Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 3,10-13

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 3,10-13



Übersetzung


2 Tim 3,10-13 : 10 Du aber bist meiner Lehre gefolgt, meinem Lebenswandel, meinem Vorsatz, meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe, meiner Standhaftigkeit, 11 meinen Verfolgungen, wie sie mir in Antiochia, in Ikonion, in Lystra widerfahren sind. Welche Verfolgungen habe ich ertragen! Und aus allen hat mich der Herr errettet! 1 2 Und alle, die fromm leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden. 13 Böse Menschen und Betrüger werden fortschreiten – zum Schlechteren hin; sie führen [andere] in die Irre und werden [selbst] in die Irre geführt.



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V. 10


Beobachtungen: Der Abschnitt 2 Tim 2,14-3,9 handelte vom Umgang mit den Irrlehrern und den Irrlehren. Es folgt der Abschnitt 3,10-17, der „Timotheus“ als Garant rechten Glaubens darstellt. Die Lehre und das Verhalten des „Timotheus“ werden also der Lehre und dem Verhalten der Irrlehrer gegenübergestellt. Erstere werden gänzlich positiv bewertet, letztere gänzlich negativ. Dabei lehrt und handelt „Timotheus“ nicht eigenständig, sondern er folgt Paulus. Da der 2 Tim vermutlich nicht von Paulus selbst verfasst worden ist, sondern von einem „Schüler“ des Paulus, der sich (in 1,1) als „Paulus“ bezeichnet, stellt sich die Frage, ob „Timotheus“ dem Apostel Paulus folgt oder dem „Schüler“ des Apostels Paulus. Für „Paulus“, den Verfasser des 2 Tim, dürfte der Sachverhalt klar sein: „Timotheus“ folgt sowohl ihm selbst als auch dem Apostel Paulus. „Paulus“ sieht sich in der Tradition des Paulus und sein Hauptanliegen ist es, dass diese Tradition als die maßgebliche christliche weitergeführt wird. „Timotheus“ stellt ein Glied in der als Überlieferungskette gedachten Tradition dar. Und wenn man bedenkt, dass „Timotheus“ vermutlich die kirchlichen Amtsinhaber, speziell die Bischöfe, repräsentiert, erscheint er nicht nur als ein Glied, sondern als Gewähr dafür, dass auch über die zukünftigen Generationen hinweg Paulus als Vorbild gilt. Er steht also für die gesamte, seitens der Amtsinhaber zu sichernde Überlieferungskette. Paulus gilt es also auch in Zukunft nachzufolgen, und zwar voll und ganz: in Glaube, Lehre, Lebenswandel, Vorsatz, Lebenshaltung und Verhalten in der Bedrängnis. Paulus als Vorbild, das ist der Inhalt von 3,10-13.


„Du bist … gefolgt“ bezieht sich auf die Vergangenheit und meint ein abgeschlossenes Ereignis. Es kann an die Taufe gedacht sein, an ein ausdrückliches Bekenntnis zur paulinischen Theologie und Lehre, wie es vielleicht angesichts der Irrlehren nötig war oder sogar gefordert wurde, an die Berufung zum Amt oder an den Amtsantritt. Welcher Zeitpunkt auch immer gemeint sein mag, das Ereignis hat auf jeden Fall Auswirkung auf die Gegenwart: „Timotheus“ folgt weiterhin Paulus nach. Allerdings weist die Verwendung der Zeitform Aorist (statt Perfekt) darauf hin, dass auf der Auswirkung auf die Gegenwart nicht das Schwergewicht der Aussage liegt. Das Schwergewicht liegt auf dem abgeschlossenen Ereignis an sich. Angesichts der Tatsache, dass der genaue Zeitpunkt von „Paulus“ offen gelassen wird, dürfte seine Bestimmung nicht entscheidend sein. Entscheidend dürfte vielmehr sein dass die Nachfolge auf einem bewussten Entschluss beruht und umfassend ist. Das bedeutet also, dass „Timotheus“ nicht nur zufällig und auch nicht nur so ähnlich wie Paulus glaubt, lehrt und lebt.


