Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 4,9-15

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 4,9-15



Übersetzung


2 Tim 4,9-15 : 9 Bemühe dich, schnell zu mir zu kommen! 10 Denn Demas hat mich aus Liebe zur jetzigen Weltzeit im Stich gelassen und ist nach Thessalonich gereist, Crescens nach Galatien, Titus nach Dalmatien. 11 Lukas ist als Einziger bei mir. Nimm Markus (zu dir) und bring ihn mit (dir); denn er ist mir nützlich zum Dienst. 12 Tychikus aber habe ich nach Ephesus geschickt. 13 Den Mantel, den ich in Troas bei Karpus gelassen habe, bring [bitte] mit, wenn du kommst; auch die Bücher, besonders die Pergamente. 14 Alexander, der Schmied, hat mir viel Böses angetan; ihm wird der Herr nach seinen Werken vergelten. 15 Vor ihm hüte auch du dich, denn er hat sich unseren Worten heftig widersetzt.



( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 9/10


Beobachtungen: Nachdem „Timotheus“ von „Paulus“ als Garant des rechten Glaubens dargestellt worden ist (2 Tim 3,10-4,8), endet der Hauptteil und es beginnt der Briefschluss. Dieser gliedert sich in letzte Anweisungen an „Timotheus“ (4,9-15), persönliche Mitteilungen (4,16-18) Grüße (4,19-21) und Segenswünsche (4,22). Der Briefschluss ist sehr persönlich gehalten, so dass man annehmen könnte, der 2 Tim sei von dem Apostel Paulus verfasst. Angesichts verschiedener Ungereimtheiten lässt sich der persönliche Stil aber als Versuch ausmachen, den 2 Tim als echten Paulusbrief erscheinen zu lassen, der er wahrscheinlich aber nicht ist.


In 4,9-15 kommt „Paulus“ auf alltägliche Probleme zu sprechen. Als erstes Problem wird die Vereinsamung des Apostels Paulus genannt.


Die Liebe zur jetzigen Weltzeit (wörtliche Übersetzung: „weil er die jetzige Weltzeit lieb gewonnen hat“) steht im Gegensatz zum unbedingten Streben des Apostels Paulus nach dem „Siegeskranz der Gerechtigkeit“. Demas ist irdisch ausgerichtet, Paulus auf das Jüngste Gericht und auf das ewige Leben. Paulus geht für den christlichen Glauben zum Letzten und nimmt seinen Tod in Kauf. Demas dagegen scheint nicht so weit zu gehen und seinen Tod nicht in Kauf nehmen zu wollen. Zumindest leistet er dem Paulus nicht bis zur Hinrichtung Beistand, sondern lässt ihn im Stich. Warum Demas nach Thessalonich (in der römischen Provinz Makedonien, im heutigen Griechenland) gereist ist, wissen wir nicht. Es scheint auch keine Rolle zu spielen, weil das Gewicht der Aussage auf dem Verlassen und der nur mäßigen Hingabe zum Evangelium liegt. Dass Demas ein Christ ist, wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber aus der Nähe zu Paulus und den enttäuschten Worten des Paulus zu schließen.


Ein Mann namens Demas wird auch in Phlm 24 und in Kol 4,14 erwähnt. Gemäß Phlm 24 ist Demas ein Mitarbeiter des Paulus, der an den Sklavenhalter Philemon Grüße ausrichten lässt. Vermutlich haben er und Philemon eine gute Beziehung zueinander. Auch Kol 4,14 erwähnt ihn als einen Grüßenden, wobei er diesmal die Kolosser grüßt. Bemerkenswert ist, dass Demas über den Glauben hinaus nicht enger mit dem Verfasser des Kol verbunden zu sein scheint, denn er wird von diesem im Gegensatz zu anderen Grüßenden nicht als „geliebt“ bezeichnet. Auch in 2 Tim 4,10 fällt die fehlende innige Beziehung auf. Ob nun der Demas der drei Verse Phlm 24, Kol 4,14 und 2 Tim 4,10 identisch ist, ist unklar. Wir wissen auch nicht, ob das Verhältnis zwischen dem Apostel Paulus und Demas tatsächlich nicht innig war. Vielleicht handelt es sich um ein Konstrukt, das dem Verfasser des 2 Tim letztendlich dazu dient, den Demas als einen Christ darzustellen, der für seinen Glauben nicht zum Letzten geht. Damit fällt er gegenüber Paulus ab und es wird deutlich, dass der konsequente christliche Lebensweg keineswegs selbstverständlich ist und die Gefahr der Glaubensverleugnung in einer gefährlichen Lage groß.


Crescens (oder: Kreszens) – der Name bedeutet „wachsend“ – taucht im NT nur hier auf. Auch bezüglich Crescens scheint nur wichtig zu sein, dass er Paulus verließ. Warum er nach Galatien (in der heutigen Türkei) gereist ist, bleibt offen und spielt offensichtlich keine Rolle.


Titus ist zwar gemäß den Paulusbriefen und gemäß der Apostelgeschichte ein enger Mitarbeiter des Paulus und gemäß Tit 1,4 ist an ihn der Paulus zugeschriebene Titusbrief gerichtet, als besonders treu wird er in 2 Tim 4,10 allerdings nicht dargestellt. Wieso erscheint er dann im Titusbrief als Repräsentant der Gemeindeleiter und wieso richtet Paulus bzw. „Paulus“ seine Anweisungen zur Gemeinde- und Ständeordnung gerade an ihn? Diese Frage setzt Untreue des Titus voraus. Aber ist er tatsächlich dem Paulus gegenüber untreu? Oder gibt es nicht einen wichtigen Grund, vielleicht sogar Gemeindeleitung betreffend, der die Reise nach Dalmatien (an der östlichen Adriaküste, im heutigen Kroatien und Montenegro) nötig machte? Dazu wird nichts ausgesagt. Immerhin heißt es von Titus und auch Crescens nicht, dass sie den Paulus aus Liebe zur jetzigen Weltzeit verlassen haben. Somit liegt auf fehlender Treue zu Paulus und auf fehlender Standhaftigkeit im Glauben kein Gewicht. Die Abreise des Crescens und des Titus wird also nicht ausdrücklich negativ gewertet. Sie wird überhaupt nicht gewertet, sondern nur festgestellt. Sie wird deswegen festgestellt, weil daraus die Einsamkeit des Paulus folgt. Auf der Einsamkeit liegt das Gewicht, nicht auf möglicher Untreue. Von daher ist es kein Widerspruch, wenn Titus als Adressat eines Paulus zugeschriebenen Briefes genannt wird. Mal abgesehen davon, dass der Titus des Zweiten Timotheusbriefes nicht unbedingt mit dem Titus des Titusbriefes identisch sein muss.


