Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 4,1-4

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 4,1-4



Übersetzung


2 Tim 4,1- 4 : 1 Ich beschwöre [dich] vor (dem) Gott und Christus Jesus, der Lebende und Tote richten wird, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich: 2 Predige das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, sprich Verfehlungen an, tadle [und] ermahne, in aller Geduld und Belehrung! 3 Es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigener Lust und Laune Lehrer zusammensucht, um sich das Ohr kitzeln zu lassen; 4 und man wird von der Wahrheit das Ohr abwenden und sich zu den Fabeln hinwenden.



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V. 1


Beobachtungen: 2 Tim 4,1-4 gehört zu dem Abschnitt 3,10-4,8, in dem „Timotheus“ als Garant rechten Glaubens dargestellt wird. Nachdem „Paulus“ auf den Apostel Paulus als Vorbild eingegangen ist (3,10-13) und den Wert der „heiligen Schriften“ dargelegt hat (3,14-17), kommt er nun auf die Kernaufgaben des „Timotheus“ angesichts der verkommenen Endzeit zu sprechen (4,1-4).


Das Verb „diamartyromai“, das „ich beschwöre dich“ oder „ich bitte dich dringend“ bedeutet, macht die Dringlichkeit des Anliegens deutlich. „Timotheus“ soll unbedingt das, was in V. 2 angeführt wird, beherzigen. Es handelt sich um seine Kernaufgaben angesichts grassierender Irrlehren. Und da vermutlich „Timotheus“ die kirchlichen Amtsträger, speziell Bischöfe, repräsentiert, handelt es sich um die Kernaufgaben der kirchlichen Amtsträger, speziell Bischöfe.

Die dringende Bitte/Aufforderung erfolgt vor Gott und Jesus Christus (= Christus Jesus). Gott, und Jesus Christus sind wohl als Zeugen gedacht. Aufgrund der Zeugen kann „Paulus“ von niemandem vorgeworfen werden, er habe „Timotheus“ nicht richtig instruiert und daher mögliche Missstände in der Kirche zu verantworten. Bei der dringenden Bitte handelt es sich also um ein eindringliches Zeugnis, womit das Verb „diamartyromai“ auch im Sinne von „ich bezeuge eindringlich“ verstanden werden kann.


Die Dringlichkeit liegt darin begründet, dass sich alle Menschen, die lebenden und die toten, vor Jesus Christus, dem Richter, verantworten müssen. Folglich kann es „Paulus“ nicht gleichgültig sein, ob sich in der Kirche Irrlehren ausbreiten oder nicht. Ebenso hat „Timotheus“ dafür zu sorgen, dass sich in seiner Gemeinde keine Irrlehren ausbreiten. Und allen Christen kann nur gelegen sein, wenn sie im rechten Glauben angeleitet und bei Bedarf wieder zu ihm zurückgeholt werden. Weder „Paulus“ noch „Timotheus“ noch jeder andere Christ will des Heils verlustig gehen und ein Verdammungsurteil Jesu Christi über sich ergehen lassen. Jedem Christen ist zwar die Rettung, das Heil, zugesagt, aber er kann sie durch Irrglauben und Fehlverhalten auch verspielen.


