Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Timotheusbrief

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus

2

Tim 4,16-18

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Tim 4,16-18



Übersetzung


2 Tim 4,16-18 : 16 Bei meiner ersten Verhandlung stand mir niemand zur Seite; (sondern) alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden. 17 Aber der Herr stand mir bei und gab mir Kraft, damit durch mich die Predigt vollbracht werde und alle Völker sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. 18 Entreißen wird mich der Herr allem bösen Tun und retten in sein himmlisches Reich. Ihm sei Ruhm in alle Ewigkeit. Amen



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V. 16


Beobachtungen: Nachdem „Timotheus“ von „Paulus“ als Garant des rechten Glaubens dargestellt worden ist (2 Tim 3,10-4,8), endet der Hauptteil und es beginnt der Briefschluss. Dieser gliedert sich in letzte Anweisungen an „Timotheus“ (4,9-15), persönliche Mitteilungen (4,16-18) Grüße (4,19-21) und Segenswünsche (4,22). Der Briefschluss ist sehr persönlich gehalten, so dass man annehmen könnte, der 2 Tim sei von dem Apostel Paulus verfasst. Angesichts verschiedener Ungereimtheiten lässt sich der persönliche Stil aber als Versuch ausmachen, den 2 Tim als echten Paulusbrief erscheinen zu lassen, der er wahrscheinlich aber nicht ist.


Bei einer „apologia“ handelt es sich um eine „Verteidigung“. Hier haben wir an eine Verteidigung vor Gericht zu denken, also an eine Gerichtsverhandlung. Bei dieser Gerichtsverhandlung ist Paulus der Angeklagte, der sich verteidigen muss.


Dass Verb „paragignomai“ kann „hinzukommen“ oder „eintreten für“ bedeuten. Es ist also niemand mit zur Gerichtsverhandlung gekommen und es ist somit auch niemand während der Gerichtsverhandlung für Paulus eingetreten. Das erstaunt allerdings, weil Lukas (als Einziger) noch bei Paulus war und die beiden eine gute Beziehung zueinander gehabt haben dürften (siehe die Beobachtungen zu 2 Tim 4,11). Insofern stellt sich die Frage, ob Paulus tatsächlich auch von Lukas im Stich gelassen worden ist. Dem Wortlaut nach ist das der Fall. Allerdings dürfte es wohl das Anliegen des „Paulus“ sein, die Verlassenheit des Paulus in der Gefahr zu betonen. Ein Hinweis darauf, dass zumindest Lukas bei der Gerichtsverhandlung anwesend war und vielleicht sogar für Paulus eingetreten ist, wäre dem Anliegen zuwidergelaufen. Also wird Lukas außer acht gelassen und wir wissen nicht, ob Lukas bei der Gerichtsverhandlung zugegen war oder nicht. Auch wissen wir nicht, ob Paulus ein berufsmäßiger Verteidiger an der Seite stand oder nicht. All dies spielt letztendlich aber auch keine Rolle, weil wir den 2 Tim nicht als historischen Tatsachenbericht zu lesen haben, sondern als testamentarische Mahnrede.


Gemäß V. 14 vergilt „der Herr“, der gerechte Richter Jesus Christus, beim Jüngsten Gericht nach Werken. Folglich müsste das verwerfliche Verhalten derjenigen, die bisher bei Paulus waren und ihn nun allesamt im Stich gelassen haben, beim Jüngsten Gericht belastend gegen sie vorgebracht werden. Nun sind diejenigen, die Paulus in der Gefahr im Stich gelassen haben aber nicht einfach nur böse, sondern es handelt sich um (ehemalige) Mitarbeiter des Paulus. Sie haben beim Jüngsten Gericht somit auch gute Werke zu ihrem Gunsten vorzubringen, sind im Grunde wohl auch rechtgläubige Christen und können somit auf die Vergebung der Sünden hoffen. All dies berücksichtigt „Paulus“ mit seiner vorsichtigen Formulierung „Möge…“. „Paulus“ ist daran gelegen, die (ehemaligen) Mitarbeiter des Paulus nicht so verwerflich wie die Irrlehrer oder wie den Schmied Alexander, der sich den Worten des Paulus widersetzt hat (vgl. V. 14), erscheinen zu lassen.