Drei Mitarbeiter haben den Paulus also kurz vor seinem Tod verlassen. In dieser betrüblichen Lage bittet er den Timotheus, eilends zu ihm zu kommen. Dabei setzt er voraus, dass Timotheus weiß, wo er gefangen ist, denn es wird nicht gesagt, wohin Timotheus kommen soll. Aus 2 Tim 1,17 lässt sich allerdings erschließen, dass Paulus in Rom gefangen ist. Der Fokus scheint aber nicht auf den Ort der Gefangenschaft gerichtet zu sein, sondern auf die Tatsache, dass Paulus von einem bewährten Mitarbeiter Beistand und Unterstützung benötigt. Für die Betonung der Einsamkeit des Paulus in seinen letzten Lebenstagen – auch ein Aspekt des Leids – nimmt “Paulus“, der Verfasser des 2 Tim, in Kauf, dass er Paulus den Timotheus zu einem ungelegenen Zeitpunkt zu sich rufen lässt. Eigentlich wäre es nämlich an der Zeit, dass Timotheus in seiner eigenen Gemeinde für Ordnung sorgt, predigt und gegen die Irrlehrer kämpft.


Weiterführende Literatur: In 2 Tim 4,6-22 herrsche gemäß M. Bligh 1998, 364-369 Durcheinander. Dieses lasse sich damit erklären, dass es sich um eine nicht korrigierte Version einer Notiz des Paulus für Timotheus handele.


Laut F. Schnider, W. Stenger 1987, 112-113 werde in der Paulusschule die in die briefliche Parusie eingebundene briefliche Mitteilung über Dritte zu einem Element des Postskripts (vgl. Kol 4,7-9; Eph 6,21-22) und stehe im Dienst der Brieffiktion. In den Pastoralbriefen scheine der Topos der brieflichen Mitteilung über Dritte im Postskript darüber hinaus auch als Mittel inhaltlicher Aussagen benutzt zu werden. In 2 Tim 4,9-14 finde sich die briefliche Mitteilung über Dritte gehäuft, und zwar in Nachbarschaft verwandter Topoi des fiktiven Briefstils.


Gemäß J. Luttenberger 2012, 320-323 würden im Gegensatz zu EpSokr 4, wo lediglich die allgemein bekannte Xanthippe begegne, in 2 Tim 4,10f.16 mehrere Personen mit unterschiedlicher Bedeutung für das Leben des Paulus erwähnt, die sich nur uneinheitlich in der Überlieferung verankern ließen. Sie hätten literarisch nicht den „Rang“ einer Xanthippe. 2 Tim unterscheide sich daher in seinem Briefschluss nicht nur sehr konkret von dem in EpSokr 4, sondern von den Briefschlüssen in den verschiedenen literarischen Briefsammlungen überhaupt, weiche darin auch deutlich von 1 Tim ab, der in seinem knappen Schluss lediglich Timotheus (1 Tim 6,20f.) namentlich nenne. Damit entspreche der 1 Tim im Unterschied zum 2 Tim der Form der literarischen Pseudepigraphie der Sokrates- und Sokratiker- sowie der Chionbriefe. Ähnlichkeiten in der Gestaltung gebe es indessen zwischen 2 Tim und den Platonbriefen.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 11


Beobachtungen: Dass Lukas als Einziger bei Paulus ist, wird festgestellt, jedoch nicht lobend hervorgehoben. Das lässt sich damit erklären, dass die Verlassenheit des Paulus betont wird. Warum Lukas noch bei Paulus ist, spielt da keine Rolle. Insofern gibt es keinen Anlass, den Beistand lobend hervorzuheben. Dass der Beistand des Lukas positiv bewertet wird, ist anzunehmen.


