2 Tim 4,5-8
Übersetzung
2 Tim 4,5-8:5 Du aber sei in allem nüchtern, ertrage Leid, tu [das] Werk eines Evangelisten, erfülle deinen Dienst! 6 Ich werde nämlich schon als Trankopfer ausgegossen, der Zeitpunkt meines Hinscheidens ist da. 7 Den guten Kampf habe ich gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. 8 Von nun an liegt für mich der Siegeskranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage verleihen wird, nicht nur mir, sondern allen, die sein Erscheinen geliebt haben.
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Beobachtungen: 2 Tim 4,5-8 gehört zu dem Abschnitt 3,10-4,8, in dem „Timotheus“ als Garant rechten Glaubens dargestellt wird. Nachdem „Paulus“ auf den Apostel Paulus als Vorbild eingegangen ist (3,10-13), den Wert der „heiligen Schriften“ dargelegt hat (3,14-17) und auf die Kernaufgaben des „Timotheus“ angesichts der verkommenen Endzeit zu sprechen gekommen ist (4,1-4), stellt er nun „Timotheus“ als den Nachfolger der Apostels Paulus dar.
Der rechtgläubige Gemeindeleiter „Timotheus“ soll „nüchtern“ sein, also nicht „betrunken“. Das von „Timotheus“ geforderte Verhalten wird von „Paulus“, dem Verfasser des 2 Tim, in betonter Weise mit dem Verhalten der Menschen der verkommenen Endzeit kontrastiert. Die Menschen der verkommenen Endzeit lassen sich von Irrlehren verführen und berauschen (vgl. 4,3-4). „Timotheus“ dagegen soll angesichts des Irrlehren nüchtern sein, sich also klar bewusst sein, dass sie nicht der „Wahrheit“, dem Evangelium, entsprechen und somit nicht zum Heil führen.
„In allem“ bezieht sich sicherlich in erster Linie auf den Glauben, dann aber auch auf das Verhalten und die gesamte christliche Existenz. Diese soll sich nicht an Irrlehren ausrichten, sondern an der „Wahrheit“, dem Evangelium.
Gemäß 2,9 erleidet der Verfasser des 2 Tim, der sich als „Paulus“, also der Apostel Paulus, ausgibt, Schlimmes/Leid bis hin zu Fesseln wie ein Verbrecher. Nach dessen Vorbild soll auch „Timotheus“ Leid ertragen. So persönlich die Sprache und Aussagen des 2 Tim auch sind, müssen wir uns bewusst machen, dass wir es nicht mit einem ganz persönlichen Brief des Apostels Paulus an seinen engen Mitarbeiter Timotheus zu tun haben. „Timotheus“ dürfte vielmehr kirchliche Amtsträger, speziell Bischöfe, repräsentieren. Der 2 Tim ist als eine Willenserklärung gestaltet. Der Wille des Paulus bzw. „Paulus“ ist die Bewahrung des paulinischen Erbes auch für die zukünftigen Generationen. Es handelt sich somit um eine Art Testament. Die Bewahrung des paulinischen Erbes wird angemahnt, weshalb der 2 Tim als „testamentarische Mahnrede“ bezeichnet werden kann. Und diese „testamentarische Mahnrede“ stammt vermutlich nicht vom Apostel Paulus, sondern von einem „Paulusschüler“, der sich selbst als „Paulus“ bezeichnet (vgl. 1,1) und damit in die paulinische Tradition stellt. Sie wurde vermutlich in nachpaulinischer Zeit verfasst und gibt somit nicht die kirchliche Situation zur Zeit des Paulus wieder, sondern die kirchliche Situation mindestens einer Generation nach Paulus.
Der Codex Alexandrinus fügt nach „ertrage Leid“ „wie ein tapferer Soldat Christi Jesu“ ein. Dabei handelt es sich aber offensichtlich um eine Anpassung an 2,3.