Gemäß V. 16 handelte es sich um die erste Gerichtsverhandlung. Das setzt noch mindestens eine weitere Gerichtsverhandlung voraus. Diese kann bereits erfolgt sein oder noch ausstehen. Wir haben davon auszugehen, dass die erste Gerichtsverhandlung in Rom stattgefunden hat, denn Paulus bzw. „Paulus“ blickt nur auf die Lage unmittelbar vor seinem Hinscheiden und betont die Verlassenheit. In Cäsarea hatte es zwar schon vor dem römischen Statthalter eine Gerichtsverhandlung gegeben (außerdem in Jerusalem vor dem Hohen Rat der Juden; vgl. Apg 23-26), allerdings ist unwahrscheinlich, dass der Blick so weit zurück reicht und die Einsamkeit schon für einen solch entfernten Zeitpunkt angenommen wird. Gemäß 2 Tim 4,9-12 ist die Einsamkeit des Paulus erst vor Kurzem eingetreten.


Weiterführende Literatur: In 2 Tim 4,6-22 herrsche gemäß M. Bligh 1998, 364-369 Durcheinander. Dieses lasse sich damit erklären, dass es sich um eine nicht korrigierte Version einer Notiz des Paulus für Timotheus handele.


J. Luttenberger 2012, 76-78 stellt die These von der exemplarischen Verlassenheit des Paulus infrage.


Mit dem Gebrauch des AT in den Pastoralbriefen befasst sich A. T. Hanson 1981, 203-219. Zu 2 Tim 4,16-18: Der Apostel Paulus hätte den Ps 22 wohl in erster Linie auf die Leiden Jesu bezogen, der Verfasser der Pastoralbriefe, der sich nicht die paulinische tiefgehende Theologie des mit Christus Gekreuzigtseins zu eigen gemacht habe, beziehe ihn dagegen direkt auf Paulus.


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V. 17


Beobachtungen: Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.

Aus 2 Tim 4,1 geht hervor, dass Jesus Christus „der Herr“, der gerechte Richter, ist. Diese Klarheit ist insofern bemerkenswert, dass im 2 Tim ansonsten unklar bleibt, wer der „Herr“ (ohne bestimmten Artikel) und wer „der Herr“ (mit bestimmtem Artikel) ist. Aus einer Zusammenschau verschiedener Verse lässt sich zwar erkennen, dass wahrscheinlich Gott der „Herr“ ist und Jesus Christus „der Herr“, bei „Herr“ scheint aber zugleich Jesus Christus anzuklingen und bei „der Herr“ Gott. Sogar ein wechselnder Gebrauch ist nicht ausgeschlossen. 4,9 setzt der Unklarheit ein Ende. Folglich ist auch in 4,17 der gerechte Richter Jesus Christus mit „der Herr“ gemeint.


Vor Gericht war Paulus nicht ganz allein, sondern „der Herr“, Jesus Christus, stand ihm bei. Jesus Christus ist aber nicht in der Gerichtsverhandlung wundersam erschienen und hat Paulus wie ein Verteidiger verteidigt. Überhaupt haben wir uns die Gerichtsverhandlung nicht so vorzustellen, dass die Anklage vorgebracht wurde und Paulus dann seine Unschuld beteuert hat und von einem Verteidiger, sei es ein berufsmäßiger oder Jesus Christus, dabei unterstützt wurde. Vielmehr hat Paulus die Gerichtsverhandlung für eine Predigt genutzt. Bei dieser Predigt wurde er von „dem Herrn“ gestärkt.