Lukas wird ebenso wie Demas auch in Phlm 24 und in Kol 4,14 erwähnt. Auch Lukas ist gemäß Phlm 24 ein Mitarbeiter des Paulus, der an den Sklavenhalter Philemon Grüße ausrichten lässt. Vermutlich haben auch er und Philemon eine gute Beziehung zueinander. Auch Kol 4,14 erwähnt ihn als einen Grüßenden, wobei er diesmal die Kolosser grüßt. Es fällt auf, dass Lukas – anders als in Kol 4,14 – nicht als "geliebt" bezeichnet und auch nicht sein Beruf, Arzt, genannt wird. Das ist auch in Phlm 24 nicht der Fall. Es lässt sich also festhalten, dass Phlm 24 und 2 Tim 4,11 nüchterner formuliert sind als Kol 4,14. Wie lässt sich das erklären? Kennt der Verfasser des Zweiten Timotheusbriefes etwa den Kolosserbrief nicht? Der Verfasser des Kol nennt sich ebenso wie der Verfasser des 2 Tim „Paulus“. Aufgrund der deutlichen Unterschiede des Kol und 2 Tim im Vergleich zu den allgemein für echt gehaltenen Paulusbriefen haben wir davon auszugehen, dass „Paulus“ im Kol und im 2 Tim ein Pseudonym ist. Der Verfasser des Kol und der Verfasser des 2 Tim nennen sich „Paulus“, weil sie dessen Autorität für sich beanspruchen und deutlich machen wollen, dass sie sich in paulinischer Tradition sehen und das paulinische theologische Erbe weiter überliefern wollen. Dass beide das gleiche Pseudonym verwenden, bedeutet noch lange nicht, dass es sich um ein und denselben Verfasser handelt. Eher haben wir aufgrund der Unterschiedlichkeit der beiden Briefe von zwei verschiedenen Verfassern auszugehen. Es ist möglich, dass der Verfasser des 2 Tim den Kol nicht kennt. Plausibler lässt sich die nüchternere Erwähnung des Lukas aber damit erklären, dass der Verfasser des 2 Tim die Einsamkeit des Paulus betonen will, nicht die besondere Beziehung zwischen Lukas und Paulus. Der 2 Tim setzt wie der Kol und der Phlm (Philemonbrief) eine Gefangenschaft des Paulus voraus. Ob der Verfasser des 2 Tim tatsächlich selbst gefangen ist, wissen wir nicht. Möglicherweise übernimmt er den Hintergrund der Abfassung des Phlm als fiktiven Hintergrund seines Briefes. Da liegt es nahe, sich bei der Nennung von Personen an den Phlm anzulehnen, um den fiktiven Hintergrund glaubwürdig erscheinen zu lassen. Diese Vorgehensweise ist auch bei dem Kol anzunehmen. In Phlm 24 ist nicht davon die Rede, dass Lukas „geliebt“ ist und auch seine Berufsbezeichnung „Arzt“ wird nicht genannt. Für den Verfasser des 2 Tim gibt es auch keinen Grund, diese Informationen (Kol 4,14 entsprechend) hinzuzufügen, weil er ja die Einsamkeit des Paulus betonen will, nicht die besonders enge Beziehung zwischen Paulus und Lukas. Ihm reicht es, Lukas als einen Mitarbeiter des Paulus darzustellen, der ihm treu und verbunden ist. Die Einsamkeit des Paulus wäre vollkommen gewesen, wenn auch Lukas ihn verlassen hätte. Aber dann wäre ein Widerspruch zu Kol 4,14 entstanden. Man hätte sich nämlich in Kenntnis des Kol gefragt, warum der geliebte Lukas, der Arzt, abgehauen und dem Paulus daher in der Not kein "Helfer" oder "Retter" ("iatros" kann sowohl "Arzt“ als auch "Helfer" oder "Retter" bedeuten) ist. Einen unnötigen Widerspruch will der Verfasser des 2 Tim wohl vermeiden. Diese plausible Erklärung geht davon aus, dass der Verfasser des 2 Tim den Kol kennt.


So erklärt sich auch, dass auch Markus erwähnt wird, der ebenfalls in Phlm als Mitarbeiter des Paulus Erwähnung findet. Auch in Kol 4,10 taucht er auf, wo er als „Vetter (oder: Neffe) des Barnabas“ bezeichnet wird. Ob Markus mit dem Jerusalemer Johannes Markus (vgl. Apg 12,12.25; 13,5.13 u. v. m.) oder mit dem laut 1 Petr 5,13 Grüße ausrichtenden Markus identisch ist, ist fraglich. Bei Identität des Markus der Apostelgeschichte und des Markus des Kolosserbriefes (und des Zweiten Timotheusbriefes und des Ersten Petrusbriefes) wäre eigentlich zu erwarten, dass in Kol 4,10 darauf hingewiesen wird, dass Markus eigentlich Johannes heißt und Markus nur der Beiname ist (vgl. Apg 15,37). Und außerdem wäre zu erwarten, dass an irgendeiner Stelle in der Apostelgeschichte erwähnt wird, dass Markus der Vetter (oder Neffe) des Barnabas ist. Markus erscheint im 2 Tim als ein Mitarbeiter des Paulus, der mit Timotheus auf die Reise genommen wird. Auch in Kol 4,10 erscheint er als Reisender, denn „Paulus“ weist die Kolosser an, den Markus aufzunehmen. Angesichts dieser Weisung, die auch darauf hinweist, dass Markus ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter des Paulus ist, mag es dem Verfasser des 2 Tim passend erschienen sein, den Markus mit dem Timotheus auf Reisen gehen und ihn zu Paulus kommen zu lassen.


Das Verb „analambanô“ bedeutet hier vermutlich „zu sich nehmen“. „Analambanô“ kann auch „an Bord (eines Schiffes) nehmen“ bedeuten (vgl. Apg 20,13). Dann würde eine Schifffahrt angenommen. Allerdings wissen wir nicht, wo Timotheus bzw. „Timotheus“ seine Reise zu Paulus bzw. „Paulus“ startet. Und wir wissen auch nicht, wo sich Paulus bzw. „Paulus“ in Gefangenschaft befindet. Insofern kann nicht ohne Weiteres von einer Schifffahrt ausgegangen werden. Auf welchem Wege die Reise erfolgt und auf welche Weise scheint auch völlig unerheblich zu sein.


Die Formulierung „nützlich zum Dienst“ ist sehr vage. Es scheint um einen Dienst für Paulus bzw. „Paulus“ zu gehen, nicht um einen allgemeinen Dienst für die Kirche, wie es beispielsweise die Mission ist. Um was für einen Dienst für Paulus bzw. „Paulus“ es sich handelt, bleibt jedoch offen.


Weiterführende Literatur: J. Luttenberger 2012, 76-78 stellt die These von der exemplarischen Verlassenheit des Paulus infrage.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 12