Die Formulierung „das Werk eines Evangelisten“ ist somit von der nachpaulinischen Warte her zu verstehen. Der Apostel Paulus war ein Evangelist, der von Tarsus, seiner Heimatstadt in Kilikien, und Antiochia (am Orontes) in die weite Welt auszog, um das Evangelium (= frohe Botschaft) zu verkündigen. Die Adressaten der Verkündigung waren zunächst vorrangig Juden, dann aber verstärkt Heiden. Während seiner Missionsreisen musste er Leid ertragen, das ihm von Andersgläubigen angetan wurde. Der Apostel Paulus war also insofern ein Evangelist, als er mittels der Predigt Menschen, die nicht an Jesus Christus glaubten, zum christlichen Glauben zu bringen versuchte. Auch Timotheus, der enge Mitarbeiter des Apostels Paulus, war in diesem Sinne Evangelist. Der „Paulusschüler“ „Paulus“ dagegen schreibt in einer Zeit, in der die erste Phase der Mission vorbei ist. Das Christentum hat sich zunehmend ausgebreitet und die in paulinischer Zeit gegründeten Gemeinden sind inzwischen kräftig gewachsen. Das brachte neue Erfordernisse hinsichtlich der Gemeindeleitung mit sich, insbesondere die Ausbildung von kirchlichen Ämtern. Das der Apostel Paulus inzwischen verstorben war, konnte er nicht mehr selbst durch Besuche und Briefe dafür sorgen, dass die Christen dem rechten Glauben folgten und sich recht verhielten. Auch wenn der Apostel Paulus nach seinem Tod bei den Christen weiterhin in hohem Ansehen stand, bestand doch die Gefahr, dass das paulinische Erbe verblasste und Irrlehren wich. In diese Situation hinein schreibt allem Anschein nach „Paulus“ den 2 Tim, um die Fortführung des paulinischen Erbes sicherzustellen. „Paulus“ ist. Im NT findet sich weder für Paulus noch für „Paulus“ die Bezeichnung „Evangelist“. Dennoch ist der Apostel Paulus der Evangelist schlechthin. Und auch „Paulus“ erscheint in diesem Lichte als Evangelist, weil er ja vorgibt, Paulus zu sein. „Timotheus“ wird dagegen ausdrücklich als „Evangelist“ bezeichnet. Der „Timotheus“, der die kirchlichen Amtsträger, speziell die Bischöfe, repräsentiert, verkündigt zwar auch, tut dies aber nicht in erster Linie auf Missionsreisen, sondern im Rahmen der Arbeit in seiner Gemeinde. Er ist ein Gemeindeleiter, der zusehen muss, dass die Gemeinde auf dem rechten Weg bleibt und nicht Irrlehren und Fehlverhalten anheim fällt. Seine Kernaufgaben sind die Predigt und rechte Lehre, also klare Darlegung der rechten Glaubensgrundlagen in der paulinischen theologischen Tradition, außerdem die Wiedergewinnung von Gemeindegliedern, die hinsichtlich des Glaubens und Verhaltens (vgl. 4,2). Die Bezeichnung „Evangelist“ dürfte deutlich machen, dass das Evangelium für „Timotheus“ die Richtschnur seines Dienstes ist. Und diesen Dienst – vermutlich ist an den Dienst für die Gemeinde und für Jesus Christus gedacht – soll er erfüllen.
Weiterführende Literatur: Eine Auslegung von 2 Tim 4,1-8 und homiletische Überlegungen bietet L. D. Jacobs 1991, 62-71.
A. Campbell 1992, 117-129 geht folgenden Fragen nach: Was war ein Evangelist? Was war die Tätigkeit des Evangelisten? Von wem wurde die Arbeit des Evangelisten durchgeführt? Antworten: Es habe nie ein Amt des Evangelisten gegeben, doch habe es viele Menschen gegeben, die das Evangelium verbreiteten und Gemeinden gründeten und diese immer weiter aufbauten. Die Evangelisation sei also nie ein spezialisierter Dienst von Menschen, die das Amt des Evangelisten ausübten, gewesen. Es habe aber Menschen gegeben, die sich zur Evangelisation berufen gefühlt hätten und deren besonderen Begabungen auch von anderen Menschen anerkannt worden seien. Die Tätigkeit des Evangelisten sei untrennbar mit dem Erklären der Bibel und damit mit der Tätigkeit eines Lehrers verbunden gewesen.