In der Gerichtsverhandlung wurde offensichtlich nicht die Schuld des Paulus festgestellt. Folglich kam es nicht zu einer Verurteilung, sondern Paulus wurde dem Rachen des Löwen entrissen. Der Rachen des Löwen ist vermutlich die drohende Verurteilung, und zwar vermutlich zum Tode. Der Löwe kann aber auch der Kaiser sein (vgl. die Altertümer des Josephus, wo in 18,228 der Kaiser Tiberius als „Löwe“ bezeichnet wird). Und schließlich kann „Löwe“ auch wörtlich gemeint sein und sich darauf beziehen, dass Paulus nicht verurteilt wurde und somit nicht – vermutlich in einem Amphitheater - den Löwen vorgeworfen wird (vgl. Dan 6,17-23). Vielleicht hatte „Paulus“ beim „Rachen des Löwen“ Ps 22,22 (= 21,22LXX) im Blick, wo ein einsamer, sich in Todesgefahr befindlicher frommer Mensch von Gott die Rettung aus dem „Rachen des Löwen“ erfleht. Dem Rachen des Löwen ist Paulus nicht durch eigene Kraft und Argumentationskünste entkommen, sondern er wurde von „dem Herrn“ dem Rachen des Löwen entrissen. Nun, da Paulus nicht verurteilt wurde, stellt sich die Frage nach seinem Status. Da es sich um die erste Verhandlung handelte, ist anscheinend vorausgesetzt, dass noch mindestens eine zweite Verhandlung folgt. Paulus ist folglich wohl kein freier Mann und es ist somit nicht anzunehmen, dass er wieder frei reisen und predigen kann. Es ist zu bedenken, dass er seinen Tod unmittelbar bevorstehen sieht (vgl. 4,6). Und der bevorstehende Tod scheint mit dem Prozess aufgrund der Verkündigung des Evangeliums verbunden zu sein. Eine Krankheit, die zum Tod führt, scheidet folglich als abzusehende Todesursache aus. Paulus scheint sich also zwischen der ersten und zweiten, vermutlich entscheidenden Verhandlung zu befinden. Das Todesurteil ist demnach aufgeschoben. Die juristischen Hintergründe der Aufschiebung lassen sich nicht erschließen. Es bleibt festzuhalten, dass diese Deutung mit der Darstellung der Apostelgeschichte (28,28-31) kompatibel ist. Demnach blieb Paulus zwei Jahre lang gefangen in einer Mietwohnung. Es handelte sich um eine offene Gefangenschaft, so dass er Menschen, die zu ihm kamen, empfangen und ihnen verkündigen und die christliche Lehre darlegen konnte. Warum Paulus so lange gefangen für sich in der Mietwohnung bleiben musste und wie sich schließlich sein Schicksal gestaltete, erfahren wir in der Apg nicht. Der 2 Tim scheint die Informationslücken auszufüllen: Er erklärt die lange offene Gefangenschaft damit, dass Paulus bereits eine Gerichtsverhandlung in Rom hinter sich hat. Da er noch nicht verurteilt ist, bleibt er unter lockeren Haftbedingungen weiter gefangen. „Paulus“, der Verfasser des 2 Tim, geht aber noch von mindestens einer weiteren Gerichtsverhandlung aus, bei der Paulus dann zum Tode verurteilt wird. Das entspricht der Legende, wonach Paulus in Rom enthauptet wurde.


Auch die Predigt bei der Gerichtsverhandlung füllt eine Informationslücke der Apg aus: Gemäß der Apg hat Paulus das geographische Ziel seiner Verkündigung, Rom, erreicht (vgl. Apg 19,21; 23,11; 28,14). Unklar ist, ob es Gottes Auftrag war, dass Paulus in Rom Zeugnis ablegen sollte (vgl. Apg 23,11), oder ob er in Rom unbedingt auch vor den Kaiser treten (vgl. 27,24) und vor diesem Zeugnis ablegen sollte. Der Verfasser des 2 Tim geht von Letzterem aus. Auch wenn der Kaiser nicht ausdrücklich erwähnt wird, haben wir davon auszugehen, dass es sich um ein kaiserliches Gericht handelt, vor dem Paulus gemäß 2 Tim 4,17 predigte. Dass der Verfasser des 2 Tim bezüglich des Lebensendes des Paulus so vage bleibt, passt ebenfalls zur Darstellung der Apg. So wenig wir in der Apg über die Kindheit und Jugendjahre des Paulus informiert werden, so wenig werden wir über sein Lebensende informiert. Nicht der Sieg des Paulus (oder seine Niederlage und evtl. sein Martyrium) sollte den krönenden Schluss der Apg bilden, sondern der Sieg des Evangeliums. Dass Paulus gemäß der Apg das geographische Ziel seiner Verkündigung erreichte und er vor dem kaiserlichen Gericht predigte, wird im 2 Tim als „Erfüllung“ bzw. „Vollbringung“ der Predigt verstanden.