Beobachtungen: Tychikus wird im NT mehrfach genannt. So wird Tychikus in Apg 20,4 als einer der Begleiter des Paulus bei seiner Rückreise von Griechenland über Makedonien erwähnt, wobei er gemäß 20,5 aus einem nicht genannten Grund nach Troas vorausgereist sein dürfte. Der Verfasser der Apg liefert zu Tychikus die Information, dass er aus der römischen Provinz Asien (= Asia) stammte. Die Verbindung mit der Provinz Asien begründet wohl auch die Nennung des Tychikus im Epheserbrief (6,21) und im Kolosserbrief (4,7). Da Tychikus aus der Provinz Asien stammte und sowohl Ephesus als auch Kolossä in der Provinz Asien lagen, scheint Tychikus ein geeigneter Berichterstatter gewesen zu sein. Eine Identifikation des in Apg 20,4 genannten Tychikus mit dem in Eph 6,21 und Kol 4,7 genannten liegt nahe. Da die Apg aber von einem anderen Verfasser stammen dürfte als der Epheser- und der Kolosserbrief, können die verschiedenen Aussagen für die Konstruktion eines historisch korrekten Tychikusbildes nicht ohne weiteres kombiniert werden. Vorsicht ist insbesondere auch deshalb angebracht, weil die paulinische Verfasserschaft bezüglich der Apg ausgeschlossen und bezüglich des Epheser- und Kolosserbriefes zumindest fraglich ist. Wenn die Informationen über Tychikus aber nicht von Paulus selbst stammen, sondern von Dritten, stellen sich aber die Fragen, welches die Quellen der Informationen waren und ob sie historisch zuverlässig waren. Diese Fragen stellen sich insbesondere auch bezüglich der Aussagen des Zweiten Timotheusbriefes und des Titusbriefes, die beide erst einige Jahrzehnte nach den in der Apg geschilderten Ereignissen verfasst worden sein dürften und – trotz der vorgeblichen Verfasserschaft - weder vom Verfasser der Apg noch von Paulus selbst stammen. Allerdings erscheint plausibel, dass der Verfasser des 2 Tim die besondere Beziehung des Tychikus zur römischen Provinz Asien (= Asia) zum Anlass genommen hat, ihn in 2 Tim 4,12 als Gesandten nach Ephesus erscheinen zu lassen (ähnlich Tit 3,12).

Doch warum ist Tychikus von Paulus nach Ephesus geschickt worden? Da sich Timotheus wohl in Ephesus aufhält – zumindest ist dies mit Blick auf 1 Tim 1,3; 2 Tim 1,18 anzunehmen -, könnte man meinen, Tychikus soll den Timotheus, der mit Markus zu Paulus gerufen wird, in Ephesus vertreten. In Kol 4,7 wird Tychikus als „der geliebte Bruder und treue Diener und Mitsklave im Herrn“ und in Eph 6,21 als „der geliebte Bruder und treue Diener im Herrn“ bezeichnet. Solch ein herausragender Mitarbeiter, so die nahe liegende Annahme, ist für die Stellvertretung gut geeignet. Gegen eine solche Deutung spricht aber, dass Paulus seine Weisungen zur Gemeindeordnung und Gemeindeleitung nur an Timotheus richtet. Ob Tychikus von Paulus auch unterwiesen worden ist und vielleicht den Inhalt des 2 Tim auch zu lesen bekommen hat, wissen wir nicht. Die fehlende Information darüber lässt die Annahme, dass Tychikus den Timotheus in Ephesus vertreten soll, doch sehr hypothetisch erscheinen. Überhaupt stellt sich die Frage, warum gerade der Mann, der sich um die Gemeindeordnung und die Gemeindeleitung, speziell auch um den Kampf gegen die Irrlehrer, kümmern soll, zu Paulus gerufen wird. Und warum der Mann, von dem nicht ausdrücklich gesagt wird, dass er ebenfalls mit dem Inhalt des 2 Tim vertraut gemacht worden ist, nach Ephesus gesandt wird. Das schwächt die Gemeinde in Ephesus, die angesichts der Irrlehrer dringend der Stärkung bedarf. Dass Timotheus von Paulus zu sich gerufen wird, lässt sich eigentlich nur so erklären, dass Paulus diesen besonders bewährten Mitarbeiter im Angesichts seines Todes bei sich haben will. Weil Tychikus aus irgendeinem Grund von Paulus nach Ephesus geschickt worden ist, ist die Gemeinde nicht allein ihrem Schicksal überlassen, sondern Tychikus kann in irgendeiner Form unterstützend wirken. Vielleicht musste Tychikus aus einem uns nicht bekannten Grund dringend nach Ephesus. Damit verblieb bei Paulus als Einziger Lukas. Timotheus würde demnach zusammen mit Markus den Tychikus ersetzen. Irgendein anderer Christ hätte den Tychikus nicht ersetzen können. Eine andere Begründung der Entsendung des Tychikus nach Ephesus kommt dann in den Blick, wenn wir annehmen, dass die Aussage „Tychikus aber habe ich nach Ephesus geschickt“ von dem Zeitpunkt aus formuliert ist, in dem Timotheus den Brief empfängt. Bei der Abfassung des Briefes wäre Tychikus noch bei Paulus, von dem er ihn nach Fertigstellung übergeben bekommt, um ihn nach Ephesus zu Timotheus zu bringen. Aber ist die Information für Timotheus überhaupt noch relevant, wenn er Tychikus bei der Übergabe des Briefes oder bei anderer Gelegenheit trifft und daher weiß, dass Tychikus für die Übermittlung des Briefes zu ihm gesandt worden ist?


Weiterführende Literatur:


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 13


Beobachtungen: Der Begriff „phailonês“ („Mantel“) taucht im NT nur hier auf. Es handelt sich um ein lateinisches Lehnwort, und zwar ist es von „paenula“ entlehnt. Bei der Paenula handelte es sich um einen schweren trichterförmigen Mantel, der aus einem halbkreisförmigen Stoff hergestellt wurde, der an der geraden Seitenkante bis auf einen V-förmigen Durchlass für den Kopf zusammengenäht wurde. An den Durchlass für den Kopf schloss sich eine vermutlich rechteckige Kapuze an, die in Schriftquellen als „cucullus“ bezeichnet wird. Als Material diente vorwiegend dunkle, lodenartige Wolle. Die Paenula diente als Wetterschutz, insbesondere gegen Regen. Sie reichte bis unter die Knie und ähnelte heutigen Ponchos oder etwas altmodischen Regencapes für Fahrrad oder Motorroller. Warum braucht Paulus bzw. „Paulus“ einen solchen Mantel, wenn er doch in Gefangenschaft ist und sich demnach vermutlich nur in geschlossenen Räumen aufhält? Benötigt er den Mantel, weil ihm kalt ist und er nicht heizen kann? Oder ist er im offenen Vollzug, hat Freigang und benötigt dementsprechend einen Wetterschutz? Oder hat der Mantel so kurz vor seinem Tod irgendeine rituelle oder liturgische Funktion? Oder ist der Mantel gar nicht für ihn selbst gedacht, sondern für eine andere Person? Bei der Frage, welche Funktion der Mantel erfüllen soll, ist zu bedenken, dass der als „phailonês“ bezeichnete Mantel nicht zwingend mit einer Paenula identisch sein muss. Mindestens eine Ähnlichkeit hinsichtlich Aussehen und Funktion ist aber anzunehmen.