Das Gericht über die Lebenden und die Toten ist als endzeitliches Gericht gedacht, das alle Menschen einschließt, die noch am Leben sind und bereits verstorben sind. Wenn die Verstorbenen als „Tote“ bezeichnet werden, dann handelt es sich um Menschen, die (noch) nicht von den Toten auferweckt worden sind. Zwei Deutungen sind möglich: Entweder ist – mit Ausnahme Jesu Christi - noch kein Mensch von den Toten auferweckt worden. Oder es werden nur die Menschen gerichtet, die nicht von den Toten auferweckt worden sind, das Verdammungsurteil zu erwarten haben und infolgedessen ewige Verderbnis erleiden werden. Aber was ist (bei letzterer Deutung) dann mit den Menschen, die bereits von den Toten auferweckt worden und gen Himmel gefahren sind? Zählen diese zu den Lebenden, nämlich ewig im Jenseits Lebenden, und werden auch gerichtet? Dann hätten sie schon das erlangt, was ihnen erst noch im endzeitlichen Gericht zugesprochen werden müsste. Diese verquere Reihenfolge ist unwahrscheinlich. Oder ist das Gericht nur auf die Verdammung ausgerichtet, wogegen diejenigen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, nicht gerichtet werden? Dagegen spricht 1,18, wonach es beim endzeitlichen Gericht nicht nur Verdammungsurteile gibt, sondern auch Barmherzigkeit waltet. Dabei ist die Barmherzigkeit nicht so zu verstehen, dass ein der Verdammung würdiger Frevler nicht verurteilt wird, sondern aufgrund Christi Gnade in den Himmel eingehen darf. Auch ein Mensch, der Gutes getan hat, wird also gerichtet, wobei „Paulus“ darauf setzt, dass das Gute angerechnet wird. Kein Mensch kann sich durch gute Werke das Himmelreich verdienen, weil kein Mensch sündlos ist. Deshalb bedarf jeder Mensch, der Gutes getan hat, der Barmherzigkeit Gottes, um ins Himmelreich eingehen und das ewige Leben erlangen zu können. Dass Sündenvergebung und somit Rettung vor dem ewigen Verderben möglich ist, liegt im stellvertretenden Kreuzestod für die Sünden der Menschen begründet. Wenn wir von der richtigen Reihenfolge ausgehen, wonach erst das Urteil des Richters Christi erfolgt und dann das ewige Verderben oder der Eingang in den Himmel samt ewigem Leben, dann kann noch kein Mensch der ewigen Verdammnis anheim gefallen oder bereits von den Toten auferweckt worden sein und das ewige Leben erlangt haben. Demnach dürfte sich die von „Paulus“ als irrig angesehene Behauptung, dass die Auferstehung schon geschehen sei (vgl. 2,18), auf jede Art Auferstehung beziehen, sei sie geistig vor dem leiblichen Tod oder leiblich nach dem leiblichen Tod. Gemäß „Paulus“ steht das endzeitliche Gericht Christi also noch bevor und es ist außer Jesus Christus noch niemand auferstanden, weder geistig noch leiblich. Wann das endzeitliche Gericht genau erfolgt, bleibt aber offen.


Wie ist die Formulierung „kai tên epiphaneian autou kai tên basileian autou“ („und seine Erscheinung und sein Reich“) zu deuten, die sich grammatisch schlecht einzufügen scheint? Bleiben wir bei der Übersetzung „ich beschwöre [dich]“ des Verbs „diamartyromai“, dann lautet V. 1 wörtlich übersetzt „Ich beschwöre [dich] vor (dem) Gott und Christus Jesus, der Lebende und Tote richten wird, und seine Erscheinung und sein Reich“. Beschwört „Paulus“ etwa den „Timotheus“ und Jesu Christi Erscheinung und Jesu Christi Reich? Das ergibt keinen Sinn. Sinn ergibt aber die sinngemäße Übersetzung „Ich beschwöre [dich] vor (dem) Gott und Christus Jesus, der Lebende und Tote richten wird, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich“. Es wird bei dieser Übersetzung deutlich, dass die Erscheinung Jesu Christi und das Reich Jesu Christi bei der dringenden Bitte eine große Rolle spielen. Die dringende Bitte geschieht sozusagen im Hinblick auf Jesu Christi Erscheinung und Reich. Der gesamte Sinngehalt und auch die grammatische Konstruktion erschließen sich jedoch, wenn man die Mehrdeutigkeit des Verbs „diamartyromai“ bedenkt. Übersetzt man nämlich „diamartyromai“ mit „ich bezeuge eindringlich“, dann lautet V. 1 wörtlich übersetzt „Ich bezeuge eindringlich vor (dem) Gott und Christus Jesus, der Lebende und Tote richten wird, (und) seine Erscheinung und sein Reich“. Jesu Christi Erscheinung und Reich gehören demnach – neben dem Inhalt von V. 2 - zu dem, was „Paulus“ eindrücklich bezeugt. Damit unterstreicht er, dass für Christen nicht das Römische Kaiserreich mit dem Kaiser oder einem heidnischen Gott als „Herrn“ maßgeblich ist, auch nicht irgendein irdisches Königtum mit einem König oder einem heidnischen Gott als „Herrn“, sondern das Reich Jesu Christi. Jesus Christus ist der „Herr“ bzw. „der Herr“. Ob das Reich Jesu Christi gegenwärtig oder zukünftig ist, ist nebensächlich. Unklar ist, ob die Erscheinung Jesu Christi auf Erden bei seiner Geburt (vgl. 2 Tim 1,10) gemeint ist oder die Erscheinung Jesu Christi am Ende der Tage zum Gericht (vgl. 1 Tim 6,14). Die Unklarheit führt zu einer Unklarheit bezüglich Gegenwärtigkeit oder Zukünftigkeit von Jesu Christi Reich. Vermutlich haben wir es uns als gegenwärtig vorzustellen, jedoch wird es erst mit der Wiederkunft und dem Gericht Jesu Christi allen Menschen offenbar und setzt sich endgültig auf Erden durch.