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Beobachtungen: Das Trankopfer, das Fremdwort ist Libation (vom lateinischen „libare“ = „ein wenig ausgießen/wegnehmen“), war in der antiken Welt weit verbreitet Das Trankopfer wurde beim Totenkult, bei einem Eid, bei Tempelzeremonien, bei privaten Gebeten, bei religiösen Feierlichkeiten, bei großen Wettkämpfen, bei Theateraufführungen oder bei Gastmählern (Symposien) vollzogen. Beim Trankopfer wurde den Göttern oder Verstorbenen eine Flüssigkeit rituell gespendet. Bei der Flüssigkeit handelte es sich meist um Wasser, aber es wurde auch Wein, Bier, Milch, Öl oder Honig verwendet, pur oder mit Wasser gemischt. Die Flüssigkeit wurde mittels eines Gefäßes – zur Verwendung kamen Spendeschalen, Opfertafeln, vasenartige Gefäße oder Situlen (= eimerartige Gefäße) - über Götterbilder und -statuen, über einen Altar, über Opfergaben, in ein dafür vorgesehenes Opferbecken oder direkt auf den Boden gegossen oder gesprengt. Das Trankopfer wurde als ein selbstständiges Opfer oder in Zusammenhang mit einem anderen Opfer dargebracht. Darüber hinaus konnte es auch zusammen mit einer Räucherung vollzogen werden. Mittels des Trankopfers wurden die Götter geehrt und ihre Gunst erbeten. Außerdem diente es der Versorgung der Toten, bei denen man davon ausging, dass sie neu und immer wieder belebt werden müssten.
Was meint „Paulus“ wenn er sagt, dass er als Trankopfer ausgegossen wird Zunächst einmal betont er das „ich“? Er betont sein eigenes Schicksal, womit sich erklärt, dass nun dem „Timotheus“ die Aufgabe zukommt, in die Fußstapfen des Paulus zu treten. Es wird eine direkte Nachfolge suggeriert, und zwar deswegen, um die gegenwärtigen Gemeindeleiter als direkte Nachfolger des Paulus darzustellen. Die Wahrung der paulinischen Tradition muss deswegen als direkte persönliche Nachfolge erscheinen, damit nicht der Verdacht aufkommen kann, dass zwischen dem Tod des Paulus und der Abfassung des 2 Tim die paulinische Theologie und Lehre verfälscht wurde. „Paulus“ kann nur dann den Tod des Paulus als Trankopfer darstellen, wenn er an eine Flüssigkeit denkt. Der Körper selbst ist fest, aber er enthält als Flüssigkeit das Blut. Das Blut wird bei einem gewaltsamen Tod vergossen. Folglich geht 2 Tim 4,6 von einem gewaltsamen Tod aus. Die schlimmen Leiden und die Gefangenschaft, die Paulus gemäß 2,9 erleidet, weisen auf eine Hinrichtung hin. Die Hinrichtung kann als konsequente Christusnachfolge verstanden werden, denn auch Jesus Christus ist hingerichtet worden. Die Hinrichtung des Paulus erfolgt aber sicher nicht für die Menschen bzw. für die Sünden der Menschen. Wenn man beide gewaltsamen Tode als Opfertod versteht, so hat ihre Gemeinsamkeit doch hier ihre Grenze. Christi Kreuzestod für die Sünden der Menschen ist einzigartig und so wird nur Jesus Christus als „Retter“ bezeichnet (vgl. 1,10), nicht jedoch Paulus. Paulus kann aber als Trankopfer für Gott und für die Verstorbenen ausgegossen werden. Sein Tod kann als Ausdruck der Gottesverehrung verstanden werden, die bis zur Hinrichtung reicht. So wie die sportlichen Wettkämpfe an den verschiedenen Orten jeweils einer bestimmten Gottheit zu Ehren ausgetragen werden, erfolgt der geistliche Wettlauf zu Ehren Gottes bzw. Jesu