Der altgriechische Begriff „biblion“ bedeutet „Schrift“, „Buch“ oder „Brief“. Er ist von „byblos“ hergeleitet, was Papyrus - eine Schilfpflanze - bedeutet. Insofern kann „biblion“ auch ein Papyrusblatt bezeichnen, das entstand, indem man Papyrusstreifen in mehreren Lagen längs und quer übereinanderlegte, das Ganze mit einer kalkhaltigen Flüssigkeit tränkte und dann glatt presste. Auf dieses Blatt konnte mit Tinte geschrieben werden. Für kurze Texte reichte ein Blatt. Für längere Texte wurden mehrere Blätter zu einer Bahn aneinandergeklebt und zu einer Buchrolle aufgewickelt. Eine solche Buchrolle aus Papyrusblättern (biblia) wurde als „biblia“ bezeichnet. Papyrusblätter konnten aber auch zusammengefaltet, an einer Seite geheftet und an den anderen drei Seiten aufgeschnitten werden. Die einzelnen Seiten ließen sich dann umblättern. Diese Frühform eines Buches, die sich insbesondere unter Christen verbreitete, wird als „Codex“ bezeichnet. Auch bei einem Codex handelt es sich um „biblia“. Folglich ist anzunehmen, dass es sich bei den „biblia“ in 2 Tim 4,13 um eine Schriftrolle oder um ein Buch bzw. um Schriftrollen oder Bücher handelt, und zwar aus Papyrus. Wegen der besonderen Verbreitung bei den Christen ist am ehesten an Bücher zu denken. Zwar wären auch Schriftstücke aus anderem Material wie Stein, Ton, Kupfer, Papier, Pergament oder Leder denkbar, jedoch würde es sich – bei Stein, Ton oder Kupfer – um Tafeln handeln. Papier war im Mittelmeerraum der Antike noch nicht gebräuchlich und verbreitete sich erst später von China aus. Und schließlich kommen auch Pergament und Leder nicht infrage, weil nach den „biblia“ von „membranai“, also „Pergamenten“, die Rede ist. Da Pergament wie Papyrus ein Beschreibstoff ist, haben wir davon auszugehen, dass beide Begriffe Schriften meinen, die auf einem bestimmten Schreibstoff, nämlich Papyrus und Pergament, geschrieben sind.


Pergament ist ein besonders kostbarer Schreibstoff, der sich insbesondere im Mittelalter verbreitete. Pergament wurde aus feinen Schaf-, Ziegen- oder Kälberhäuten hergestellt. Im Gegensatz zu Leder wurde Pergament nicht gegerbt, sondern spanngetrocknet. Für einen einzigen Codex musste eine ganze Herde ihr Leben lassen. Weil Pergament so kostbar war, wurden Pergamentblätter verschiedentlich wiederverwendet, indem die Tinte abgekratzt und die Blätter dann neu beschrieben wurden. Pergament eignete sich deswegen so gut für Codices, weil sich die zäh-elastischen Bögen scharf knicken und problemlos zu einem Band vernähen ließen. Darüber hinaus ließ sich Pergament aber auch gut rollen, so dass in 2 Tim 4,13 durchaus Pergamentrollen gemeint sein können. Auch als sich später das viel billigere Papier verbreitete, blieb Pergament noch für wertvolle Schriften in Gebrauch, weil es so haltbar war. Alle diese Eigenschaften des Pergamentes könnten der Grund dafür sein, dass Paulus bzw. „Paulus“ den Timotheus bzw. „Timotheus“ insbesondere um das Mitbringen der Pergamente bittet.


Über den Inhalt der „Bücher“ und „Pergamente“ erfahren wir nichts. Am ehesten haben wir davon auszugehen, dass es sich um geistliche Texte handelt, vielleicht um biblische und vielleicht sogar um Paulusbriefe. In der Antike waren Buchdruck, Kopierer und Fotoapparate noch nicht erfunden. Folglich mussten Schriften mühsam abgeschrieben werden, sollten sie verbreitet werden. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Timotheus bzw. „Timotheus“ und Markus die „Bücher“ und „Pergamente“ mitbringen sollten. Paulus bzw. „Paulus“ konnte sich nicht einfach andere Exemplare kaufen, kopieren oder abfotografieren. Und abschreiben war zu mühselig und langwierig. Folglich mussten Timotheus bzw. „Timotheus“ und Markus mühsam die „Bücher“ und „Pergamente“ zu Paulus bzw. „Paulus“ transportieren. Dabei stellt sich jedoch die Frage, warum Paulus bzw. „Paulus“ überhaupt so kurz vor seinem Tod (vgl. 2 Tim 4,6) die „Bücher“ und insbesondere die „Pergamente“ benötigt. Da er einsam und verlassen ist und dem Hinscheiden nahe, können die Haltbarkeit und der materielle Wert schwerlich der wesentliche Grund sein – es sei denn, Lukas soll die „Bücher“ und „Pergamente“ an sich nehmen und für die Nachwelt bewahren. Die „Bücher“ und „Pergamente“ können durchaus noch letzten Missionsbemühungen dienen. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass Paulus bzw. „Paulus“ für die Verkündigung des Evangeliums „Bücher“ und „Pergamente“ benötigt – es sei denn, er will etwas vorlesen oder zeigen. Und schließlich ist auch möglich, dass die „Bücher“ und „Pergamente“ angesichts des nahen Todes seiner Seelenruhe dienen sollen. Aber braucht Paulus bzw. „Paulus“ überhaupt geistliche Texte für seine Seelenruhe, wo er doch das Evangelium – und das ist entscheidend - verinnerlicht hat und auch mit den Inhalten der hebräischen Bibel vertraut sein dürfte? Vielleicht handelt es sich aber auch gar nicht um geistliche Texte, sondern um persönliche Notizen. Die dürften aber sicherlich nicht auf das wertvolle und schwere Pergament geschrieben sein, sondern nur auf Papyrus, also in die „Bücher“. Und wieso sollte Paulus bzw. „Paulus“ kurz vor seinem Tod der Notizen bedürfen, die er vor geraumer Zeit gemacht hat?