Der Begriff „prothesis“ meint in 2 Tim 1,9 Gottes Vorsatz, also Gottes Heilsplan. Diese Bedeutung kann in 3,10 aber nicht vorliegen, denn es ist Paulus’ Vorsatz gemeint. Ein menschlicher Vorsatz ist vom göttlichen Heilsplan zu unterscheiden. Aber Paulus dürfte als Werkzeug zur Verwirklichung des göttlichen Heilsplans gedacht sein. Sein eigener Vorsatz dürfte dem göttlichen Heilsplan folgen, was der Verfasser vielleicht dadurch unterstreichen will, dass er denselben Begriff benutzt. Weil Paulus als Werkzeug Gottes bei der Verwirklichung des Heilsplans gesehen wird, kann der Verfasser des 2 Tim sich als „Paulus“ bezeichnen und fordern, dass das Christentum der paulinischen Tradition folgen muss.


Langmut (makrothymia) wird in 1 Tim 1,16 Jesus Christus zugeschrieben. Dabei bezieht sich „Langmut“ auf die Bereitschaft, Sündern zu verzeihen, sie zum (rechten) christlichen Glauben zu bringen und letztendlich zum ewigen Leben zu führen. Wenn in 2 Tim 3,10 dem „Timotheus“ Langmut zugeschrieben wird, dann wird er nicht nur als Nachfolger des Apostels Paulus, sondern auch als Nachfolger Jesu Christi angesehen. Langmut ist für Paulus von existenzieller Bedeutung, weil er ja vor seiner Bekehrung/Berufung Christen verfolgt hat und ein ganz besonderer Sünder war. Paulus ist aber seitens Jesu Christi Langmut widerfahren und er hat sich infolgedessen die Langmut ebenfalls zu eigen gemacht, ebenso wie danach „Timotheus“. Langmut soll die Kirche auch in Zukunft prägen.


Weiterführende Literatur: K. Löning 2008, 131-150 befasst sich mit Paulus als soteriologischer Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen. Zu 2 Tim 3,10-13: Vorbild sei Paulus als leidender und kämpfender Zeuge der Wahrheit des Evangeliums, das er als Apostel verkünde. Als solcher werde er heroisiert.


Zum Begriff „prothesis“ („Vorsatz“) in V. 10, wo er sich ungewöhnlicherweise in einer Aufzählung moralischer und spiritueller Werte finde, siehe S. Bénétreau 2016, 16-28. Der Begriff bezeichne in allgemeiner Weise den Bereich des Ersinnens und Ausführens von Vorhaben, bei denen der Meister/Lehrer und der Schüler ihren je eigenen Platz einnähmen. Paulus erwarte von Timotheus wohl nicht, dass er sklavisch seine Pläne umsetzt, sondern er sei froh darüber, dass Timotheus im gleichen Geiste und mit gleicher Hingabe wirkt.


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V. 11


Beobachtungen: Antiochia (gemeint ist Antiochia in Pisidien), Ikonion (= Ikonium) und Lystra sind Städte in Kleinasien, in der heutigen Türkei, die Paulus auf seinen Missionsreisen besucht hat. Sie werden genannt, weil Paulus in ihnen Verfolgungen erlitten hat. Das wird in der Apostelgeschichte (13,50; 14,2.19) geschildert. Allerdings wissen wir nicht, ob „Paulus“, der Verfasser des 2 Tim, die Apostelgeschichte oder zumindest die betreffenden Passagen kannte. Aber es spielt auch keine Rolle, woher er von den Ereignissen Kenntnis hatte. Und es ist auch unerheblich, wie die Verfolgungen genau beschaffen waren. Entscheidend ist, dass die genannten Orte für die Verfolgungen des Paulus stehen und dass die Verfolgungen und Bedrängnisse Merkmal christlicher Existenz sind. Paulus hat sich ihnen nicht entzogen, sondern er hat sie ertragen. Und es waren auch keine geringen Verfolgungen, die er ertragen hat, sondern ganz erhebliche, wie er betont. Aber er ist an ihnen nicht zugrunde gegangen, sondern er ist aus ihnen gerettet worden. Paulus hat sich also nicht selbst gerettet und er kann sich dessen folglich nicht selbst rühmen und auch nicht von anderen Menschen rühmen lassen. Der Ruhm gebührt vielmehr „dem Herrn“, dem Retter.