Es fällt auf, dass Gott nicht mit dem Gericht in direkte Verbindung gebracht wird. Gott und Jesus Christus sind auch klar zwei verschiedene „Personen“, auch wenn sie eng miteinander verbunden sind und im 2 Tim eine gewisse Unklarheit belassen wird, wer „Herr“ ist und wer „der Herr“.


Weiterführende Literatur: Eine Auslegung von 2 Tim 4,1-8 und homiletische Überlegungen bietet L. D. Jacobs 1991, 62-71.


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V. 2


Beobachtungen: Gemäß 2 Tim 1,11 ist Paulus bzw. „Paulus“ als Herold („kêryx“) eingesetzt. Ein Herold ist ein Mensch, der mit lauter Stimme eine Botschaft verkündet. Wenn Paulus als Vorbild gedacht ist, dann liegt es nahe, dass auch „Timotheus“ mit lauter Stimme eine Botschaft verkünden (kêryssein) soll. „Laut“ bedeutet in diesem Fall nicht nur „mit kräftiger Stimme“, sondern auch „öffentlich“, „klar und deutlich“ und „richtig“. Diese Predigt des „Wortes“ – gemeint ist das „Wort der Wahrheit“ (vgl. 2 Tim 2,15), das Evangelium – ist die erste Kernaufgabe des „Timotheus“. Der erste Imperativ des V. 2, „kêryxon“ („predige!“) benennt diese erste Kernaugabe.


Der zweite Imperativ, „epistêthi“ („tritt auf!“) nennt keine Kernaufgabe im eigentlichen Sinne, sondern die Grundhaltung, mit der die Kernaufgaben ausgeübt werden sollen. Die geforderte Grundhaltung steht zwischen der ersten Kernaufgabe und der zweiten Kernaufgabe und verbindet diese. „Tritt auf!“ macht die Öffentlichkeit, das Selbstbewusstsein, die Überzeugung, dass das „Wort“ richtig ist, und die ständige Bereitschaft zu den Kernaufgaben deutlich. Dabei soll „Timotheus“ nicht darauf achten, ob es den anderen Menschen genehm ist oder nicht, wie die Formulierung „gelegen oder ungelegen“ deutlich macht.


Die zweite Kernaufgabe, die Ermahnung, wird mit drei Imperativen ausgeführt. Diese drei Imperative scheinen auf den ersten Blick bedeutungsgleich zu sein und allesamt „ermahnen“ zu bedeuten. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch zu erkennen, dass es darum geht, Christen, die im Glauben und wohl auch Handeln auf Abwege geraten sind, wieder auf den Weg des rechten Glaubens und Handelns zu bringen. Der erste Imperativ, „elenxon“ bedeutet „überführe!“ oder „sprich Verfehlungen an!“. Es geht darum, Christen, die einem Irrglauben verfallen sind und/oder sich nicht christlich verhalten, darauf hinzuweisen und die Verfehlungen zu benennen. Es geht also zunächst einmal darum, ein Bewusstsein für die Verfehlungen zu schaffen. Der zweite Imperativ, „epitimêson“, bedeutet „tadle!“. Es geht darum, dass „Timotheus“ deutlich machen soll, dass die Verfehlungen nicht mit dem christlichen Glauben und Leben vereinbar sind. Der dritte Imperativ, „parakaleson“, bedeutet „ermahne!“. Das Ermahnen ist aber nicht nur ein Tadeln, sondern ist auf die Besserung ausgerichtet, indem es Ermunterung und Ermutigung zur Rückkehr auf den rechten Weg des Glaubens und Handelns beinhaltet.

Dieser Prozess der Besserung erfolgt nicht von heute auf morgen und verläuft auch nicht unbedingt geradlinig. Vielmehr handelt es sich um einen längeren Prozess, der viel Überzeugungskraft und Geduld bedarf und auch bei Rückschlägen fortgeführt wird. Deshalb soll er „in aller Geduld und Belehrung“ erfolgen. Richtschnur des Besserungsprozesses ist stets die rechte Lehre, die an den „heiligen Schriften“, dem Evangelium und der „paulinischen“ (als paulinisch verstandenen) Theologie und Lehre ausgerichtet ist.