Karpus wird im NT nur hier genannt, weshalb wir nichts über ihn wissen, außer dass er sich in Troas aufhält und dort vermutlich wohnt.

„Troas“ war sowohl eine Bezeichnung für eine Landschaft als auch für eine Stadt. Die gebirgige Landschaft namens „Troas“ lag um die alte Stadt Troja/Ilion herum ganz im Nordwesten der römischen Provinz Asia (heutige Westtürkei) an den Dardanellen, einem Teil des Ägäischen Meeres. Die Stadt Troas hieß mit vollständigem Namen „Alexandria Troas“, also „das trojische Alexandria“, was manchmal zu „Troas“ abgekürzt wurde. Eigentlich war Troas jedoch nur ein Namenszusatz, der dazu diente, dieses Alexandria von anderen Städten namens Alexandria zu unterscheiden. In 2 Tim 4,13 haben wir es wohl mit der Stadt (Alexandria) Troas zu tun, die Paulus im Rahmen seiner Missionstätigkeit besucht hat. Gemäß der Apostelgeschichte ist Paulus während seiner zweiten Missionsreise von Troas nach Makedonien und damit erstmals nach Europa gereist (vgl. 16,10-11). Außerdem hat er sich während seiner dritten Missionsreise sieben Tage in Troas aufgehalten (vgl. 20,6). Wenn wir mit Blick auf 2 Tim 1,17 annehmen, dass Paulus in Rom gefangen ist, dann soll Timotheus nach Rom kommen. Troas liegt nicht auf dem Reiseweg, denn der direkte Reiseweg wäre eigentlich mit dem Schiff quer durch das Ägäische Meer. Nun kann es jedoch sein, dass durch die Jahreszeit bedingt eine Schiffsreise quer durch das Ägäische Meer nicht möglich ist und Paulus mit dem Schiff immer an der Küste entlang fahren oder den Landweg nehmen muss. Das wäre jedoch eine sehr lange Reise nach Rom, die nicht recht zur gebotenen Eile passen will. Ebenso kann es sein, dass Timotheus von Ephesus nach (Alexandria) Troas reisen, dort den Mantel, die Bücher und die Pergamente abholen, dann wieder nach Ephesus zurückreisen und dann die Seereise direkt nach Rom unternehmen soll. Allerdings klingt die Bitte sehr ruhig, als könnte sich Timotheus bzw. „Timotheus“ Zeit lassen. Die vielen Ungereimtheiten und offenen Fragen lassen annehmen, dass es gar nicht um logische Zusammenhänge geht. Vielmehr dürfte es darum gehen, den 2 Tim möglichst als einen echten Paulusbrief erscheinen zu lassen. Die Nennung der Orte und Personen vermittelt den Eindruck, dass Paulus selbst schreibt, der zu ihnen eine ganz persönliche Beziehung hat. Und die Erwähnung der „Bücher“ und „Pergamente“ bringt ebenfalls mehr Konkretion und lässt die Reise nach (Alexandria) Troas plausibel erscheinen. Merkwürdig nur, dass „Bücher“ und „Pergamente“ nicht recht zu dem Apostel Paulus passen wollen, der viel auf Reisen war und keinen Ballast gebrauchen konnte, das Evangelium sicherlich ohne „Bücher“ und „Pergamente“ verkündigen konnte und an materiellen Aspekten der „Bücher“ und „Pergamente“ kein Interesse hatte. Für ihn waren nur Inhalte relevant, und zwar diejenigen der hebräischen Bibel, der „Schrift“. Er deutete sie auf das Evangelium hin und bezog sie darüber hinaus auf seine persönliche Lage als Prediger des Evangeliums. Die Erwähnung der „Bücher“ und „Pergamente“ im 2 Tim weist eher auf die nachpaulinische Zeit hin, in der die Kanonisierung derjenigen Schriften begann, die später die griechische Bibel, das sogenannte Neue Testament (= NT), bildeten. In dieser Zeit begannen Materialien eine zunehmende Rolle zu spielen, denn die Paulusbriefe und die anderen Schriften mussten ja verbreitet und damit abgeschrieben und dann auch für die kommenden Generationen erhalten werden. Da kam dem besonders wertvollen und haltbaren Pergament eine besondere Rolle zu. So ist zu vermuten, dass bei der Erwähnung der „Bücher“ und „Pergamente“ die Aufforderung an „Timotheus“ anklingt, die Inhalte der Paulusbriefe nicht nur mündlich zu überliefern, sondern auch für ihre schriftliche Überlieferung zu sorgen, und zwar auf möglichst wertvollen und haltbaren Materialien. Paulus bzw. „Paulus“ erscheint im 2 Tim als Vorbild des Timotheus bzw. „Timotheus“, und das gilt auch im Hinblick auf die schriftliche Überlieferung. Deshalb muss er sich die „Bücher“ und „Pergamente“ bringen lassen. Allerdings wird Timotheus bzw. „Timotheus“ nicht ermahnt, die „Bücher“ und „Pergamente“ nach dem Tod des Paulus bzw. „Paulus“ an sich zu nehmen und zu bewahren, was eigentlich zu erwarten wäre. Ist diese Deutung damit zu weit gehend? Oder wollte es „Paulus“ bei einer Anspielung belassen, wohl wissend, dass zur Zeit des Apostels Paulus die Paulusbriefe und anderen ntl. Schriften ja erst im Entstehen begriffen waren und es noch nicht um Kanonisierung und Bewahrung ging? In letzterem Fall hätte eine Überbetonung der „Bücher“ und „Pergamente“ Zweifel an der Echtheit des 2 Tim geweckt, so dass es „Paulus“ bei einer Andeutung beließ.