Es ist „der Herr“ (mit bestimmtem Artikel!), der Paulus gerettet hat, nicht der „Herr“. Man mag das als Kleinigkeit abtun, im 2 Tim kommt ihr aber Bedeutung zu. „Paulus“ unterscheidet Gott und Jesus Christus nicht deutlich. Aus 2,19 geht hervor, dass „der Herr“ und „Herr“ zwei verschiedene „Personen“ bezeichnet. So ist möglich, dass Jesus Christus „der Herr“ ist und Gott „Herr“ – oder umgekehrt. In 2,19 scheint es so zu sein, dass „Herr“ in erster Linie Gott meint und „der Herr“ in erster Linie Jesus Christus, bei „Herr“ jedoch auch Jesus Christus anklingt und bei „der Herr“ auch Gott. Sicher ist das jedoch nicht und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass „Paulus“ im 2 Tim bezüglich der Verwendung des bestimmten Artikels variiert. Im Lichte dieser ständigen Unklarheit ist auch 3,11 zu lesen. „Paulus“ nennt die Orte, in denen „Paulus“ verfolgt wurde. Sie entsprechen denen , die auch „Lukas“, der Verfasser der Apostelgeschichte, nennt. In der Apostelgeschichte werden darüber hinaus die Verfolgungen geschildert. Auch wenn die Bezeichnung „Apostelgeschichte“ annehmen lässt, dass es die Apostel sind, die handeln, ist es in Wahrheit jedoch Gott. Im Hinblick auf die Errettung aus Gefahren ist somit auch stets von Gott als Handelndem auszugehen. Aber schon aus der Berufungsgeschichte Apg 9,1-18 geht hervor, dass auch Jesus Christus handelt. Und es wird dort auch der Titel „Herr“ bzw. „der Herr“ genannt, ohne dass klar ist, ob Jesus Christus oder Gott gemeint ist. Im Hinblick auf 2 Tim 3,11 kann es also sowohl Gott sein, der Paulus gerettet hat, als auch Jesus Christus.

In 2 Tim 1,10 wird Jesus Christus als „unser Retter“ bezeichnet. Jesus Christus hat demnach den Tod zunichtegemacht, aber Leben und Unvergänglichkeit ans Licht gebracht, durch das Evangelium. Die Rettung ist also im 2 Tim ein zentraler Inhalt des Evangeliums. Dabei geht es aber nicht nur um die Rettung aus Verfolgung, sondern auch um die Rettung aus dem Tod, also um Auferstehung von den Toten und das ewige Leben. In 3,11 ist der Fokus auf die Rettung aus Verfolgung gerichtet. Das ist nur ein Aspekt der Rettung, weshalb wir auch nicht sofort sagen können, dass es Jesus Christus, „unser Retter“, ist, der Paulus aus Verfolgung gerettet hat. Von der Apg her wäre eher an Gott zu denken. Fazit: Es ist unklar, ob „der Herr“ in 2 Tim 3,11 Gott oder Jesus Christus ist. Von 2 Tim 1,10 und 2,19 her ist eher davon auszugehen, dass Jesus Christus gemeint ist. Dabei ist – auch mit Blick auf die Apg – anzunehmen, dass Gott ebenfalls anklingt.