Langmut/Geduld (makrothymia) wird in 1 Tim 1,16 Jesus Christus zugeschrieben. Dabei bezieht sich „Langmut/Geduld“ auf die Bereitschaft, Sündern zu verzeihen, sie zum (rechten) christlichen Glauben zu bringen und letztendlich zum ewigen Leben zu führen. Wenn in 2 Tim 3,10 und 4,2 dem „Timotheus“ Langmut zugeschrieben wird, dann wird er nicht nur als Nachfolger des Apostels Paulus, sondern auch als Nachfolger Jesu Christi angesehen. Langmut/Geduld ist für Paulus von existenzieller Bedeutung, weil er ja vor seiner Bekehrung/Berufung Christen verfolgt hat und ein ganz besonderer Sünder war. Paulus ist aber seitens Jesu Christi Langmut/Geduld widerfahren und er hat sich infolgedessen die Langmut/Geduld ebenfalls zu eigen gemacht, ebenso wie danach „Timotheus“. Langmut soll die Kirche auch in Zukunft prägen.


Weiterführende Literatur: A. Malherbe 1984, 235-243 geht der Frage nach, wie die Formulierung „epistêthi eukairôs akairôs“ („tritt auf, ob gelegen oder ungelegen“) zu verstehen ist. Seitens verschiedener Philosophen sei die Notwendigkeit betont worden, eine Rede zum rechten Zeitpunkt zu halten. Zur Bestimmung des rechten Zeitpunktes seien verschiedene Aspekte berücksichtigt worden: Wo erfolgt die Rede und wer sind die Adressaten? Welches ist die Situation, in die hinein die Rede erfolgt? Und ist es in dieser Situation besser, zu einem Individuum oder zu einer Gruppe zu sprechen? Im Zusammenhang mit dem rechten Zeitpunkt sei verschiedentlich medizinische Sprache verwendet worden. Diese finde sich auch in 2 Tim 4,2 und auch anderswo im 2 Tim. Die Kirchenväter hätten daher im Vers in Analogie zu einer medizinischen Behandlung ein Beispiel der „Seelenleitung“ gesehen. Von einer solchen sei hier aber nicht in der zu erwartenden Form die Rede. Überhaupt hätten die Pastoralbriefe kein Interesse an privater oder individueller Unterweisung. Vielmehr würden die Aufgaben des Timotheus stets als öffentlich, für alle zu sehen, dargestellt. Die Verbindung des rechten Zeitpunktes mit medizinischer Sprache sei der Tradition geschuldet. Die medizinische Sprache werde durchgehend polemisch verwendet. Sie beschreibe den kranken Zustand der Irrlehrer, werde aber nie im Sinne einer Beschreibung einer Therapie für die Irrlehrer verwendet. Dass auch zum unpassenden Zeitpunkt gepredigt werden solle, lasse sich damit erklären, dass die Irrlehrer hoffnungslos auf dem Irrweg und unabhängig vom Zeitpunkt nicht für das gepredigte Wort offen seien. Außerdem sei schon die Zeit angebrochen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigener Lust und Laune Lehrer zusammensucht, um sich das Ohr kitzeln zu lassen.


Im Rahmen seiner Abhandlung über die Frage, wann die christliche Theologie beginnt, befasst sich H. Donneaud 2011, 51-72 auch mit der Frage, wie das Verb „elenchô“ (und das Substantiv „elegmos“) zu übersetzen ist. In der Septuaginta dominiere klar ein moralischer Sinn, und zwar in Verbindung mit dem Thema der göttlichen Zucht. Die Vorstellungen des Tadels, des Rufs zur Umkehr und der Ermahnung fänden sich im Ruf zum Heil verbunden. Auch im NT samt den Pastoralbriefen habe das Verb „elenchô“ oftmals diese Bedeutung. Allerdings seien in den Pastoralbriefen neben der moralischen Bedeutung auch die intellektuelle Bedeutung „widerlegen“ und die doktrinäre Bedeutung „einen Irrtum nachweisen“ zu bedenken.


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V. 3/4


Beobachtungen: Die Gegenwart ist noch nicht der Höhepunkt der Verkommenheit (vgl. 2 Tim 3,1-5.12-13), sondern nur ein Vorgeschmack. Der Höhepunkt der Verkommenheit wird erst in Zukunft kommen und ist ein Kennzeichen der Endzeit. Schon in der Gegenwart breiten sich Irrlehren aus, aber erst die zukünftige Zeit wird ganz von Irrlehren geprägt sein. Dabei geht aber „Paulus“ wohl nicht von einem ständigen Prozess der Verschlechterung und von der Hilflosigkeit der kirchlichen Amtsträger aus (vgl. 3,9). Vielmehr greift er wohl einen verbreiteten Topos von der Verderbnis der letzten Tage (vor dem Weltende) auf und deutet die gegenwärtigen Irrlehrer und Irrlehren im Lichte dieser Verderbnis. Damit sieht er wohl die gegenwärtige Schwere der Arbeit der kirchlichen Amtsträger im Lichte der endzeitlichen schweren Zeiten.


Die Formulierung „gesunde Lehre“ ist der Welt des Körpers und auch des Geistes entnommen. Ein gesunder Körper ist erstrebenswert und verheißt ein langes und unbeschwertes Leben. Wenn auch der Geist gesund ist, dann ist die Grundlage für ein langes, unbeschwertes und glückliches Leben vollkommen. Wenn „Paulus“ von einer „gesunden Lehre“ spricht, dann geht es ihm aber nicht in erster Linie um den Körper und den menschlichen Geist und um diesseitiges Glück, sondern es geht ihm um die ganze Existenz des Menschen, die auch das Jenseits, das Leben nach dem Verscheiden aus dem irdischen Leben, umfasst.


„Paulus“ betont die Beliebigkeit, mit der in der verkommenen Endzeit die Lehrer ausgesucht (das Wort „episôreuô“ bedeutet wörtlich „aufhäufen“, hier ist ein beliebiges, zu einer großen Anzahl führendes Zusammensuchen gemeint) werden. Mit der „gesunden Lehre“, der „Wahrheit“, haben diese nichts zu tun, sondern sie erzählen „Fabeln“. Diesen „Fabeln“ wenden die Menschen der verkommenen Endzeit das Ohr zu, schenken ihnen also die Aufmerksamkeit. Diese „Fabeln“ scheinen den Menschen der verkommenen Endzeit genehmer zu sein als die „Wahrheit“, wie die Formulierung „das Ohr kitzeln“, die ein angenehmes Gefühl aussagt, erkennen lässt.

Die Bezeichnung „mythos“, hier mit „Fabel“ übersetzt, meint eine legendarische Erzählung. Diese hatte sich mit einem Volk aus dem vorgeschichtlichen Dunkel heraus entwickelt und ging Fragen nach Sinn und Wesen der Welt nach. Insofern gab sie eine Weltanschauung wieder. Mythen konnten sehr phantasievoll und lebendig und geradezu ungeheuerlich sein. Es handelte sich um „Geschichte“, allerdings um eine erzählte Geschichte und nicht um Geschichte im heutigen engeren Sinn, wonach Geschichte sich mit Personen, Ereignissen und Zuständen befasst, wie es sie wirklich gab. Ein solches Interesse an historischer Korrektheit gab es zwar auch schon ansatzweise in der Antike, aber es spiegelt sich nicht in den Mythen wieder. Während der aufgeklärte Mensch die Geschichte im engeren Sinn als (historisch) wahr ansieht, erscheinen ihm die Mythen als Fabeln, als blühender Phantasie entsprungene Geschichten. Der unaufgeklärte Mensch der Antike trennte nicht so scharf zwischen (historisch) wahrer Geschichte und fabelhafter Geschichte. Vielmehr sah er in der fabelhaften Geschichte auch (historisch) wahre Geschichte.

„Paulus“, der Verfasser des 2 Tim, hat ein negatives Bild von den Mythen, den Fabeln. Dieses negative Bild liegt aber nicht darin begründet, dass er ihnen das Fehlen von historischer Wahrheit vorwirft. Um historische Wahrheit im aufgeklärt wissenschaftlichen Sinn geht es ihm nicht. Vielmehr wirft er den Mythen, den Fabeln, vor, dass sie für das Heil irrelevant sind. Für das Heil relevant ist nur die paulinische Lehre, die auf dem mit Christus verbundenen Heilsgeschehen gründet.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Donneaud, Henry; "Enseigner", "exhorter" et "réfuter" (Tt 1,9; 2 Tm 3,16; 4,2): Aux sources pastorales de la théologie, ScEs 63/1 (2011), 51-72

Jacobs, L. D.; Bedienaar van die Woord, voer jou pligte met nugterheid uit! 2 Timotheus 4:1-8, ATh 11/1 (1991), 62-71

Malherbe, Abraham J.; "In Season and Out of Season": 2 Timothy 4:2, JBL 103/2 (1984), 235-243

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