Weiterführende Literatur: Laut H. Bojorge 1980, 209-224 werde V. 13 gewöhnlich als eine persönliche Nachricht verstanden, ihm darüber hinaus aber keine Bedeutung beigemessen. Wenn man aber bedenke, dass der Mantel im antiken Vorderen Orient die Persönlichkeit und die Rechte seines Trägers symbolisiert und der 2 Tim eine Art Leitfaden für Timotheus als Nachfolger des Paulus darstellt, liege nahe, dass die Erwähnung des Mantels in V. 13 auf die apostolische Nachfolge anspielt.


Mit der Bedeutung der drei Begriffe „phailonês“, „biblia“ und „membranai“ befasst sich J. Luttenberger 2012, 323-369. Die Untersuchung des singulären Begriffes „phailonês“ lege nahe, dessen Bedeutung im Kontext der antiken Briefpraxis zu suchen. Es handele sich hierbei um eine Hülle bzw. ein Behältnis aus meistens kostbarem Stoff, mit der Funktion, Pergamente aufzubewahren und so zu schützen. Die Spezifik und der Kontext, in dem der Begriff verwendet wird, machten die Bedeutung „Mantel“ eher unwahrscheinlich, und damit ebenso eine inhaltliche bzw. redaktionelle Verknüpfung von 2 Tim 4,13 mit 1 Tim 6,8. Gleiches gelte bezüglich der „membranai“. Hier habe die Auffassung, es handle sich dabei um Texte des AT, die größte Wahrscheinlichkeit. Die Übersetzung von „membranai“ mit „Notizbücher“ o. ä. lasse sich hingegen nicht ausreichend belegen. Mit dem Begriff „biblia“ würden in der Regel Papyrusblätter als Schreibmaterial bezeichnet, die aneinandergeleimt zu einer Papyrusrolle gefertigt worden seien. Daher sei „biblion“ das gebräuchliche Wort für Buch/Buchrolle/Schrift in der Koine. Im Gegensatz zu den „membranai“ seien mit den „biblia“ wohl keine atl. Schriften gemeint. Der auf das Gesetz (= jüdische Religionsgesetz) bezogene Begriff finde sich im Corpus Paulinum lediglich in dem atl. Zitat von Dtn 27,26 in Gal 3,10. Für den jüdischen Bereich werde darüber hinaus auch der Scheidebrief, das „biblion apostasiou“ (Mk 10,4; Mt 19,7; Dtn 24,1.3) unter dem Begriff „biblion“ angesprochen. „Biblion“ könne also eine profane Bedeutung haben und „Dokument“ und genauer auch „juristisches Dokument“ bedeuten. Der Begriff könne somit auch Unterlagen bezeichnen, die der Apostel im Zusammenhang mit dem Prozess benötigt. Es gebe aber noch eine weitere Deutungsmöglichkeit: Aus der epistolographischen Praxis zur Zeit des Paulus seien Belege erhalten, die die Deutung der „biblia“ z. B. als Kopien seiner Briefe, als Sammlung von Briefen bzw. Briefabschriften oder auch als Briefe aus den Gemeinden aber ebenso als Notizen und Entwürfe unterstützen können.


Mit der Bedeutung von „malista“ befasst sich H. B. Kim 2004, 360-368. Traditionell werde „malista“ mit „besonders“ übersetzt. T: C. Skeat 1979, 173-177 dagegen vertritt die Ansicht, dass in 2 Tim 4,13 „malista“ nicht „besonders“, sondern „das heißt“ bedeute. Die „membranai“ würden nicht von den „biblia“ unterschieden und herausgehoben, sondern mit ihnen gleichgesetzt. H. B. Kim analysiert den Artikel von T. C. Skeat und kommt zu dem Ergebnis, dass dessen These nicht überzeuge. Die als Belege herangezogenen Schriftstellen u. a. aus den Pastoralbriefen würden die Bedeutung „das heißt“ nicht hergeben.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 14/15


Beobachtungen: Alexander, der Schmied, taucht im NT nur hier auf. Ein Schmied ist ein Handwerker, der glühendes Metall mit dem Hammer oder einem ähnlichen Werkzeug formt. Welches Metall Alexander formt, bleibt offen. Eine Person namens Alexander taucht auch an weiteren Stellen des NT auf, allerdings ohne die Berufsbezeichnung „der Schmied“. Insofern liegt eine Identifizierung des in 2 Tim 4,14 genannten Schmiedes Alexander mit anderen Personen namens Alexander nicht nahe. Auch Namensgleichheit besagt noch nicht viel, denn es kann sich um verschiedene Menschen handeln, die den gleichen Namen tragen. Dass Vorsicht angebracht ist, wird deutlich, wenn wir einen Blick auf Apg 19,33 werfen. Auch dort ist von einem Alexander die Rede. Nachdem es in Ephesus wegen des missionarischen Wirkens des Paulus zu einem Aufruhr der Silberschmiede gekommen war, trat Alexander vor die aufgebrachte Menge und wollte eine Verteidigungsrede halten. Als die Menge aber merkte, dass Alexander ein Jude war, schrie sie zwei Stunden lang „Groß ist die Artemis der Epheser!“. Wir sehen: Der Name ist der gleiche, ebenso ist jeweils Ephesus der Ort des Geschehens. Auch lässt die Berufsbezeichnung „Schmied“ in 2 Tim 4,14 an die Silberschmiede denken, die in Ephesus den Aufruhr veranstaltet haben. Und dennoch lassen sich die Informationen nicht in Einklang bringen. Der in Apg 19,33 erwähnte Alexander wollte Paulus verteidigen. Das ist das Gegenteil von „Paulus Böses tun“. Folglich war er auch nicht auf der Seite der aufgebrachten Silberschmiede. Dass der in 2 Tim 4,14 erwähnte Alexander ein „Schmied“ war, ist völlig unerheblich. Der in Apg 19,33 erwähnte Alexander gehört nicht zu den (Silber-)Schmieden. Und dass der in 2 Tim 4,14 erwähnte Alexander zu den aufgebrachten Silberschmieden gehörte, ist unwahrscheinlich. 2 Tim 4,14 verwendet nämlich den Begriff „chalkeus“ („Schmied“), wogegen der Aufruhr der Silberschmiede gemäß Apg 19,24 von einem „argyrokopos“ („Silberschmied“) angezettelt worden ist. Außerdem waren unter den Aufrührern „technitai“ („Kunsthandwerker“). Wenn es in 2 Tim 4,14 15 im Hinblick auf Alexander heißt, dass er „Paulus“ viel Böses angetan und sich dessen Worten heftig widersetzt hat, kann man das Geschehen von 1 Tim 1,20, wonach „Paulus“ den Hymenäus und den Alexander nach deren Abfall vom rechten Glauben dem Satan übergeben hat, damit sie gezüchtigt werden und nicht mehr lästern. natürlich weiterspinnen: Alexander könnte „Paulus“ bei der Übergabe an den Satan Böses getan und sich dessen Worten heftig widersetzt haben. Oder er könnte nach der Übergabe an den Satan zu einem erklärten Gegner des „Paulus“ geworden sein. Aber eine solche Fortsetzung der Geschichte ist spekulativ. Die Worte können auch ganz andere Worte einer ganz anderen Situation meinen, auch die paulinische bzw. „paulinische“ Lehre. Auch stellt sich die Frage, warum Alexander in 2 Tim 4,14 ausdrücklich als „Schmied“ bezeichnet wird, in 1 Tim 1,20 dagegen nicht. Möglich und durchaus auch wahrscheinlich ist, dass die Berufsbezeichnung den Alexander von anderen, namensgleichen Personen unterscheiden soll. Damit wäre aber der Schmied Alexander wohl von dem nicht als Schmied bezeichneten Alexander unterschieden.