Weiterführende Literatur: Mit dem Gebrauch des AT in den Pastoralbriefen befasst sich A. T. Hanson 1981, 203-219, wobei er auf S. 212-213 auf die Aufnahme von Ps 34,19 (= 33,19LXX) in 2 Tim 3,11 und 1 Petr 3,10-12 eingeht.


M. L. Torres 2002, 45-59 versteht die Pastoralbriefe als Dokumente, die aus kurzen, aber echten Aufzeichnungen des Paulus zusammengesetzt seien. Der Verfasser habe sich vermutlich als Mittler paulinischer Tradition verstanden. M. L. Torres untersucht den Peristasenkatalog 2 Tim 3,11 mit Blick auf die Peristasenkataloge in den Briefen an die Korinther und fragt, ob er sich in die bunt zusammengewürfelte Struktur des 2 Tim einfügt. Ergebnis: Der Peristasenkatalog 2 Tim 3,11 sei exemplarisch für Situationen, in denen sich Paulus mit einer aus Juden und Heiden zusammengesetzten Opposition konfrontiert sah.


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V. 12


Beobachtungen: V. 12 unterstreicht, dass das Verfolgtwerden ein wesentliches Merkmal christlicher Existenz ist. Paulus ist das Vorbild frommen Lebens in der Nachfolge Jesu Christi. Und Paulus hat schwere Verfolgung erlitten. Auch „Timotheus“, der wie Paulus fromm in der Nachfolge Christi lebt, muss mit Verfolgungen rechnen, zumal die „schweren Zeiten“ (vgl. 3,1) noch bevorstehen. Darüber hinaus müssen aber alle Menschen, die in der Nachfolge Christi leben wollen, mit Verfolgungen rechnen. Sie „werden verfolgt werden“, d. h. die Verfolgungen werden auch in der Zukunft noch andauern oder stehen noch bevor. „In Christus Jesus (= Jesus Christus) leben“ bedeutet wohl nicht nur „in der Nachfolge Jesu Christi leben“, sondern auch „im Macht- und Wirkbereich Jesu Christi leben“. Das bedeutet, dass alle diese Menschen auch gerettet werden, auch wenn V. 12 – anders als V. 11 - nur von Verfolgungen und nicht von Rettung aus den Verfolgungen spricht. Die Rettung ist aber nicht so zu verstehen, dass alle Christen lebend aus den Verfolgungen herauskommen. Paulus hat sie lebend überstanden, wobei sein Ende unbekannt ist. Dass er hingerichtet wurde, ist nirgends im NT ausgesagt, aber legendarisch überliefert. Ganz sicher ist Paulus aber vor dem ewigen Tod gerettet worden. Das ist die logische Konsequenz seines Lebens im Macht- und Wirkbereich „unseres Retters“ Jesus Christus. So wird es auch allen anderen frommen Christen ergehen: Alle werden in dem Sinne gerettet werden, dass sie vor dem ewigen Verderben gerettet werden und die Auferweckung von den Toten und das ewige Leben zu erwarten haben.


Warum schreibt „Paulus“ „alle, die fromm leben wollen in Christus Jesus“ statt „alle, die fromm leben in Christus Jesus“? Wollen tun die Menschen viel, nur handeln sie oftmals nicht danach. Sind also Menschen gemeint, die zwar gerne fromm in Christus Jesus leben wollen, aber dazu aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage sind? Das ist nicht anzunehmen, weil bei einer solchen Deutung die sichere Vorhersage von Verfolgungen nicht nachvollziehbar wäre. Wir haben es also mit Menschen zu tun, die tatsächlich fromm leben in Christus Jesus. Warum dann die Rede vom Wollen? Vermutlich ist ein bewusster Entschluss zu einem frommen Leben in Christus Jesus im Blick, wie er auch hinsichtlich „Timotheus“ in V. 10 anklingt. Der bewusste Entschluss scheint „Paulus“, dem Verfasser des 2 Tim, wichtig zu sein. Aber warum?


Weiterführende Literatur:


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V. 13


Beobachtungen: Möglicherweise betont „Paulus“ den bewussten Entschluss, weil sich das Christentum seiner Zeit gespalten zeigt. „Paulus“ unterscheidet ganz grob zwischen den rechten Theologen und Lehrern sowie den rechten Christen auf der einen Seite und den Irrlehrern und Christen, die den Irrlehrern anhängen, auf der anderen Seite. Angesichts dieser Spaltung bedarf es des bewussten Entschlusses, sich der richtigen Seite anzuschließen.


Wer sind die „ponêroi anthrôpoi“ („böse Menschen“) und wer sind die „goêtes“ („Betrüger“)? Es kann sich um zwei verschiedene Gruppen handeln oder um eine einzige, wobei die zwei verschiedenen Bezeichnungen zwei verschiedene Eigenschaften benennen. Die „ponêroi anthrôpoi“, also die „bösen Menschen“, können Nichtchristen sein, also Heiden oder Juden. Machen wir uns aber bewusst, dass 2 Tim vermutlich einen innerkirchlichen Konflikt im Blick hat. Dieser Konflikt wird als Gefahr verstanden, nämlich als eine Bedrohung für das paulinische Christentum, das es den zukünftigen Generationen zu überliefern gilt. Insofern meint „böse Menschen“ vermutlich nicht – zumindest nicht in erster Linie - die Heiden oder Juden, sondern eine innerkirchliche Gruppe. Ebenso meinen auch die „goêtes“ vermutlich eine innerkirchliche Gruppe. Die „bösen Menschen“ können alle Christen sein, die sich von der paulinischen Theologie und Lehre abgewandt haben und nicht wie Paulus leben. Es können aber auch nur die Irrlehrer sein, die andere Menschen mit ihrer Irrlehre verführen. Auf die Verführung weist der zweite Begriff, „goêtes“ hin, der „Zauberer“, „Betrüger“ und/oder „Verführer“ bedeuten kann. Hier liegen vermutlich alle drei Bedeutungen vor. Gehen wir davon aus, dass die Irrlehrer gemeint sind. Diese sind Betrüger, weil sie eine falsche Lehre für die richtige ausgeben. Sie sind Verführer, weil sie Gemeindeglieder für sich zu gewinnen versuchen, obwohl ihre Lehre nicht zum Heil führt. Und sie sind auch Zauberer. Um das zu verstehen, bedarf es eines Blicks auf 2 Tim 3,8. Dort heißt es „… wie Jannes und Jambres dem Mose widerstanden, so widerstehen auch diese [Menschen] der Wahrheit“. Jannes und Jambres sind demnach die „(ägyptischen) Zauberer“, von denen in Ex 7,11 die Rede ist. In Ex 7,11LXX wird allerdings der Begriff „pharmakoi“ verwendet, der „Zauberer“, „Magier“ oder „Giftmischer“ bedeutet, nicht jedoch „Betrüger“ oder „Verführer“. „Paulus“ verwendet also für die Irrlehrer nicht den gleichen Begriff wie die Septuaginta für die (ägyptischen) Zauberer, auch nicht einen bedeutungsgleichen, sondern einen bedeutungsähnlichen. Die Überschneidung bei der Bedeutung ist „Zauberer“. Der von „Paulus“ verwendete Begriff „goêtes“ beinhaltet im Gegensatz zum von der Septuaginta verwendeten Begriff „pharmakoi“ aber auch die Bedeutungsnuance „Betrüger“ oder „Verführer“. Die Irrlehrer sind also keine (ägyptischen) Zauberer im eigentlichen Sinne, sondern Betrüger und Verführer. Aber wie die (ägyptischen) Zauberer widerstehen sie der Wahrheit.


In 2 Tim 3,9 hieß es, dass die Irrlehrer keine weiteren Fortschritte machen werden. In 3,13 heißt es dagegen, dass sie fortschreiten werden, und zwar zum Schlechteren hin. Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch auflösen? Die erste Möglichkeit ist, dass es sich bei den „bösen Menschen und Betrügern“ nicht um Irrlehrer, sondern um eine andere Menschengruppe oder um zwei andere Menschengruppen handelt. Das ist allerdings unwahrscheinlich, weil die Deutung als Irrlehrer durchaus schlüssig ist. Die zweite Möglichkeit ist, dass es sich um zwei verschiedene Arten des Fortschreitens handelt. In 3,9 wäre davon die Rede, dass es den Irrlehrern nicht gelingen wird, ihre Irrlehre weiter zu verbreiten. Als Grund wird genannt, dass der Unverstand der Irrlehrer allen offenbar werden wird. 3,13 geht dagegen wohl eher in die Richtung der Aussage 2,16, wo es heißt, dass „Timotheus“ das gottlose, leere Gerede meiden solle. Das gottlose, leere Gerede führe nämlich zu immer mehr Gottlosigkeit. Und deshalb würden die Menschen, die sich dem gottlosen, leeren Gerede hingeben, zu immer mehr Gottlosigkeit fortschreiten. Wenn die Irrlehrer gemäß 3,13 fortschreiten, so ist dies wohl so zu verstehen, dass sie immer weiter vom rechten Weg abkommen und sich in der Irrlehre verstricken. Mit Blick auf 2,16 wird Ironie deutlich: Ja, die Irrlehrer machen weitere Fortschritte, zwar nicht bei der Verbreitung ihrer Irrlehre, sondern beim Beschreiten ihres Irrwegs.

Zu dieser Deutung passt das Ende des V. 13: Die Irrlehrer führen andere in die Irre und werden [selbst] in die Irre geführt. Bei den Partizipien „planôntes“ und „planômenoi“ handelt es sich jeweils um die Zeitform Präsens. Die wörtliche Übersetzung lautet folglich zunächst einmal „in die Irre führend“ und „in die Irre geführt werdend“. Im Zusammenhang muss aber beim Übersetzen nicht das Präsens verwendet werden, weil ein Partizip Präsens insbesondere die Gleichzeitigkeit aussagt. Weil die Irrlehrer schon zur Zeit der Entstehung des 2 Tim andere in die Irre führen und selbst in die Irre geführt werden, liegt zunächst einmal die Übersetzung als Präsens nahe, womit sie „… sie führen [andere] in die Irre und werden [selbst] in die Irre geführt“ lautet. Weil die Irrlehrer aber in Zukunft zum Schlechteren hin fortschreiten werden und auch in Zukunft noch andere in die Irre führen und selbst in die Irre geführt werden, kann die Übersetzung auch „… sie werden [andere] in die Irre führen und werden [selbst] in die Irre geführt werden“ lauten.

Offen bleibt, von wem die Irrlehrer in die Irre geführt werden. Es ist zunächst an den Teufel zu denken, aber es ist auch möglich, dass Gott wirkt.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bénétreau, Samuel; Projets apostoliques: selon 2 Timothée 3.10, une sujétion, pour Timothée, aux projets de Paul? Spécificité de la liberté chrétienne, TheolEv 15/2 (2016), 16-28

Hanson, A. T.; The Use of the Old Testament in the Pastoral Epistles, IBS 3/4 (1981), 203-219

Löning, Karl; "Von ihnen bin ich der Erste" (1 Tim 1,15). Paulus als soteriologische Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen, in: T. Schmeller [Hrsg.], Neutestamentliche Exegese im 21. Jahrhundert. Grenzüberschreitungen, Freiburg i. Br. 2008, 131-150

Torres, Milton L.; Pauline Vicissitudes and 2 Tim 3:11, Hermenêutica 2 (2002), 45-59

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