Christi. Allerdings verehrt nicht das Trankopfer selbst Gott, sondern derjenige, der das Trankopfer ausgießt. Paulus gießt sich nicht selbst als Trankopfer aus, sondern er wird ausgegossen. Irdisch gesehen sind es die Römer, konkret die Henker, die sein Blut vergießen. Aber die Römer und auch die Henker sind es ja gerade nicht, die an Gott Vater und an den Gottessohn Jesus Christus glauben. Hinter dem Handeln der Römer, konkret der Henker, könnte der Wille – möglicherweise sogar das Handeln – Gottes stehen, der zum Blutvergießen führt. Allerdings verehrt Gott sich nicht selbst. Das alles scheint auf den ersten Blick ungereimt zu sein, jedoch erklären sich die scheinbaren Ungereimtheiten mit der Komplexität der Bedeutung des Bildes vom Trankopfer. Vermutlich soll zugleich die Christusnachfolge und Gottesverehrung des Paulus, das Handeln der Römer samt den Henkern und der Wille Gottes ausgedrückt werden. Hinzu kommt die Einbeziehung der Verstorbenen. Paulus hat das Evangelium gepredigt und damit das Heil, das sich konkret in der Rettung vor dem ewigen Verderben und im ewigen Leben ausdrückt. Wer an Jesus Christus glaubt und entsprechend lebt, wird gerettet und ewig leben. Paulus als Trankopfer, das ausgegossen wird, mag auf das zukünftige ewige Leben der verstorbenen Christen hinweisen, für das Paulus mit seiner Verkündigung den Grundstein gelegt hat.
Die Hinrichtung des Paulus scheint unmittelbar bevor zu stehen. Dabei wird aber der Tod als „Hinscheiden“ bezeichnet, als Abschied und Trennung von dieser Welt. Der Gedanke, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, mag mitschwingen. Allerdings kommt das ewige Leben nicht ausdrücklich zur Sprache. Vielleicht hält „Paulus“ diese Stelle für nicht geeignet. Oder er ist zurückhaltend, weil er von der Zukünftigkeit der Auferstehung und des ewigen Lebens ausgeht. Die Zukünftigkeit der Auferstehung und des ewigen Lebens verbietet es, den Eindruck zu vermitteln, die Auferstehung und das ewige Leben geschähen schon vor der Wiederkunft Christi. Das könnte so gedeutet werden, als gehöre er zu den Irrlehrern, die behaupten, die Auferstehung sei schon geschehen (vgl. 2,18).
Weiterführende Literatur: In 2 Tim 4,6-22 herrsche gemäß M. Bligh 1998, 364-369 Durcheinander. Dieses lasse sich damit erklären, dass es sich um eine nicht korrigierte Version einer Notiz des Paulus für Timotheus handele.
Laut H. W. Tajra 1994, 94-98 stelle 4,6-8 den dramatischen Höhepunkt des 2 Tim dar. In diesen Versen präsentiere der Verfasser des 2 Tim Gedanken des Paulus, nicht nur zu dessen bevorstehendem Martyrium, sondern auch zum Aspekt des Opfers.
Laut K. Zamfir 2017, 75-94 hätten nahezu alle frühchristlichen Interpreten (Ausnahme: die Homilie 20 des Johannes Chrysostomos über den Römerbrief) das Ausgießen in Phil 2,17 und 2 Tim 4,6 auf Paulus’ Tod und nicht auf sein hingebungsvolles Leben und Dienen bezogen. Anders die spätere Rezeption, die aber nicht notwendigerweise mit der ursprünglichen Aussageabsicht übereinstimme. Im 2. und 3. Jh. seien die beiden Bezüge auf das Martyrium des Paulus und das freudige Annehmen von Leiden und Tod seitens des Paulus dazu herangezogen worden, das Martyrium in der Verfolgung zu verteidigen und die Bereitschaft zum Martyrium zu wecken.
Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen siehe H. Roose 2003, 440-446: Die Gemeindeleiter seien zum Lehren verpflichtet. Ihr Lehren habe soteriologische Funktion, und sie seien dazu angehalten, dieses Heilsangebot auch gegenüber Irrlehrern offen zu halten. Das heiße auch, dass sich die Gemeindeleiter nicht bedeckt halten dürfen. Sie sollten lehren, auch wenn ihnen das Repressalien einbringt. Die Pastoralbriefe ließen keinen Zweifel daran, dass das Lehren mit Leid gekoppelt ist. Die Bereitschaft, dieses Leid auf sich zu nehmen – unter Umständen bis hin zum Märtyrertod (vgl. 2 Tim 4,6) -, werde unzweideutig eingefordert. Die Gemeindeleiter dienten also in der Tat der Gemeinschaft, indem sie lehren. Denn sie stellten dadurch ihre Leidensbereitschaft unter Beweis und vermittelten den Gemeindeangehörigen das Heilsangebot des Evangeliums. Dem Verfasser der Pastoralbriefe sei vermutlich die hinter Mk 10 stehende Tradition – insbesondere das Ideal des Dienens und Leidens in pointierter Abgrenzung von der Herrschaft – bekannt gewesen. Er forme ein Bild vom lehrenden Gemeindeleiter, das diesem Ideal in wesentlichen Punkten entspricht.
A. T. Hanson 1981, 402-418 legt dar, wie der Verfasser der Pastoralbriefe das den paulinischen Briefen entnommene Material verwendet hat und welche Schlüsse sich daraus hinsichtlich der Entwicklung der Haupttradition der christlichen Theologie ziehen lassen. Zu 2 Tim 4,6-8 mit Blick auf Phil 2,16-17 und 1 Kor 9,25 (S. 412-413): Die Abschiedsworte des Paulus angesichts seines bevorstehenden Todes klängen weniger zuversichtlich als diejenigen des „Paulus“. Das lasse sich damit erklären, dass „Paulus“ aus der Sicht mindestens einer Generation später schreibe, die Paulus nun als leuchtendes Beispiel eines Märtyrers für Christus ansehe.
D. Cook 1982, 168-171 legt dar, dass 2 Tim 4,6-8 nicht von Paulus, sondern vom Verfasser der Pastoralbriefe stamme. Das Corpus Paulinum, so wie es der Verfasser der Pastoralbriefe gekannt habe, habe auch mindestens die wesentlichen Teile des Philipperbriefs umfasst. Das lasse sich der Verwendung gleicher Metaphern in 2 Tim 4,6-8 und im Philipperbrief entnehmen.
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Beobachtungen: Der „gute Kampf“ ist nicht als ein Kampf mit materiellen Waffen zu verstehen, sondern als ein geistlicher Kampf, in 1 Tim 6,12 als „guter Kampf des Glaubens“ bezeichnet. Die Erfüllung des besonderen geistlichen Auftrags ist demnach wohl „der Kampf“. Und „der Kampf“ ist „gut“, also für eine gute Sache. Die gute Sache ist vermutlich die Verkündigung des Evangeliums und der Gemeindeaufbau mitsamt dem Schutz der Gemeinde vor Irrlehren und sonstigen Gefährdungen. Es fällt auf, dass „Paulus“ in 2 Tim 4,7 (und in 1 Tim 6,12) – anders als in 1 Tim 1,18 – nicht den militärischen Begriff „strateia“ („Kampf“) verwendet, sondern von einem „agôn“ spricht. „Agôn“ kann sowohl „Kampf“ als auch „Wettkampf“ bedeuten Außerdem benutzt er das Verb "agônizomai" („kämpfen“), das neben der Bedeutung „kämpfen“ auch die Bedeutung "wettkämpfen" haben kann. So gebraucht es Paulus in 1 Kor 9,25 im Zusammenhang mit einem sportlichen Wettkampf, mit dem er den geistlichen Lebenswandel vergleicht. In 2 Tim 4,7 (und 1 Tim 6,12) scheint „Paulus“ folglich sowohl einen Kampf mit Tugenden als geistlicher Waffenrüstung (vgl. Eph 6,10-20; die Tugenden werden in 1 Tim 6,11 aufgezählt) als auch einen Wettkampf im Blick zu haben.