Wo sich Alexander, der Schmied, befindet, erfahren wir nicht. Da sich „Timotheus“ wohl in Ephesus aufhält, ist zunächst einmal an Ephesus zu denken. Angesichts der erwähnten Reise nach Troas ist darüber hinaus aber auch an Troas zu denken. Entweder weiß „Timotheus“ es oder es ist nicht wichtig. „Timotheus“ soll sich vor Alexander, dem Schmied, hüten, egal wo er sich befindet.


Die Aussage, dass der Herr dem Schmied Alexander nach seinen Werken vergelten wird, besagt für sich genommen noch nicht aus, wie die Vergeltung beschaffen sein wird. Sie kann ewiges Leben bedeuten oder Zorn und Grimm (vgl. Röm 2,6-8). Da aber vorweg von „Bösem“ die Rede ist, hat der Schmied Alexander sicherlich seitens des „Herrn“ Zorn und Grimm zu erwarten.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.

Aus 2 Tim 4,1 geht hervor, dass Jesus Christus „der Herr“, der gerechte Richter, ist. Diese Klarheit ist insofern bemerkenswert, dass im 2 Tim ansonsten unklar bleibt, wer der „Herr“ (ohne bestimmten Artikel) und wer „der Herr“ (mit bestimmtem Artikel) ist. Aus einer Zusammenschau verschiedener Verse lässt sich zwar erkennen, dass wahrscheinlich Gott der „Herr“ ist und Jesus Christus „der Herr“, bei „Herr“ scheint aber zugleich Jesus Christus anzuklingen und bei „der Herr“ Gott. Sogar ein wechselnder Gebrauch ist nicht ausgeschlossen. 4,9 setzt der Unklarheit ein Ende. Folglich ist auch in 4,14 der gerechte Richter Jesus Christus mit „der Herr“ gemeint. Das ist insofern interessant, als „Paulus“ Ps 61,13LXX (= 62,13; vgl. Spr 24,12) zitiert. Dort ist Gott „der Herr“. Auch der Apostel Paulus zitiert in dem zweifellos von ihm stammenden Römerbrief (2,6-7) Ps 61,13LXX (= 62,13; vgl. Spr 24,12) und ebenso wie dort ist auch bei ihm Gott der Richter. Wenn „Paulus“ Jesus Christus als „der Herr“ und als „gerechter Richter“ bezeichnet, dann geht er also weder mit Paulus (gemäß Röm 2,6-7) noch mit der Septuaginta (gemäß Ps 61,13LXX = 62,13) konform.


Weiterführende Literatur: Laut J. Luttenberger 2012, 298-304 sei die Wahl der Namen Hymenäus und Alexander wahrscheinlich durch 2 Tim 2,17; 4,14 veranlasst. Beide Namen seien hier bereits negativ besetzt. Durch diesen Bezug würden sie einerseits als bekannt vorausgesetzt, andererseits hätten sie im Kontext des 1 Tim keine andere als eine rein literarische Funktion im Blick auf den Umgang mit Irrlehren. 1 Tim 1,20 wäre demnach ein anschauliches Beispiel für eine persönliche Notiz im 1 Tim, die an aus Quellen Bekanntes anknüpft und dieses dann mit den Namen als nähere Details ausschmückt. In 1 Tim 1,20 und 2 Tim 4,14 sei vermutlich von derselben Person die Rede. Die Berufsbezeichnung in 2 Tim 4,14 scheine lediglich der bestimmten Identifizierung des Alexander zu dienen, der den Lesern offenbar bekannt gewesen sei. So erscheine er in Apg 19 in Zusammenhang mit dem Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus. Es sei dort zwar nicht erkennbar, ob er selbst zur Gruppe der Schmiede gehört, aber dies sei auch nicht auszuschließen.



Literaturübersicht


Bligh, Malcolm; Seventeen Verses Written for Timothy (2 Tim 4:6-22), ET 109/12 (1998), 364-369

Bojorge, Horacio; El poncho de San Pablo. Una posible alusión a la sucesión apostólica en 2 Tim 4,13, RBíb 42/178 (1980), 209-224

Kim, Hong Bom; The Interpretation of malista in 1 Timothy 5:17, NT 46/4 (2004), 360-368

Luttenberger, Joram; Prophetenmantel oder Bücherfutteral. Die persönlichen Notizen in den Pastoralbriefen im Licht antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie (ABG 40), Leipzig 2012

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), 1987

Skeat, T. C.; Especially the Parchments: a Note on 2 Tim 4,13, JTS 30/1 (1979), 173-177

( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )