren, die von der rechten Lehre abweichen, durchaus als solche erkannt werden. Der kirchliche Amtsträger soll aber Irrlehrer nicht wütend anfahren, sondern freundlich sein. Und er soll sich nicht in Kritik und/oder Diskussionen ergehen, sondern überzeugend die rechte Lehre vermitteln. Die Nachsicht ist aber nicht nur gegenüber Irrlehrern gefordert, wie die fehlende Präzisierung deutlich macht, sondern gegenüber allen Menschen, die in der (rechten christlichen) Lehre unterwiesen werden und Verständnisschwierigkeiten haben oder Einwände machen. Mehr noch: Die Nachsicht ist über die Lehre hinaus wohl auch bei anderen Situationen des Gemeindelebens gefordert, beispielsweise wenn sich ein kirchlicher Amtsträger mit einem schwierigen Gemeindeglied konfrontiert sieht oder wenn ihm Unrecht getan wird. Auch von nichtchristlicher Seite kann einem Amtsträger Unrecht getan werden, das bis zur Verfolgung reichen kann. Selbst Verfolgern gegenüber soll der kirchliche Amtsträger wohl nachsichtig sein und das zugefügte Leid geduldig ertragen. Diese Forderung kann auch als eine Strategie der Konfliktvermeidung in einer nichtchristlichen Umwelt verstanden werden: Wenn Christen schon angefeindet werden, dann sollen sie nicht auch noch unnötig Anfeindungen provozieren. Auf der Bedrängnis seitens der Nichtchristen liegt aber nicht das Schwergewicht der Aussage, wie V. 25 zeigt. Im Wesentlichen geht es um Nachsicht gegenüber Irrlehren und Widerstand gegenüber der rechten Lehre.


Eine schwach bezeugte Lesart bietet „nêpios“ („unwissend/kindisch“; Subst.: „Kind“) statt „êpios“ („gütig/freundlich“). Demnach solle „Timotheus“ zu allen unwissend oder kindisch sein. Nicht nur in 2 Tim 2,24 finden sich beide Lesarten, sondern auch in 1 Thess 2,7. Der Variante des Verses 2 Tim 2,24 könnte der Gedanke zugrunde liegen, dass „Timotheus“ zu allen kindisch (im Sinne eines erst kürzlich zum Glauben Gekommenen) oder unschuldig sein soll. Möglich ist aber auch, dass es sich bei der Variante um einen Hör- oder Schreibfehler handelt, denn die Handschriften wurden mangels Kopierer abgeschrieben oder diktiert. Die Variante ist die schwierigere Lesart. Das spricht aufgrund der schwachen Bezeugung der Lesart aber nicht für deren Ursprünglichkeit, sondern für einen Hör- oder Schreibfehler. Auch eine absichtliche Korrektur ist angesichts der Tatsache, dass „êpios“ im Gegensatz zu „nêpios“ im NT nur hier auftaucht, nicht auszuschließen. So könnte die Erwartung, dass es auch hier „nêpios“ heißen muss, die Feder des Urhebers der Variante geführt haben.


Die Formulierung „Apostel Christi“ steht in engem Bezug zum Ruhm: Paulus, Silvanus und Timotheus hätten sich damit brüsten können, Apostel Christi zu sein, doch sind sie „êpios“ („gütig/freundlich“) oder „nêpios“ („unwissend/kindisch“; Subst.: „Kind“) gewesen. Fraglich ist, welche Lesart die ursprüngliche ist. Waren die Apostel „Kinder im Glauben“ im Sinne von kürzlich zum Glauben Gekommenen oder unschuldig wie Kinder? Oder waren sie zu den Thessalonichern gütig/freundlich? Sofern ein Schreibfehler vorliegt, kann dieser für beide Lesarten geltend gemacht werden: Die Lesart „nêpios“ kann damit erklärt werden, dass der Schreiber versehentlich das letzte „n“ des unmittelbar vorhergehenden Verbs „egenêthêmen“ („wir sind gewesen/geworden“) doppelt geschrieben hat (= Dittographie). Ebenso kann aber auch das direkt aufeinanderfolgende „n“ den Schreiber dazu verleitet haben, das „n“ von „nêpios“ zu übersehen und auszulassen (= Haplographie). Schwieriger verständlich ist die „nêpios“ bietende Lesart, was für deren Ursprünglichkeit spricht. Allerdings fügt sich „êpios“ besser in den Zusammenhang ein, denn es ist durchaus sinnvoll, die Güte als Gegensatz zum Imponiergehabe zu nennen. Außerdem entsteht kein Widerspruch zur folgenden Aussage, der gemäß Paulus eine „Stillende“ sei. Kann Paulus zugleich „Kind“ als auch „Stillende“ sein? Falls nicht, dürfte wohl die Lesart „êpios“ ursprünglich sein. Ansonsten wäre die Lesart „êpios“ leicht als Korrektur zu deuten, die den Widerspruch zweier sich scheinbar widersprechender Metaphern beseitigen sollte.


Weiterführende Literatur: Zur Bedeutung von "Sklave Christi" im NT siehe ausführlich M. J. Harris 1999, 139-156. Auf S. 177-179 geht er auf die enge Beziehung zwischen den beiden Begriffen "doulos" ("Sklave") und "diakonos" ("Diener") ein. Alle Sklaven seien Diener, aber nicht alle Diener Sklaven. "Diakonos" sei also der weiter gefasste Begriff. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den beiden Begriffen sei, dass der Diener seinen Dienst im Rahmen eines ausgehandelten Vertrages versehe, wogegen sowohl die Arbeit als auch die Person des Sklaven jemand anderem gehöre. Der Begriff "Diakonos" weise also auf einen höheren Status hin.


P. A. Himes 2017, 189-208 geht der Frage nach, was in 1 Tim 3,2 und 2 Tim 2,24 „didaktikos“ bedeutet. Ergebnis: Meist werde angenommen, dass die Bedeutung „im Lehren geschickt / ein begabter Lehrer“ sei. Eine Minderheit plädiere für die Bedeutung „lernfähig“. Diese beiden Deutungen beachteten jedoch nicht ausreichend Semantik und Kontext. Beobachtungen bezüglich Semantik und Kontext sprächen für die Bedeutung „gekennzeichnet durch“. Der Aufseher/Bischof und der „Diener des Herrn“ sollten also beide schon Erfahrung im Lehren haben.


Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen siehe H. Roose 2003, 440-446: Die Gemeindeleiter seien zum Lehren verpflichtet. Ihr Lehren habe soteriologische Funktion, und sie seien dazu angehalten, dieses Heilsangebot auch gegenüber Irrlehrern offen zu halten. Das heiße auch, dass sich die Gemeindeleiter nicht bedeckt halten dürfen. Sie sollten lehren, auch wenn ihnen das Repressalien einbringt. Die Pastoralbriefe ließen keinen Zweifel daran, dass das Lehren mit Leid gekoppelt ist. Die Bereitschaft, dieses Leid auf sich zu nehmen – unter Umständen bis hin zum Märtyrertod (vgl. 2 Tim 4,6) -, werde unzweideutig eingefordert. Die Gemeindeleiter dienten also in der Tat der Gemeinschaft, indem sie lehren. Denn sie stellten dadurch ihre Leidensbereitschaft unter Beweis und vermittelten den Gemeindeangehörigen das Heilsangebot des Evangeliums. Dem Verfasser der Pastoralbriefe sei vermutlich die hinter Mk 10 stehende Tradition – insbesondere das Ideal des Dienens und Leidens in pointierter Abgrenzung von der Herrschaft – bekannt gewesen. Er forme ein Bild vom lehrenden Gemeindeleiter, das diesem Ideal in wesentlichen Punkten entspricht.


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V. 25


Beobachtungen: Unter „prautês“ („Sanftmut“) ist die milde und sanftmütige Freundlichkeit zu verstehen. Voraussetzung für eine solche Freundlichkeit ist die Fähigkeit des Menschen, seine Gefühle zu beherrschen. Auf diese Weise wird er davor bewahrt, seinen Mitmenschen durch gehässige Äußerungen und Zornesausbrüche zu verletzen.


Ob es bei den Widerspenstigen einen Sinneswandel – der Begriff „metanoia“ meint die Abkehr von einem falschen Lebensweg hin zum rechten Lebensweg, hier konkret die Abwendung von der Irrlehre hin zur rechten Lehre – gibt, liegt nicht in der Hand des kirchlichen Amtsträgers. Er kann nur das ihm Aufgetragene tun, nämlich die rechte Lehre überzeugend verkündigen und die Widerspenstigen mit Sanftmut zurechtweisen. Ob sich die Widerspenstigen von der Irrlehre abwenden und der rechten Lehre zuwenden, ist allein Sache Gottes. Dieser gibt den Widerspenstigen den Sinneswandel, wobei dieser geschenkt, nicht verdient wird. Die Widerspenstigen sind bezüglich des Sinneswandels völlig passiv; ihre Aktivität beschränkt sich allein auf den Widerstand. Gott dürfte ihnen also aus reiner Gnade heraus den Sinneswandel schenken. Dem kirchlichen Amtsträger bleibt letztendlich nichts anderes übrig als darauf zu hoffen, dass Gott den Widerspenstigen den Sinneswandel schenkt. Diese Hoffnung wird sehr vorsichtig als indirekte Frage, die mittels „ob nicht vielleicht“ („mêpote“) eingeleitet wird, formuliert.


Weiterführende Literatur:


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V. 26


Beobachtungen: Das griechische Wort für „Schlinge“ ist „pagis“. Wie haben wir uns die „Schlinge“ vorzustellen? Dem griechischen Wort „pagis“ mag das hebräische Wort „räschät“ zugrunde liegen (vgl. Röm 11,9). „Räschät“ bezeichnet ein Fangnetz, das über das zu erbeutende Tier, z. B. einen Vogel, geworfen wird. Dieses Fangnetz ist ein Bild für das göttliche Gericht. Das erbeutete Tier hat den Tod, mindestens Gefangenschaft zu erwarten, also Unheil. So ergeht es auch denen, die Irrlehren verbreiten oder sich der „Wahrheit“ widersetzen. Sie haben Unheil zu erwarten, nämlich die Verurteilung bei dem göttlichen Gericht. In 2 Tim 2,26 bringt „Paulus“ die Schlinge mit dem Teufel in Verbindung. Dabei erscheint der Teufel als Widersacher Gottes: Er fängt Menschen mit der „Schlinge“ für seinen Willen, d. h. damit sie seinen Willen tun und nicht den Willen Gottes.


Wenn ein Vogel von einem Menschen gefangen wird, dann ist er seiner körperlichen Freiheit beraubt. Wenn ein Mensch vom Teufel gefangen wird, dann ist er körperlich noch frei, aber sein Denken ist gefangen. Er ist nicht mehr zu klarem Denken und zur Erkenntnis der „Wahrheit“ fähig. Erst wenn er von Gott einen Sinneswandel geschenkt bekommt, kommt er aus der Gefangenschaft frei und kann wieder zur Besinnung und zur Erkenntnis der „Wahrheit“ kommen.

Auch V. 26 lässt keine Aktivität der Widerspenstigen erkennen. Sie kommen nicht aus eigener Kraft aus der „Schlinge“ des Teufels frei und zur Besinnung, sondern nur deswegen, weil ihnen Gott einen Sinneswandel schenkt. Und sie haben sich auch nicht selbst in die Gefangenschaft begeben, sondern sind vom Teufel gefangen genommen worden.


Der Wechsel von „autou“ („ihm“) zu „ekeinou“ („von jenem“) verwundert, weil er nahelegt, dass von zwei verschiedenen Personen die Rede ist. Der Teufel wäre derjenige, der die Menschen mit der „Schlinge“ fängt, und Gott wäre derjenige, dessen Wille getan werden soll. Dass der Teufel will, dass die Menschen Gottes Willen tun, ist aber unwahrscheinlich. Erstens würde das dem Wesen des Teufels widersprechen, zweitens haben die Menschen, die vom Teufel gefangen sind, keinen klaren Kopf und können somit nicht erkennen, was Gottes Wille ist. Noch unwahrscheinlicher ist, dass Gott die Menschen fängt, damit sie den Willen des Teufels tun. Eine solche Aussage wäre theologisch fragwürdig und außerdem ist klar ausgesagt, dass es sich um die „Schlinge“ des Teufels handelt. Angesichts dieser Ungereimtheiten haben wir davon auszugehen, dass dem Wechsel von „autou“ zu „ekeinou“ keine besondere Bedeutung zukommt und in V. 26 durchgehend vom Teufel die Rede ist. Der Wechsel mag im Wunsch nach Variation bei der Wortwahl begründet liegen. Außerdem lässt „ekeinou“ erkennen, dass das Bezugswort „diabolos“ („Teufel“) nicht unmittelbar vorausgeht, sondern sich in der ersten Vershälfte findet.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Harris, Murray J.; Slave of Christ: A New Testament Metaphor for Total Devotion to Christ (NSBT 8), Downers Grove, Illinois 1999

Himes, Paul A.; Rethinking the Translation of Didaktikos in 1 Timothy 3.2 ans 2 Timothy 2.24, BiTr 68/2 (2017), 189-208

Roose, Hanna; Dienen und Herrschen: Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen, NTS 49/3 (2003), 440-446

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