Der Begriff „Lauf“ („dromos“) kann auf die Missionsreisen, deren Wegstrecken Paulus oftmals zu Fuß zurückgelegt hatte, bezogen oder als Missionarsleben gedeutet werden. So bediente sich Paulus im Hinblick auf das Leben des Christen und auch ganz konkret auf sein eigenes Leben des Bildes des Wettlaufes, das er sportlichen Wettkämpfen entnommen hatte. Als Läufer gelte es den Siegespreis zu erlangen (vgl. 1 Kor 9,24-27; Phil 3,14). Dafür war jedoch das Vollenden des Laufs mit dem Erreichen des Ziels Voraussetzung.
Die Formulierung „den Glauben bewahrt“ dürfte als Standhaftigkeit im Glauben trotz aller Verfolgungen und Bedrängnisse und trotz aller Irrlehren zu verstehen sein. Es vermischen sich in ihr zwei Zeiten mit ihren je eigenen Erfahrungen, nämlich zum einen die paulinische Zeit der Missionsreisen mit ihren Verfolgungen und zum anderen die nachpaulinische Zeit des Gemeindeaufbaus und der Gemeindeleitung mit dem verstärkten Kampf gegen die Irrlehren, bei fortgesetzten Verfolgungen.
Die Verbformen stehen in der Zeitform Perfekt. Damit wird die besondere Bedeutung der Aussagen für die Gegenwart verdeutlicht. Es handelt sich um ein Resümee am Ende des Lebens, das sehr zufrieden ausfällt: Paulus hat seinen Dienst für seinen „Herrn“ Jesus Christus zur vollen Zufriedenheit ausgeführt.
Weiterführende Literatur: S. J. Davis 2013, 334-373 befasst sich mit der Deutung biblischer Texte im frühen ägyptischen Mönchtum. Dabei nimmt er Inschriften, bildliche Darstellungen, gemeinschaftliche Praktiken des Totengedenkens und asketische Paränese in den Blick. Das Hauptaugenmerk liegt auf Grabinschriften der monastischen Siedlungen Kellia und Pherme im westlichen Nildelta.
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Beobachtungen: Der Siegeskranz ist der Preis, den ein Wettläufer bei einem Sieg erhält. Dieser Siegeskranz, der bei den isthmischen Spielen aus Fichte besteht, ist jedoch vergänglich. Für Paulus liegt jedoch ein unvergänglicher Siegeskranz bereit (vgl. 1 Kor 9,24-25). Dabei handelt es sich vermutlich um ein Bild für den Ruhm, der ihm von Jesus Christus bzw. Gott zuteil wird. Bei dem Siegeskranz der von nun an für Paulus bereitliegt, handelt es sich um einen „Siegeskranz der Gerechtigkeit“. Es handelt sich also um einen Siegeskranz, den Paulus für seine „Gerechtigkeit“ erhält. Die „Gerechtigkeit“ meint sicherlich zunächst einmal das gottgefällige Leben, das segensreiche Wirken (vgl. 1 Tim 6,11). Aber auch wenn das Bild vom siegreichen Lauf auf eigene Anstrengung hinweist, ist nicht anzunehmen, dass der Verfasser des 2 Tim davon ausgeht, dass sich Paulus das Heil durch eigene Anstrengung selbst erworben hat. Zu bedenken ist die paulinische Vorstellung, wonach es sich bei der „Gerechtigkeit“ um ein von Gott gnädig gewährtes Geschenk handelt (vgl. Röm 9,30-33; ähnlich 2 Tim 1,9). Das Geschenk dürfte sein, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben ist, jedoch den Tod überwunden hat und auferstanden ist. Durch dieses Heilsgeschehen steht derjenige, der es glaubt, vor Gott von Sünden befreit da. Paulus hat trotz aller Verfolgungen und Bedrängnisse unerschütterlich am christlichen Glauben festgehalten, weshalb er so sicher davon ausgehen kann, dass er den Siegeskranz erhält. Das gottgefällige Leben ist von daher gesehen keine Leistung, sondern ein Dienst für Gott bzw. Jesus Christus und der Siegespreis der Lohn für den Dienst. Der Erhalt des Siegeskranzes steht bevor, jedoch bleibt der genaue Zeitpunkt offen.