Die Formulierung „panta ta ethnê“ ist zunächst einmal mit „alle Völker“ zu übersetzen. Dabei richtet sich die Predigt an alle, die noch nicht zum christlichen Glauben gekommen sind. Das sind in erster Linie Heiden, also Menschen, die an andere Götter als den Gott Israels glauben. Zu diesen gehörten der römische Kaiser und vermutlich auch die Gerichtsbeamten und mögliche weitere bei Gericht Anwesende. Insofern ist auch die Übersetzung „alle Heiden“ möglich. Lesen wir jedoch den 2 Tim auf dem Hintergrund der Apg (28,17-31), dann sind auch die Juden in „alle Völker“ eingeschlossen. Auch ihnen hat gemäß der Apg Paulus in Rom gepredigt. Insofern ist in 2 Tim 4,17 die Übersetzung „alle Völker“ der Übersetzung „alle Heiden“ vorzuziehen.


Weiterführende Literatur:


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V. 18


Beobachtungen: Das „böse Tun“ ist weiter gefasst als der „Rachen des Löwen“. Der „Rachen des Löwen“ bezieht sich nur auf die Verurteilung (zum Tode), das „böse Tun“ kann aber alles sein, was gegen Paulus und den rechten christlichen Glauben gerichtet ist. Dazu gehört alles, was mit dem Prozess gegen Paulus zusammenhängt, aber sicher auch Unglaube, Irrlehre und das daraus resultierende Fehlverhalten.

Zunächst könnte man meinen, dass Paulus insofern gerettet wird, als er endlich wieder seine Gemeinden besuchen kann und diese so weit gestärkt sind, dass es keine Glaubensschwäche und keine Irrlehre gibt, mit der sich Paulus auseinandersetzen muss. Eine solche Rettung ließe sich aber nicht mit dem (gemäß 2 Tim 4,6) bevorstehenden Hinscheiden des Paulus in Einklang bringen. Der Verfasser des 2 Tim hat eine andere Rettung im Blick, und zwar versteht er das bevorstehende Hinscheiden als Rettung. Indem Paulus aus dieser Welt mit all ihrem Unglauben, Irrglauben und daraus resultierenden Fehlverhalten scheidet, wird er „allem bösen Tun“ entrissen und in das himmlische Reich „des Herrn“ gerettet. Paulus geht also sicher von seinem Eingang in den Himmel aus.


Die Formulierung „eis tous aiônas tôn aiônôn“ (wörtlich: „in den Weltzeiten der Weltzeiten“), die „in alle Ewigkeit“ bedeutet, ist eine liturgische Formel. Gott gebührt in alle Ewigkeit, also in allen Weltzeiten, Ruhm.


Amên“ ist hebräisch und bedeutet „gewiss“. Es wird also abschließend bekräftigt, dass das zuvor in dem Gotteslob Gesagte gewisslich wahr ist.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bligh, Malcolm; Seventeen Verses Written for Timothy (2 Tim 4:6-22), ET 109/12 (1998), 364-369

Hanson, A. T.; The Use of the Old Testament in the Pastoral Epistles, IBS 3/4 (1981), 203-219

Luttenberger, Joram; Prophetenmantel oder Bücherfutteral. Die persönlichen Notizen in den Pastoralbriefen im Licht antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie (ABG 40), Leipzig 2012

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