Die Verleihung des Siegeskranzes der Gerechtigkeit erfolgt „an jenem Tag“. Welcher Tag damit gemeint ist, ist unklar. „Paulus“ scheint davon auszugehen, dass die Leser und Hörer des Briefes mit der Formulierung etwas anfangen können. Es liegt nahe, sie auf den Tag der Wiederkunft Christi zu beziehen, wobei die Wiederkunft Christi in 1 Tim 6,14 als „Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“ bezeichnet wird. Mit der Wiederkunft Christi ist das endzeitliche Weltgericht verbunden. Die Verleihung des Siegeskranzes der Gerechtigkeit erfolgt also nicht unmittelbar nach dem Tod. Das weist darauf hin, dass auch die Auferstehung der Toten erst zum endzeitlichen Weltgericht erfolgt, nicht aber schon vorher.
Aus 2 Tim 4,1 geht hervor, dass Jesus Christus „der Herr“, der gerechte Richter, ist. Diese Klarheit ist insofern bemerkenswert, dass im 2 Tim ansonsten unklar bleibt, wer der „Herr“ (ohne bestimmten Artikel) und wer „der Herr“ (mit bestimmtem Artikel) ist. Aus einer Zusammenschau verschiedener Verse lässt sich zwar erkennen, dass wahrscheinlich Gott der „Herr“ ist und Jesus Christus „der Herr“, bei „Herr“ scheint aber zugleich Jesus Christus anzuklingen und bei „der Herr“ Gott. Sogar ein wechselnder Gebrauch ist nicht ausgeschlossen. 4,1 setzt der Unklarheit ein Ende. Handelt es sich bei dieser Offenheit bis zum Ende um einen literarischen Kniff, mit dem eine gewisse Spannung erzeugt wird, die sich erst am Ende auflöst? Oder haben wir von vornherein alle relevanten Passagen von 4,1.8 her zu lesen?
Bei einem Wettlauf im Rahmen eines Wettkampfes wird nur dem einen Sieger der Siegeskranz verliehen. Das ist bei dem geistlichen Wettlauf anders. Der Siegeskranz der Gerechtigkeit ist kein Privileg, das dem Apostel Paulus vorbehalten ist. Er wird allen, die Jesu Christi Erscheinen geliebt haben, verliehen. „Sein Erscheinen“ kann sich auf die Erscheinung Jesu Christi auf Erden bei seiner Geburt (vgl. 2 Tim 1,10) oder auf die Erscheinung Jesu Christi am Ende der Tage zum Gericht (vgl. 1 Tim 6,14) beziehen. Letzterer Bezug liegt hier aufgrund der Verbindung der Erscheinung mit dem endzeitlichen Weltgericht näher. Eine Entscheidung zwischen beiden Bezügen ist aber vielleicht gar nicht nötig, weil es um eine Liebe gehen könnte, die sich von der Geburt Jesu bis hin zu dessen Wiederkunft und Weltgericht bezieht, also vom Anfang bis Ende reicht. Aber warum sagt „Paulus“ dann nicht gleich „die Jesus Christus geliebt haben“? Um das zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, welche Bedeutung die beiden Erscheinungen haben. Die Geburt Jesu ist die „Erscheinung“ Jesu Christi in der Welt der Menschen. Durch seine „Erscheinung“ wurde die Gnade – vermutlich den Menschen – offenbart. Wie hätten sonst die Menschen von Jesus Christus und der Gnade wissen können? Die Geburt Jesu ist jedoch nicht das entscheidende Ereignis. Entscheidend sind Jesu Kreuzestod und Jesu Auferweckung bzw. Auferstehung von den Toten. Mit diesem Ereignis wurde nämlich „der Tod zunichtegemacht“. Auch die Erscheinung Jesu Christi am Ende der Tage zum Gericht hat mit Gnade zu tun, weil nämlich der Richter Jesus Christus „gerecht“ ist. Er ist also kein übermäßig strenger Richter, der alle Sünden der Menschen bestraft. Vielmehr erfolgt das Gericht im Lichte des Kreuzestodes und der Auferstehung Christi. Wer an dieses Heilsgeschehen glaubt und auf die Gnade Gottes setzt, hat die Rechtfertigung, also gnädige Sündenvergebung, zu erwarten. Er hat also keine Angst, sondern ist zuversichtlich. Mehr noch: Er liebt Jesu Christi Erscheinen, und zwar wegen der Offenbarung der Gnade und der gnädigen Sündenvergebung und des zu erwartenden Siegeskranzes der Gerechtigkeit. Sündenvergebung und Siegeskranz der Gerechtigkeit setzen aber voraus, dass aus dem Glauben heraus ein gottgefälliges Leben geführt wird.
„Tois êgapêkosi“ („die geliebt haben“) ist ein substantiviertes Perfekt. Es drückt hier eine Rückschau vom Lebensende und endzeitlichen Weltgericht auf die irdische, vom christlichen Glauben geprägte Lebensführung aus. Diese vom christlichen Glauben geprägte Lebensführung ist beim endzeitlichen Weltgericht von großer Bedeutung.
Ein Teil der Textzeugen lässt „allen“ („pasi“) aus. Gemäß diesen Textzeugen ist also nicht „allen, die sein Erscheinen geliebt haben“ zu lesen, sondern „denen, die sein Erscheinen geliebt haben“. Auch wenn es durchaus Fälle gibt, in denen Schreiber ein verstärkendes „alle“ hinzugefügt haben, haben wir es hier wohl aufgrund der guten Bezeugung des „alle“ eher mit einer versehentlichen Auslassung zu tun.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Bligh, Malcolm; Seventeen Verses Written for Timothy (2 Tim 4:6-22), ET 109/12 (1998), 364-369
Campbell, Alastair; Do the Work of an Evangelist, EvQ 64 (1992), 117-129
Cook, David; 2 Tim 4,6-8 and the Epistle to the Philippians, JTS 33/1 (1982), 168-171
Davis, Stephen J.; Completing the Race and Receiving the Crown. 2 Timothy 4:7-8 in Early Christian Monastic Epitaphs at Kellia and Pherme, in: H.-U. Weidemann [ed.], Asceticism and Exegesis in Early Christianity. The Reception of New Testament Texts in Ancient Ascetic Discourses (NTOA 101), Göttingen 2013, 334-373
Hanson, A. T.; The Domestication of Paul: A Study in the Development of Early Christian Theology, BJRL 63/2 (1981), 402-418
Jacobs, L. D.; Bedienaar van die Woord, voer jou pligte met nugterheid uit! 2 Timotheus 4:1-8, ATh 11/1 (1991), 62-71
Roose, Hanna; Dienen und Herrschen: Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen, NTS 49/3 (2003), 440-446
Tajra, Harry William; The Martyrdom of St. Paul (WUNT II/67), Tübingen 1994
Zamfir, Korinna; The Departing Paul: Some Reflections on the Meaning of Spendomai and Its Early Christian Reception, ETL 93/1 (2017), 75-94